Kann eine Filmkulisse zum Kulturgut werden?
Nun zählt ‚Ryan’s Daughter‘ heute sicherlich nicht mehr zu den bekanntesten Filmen, und bereits im Erscheinungsjahr 1970 war ‚Ryans Tochter‘ ein zwiespältig aufgenommenes Epos. Aber trotz der zum Teil negativen Kritiken gab es zwei Oscars und auch die Kinokassen klingelten. Aber was soll ein Beitrag über einen 1916 in Irland spielenden Film in meinem Blog, so könnten Sie fragen. Ich habe zwei Gründe dafür, ob sie zutreffend sind, das müssen selbstverständlich die Leserinnen und Leser entscheiden. Erstens spielen die damaligen politischen Grundbefindlichkeiten noch heute in Nordirland – und nicht nur dort – eine Rolle: ein nationalistisches irisches Dorf und ein vom Ersten Weltkrieg gezeichneter englischer Offizier, der sich ausgerechnet in die Frau des Dorflehrers verliebt, obwohl er doch den irischen Freiheitskämpfern den Waffennachschub aus dem deutschen Kaiserreich abschneiden soll. Und zweitens: In diesen Tagen wanderten wir mal wieder an Kerrys Küste am ‚Schulhaus‘ vorbei, das im Film eine wichtige Location war und jedes Jahr weiter zerfällt, und ich stellte mir die Frage, ob denn eine solche Filmkulisse nicht auch ein Kulturgut darstellt?

‚Ryan’s Daughter‘ lässt das touristische Herz schlagen
Glauben wir den Zeitzeugen, die damals am Filmset werkelten und nicht nur das Schulhaus Stein auf Stein aufbauten, sondern ein ganzes Dorf schufen, dann kamen mit der Filmcrew nicht nur Geld in das verschlafene Hafenstädtchen Dingle, sondern auch neue Impulse. Das touristische Herz der ganzen Halbinsel begann zu schlagen, und bis heute hat sich der Tourismus zur eigentlichen wirtschaftlichen Basis entwickelt. Den Anstoß gab ‚Ryan’s Daughter‘, und auch nach fast einem halben Jahrhundert kommen Filmfreunde, um auf den Spuren von Robert Mitchum als Lehrer Charles Shaughnessy oder seiner Film-Ehefrau Rosy Ryan (Sarah Miles) zu wandeln. Trevor Howard als Pfarrer Collins, Christopher Jones als britischer Offizier Randolph Doryan, John Mills als etwas einfältiger Michael (Oscar!), der unabsichtlich Rosys Affäre verrät, oder Leo McKern als Pub-Wirt, britischer Informant und Rosys Vater Thomas Ryan waren mit von der Partie. Eigentlich sollten sie nur für etwa sechs Monate vor der Kamera stehen, doch das wechselhafte irische Wetter, Animositäten zwischen den Schauspielern und vor allem der Perfektionismus des Regisseurs David Lean führte zu mehr als der Verdopplung der Drehzeiten und einer Budget-Explosion. Aber mit Explosionen aller Art hatte Lean ja durch ‚Die Brücke am Kwai‘, ‚Lawrence von Arabien‘ und ‚Doktor Schiwago‘ Erfahrung.

Die Sprengkraft des Films wird nur erkennbar, wenn man gewillt ist, in die Zeitumstände einzudringen, ansonsten bleibt es – wie manche Kritiker betonten – ein seichtes Melodram, eine Liebesgeschichte in schwierigen Tagen. In dem fiktiven Dorf ‚Kirrary‘, seinem Schulhaus und in der malerischen Umgebung entspinnt sich die tragische Liebesgeschichte einer irischen jungen Frau, Rosy Ryan, die den Lehrer aus Dublin anhimmelt, letztendlich auch heiratet, um der Tristesse des Dorfes zu entrinnen. Er ist jedoch nicht das Tor zur großen Welt, sondern die Fortsetzung der Biederkeit. Ausgerechnet im Jahr des irischen Osteraufstands gegen die britischen Besatzer, der von diesen blutig niedergeschlagen wird, beginnt Rosy ein Liebesverhältnis mit einem britischen Offizier, und dies in einem nationalistisch-irischen Umfeld, das keine Sympathien für den als Unterdrücker empfundenen Randolph Doryan hat. Und die Begeisterung des Ehemanns hält sich natürlich auch in Grenzen! Wie es sich wohl für eine dramatische Liebesgeschichte gehört, das Schicksal nimmt seinen Lauf. Als vermeintliche Verräterin wird Rosy Ryan von den Dörflern angegriffen, ehe Pfarrer Collins das Schlimmste verhindern kann. Ihr Geliebter, der britische Offizier Randolph Doryan, sprengt sich mit dem für den irischen Aufstand eingeschmuggelten Dynamit selbst in die Luft, das er dank des Informanten und Vaters von Rosy konfiszieren konnte. Letztendlich machen sich Rosy und der Lehrer auf nach Dublin, doch ihre Trennung ist wie ein Wetterleuchten am Horizont erkennbar.

