Ist Berlin ein ernstzunehmendes Bundesland?

Ohrfeige des Verfassungsgerichtshofs für Senat und Behörden

Wo Menschen sind, da passieren Fehler. Wer von uns wüsste dies nicht aus eigener Erfahrung. Doch es gibt Fehlleistungen, die so in einer Demokratie nicht vorkommen dürfen. Und dazu gehört das Berliner Wahldebakel im Jahre 2021, das Senat und Verwaltung zu verantworten haben und das nun zu einer Wiederholung der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus, zu den Bezirksversammlungen und in den entsprechenden Bundestagswahlkreisen führt. Der Berliner Verfassungsgerichtshof hat mit seinem klaren Urteil vom 16. November 2022 unterstrichen, dass die Fehler bei der Ausrichtung der Wahlen so umfassend waren, dass letztendlich nur eine Wiederholung der Abstimmungen die „verfassungsrechtlichen Standards“ gewährleistet. Es handle sich um einen „einmaligen Vorgang in der Geschichte der Wahlen in der Bundesrepublik Deutschland“. Das wirft nachdrücklich die Frage nach der politischen Verantwortung auf, denn der Fisch stinkt nun mal vom Kopf her. Von Verantwortung reden Politiker gerne in blumigen Sonntagsreden, doch sie überlassen es dann nachgeordneten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern den Hut zu nehmen. Der für die ordnungsgemäße Ausrichtung der Wahlen politisch verantwortliche Regierende Bürgermeister, Michael Müller, hatte sich rechtzeitig in den Deutschen Bundestag abgesetzt.

Blick auf Berlin vom Fernsehturm beim Alexanderplatz.
Was ist denn mit Berlin los? Wenn ein Bundesland – und auch noch die Hauptstadt – keine ordnungsgemäßen Wahlen organisieren kann, dann bleibt im Grunde nur der Zusammenschluss zu einer größeren Einheit, einem leistungsfähigeren Bundesland. (Bild: Ulsamer)

„Systemische Mängel“ bei der Wahlvorbereitung

Wenn am Wahltag in einem deutschen Bundesland Wahlzettel fehlen, sich endlose Schlangen bilden, nach dem eigentlichen Schluss des Wahlvorgangs noch abgestimmt werden darf, obwohl bereits Prognosen zum Ergebnis veröffentlicht worden waren, dann ist ein Tiefpunkt bei der Durchführung von Wahlen erreicht. Es fehlte nicht nur an Wahlzetteln oder Helfern, sondern an der Einsicht, dass sich nicht beliebig viele Kreuzchen in der Wahlkabine in Rekordzeit machen lassen. Und wenn zusätzlich durch den Berlin-Marathon die Straßen verstopft sind, bleibt geradezu zwangsläufig der Nachschub an Material aus, das allerdings bei richtiger Planung ohnehin in den jeweiligen Wahllokalen hätte liegen müssen. „Die Vorbereitung der Wahlen zum 19. Abgeordnetenhaus leidet an schweren systemischen Mängeln, die zu einer Vielzahl von weiteren Wahlfehlern bei der Durchführung der Wahlen geführt haben“, so der Verfassungsgerichtshof in Berlin. Für die Bearbeitung der fünf Stimmzettel wurde zu wenig Zeit vorgesehen, die Zahl der Wahlkabinen war zu gering, daher konnten im Grunde gar nicht alle Wahlwilligen ihre Stimme abgeben. Wer lange genug anstand, hatte nicht die Gewissheit, den richtigen Stimmzettel zu bekommen. „Obwohl im Vorfeld des 26. September 2021 bekannt geworden war, dass im Zuge des Druckprozesses Stimmzettel vertauscht worden waren, kam es nicht in allen Bezirken zu einer Überprüfung. Dies führte dazu, dass am Wahltag in mindestens fünf von zwölf Bezirken falsche Stimmzettel, d.h. für einen anderen Wahlkreisverband bzw. Wahlkreis vorgesehene Stimmzettel, ausgegeben wurden. Die auf falschen Stimmzetteln abgegebenen Stimmen sind ungültig. Faktisch sind die betroffenen Wählerinnen und Wähler damit von der Wahl ausgeschlossen worden.“ Erst stundenlang anstehen, und dann ist die Wahlstimme für den Papierkorb!

