Was verbindet Karl den Großen, König Ludwig I. und Ministerpräsident Franz Josef Strauß?
Die Idee, die Nordsee über das Flusssystem des Rheins und des Mains mit der Donau und somit mit dem Schwarzen Meer zu verbinden, ist nicht neu. Bereits im 8. Jahrhundert wollte Karl der Große eine schiffbare Route quer durch den europäischen Kontinent schaffen, ob der Kanal vollständig realisiert werden konnte, ist unter Historikern umstritten. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts griff Ludwig I. diesen Gedanken auf und reüssierte. Finanziell war der Ludwig-Donau-Main-Kanal allerdings kein Erfolg, doch dies ließ seine demokratisch gewählten bayerischen Nachfolger nicht verzagen. Sie machten sich gemeinsam mit dem Bund daran, den nächsten Kanal mit Schleusen in der XXL-Version voranzutreiben, und Franz Josef Strauß drückte den Weiterbau durch, als sich zweifelnde Stimmen in den 1970er Jahren mehrten. Kaiser, König und Ministerpräsident einte der Wunsch, den Handel durch eine Schifffahrtsverbindung voranzubringen und das Wohlergehen der Untertanen und später der Bürger zu mehren, doch wirtschaftlich trug das Vorhaben keine Früchte: die transportierte Tonnage auf dem Main-Donau-Kanal ist noch heute sehr niedrig. Hatte Bundesverkehrsminister Volker Hauff recht, der 1981 über den im Bau befindlichen Main-Donau-Kanal meinte, es sei so „ziemlich das dümmste Projekt seit dem Turmbau zu Babel“?
Schlagrahmdampfer statt Frachtschiffe
Großprojekte sind in unseren Tagen meist umstritten, man denke nur an Stuttgart 21 – einschließlich unterirdischem Bahnhof und Schnellbahntrasse von Stuttgart nach Ulm. Der Frankenkaiser Karl der Große (747 – 814), der weite Teile Europas seinem Reich einverleibt hatte, musste nicht mit Protestierern rechnen, ihn plagten eher die technischen Probleme. Für die Kanalwände wurden Eichenstämme genutzt, die in den Jahren 792/93 gefällt worden waren. In der Nähe der Gemeinde Graben in Mittelfranken finden sich noch Reste des ursprünglichen Kanals, über dessen Fertigstellung weiterhin keine Klarheit herrscht. Die Baustelle für die Fossa Carolina – auch Karlsgraben genannt – besuchte Karl der Große wie historische Dokumente belegen. „Der König erreichte zur Herbstzeit von Regensburg auf dem Schiffsweg den großen Graben zwischen Altmühl und Rezat“, heißt es – wie nordbayern.de berichtete – in den fränkischen Reichsannalen. Lange wurde angenommen, der Kaiser sei 793 gewissermaßen zum ersten Spatenstich angereist, doch Untersuchungen der Universitäten Jena, Leipzig und Kiel in Kooperation mit dem bayerischen Landesamt für Denkmalpflege und dem Leibniz-Institut für Photonische Technologien ergaben, dass bei seinem Besuch die Arbeiten bereits in vollem Gange waren. Ob die mittelalterlichen Kanalbauer wirklich die Europäische Hauptwasserscheide überwinden konnten, die die Flusssysteme von Rhein und Donau trennt, das ist nicht eindeutig geklärt. Da moderne Schleusen unbekannt waren, hätten die flachen Schiffe jener Tage immer wieder über Rollen oder Rutschen bewegt werden müssen.
Der bayerische König Ludwig I. (1786 – 1868) war 1 000 Jahre später die treibende Kraft für den Donau-Main-Kanal, dessen Planungen ab 1830 intensiviert wurden. Eine 1834 gegründete Gesellschaft, deren Aktienausgabe das Bankhaus Rothschild besorgte, stemmte die Finanzierung des Kanals, dessen Bau unter Leitung von Oberbaurat Heinrich Freiherr von Pechmann ab 1836 mit bis zu 9 000 Arbeitern vorangetrieben wurde. Bereits 1843 fuhren auf Teilstrecken Schiffe, die eigentliche Inbetriebnahme des gesamten Bauwerks erfolgte am 15. Juli 1846 mit der Enthüllung eines Denkmals in Erlangen. Dort ist der Kanal längst verschwunden, heute rollt über seinem früheren Bett der Autoverkehr auf der A 73. Doch vor der Erfindung des Automobils machte die Eisenbahn dem Kanal Konkurrenz, und dies bekamen auch die Aktionäre zu spüren: Schulden häuften sich an, und letztendlich übernahm das Königreich Bayern die Anteilsscheine. Wäre der Kanal gleich mit staatlichen Mitteln gebaut worden, wäre das billiger gekommen. Schon um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert begann die Freizeitnutzung des Ludwig-Donau-Main-Kanals, und so luden ab 1906 in Fürth die ersten „Schlagrahmdampfer“ – so der Volksmund – zur Mitfahrt ein. Der Frachttransport auf der Wasserstraße lohnte sich nicht mehr, der von König Ludwig I. geförderte Handel verlief nun über andere Verkehrsadern – über Schienen und Straßen. Auf den früheren Treidelpfaden für die Pferde, die die Schiffe in sechs Tagen durch den 172 km langen Kanal zogen, sind heute Radfahrer unterwegs. Teile des Kanals wurden umgewidmet, und Sektionen der Wasserstraße, die von Kelheim an der Donau bis nach Bamberg reichte, begrub sein großer Bruder nach der Mitte des 20. Jahrhunderts unter sich.
