Signal stations und Lookout posts wachten einst über die Küste
Große und kleine Leuchttürme finden sich – oft sehr malerisch – auf Felsen an der Küste oder auf vorgelagerten Inseln, doch so manches Überbleibsel eines Gebäudes aus Naturstein oder Beton passt auf küstennahen irischen Hügeln und Klippen nicht so recht ins Bild. Die Ruinen gleichen einem kleinen Stall, und nicht selten suchen auch Schafe bei heftigen Stürmen darin Schutz. Einstmals dienten sie aber einem ganz anderen Zweck. Vor über 200 Jahren hielten Soldaten Ausschau nach französischen Schiffen, die Napoleon für eine Invasion Irlands hätte ausgesandt haben können. Damals hatten die Briten, die die grüne Insel als ihre Kolonie betrachteten, Wachpersonal in sogenannten ‚Signal stations‘ stationiert, um rechtzeitig vor feindlichen Schiffen gewarnt zu werden. Während des Zweiten Weltkriegs mobilisierte die irische Regierung, die ihre Unabhängigkeit vom britischen Imperium erstritten hatte, lokale Beobachter, die in ‚Lookout posts‘ nach Kriegsschiffen aus Nazi-Deutschland, aber auch der Alliierten Ausschau hielten. Die irische Republik wollte alles tun, um ihre Neutralität zu wahren. Die meisten Beobachtungsposten sind inzwischen verfallen, doch einige sind noch immer historische Orte, die eine Wanderung Wert sind.
Signalstationen sicherten die Küste
‚Signal stations‘ und ‚Lookout posts‘ machen es dem geschichtlich interessierten Besucher nicht leicht, denn mit wenigen Ausnahmen sind sie weder ausgeschildert noch über öffentliche Wege erreichbar. Die Republik Irland versucht zwar, sich als Wanderregion zu stilisieren, doch zumeist geht es über private Weideflächen oder Grundstücke. Rücksicht auf Zäune oder Tore ist daher unerlässlich, denn nicht selten sind Schafe oder Rinder die eigentlichen Anwohner der historischen Ruinen. Ob alle 81 ‚Signal stations‘, die zwischen 1804 und 1806 errichtet wurden, gleichzeitig aktiv waren, ist unklar, doch im Prinzip hätte ein Signal von Station zu Station entlang der fast 1 500 Kilometer langen Küste übermittelt werden können. Die Wachtürme hatten nur kurz eine strategische Bedeutung, denn mit Napoleons Niederlage 1815 in Waterloo endete auch die Bedrohung durch die französische Marine. Die Invasionsversuche der Franzosen 1796 und 1798 hatten die Briten alarmiert, die befürchteten, ihre Gegner könnten über die offene Flanke in Irland auf England, Wales oder Schottland vorstoßen. Nach der napoleonischen Bedrohung wurden die Türme im 19. Jahrhundert aufgegeben, nicht selten schleppten Anwohner Holz oder Steine und weiteres Material für andere Zwecke weg. Der Bau und die Unterhaltung der ‚Signal stations‘ an teilweise sehr abgelegenen Orten war ohnehin nicht einfach und sehr teuer.
Die Signalstationen mussten in Sichtweite zueinander errichtet werden, denn nur so ließen sich die Zeichenkombinationen zumindest per Teleskop erkennen, die mit Fahnen und Kugeln an einem 15 Meter hohen Mast aufgezogen wurden. Die Briten hatten umfassende Erfahrung mit solchen Kommunikationssystemen, die es ihnen 1805 bei der Schlacht von Trafalgar erlaubte, ihre Schiffe schnell zu bestimmten Formationen zusammenzuführen. Die Royal Navy besiegte die französisch-spanische Armada und sicherte damit die britische Weltgeltung. Ganz folgerichtig gehörten zur Mannschaft der ‚Signal stations‘ auch frühere Seeleute, die entsprechendes Geschick in der Weitergabe von Kommunikationssymbolen mitbrachten. Insgesamt waren in einem solchen Turm zwölf Personen, darunter acht Soldaten stationiert. Die ‚Signal stations‘ haben durchaus Anklänge an Wehrtürme aus früheren Epochen, so konnte der Eingang im ersten Stock nur über eine Leiter erreicht werden, die gegebenenfalls eingezogen werden konnte. Aus den oberen Etagen der meist zwei- oder dreistöckigen Türme – auch ‚Signal tower‘ genannt – konnten über einen Wehrerker Objekte direkt auf Angreifer geworfen werden. Eine Mauer aus Naturstein umgab im Regelfall die kleine Anlage, die dem Schutz diente, aber in nicht wenigen Fällen eine zusätzliche Fläche absicherte, auf der die Besatzung selbst Nahrungsmittel anbauen konnte. Im Gegensatz zu den ebenfalls von den Briten während der napoleonischen Kriege errichteten Martello towers konnten die ‚Signal towers‘ keinem Artilleriebeschuss Stand halten. Sie dienten – wie angesprochen – der visuellen Überwachung des Meeres und der Weitergabe von Informationen über feindliche Schiffe. Die militärisch geschulte Mannschaft konnte den Turm allerdings gegen eine kleine Gruppe von Angreifern durchaus verteidigen.