Innenhof des Humboldt Forums in Berlin. Die Fassaden sind zum Teil dem ehemaligen Stadtschloss nachgestaltet.
In Berlin dürfen nützliche oder fragwürdige Großbauten nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Stadt ein Kostgänger der leistungsfähigeren Bundesländer ist. So kommt der Löwenanteil des Humboldt Forums aus Bundeskassen. Zwar ist der Länderfinanzausgleich durch ein Modell ersetzt worden, das die Umsatzsteuer umverteilt, aber dies ändert nichts an der Situation: Berlin bekam 2021 durch den Finanzkraftausgleich rd. 3,6 Mrd. Euro. Ein Neuzuschnitt der Bundesländer ist zwingend, und dieser muss mit einer innovativen Regionalpolitik verbunden werden, um wirtschaftliche Ungleichgewichte zu beheben. (Bild: Ulsamer)

Nur in einer Bananenrepublik sollte es vorkommen, dass Wählerinnen und Wähler durch die Unfähigkeit der Behörden an einer gültigen Wahl gehindert werden. Nicht wenige Wähler hielten eisern durch und durften sogar nach der vorgegebenen Schließzeit der Wahllokale ihre Stimmen abgeben. „Der Umstand etwa, dass flächendeckend noch nach 18 Uhr gewählt wurde, obwohl zu diesem Zeitpunkt schon erste Prognosen auf Grundlage von Nachwahlbefragungen veröffentlicht worden waren und sich ein ‚Kopf-an-Kopf-Rennen‘ abzeichnete, verletzt die betroffenen wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger in ihren verfassungsrechtlich garantierten Rechten zur Teilnahme am demokratischen Willensbildungsprozess“, so das Urteil des Verfassungsgerichtshof. Zurecht verlangten die Berliner Verfassungsrichter eine Wiederholung der Wahl, denn die Missstände führten dazu, dass „nicht nur einzelne, sondern tausende Wahlberechtigte am Wahltag in Berlin ihre Stimme nicht, nicht wirksam, nur unter unzumutbaren Bedingungen oder nicht unbeeinflusst abgeben konnten.“

Ein Obdachloser ohne Schuhe in einem alten Parka durchsucht einen Mülleimer.
Die sozialen Probleme müssten in Berlin weit engagierter angegangen werden. Müll, Müll, Müll – und Menschen, die darin nach Brauchbarem stöbern. (Bild: Ulsamer)

Nachlässigkeit als Grundprinzip

Das Urteil des Verfassungsgerichtshofs in Berlin macht mal wieder deutlich, dass manche politischen Entscheider und die ausführende Bürokratie nachlässig arbeiten. Viel zu häufig müssen Gerichte der Politik den verfassungsgemäßen Weg weisen, den sie bei etwas mehr Nachdenklichkeit und Sachkunde selbst finden könnten. Die Wiederholung einer Wahl ist ein Armutszeugnis für Berlin, aber auch für ganz Deutschland. Berlin gönnt sich eben lieber mal einen zusätzlichen Feiertag auf Kosten der wirtschaftlich stärkeren und besser organisierten Bundesländer. Die Berliner Regierungsspitze wird aus Schaden einfach nicht klüger, das bewies Michael Müller als Regierender Bürgermeister beim Mietendeckel. Als Master of Desaster setzte er auf den Mietendeckel, obwohl ihn genügend verfassungskundige Juristen vor diesem Alleingang gewarnt hatten. Das Bundesverfassungsgericht erklärte am 15. April 2021 nach einem einstimmigen Votum der Richter in den scharlachroten Roben den Mietendeckel für verfassungswidrig, das Land habe seine Kompetenzen überschritten, da der Bund bereits 2015 eine Mietpreisbremse eingeführt habe. Nun gut, wer sich beim Berliner Großflughafen absolut dilettantisch anstellt, der kann eben auch keine Wahlen vorbereiten. Michael Müller, in dem seine eigene SPD wohl kein Zugpferd für die Wahl zum Abgeordnetenhaus mehr gesehen hatte, wechselte in den XXL-Bundestag, wo Quantität längst vor Qualität zu gehen scheint. An seiner Stelle trat Franziska Giffey bei der Wahl an, kaum dass sie im Mai 2021 ihr Amt als Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend wegen einer Plagiatsaffäre um ihre Dissertation aufgegeben hatte. Aber als Regierende Bürgermeisterin hielt sie die SPD für geradezu passend! Schade. Was würde wohl ein Willy Brandt dazu sagen, der in schweren Zeiten die Geschicke Berlins lenkte?