„… das dümmste Projekt seit dem Turmbau zu Babel“?
Dass politische Entscheidungsträger nicht immer aus wirtschaftlichen Fehlschlägen anderer lernen, das kann man auch am Wunsch, Rhein und Donau zu verbinden, ablesen. In Herders mehrbändigem Konversationslexikon, das zwischen 1902 und 1910 erschienen ist, hieß es bereits über den Ludwig-Donau-Main-Kanal: „wegen der geringen Verkehrsbedeutung der anschließenden Flußstrecken weist auch der Kanal nur geringen, überwiegend örtlichen Verkehr auf (haupts. Baumaterialien in der Gegend um Nürnberg)“. Sollte diese kritische Einschätzung nicht nachfolgenden Generationen zu denken geben, die sich wieder für einen Kanal erwärmten? Der Gesamtverkehr, so Herder weiter, umfasst „trotz zahlr. Doppelzählungen (Ankunft, Ab- u. Durchgang) 1903 nur 224 569 t.“ Und was war die Folge? „Zuschüsse“ waren erforderlich! Wer nun aber glaubt, ein solches finanzielles Desaster würde auf weitere Kanalbauer abschreckend wirken, der irrt. 1892 gründeten interessierte Gemeinden in Nürnberg den Verein für Hebung der Fluß- und Kanalschiffahrt in Bayern, den heutigen Deutsche Wasserstraßen- und Schiffahrtsverein Rhein-Main-Donau e.V. (DWSV). Es gab verschiedene parlamentarische Initiativen, und 1921 schlossen das Deutsche Reich und der Freistaat Bayern einen Staatsvertrag, in dem es nicht nur um eine neue Kanalverbindung zwischen Main und Donau ging, sondern auch um den Ausbau des Mains und der Donau. Die im gleichen Jahr gegründete Rhein-Main-Donau AG nahm nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland ihre Aktivitäten zum Bau einer Wasserstraße zwischen Rhein/Main und der Donau wieder auf. Alles sollte eben größer und damit erfolgreicher werden, dies schien das Motto zu sein. Vorhergehende Erfahrungen aus der Entwicklung des Ludwig-Donau-Main-Kanals wurden wohl verdrängt.
Der Bau des Rhein-Main-Donau-Kanals – auch Europakanal genannt – begann 1960, doch mit der Stärkung des Umweltbewusstseins mehrten sich in den 1970er und 1980er Jahren die Zweifel an der Sinnhaftigkeit eines Weiterbaus. 1981 ergab eine vom Bundesverkehrsministerium in Auftrag gegebene Studie ein derart schlechtes Kosten-Nutzen-Verhältnis, das den damaligen SPD-Minister Volker Hauff zu der Aussage bewog, die Verbindung von Main und Donau mittels eines Kanals sei „ziemlich das dümmste Projekt seit dem Turmbau zu Babel“. Sturm liefen gegen das Projekt auch Natur- und Umweltschützer, denn der Kanal veränderte das malerische Altmühltal dramatisch: Aus der Altmühl wurde ein Kanal! Der damalige bayerische CSU-Ministerpräsident Franz Josef Strauß kämpfte für die Fertigstellung und hatte Glück: Die dem Kanal skeptisch gegenüberstehende Bundesregierung unter Helmut Schmidt (SPD) wurde 1982 durch CDU-Bundeskanzler Helmut Kohl abgelöst, der wohl kaum aus innerster Überzeugung das Kanalprojekt weiterlaufen ließ, doch wollte er sicherlich keinen Streit mit seinem bayerischen Unionskollegen Strauß. Selbst Werner Dollinger, der Hauff als Bundesverkehrsminister nachfolgte, hatte als CSU-Politiker Zweifel an den prognostizierten Frachtmengen – und er sollte recht behalten. Nach der Fertigstellung des Rhein-Main-Donau-Kanals 1992 verlagerte sich der politische Streit auf den weiteren Ausbau der Donau, der bis heute anhält.