Die unterschiedlichen Informationen, die mit einer großen rechteckigen Flagge, einer kleineren blauen Fahne und vier Kugeln in unterschiedlichen Kombinationen weitergegeben wurden, mussten nicht unbedingt nach Dublin übermittelt werden. Dies hätte einen nahtlosen Transfer über weite Strecken erfordert, der häufig durch die Wetterbedingungen – Seenebel, tiefhängende Wolken, wolkenbruchartiger Regen – erschwert wurde. Zumeist waren die Hinweise nur für benachbarte Türme oder eine nahegelegene Garnison wichtig, die dann eingreifen konnte. Bei schlechter Sicht oder in der Dunkelheit waren auch Feuersignale vorgesehen. Die Entfernungen zwischen den einzelnen ‚Signal stations‘ reichte von knapp vier bis nahezu 40 km. Die Befürchtungen der Briten trafen nie ein, denn Napoleon Bonaparte hatte sich auf Festlandeuropa mit so vielen Gegnern angelegt, dass eine Invasion Irlands nicht mehr auf der Agenda stand. Nicht zu Unrecht hatten sich die Briten gegen eine französische Attacke gewappnet, da viele Iren nur auf Unterstützung von außen gewartet hätten, um sich gegen das drückende Joch der britischen Landherren und die britische Regierung in London zu erheben.
Wachsam im neutralen Irland
Zwar konnten die Briten mit großer Brutalität 1916 den Osteraufstand der irischen Nationalisten niederschlagen, doch nach einem Unabhängigkeitskrieg von 1919 bis 1921 öffnete sich die Tür zur Freiheit für die Iren. Am 6. Dezember 1921 wurde der irische Freistaat gegründet, dem in den Augen der nationalgesinnten Gruppen der Makel anhing, dass der Nordteil der Insel Teil des Vereinigten Königreichs blieb. Trotz des Karfreitagsabkommens von 1998 schwelt der Konflikt in Nordirland weiter. Während des Zweiten Weltkriegs bemühte sich die irische Regierung, die Neutralität zu wahren. Damit begann eine neue Episode der Überwachung der Küsten, wenn auch unter neuer Leitung. ‚Lookout posts‘ wurden an der Küste errichtet, von denen aus lokale Freiwillige Ausschau nach Marineschiffen hielten, die jetzt nicht Napoleon, sondern Nazi-Deutschland entsandt haben könnte. Wer nun erwartet hätte, dass die neuen Wachposten etwas feudaler untergebracht worden wären als mehr als ein Jahrhundert zuvor, der sah sich getäuscht. Die bescheidenen Betonunterstände aus 137 vorgefertigten Betonsteinen mit den Maßen eines Geräteschuppens hatten außer einem Mini-Kamin und Fenstern nicht viel zu bieten. Hier war aber auch keine Mannschaft längerfristig untergebracht, sondern Fischer, Seeleute oder küstennahe Farmer hielten hier Wache und kehrten nach ihrer Schicht nach Hause zurück.
Von 1939 bis 1942 errichtete das irische Militär 83 ‚Lookout posts‘ an der Küste der Republik Irland. Der Coast Watching Service sollte ankommende Schiffe oder Flugzeuge möglichst früh erkennen, deren Anlegen die Neutralität und Unabhängigkeit gefährden könnte. Die Freiwilligen der Küstenüberwachung hielten Ausschau nach berichtenswerten Vorgängen, die möglichst zügig per Telefon weitergegeben wurden. In entsprechenden Logbüchern wurden diese Informationen ebenfalls festgehalten. An markanten Stellen legten die Iren den Namen ihres Landes ‚Eire‘ mit weißen Steinen aus oder schrieben ihn mit Farbe an Gebäude, um nahenden Flugzeugbesatzungen unmissverständlich klarzumachen, dass sie auf das neutrale Irland zuhielten. Teilweise wurden für die ‚Lookout posts‘ die gleichen Örtlichkeiten ausgewählt wie für die ‚Signal stations‘ aus napoleonischen Tagen. Dies trifft z. B. für Sybil Head in Kerry zu – in der Nähe des Touristenstädtchens Dingle. Noch heute ist die frühere Nutzung aus der Epoche der napoleonischen Kriege sowie des Zweiten Weltkriegs zu erkennen. In Sichtweite, am Dunmore Head – dem westlichsten Punkt Europas – steht dagegen nur ein Wachhäuschen aus dem 20. Jahrhundert. Gleich daneben findet sich ein gut erhaltener Ogham Stone – ein steinernes Zeichen für die frühe Besiedlung und die Bedeutung der Region. Deutsche Landeversuche in der Republik Irland blieben aus, wenn man von einem deutschen U-Boot absieht, das am 4. Oktober 1939 28 griechische Seeleute in Ventry, einer kleinen Gemeinde im irischen Südwesten, absetzte. U-35 hatte unter dem Kommandanten Werner Lott den Frachter ‚Diamantis‘ vor Cornwall versenkt und die Besatzung nicht sich selbst überlassen, sondern zuvor an Bord genommen und im neutralen Irland unter eigener Gefährdung an den Strand gerudert. Ob der nächstgelegene ‚Lookout post‘ Alarm schlug? Zumindest über das örtliche Postamt wurde die Polizei unterrichtet, die sich der griechischen Seeleute annahm.