Auf den Spuren der Filmhelden
Das Film-Dorf wurde später wegen Landstreitigkeiten dem Erdboden gleichgemacht, nur noch kleinere Stellen mit Pflastersteinen lassen sich in der Landschaft finden. Im Gegensatz dazu machte die Fake-Schule selbst vor 10 Jahren noch einen recht guten Eindruck, zumindest ein Dach schützte die Sturm umbrausten Mauern. Kein Wunder, denn das Schulgebäude war wegen des Wetters und der exponierten Lage auf den Klippen von Cill Gobnait sehr stabil gebaut worden – Steine statt Pappmaschee. Das Grundstück mit der Filmkulisse hatte der Gründer von Ryanair – der inzwischen verstorbene Tony Ryan – in den 1980er Jahren erworben – und leider dem Verfall überlassen. Bedauerlich ist dies allemal, denn Drehorte von Filmen und Fernsehserien ziehen zahlreiche Besucher an und stärken den Tourismus.

Diese starke Wirkung von Film-Locations auf den Tourismus beweisen in jüngster Zeit auch Touren, die die Teilnehmer auf die Spuren von ‚Star Wars‘ im Südwesten Irlands oder ‚Game of Thrones‘ in Nordirland führen. In der Republik Irland und in Nordirland wird mit einer intensiven Filmförderung viel dafür getan, entsprechende Produktionen ins Land zu holen und so medial die Schönheiten der Landschaft in die Kinos der Welt und auf die TV-Bildschirme zu bringen. Dies hat allerdings manchmal auch absonderliche Auswirkungen: So wurden am Slea Head auf der Dingle-Halbinsel nicht nur die direkten Drehorte von Star Wars hermetisch abgesperrt, sondern auch der Zugang zu weiter entfernten Stränden verwehrt. Und dies durch irisches Security-Personal genauso unfreundlich wie in Berlin am Brandenburger Tor bei der Fußball-Weltmeisterschaft. Dass es auch anders geht, erlebten wir in Belfast, als wir im Hafengebiet zwei gewaltige Kräne fotografierten, die Symbole der Industriegeschichte der nordirischen Hauptstadt sind. Wie aus dem Nichts tauchte erst ein Security-Mitarbeiter auf, dann kam auch noch sein Vorgesetzter angebraust. Zwar werden einige hundert Meter entfernt in einer riesigen Halle Szenen für die Fantasy-Serie ‚Game of Thrones‘ gedreht, doch wir konnten unser Anliegen vermitteln, das nun ganz und gar nicht Fantasy, sondern eher History galt – und dies wurde auch freundlich akzeptiert.

Kulisse wird Kulturgut
Zur Geschichte gehört gleichfalls das Schulhaus aus ‚Ryan’s Daughter‘ und zwar nicht nur in filmischer Hinsicht, sondern auch als Teil der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Zu Produktionszeiten wurden zum Teil 100 bis 200 Personen aus der Region beschäftigt, und mit diesem geschichtsbezogenen Film kam die touristische Zukunft nach Dingle. Die wenigen Unterkunftsmöglichkeiten waren schnell für die Schauspieler und die Crew ausgebucht, und nicht wenige Bürger zogen in einen Wohnwagen und vermieteten ihr Haus. „The Skellig began life in 1965 with the arrival of the crew of Ryan’s Daughter, a film which put Dingle on the tourist trail“, heißt es über das größte Hotel in Dingle in einem Beitrag von Anne Lucey aus dem November 2017 im ‚Irish Examiner‘. Somit war ‚Ryan’s Daughter‘ der Startschuss für einen Tourismusboom, der bis heute anhält. Dies unterstreicht auch Maurice Galway, der das ‚Dingle International Film Festival‘ ins Leben rief – im einzigen Kino der Gemeinde, dem Phoenix Cinema: “The film made a major impact and contribution to the economics of the peninsula, placing Dingle prominently on the world map and making it, for the first time, a tourist destination. To this day, the film still attracts tourists to the area and this event can only help to continue this trend.” (Irish Examiner, 11. 3. 2016)