Geringes Transportvolumen
Der Rhein-Main-Donau-Kanal mit seinen 16 Schleusen ist sicherlich wie sein Vorgänger der Ludwig-Donau-Main-Kanal eine technische Leistung ersten Ranges, denn diese Wasserstraße überquert die Europäische Hauptwasserscheide zwischen Rhein und Donau. Wenn man den Schiffsverkehr auf dem Rhein-Main-Donau-Kanal, aber auch auf der Donau, vor Ort mit dem Rhein vergleicht, dann muss man kein Statistiker sein, um die Unterschiede schnell zu erkennen. Der Rhein ist eine geschäftige Wasserstraße, auf der enorme Tonnagen transportiert werden, zwischen Bamberg und Kelheim geht es auf dem Rhein-Main-Donau-Kanal eher gemütlich zu, und auch auf der Donau sind die transportierten Gütermengen rückläufig. Kanäle mit zahlreichen Schleusen lassen zwar eine recht gute Regulierung des Wassers zu, doch wenn Hoch- und Niedrigwasser auf Main und Donau herrschen und den Schiffsverkehr beeinträchtigen, dann bremst dies auch den Main-Donau-Kanal aus. Der Klimawandel wird extreme Wetterereignisse wie Starkregen und Dürren häufiger auftreten lassen, und dies wird die Binnenschifffahrt vor zusätzliche Probleme stellen.
Laut dem Verkehrsbericht der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes wurden über die Schleuse Kelheim am Ende des Main-Donau-Kanals im Jahr 2019 rd. 3,5 Mio. Tonnen an Gütern umgeschlagen. Greifen wir zum Vergleich den Rhein bei Iffezheim heraus, dann passierten dort über 21,2 Mio. Gütertonnen im Vergleichsjahr. Selbst der Neckar bringt es an der Schleuse Feudenheim – kurz vor der Einmündung in den Rhein – auf 5,4 Mio. Tonnen. Der Main-Donau-Kanal leidet am gleichen Problem wie sein Vorgänger, der Ludwig-Donau-Main-Kanal: die beförderte Tonnage rechtfertigt in keiner Weise den Bau der Schifffahrtsstraße und die damit verbundenen Eingriffe in Natur und Landschaft. Die Zentralkommission für die Rheinschifffahrt macht in ihrem Jahresbericht 2021 deutlich, dass der Rhein und seine Nebenflüsse in einer anderen Klasse spielen als die Donau einschließlich des Main-Donau-Kanals. Vom schweizerischen Basel bis zur deutsch-niederländischen Grenze wurden 2020 rd. 160 Mio. Tonnen auf dem Rhein transportiert, auf der schiffbaren Donau zwischen Kelheim und dem Schwarzen Meer in Rumänien dagegen nur 36 bis 40 Mio. Tonnen. Bezieht man sich auf die Verkehrsleistung, dann fällt das Verhältnis etwas günstiger für die Donau aus – 25,8 Mrd. Tonnenkilometer gegenüber 32,6 Mrd. TKM auf dem Rhein. Beachtet werden muss beim Vergleich von Tonnenkilometern allerdings auch, dass der Rhein auf 884 Kilometern, die Donau auf 2414 Kilometern schiffbar ist. „99,99% der gesamten Containerverkehrsleistung (TKM) auf europäischen Binnenwasserstraßen findet in den sechs Rheinstaaten (den Niederlanden, Belgien, Deutschland, Frankreich, der Schweiz und Luxemburg) statt. Auf der Donau gibt es praktisch keinen Containertransport“, so der Bericht der Rheinkommission. Dies ist ein Beleg für die eklatante Schwäche der Donau und des Main-Donau-Kanals, denn Container haben Jahr für Jahr an Bedeutung zugenommen.
Ein Kanal für Touristen
Der Ludwig-Donau-Main-Kanal kam im Zuge der Industrialisierung zu spät und wurde von der Bahn, die 1835 erstmalig von Nürnberg nach Fürth in deutschen Landen verkehrte, schnell überholt. Die Kanäle in Großbritannien entstanden deutlich früher und wurden zu Adern der Industriellen Revolution, wobei der Bridgewater-Kanal als erstes modernes Bauwerk seiner Art in England gilt. Francis Egerton, der 3. Duke of Bridgewater, konnte ihn bereits 1761 einweihen, und dies verbilligte den Kohletransport aus seinen Bergwerken bei Worsley nach Manchester deutlich. Als dagegen der deutlich längere Ludwig-Main-Donau-Kanal 1846 seinen Betrieb aufnahm, da standen die Lokomotiven längst unter Dampf.