Die Republik Irland erlebte die Schlacht im Atlantik im wahrsten Sinne des Wortes mittendrin, doch der Zweite Weltkrieg wurde in Irland als ‚The Emergency‘ bezeichnet, gewiss eine Untertreibung, denn ein ‚Notfall‘ ist echtes Understatement. Fast folgerichtig hießen die bürgerkriegsähnlichen Zustände in Nordirland in den 1960er Jahren bis zum Karfreitagsabkommen 1998 ‚The Troubles‘. In nicht wenigen Fällen alarmierten die ‚Lookout posts‘ Helfer, wenn Seeleute aus gesunkenen Schiffen die Küste erreichten. In vielen Fällen hatten sie auch die traurige Pflicht, Ertrunkene zu bergen.
Historische Orte verdienen Respekt
‚Signal stations‘ und ‚Lookout posts‘, mal aus der Epoche Napoleons, mal aus dem Zweiten Weltkrieg, sind historische Orte, die an kriegerische Zeiten und deren Schrecken erinnern. Wo sie den Zerfall überlebt haben, sind sie beredte Zeichen dafür, wie wichtig der Erhalt von Frieden und Freiheit ist. Sie erinnern an den Kampf Napoleons, der versuchte, den europäischen Kontinent zu unterwerfen, und an den Größenwahn der Nationalsozialisten, die die Welt in einen barbarischen Krieg rissen. Die ‚Lookout posts‘ waren der Versuch eines militärisch schwachen Landes, die eigenen Küsten zumindest im Blick zu behalten und so die Neutralität zu wahren.
Schade ist es aus meiner Sicht, dass die Ruinen der ‚Signal stations‘ und die erhaltenen ‚Lookout posts‘ kaum bewahrt werden. Information vor Ort gibt es zumeist nicht, und nur in seltenen Fällen ist ganz klar, ob man auch eine Wanderung zu diesen geschichtsträchtigen Stätten unternehmen kann. Rücksichtnahme ist somit angesagt, denn zumeist geht es über privaten Grund. Wenn – wie bei Dunmore Head – ein Kässchen am Eingang zu einer Weidefläche steht, dann würde ich aber von Besuchern wirklich erwarten, dass sie den erbetenen Euro einwerfen. Dafür gibt es Übersteighilfen und Pfade nicht nur zum westlichsten Punkt Europas, sondern auch zu einem recht gut erhaltenen ‚Lookout post‘ und einem eindrucksvollen Standing Stone. Doch so mancher Zeitgenosse zeigt lachend auf das Schild und quetscht sich mit seiner Familie durch das Tor – ohne seinen Obolus zu entrichten. Dafür hinterlassen Besucher gerne ihren Abfall im historischen Wachgebäude. Den meisten dürfte gar nicht bewusst sein, wo sie ihren Unrat hinwerfen, denn – wie zumeist – fehlt es an einer geeigneten Informationstafel. Mehr Achtung vor anderer Leute Weiden, aber auch vor geschichtlichen Orten würde bei einigen Mitbürgerinnen und Mitbürgern nicht schaden. ‚Signal stations‘ und ‚Lookout posts‘ gehören zur irischen und europäischen Erinnerungskultur und hätten mehr Respekt und Information verdient.
Zum Beitragsbild
Sybil Head erhebt sich rd. 200 Meter über den Meeresspiegel, und so war dieser Berg eine ausgezeichnete Wahl, um Ausschau nach feindlichen Schiffen zu halten. Der Blick ist grandios, doch gerade bei Nebel müssen Wanderer unbedingt auf die steil zum Meer hin abfallende Flanke achten. (Bild: Ulsamer)