In einem Teich schwimmen leere Bierflaschen mit der Öffnung nach oben zwischen den Blättern und Blüten von Seerosen.
Berlin versteht sich gerne als Party-Hauptstadt – da landen Flaschen nicht nur im Teich. (Bild: Ulsamer)

Meine eigenen beruflichen Erfahrungen mit Berliner Behörden und anderen Institutionen liegen nun schon einige Jahre zurück, doch es hat sich wohl kaum etwas zum Besseren verändert. Obdachlose und Müll gehören mehr denn je zum Stadtbild. Wenn ein Mann einen Geldautomaten mit einem Pflasterstein attackiert, kommt – trotz umgehender Alarmierung – kein Streifenwagen eilig angefahren und selbst Fotos dieser Szene muss man den Behörden geradezu aufnötigen. Als grüne Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg wollte Monika Herrmann Drogendealer nicht aus dem Görlitzer Park verweisen, um dann gegenüber der ‚Welt‘ zu betonen: „Ich gehe in Berlin durch gar keine Parks“, denn „das ist mir als Frau zu gefährlich“. Wo der Rechtsstaat zurückweicht, machen sich Banden breit. Kriminelle Clans haben das Regiment in manchen Quartieren übernommen. Doch Berlin ‚feiert‘, ganz im Sinne des ehemaligen Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit, der als bekennender Homosexueller Sekt aus Damenpumps trank. Sektempfänge scheinen in Berlin eben mehr zu zählen als die Lösung sozialer, politischer und wirtschaftlicher Probleme.

Es wäre an der Zeit, mit Nachdruck über einen Neuzuschnitt der Bundesländer zu diskutieren, denn Berlin müsste zumindest mit Brandenburg zusammengeschlossen werden. Natürlich stellt sich auch beim Saarland oder anderen Bundesländern die Frage nach deren Existenzberechtigung: Größe muss nicht glücklich machen, darüber bin ich mir im Klaren, aber eine gewisse wirtschaftliche Präsenz verbunden mit einer entsprechenden Bevölkerungszahl sollte zu den Kriterien eines zukunftsorientierten Bundeslands zählen. Die vergeigten Wahlen in Berlin sind nur ein weiteres Symbol für eine Stadt, ein Bundesland, das nicht in der Lage ist, seine Aufgaben wirklich zu erfüllen. Braucht Deutschland ein Bundesland, das noch nicht einmal Wahlvorgänge ordnungsgemäß und transparent abwickeln kann? Wohl kaum. Bei der Behäbigkeit, die das politische Deutschland mehr und mehr auszeichnet, glaube ich nicht an eine schnelle Reform der Bundesländer, aber die Berliner hätten auf alle Fälle eine bessere Landesregierung und Behörden verdient, die Probleme abarbeiten und diese nicht erst schaffen. Die beispiellose Ohrfeige der Verfassungsrichter für Senat und Verwaltung darf nicht ohne politische Folgen bleiben.

 

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Das Rote Rathaus in Berlin. Die Frontseite sowie links und rechts Bäume mit grünen Blättern. Das Rathaus wurde mit Backsteinen errichtet, daher die rote Farbe.Das Rote Rathaus als Burg der Inkompetenz? Berlin ist weit unter seinen politischen Möglichkeiten unterwegs! Dazu haben die letzten Regierenden Bürgermeister oder die jetzige Regierende Bürgermeisterin im Roten Rathaus maßgeblich beigetragen. Der Berliner Senat, der dort auch seinen Sitz hat, scheint mit der Leitung und Entwicklung einer Millionenstadt überfordert. Wäre es nicht an der Zeit, die kleinteilige Struktur der Bundesländer aufzubrechen und z. B. Berlin und Brandenburg zusammenzuschließen? Ich weiß, dies ist eine alte Diskussion, dennoch gebe ich die Hoffnung nicht auf. (Bild: Ulsamer)

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