Grundsätzlich ist unter ökologischen Gesichtspunkten der Einsatz von Binnenschiffen sinnvoll, doch sind bis heute nicht ausreichende Transportmengen für den Main-Donau-Kanal gesichert worden. Dies liegt einerseits an der regionalen Wirtschaftsstruktur, andererseits erschweren auf Main und Donau Hoch- und Niedrigwasser eine sichere Transportverbindung. Der Main-Donau-Kanal überquert auf einer Höhe von 406 Metern nicht nur die Europäische Hauptwasserscheide, sondern benötigt zusätzliches Wasser aus Donau und Altmühl für die ‚Mainseite‘. Wasser aus der Donau wird zum Teil durch Stollen dem System der Regnitz und des Mains zugeführt. Zusätzlich wird Flusswasser aus der Altmühl über die Schleusen bis zur Scheitelhaltung gepumpt und fließt von dort in die Staustufen des Brombachsees bei Gunzenhausen in Mittelfranken. Verschiedene Weiler wurden im Übrigen für diese Stauseen geräumt. Dieser mit Verlaub doch sehr umständliche und fragwürdige Transport von Wasser aus Donau und Altmühl über die Fränkische Alb auf die Seite des Mains, um dort den Kanal betreiben zu können, setzt ein dickes ökologisches Fragezeichen hinter den Main-Donau-Kanal.
Ob Karl der Große seinen Kanal vom Main zur Donau wirklich vollendet gesehen hat, das wissen wir nicht, aber Ludwig I. von Bayern hatte mit seinem Kanalbau Glück, technisch wurde er realisiert, doch wirtschaftlich war er ein Misserfolg. Genau dasselbe gilt auch für den Main-Donau-Kanal, der von 1960 bis 1992 gebaut wurde und viel Natur zerstörte. Die Befürworter in der bayerischen Landesregierung setzten ein Projekt durch, das dem industriellen Gütertransport wenig nutzt. Zugenommen haben Flusskreuzfahrten und die regionale Passagierschifffahrt, wenn wir die Vor-Corona-Zeiten heranziehen. An der Schleuse Kelheim entfallen bereits 40 % der Schiffsbewegungen auf die Personenschifffahrt. Der Bau eines Kanals über eine Länge von mehr als 170 Kilometern zerstört Natur und Landschaft, obwohl kleinere Nebenarme der Altmühl an manchen Stellen als Biotope interessant sind. Die Zerstörung der Natur kann sicherlich nicht durch die Aufrechnung vom am Ufer radelnden Touristen oder Gästen auf Kreuzfahrtschiffen schöngeredet werden.
Ein ökologischer Fehltritt
“Der Main-Donau-Kanal ist ein völlig unsinniges und naturzerstörerisches Prestigeprojekt”, sagte der Vorsitzende des Bundes Naturschutz (BN), Hubert Weiger, so die Süddeutsche Zeitung zum 25jährigen Jubiläum der Inbetriebnahme der Schifffahrtsstraße. “Er ist ein einziger ökologisch-ökonomischer Albtraum.” Da nutzt es auch nichts, wenn eine Informationstafel der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes an der Schleuse Kelheim betont: „Das vor dem Bau für den Main-Donau-Kanal erwartete Verkehrsaufkommen ist längst erreicht worden – und es steigt weiter an.“ Die Rhein-Main-Donau AG, die als Bauträger 2,3 Mrd. Euro für das Vorhaben ausgab, prognostizierte noch 1992 ein Güteraufkommen von 18 Mio. Tonnen Fracht auf dem Kanal, in Realität ist es weniger als ein Drittel. So sehen Erfolgsgeschichten nun wirklich nicht aus. Die umfangreichen Ausgleichsmaßnahmen, die letztendlich 15 % der Baukosten verschlangen, sind nach den Worten des früheren Vorsitzenden des Bundes Naturschutz in Bayern, Hubert Weiger, “Blumenschmuck auf dem Leichensarg der Natur”.
Der Main-Donau-Kanal, die höchstgelegene Wasserstraße Europas, ist ein Milliardengrab geblieben: Er trägt wenig zur Entlastung von Straßen und Schienen bei und hat in weiten Bereichen die Natur zerstört, so sind z. B. viele Feuchtwiesen mit ihrer Artenvielfalt verschwunden. Der Main-Donau-Kanal ist eine stete Mahnung, Planungen für Großprojekte besonders genau unter die Lupe zu nehmen: Nur wenn sie einen nachhaltigen Nutzen stiften, dürfen sie auch realisiert werden.
Eine Antwort auf „Kanalbauer ohne Fortune“