Wenn ein Werk wie ‚Ryan’s Daughter‘ eine solche Bedeutung nicht nur für die Filmgeschichte, sondern eben auch für die Entwicklung des Alltagslebens in einer Region hat, dann kommt einer ‚Kulisse‘ wie dem Schulhaus auf den Klippen bei Dunquin ebenfalls eine kulturhistorische Bedeutung zu und eine Filmkulisse wird zum Kulturgut. Eigentlich hätte es ein solches Gebäude verdient, entsprechend erhalten zu werden. Dies sah u.a. Councillor Seamus Cosai Fitzgerald von Fine Gael so und forderte das Kerry County Council auf, die Sicherung des Gebäudes zu übernehmen, doch die Antwort hätte auch von einer deutschen Behörde kommen können: Das Schulhaus sei für einen Film entstanden und habe daher keine Genehmigung im herkömmlichen Sinne. Als Filmkulisse sei es überdies nicht in der Liste schützenswerter Gebäude enthalten, daher könne man auch nicht eingreifen. Wenn es in Irland mit Baugenehmigungen immer so genau genommen würde, dann hätte die Zersiedelung der Landschaft nicht ein solches Maß angenommen, aber hier erschien es dem Kerry County Council wohl am einfachsten, sich auf die fehlende Baugenehmigung zu berufen, um den Vorstoß des Councillors abzubügeln. Schade. Und so liegen die Dachlatten jetzt nicht mehr – wie vor einigen Jahren – auf dem Dach, sondern aufgestapelt neben dem Schulhaus. Und die Rückwand ist gänzlich verschwunden.

Natürlich bin ich mir bewusst, dass ein altes Wegkreuz oder die Beehive Huts, in denen vor einigen hundert Jahren Pilger auf dem Weg nach Santiago de Compostela übernachteten, einen anderen historischen Wert haben, doch auch dem Schulhaus des fiktiven Kirrary hätte ich eine dauerhafte Erhaltung gewünscht. Dort hätte sich in Ergänzung zum Blasket Centre, das der Geschichte der vor der irischen Küste liegenden gleichnamigen Inselgruppe gewidmet ist, eine Ausstellung nicht nur über den Film, sondern auch über die Zeit des Osteraufstands und den Freiheitskampf der Iren unterbringen lassen. Doch wenn sich der Zerfall der Ruine weiter fortsetzt, dann wird dieses Kulturdenkmal bald der Vergangenheit angehören. Hier haben sowohl die Besitzerfamilie Ryan als auch das Kerry County Council versagt. So sollte mit einem Kulturgut nicht umgegangen werden. Eine Wanderung zum ‘Schulhaus’ oder zum Ort des ‘fiktiven’ Dorfs lohnt sich für Wanderlustige mit und ohne Interesse am Film ‘Ryan’s Daughter’ allemal.

Hinweise für Wanderfreudige und Filmliebhaber
Das Film-Schulhaus aus ‚Ryan’s Daughter‘ lässt sich sehr gut über einen Klippenweg vom Blasket Centre in Dunquin aus erreichen, das perfekt ausgeschildert ist. Dort stehen auch ausreichend Parkplätze zur Verfügung. Vom Parkplatz aus rechts am Informationszentrum entlanggehen. So erreichen Sie bald eine Aussichtsplattform, von der aus sich der Blick auf die Blaskets öffnet. Den einstigen Bewohnern dieser Inselgruppe ist das Museum gewidmet, das Sie unbedingt besuchen sollten. Nach der Plattform folgen Sie dem Trampelpfad. Bei Zäunen stehen komfortable Übersteighilfen zur Verfügung. Wegen der auf den Weiden grasenden Schafe darf der Weg nicht mit Hunden begangen werden.

Sollte Sie auch der Ort interessieren, an dem das Filmdorf aus über 40 Gebäuden einst stand, dann gehen Sie vom Parkplatz des Blasket-Informationszentrums aus die Zufahrtsstraße zurück bis zur R559 und überqueren diese an der Jugendherberge. Dann folgen Sie dem asphaltierten Sträßchen bergauf, das sich leicht nach rechts wendet bis zu einem Weidetor. Danach wandern Sie auf einem Wiesenweg den Berg hinauf bis zu Flächen mit Kopfsteinpflaster. Die Filmgesellschaft hatte das komplette Dorf samt Kirche und Pub aus Stein errichten lassen, damit es den Stürmen widerstehen konnte. Von der Solidität der Häuser zeugen noch einige Überbleibsel. Leider nahm nach Abschluss der Dreharbeiten niemand das Angebot an, die Gebäude kostenlos zu übernehmen. Die touristische Entwicklung hatte auf der Dingle Halbinsel gerade erst begonnen. Gehen Sie noch etwas weiter, dann öffnet sich der Blick auf den Strand Clogher und die eindrucksvolle Bergkulisse des Sybil Head. Gehen Sie den Weg zurück ins Tal, dann überblicken Sie die Blaskets.


7 Antworten auf „Irland: Wie das Schulhaus aus Ryan’s Daughter zerfällt“