Irland: Der Strand wird zum Parkplatz degradiert

Die ‚Blue Flag‘ – von der Fahne zur Farce?

An Stränden und Marinas, genauso wie bei ‚nachhaltig arbeitenden Anbietern von Bootstouren‘ flattert oft die ‚Blaue Fahne‘, die von der Foundation for Environmental Education mit Sitz im dänischen Kopenhagen vergeben wird. Doch ist diese Auszeichnung, die sich nicht nur auf Wasserqualität oder ausreichende Toiletten an Stränden, sondern gleichfalls auf deren Management im Sinne der Nachhaltigkeit bezieht, auch überall gerechtfertigt? Ich denke, nein! Generell stellt sich mir die Frage, ob der Erhaltung von Stränden gerade in Tourismusregionen nicht eine höhere Priorität zugemessen werden müsste. Und an so manchem Strand habe ich den Eindruck, dass die Blaue Fahne im Wind nur Zustände kaschieren soll, die unhaltbar sind. Ein Beispiel aus dem Südwesten Irlands: die gerne besuchte Landzunge Inch Strand wurde auch in diesem Sommer einmal mehr zum Parkplatz.  Von Ökologie und Nachhaltigkeit keine Spur!

Das Ende einer Landzunge, die sich ins blaue Meer erstreckt. Einige Fahrzeuge am hellen Strand, dahinter eine Rauchwolke.
Bis an die Spitze von Inch Strand haben sich Badegäste über 5 Kilometer weit mit ihrem Auto über den Sand gerollt, da dürfen sicherlich Zweifel aufkommen, ob der Strand dann noch die Blue Flag verdient. Und der Qualm im Hintergrund kommt von der anderen Seite der Dingle Bay, wo mal wieder Flächen in Flammen standen. Meist werden Areale mit Stechginster in Brand gesetzt, um dort wieder mehr Gras für Schafe wachsen zu lassen. Eine Vorgehensweise, die nicht nur dort lebende Tiere schädigt, sondern auch erheblich große Mengen von CO2 in unsere Atmosphäre entlässt. (Bild: Ulsamer)

Strände, Dünen und Tiere in Not

Das ‚Blue Flag Programme‘ „promotes sustainable development in freshwater and marine areas“. Folgen diesen Worten auch Handlungen vor Ort? Von nachhaltiger Entwicklung kann doch keine Rede sein, wenn Fahrzeuge bis an den letzten Zipfel der Landzunge von Inch Strand fahren und dort parken! Die fragilen und bereits stark geschädigten Dünen werden von den Strandbesuchern zertrampelt, nicht selten auf dem Weg, um eilige Geschäfte dort zu erledigen und nicht bei den wenigen und kaum einladenden Toiletten am eigentlichen Parkplatz. Bemerkenswert bei den Kriterien für die Vergabe der Blauen Flagge ist, dass eine klare Vorgabe – wie z. B. keine privaten Fahrzeuge am Strand – in den nächsten Sätzen wieder zurückgenommen wird. „Vehicles (except for those used for the purpose of cleaning and safety, e.g. for moving lifeguard equipment, or emergency vehicles) must not be allowed on Blue Flag beaches.“ Eine richtige und nachahmenswerte Vorgabe. Doch dann kommt die erste Einschränkung: „For cases, however, where vehicles cannot be entirely prohibited, this must be adequately justified, and they must be properly managed.“ In Inch gibt es seit Jahren die Möglichkeit, ‚legal‘ auf den Strand zu fahren, allerdings nicht in seiner gesamten Länge. Von einem nachhaltigen Management der Landzunge, die sich mehr als fünf Kilometer in die Dingle Bay hinaus reckt, kann keine Rede sein. „Areas for driving and parking, as well as car-free zones, must be designated and, whenever the situation requires it, police or traffic guards must control the beach.“

Der Strand bei Inch im Winter. Strahlender Sonnenschein, die Wellen laufen auf. Der Sandstrand ist leer. Es liegt etwas Seetang dort. Die Wellen laufen sich weiß brechend auf.
Die Strände bei Inch, Ventry oder Brandon – hier im Bild – sind wunderschön, und sie sollen es auch bleiben. Die Natur braucht einen höheren Stellenwert, und dazu kann die Vergabe einer Blauen Fahne durchaus beitragen, allerdings nur, wenn die Kriterien wirklich beachtet werden. Nachhaltigkeit, Ökologie und Naturschutz sind untrennbar miteinander verbunden! (Bild: Ulsamer)

Von Kontrollen ist in der Sommersaison nicht nur an Inch Strand nichts zu spüren, und im Winter ist es ohnehin ruhig. „If vehicles are allowed, they must be prohibited from entering the high water zone at any time. The major part of the beach must be designated entirely vehicle-free.“ Die Fotos zeigen mehr als deutlich, dass auch diese Vorgabe nicht erfüllt wird, denn der größte Teil des Strandes war ganz offensichtlich – und nicht nur an diesem Tag – nicht frei von Fahrzeugen. Dass das keine neuartige Entwicklung ist, zeigt ein kleines Beispiel von einem bereits 25 Jahre zurückliegenden Vorfall: damals fanden wir an Inch Beach eine junge Trottellumme, die zwischen all den Fahrzeugen, Strandbesuchern, Hunden, Gewusel und Krach offensichtlich die Orientierung verloren hatte. Es war nicht möglich gewesen, sie gegen den hohen Wellengang ins Meer zu bugsieren. Wir setzten das Jungtier in einen Karton und fuhren nach Ventry, wo in der Bucht weniger Bewegung im Wasser war. Unsere jüngste Tochter watete mit der kleinen Lumme ins Wasser und setzte sie nach Überwindung der ersten Wellen aus. Die Trottellumme schüttelte sich, putzte sich und schwamm zielstrebig davon. Dieses im großen Zusammenhang vielleicht winzige Beispiel verdeutlicht: Wenn Seevögel eine Chance haben sollen, dann dürfen Strände nicht zu Parkplätzen umgewidmet werden.

Wildes 'Campen' hinter einer Düne am Meer. Wohnmobil und andere Fahrzeuge stehen auf Sand und Gras.
Der kilometerlange Strand in Ventry wird gewissermaßen zangenförmig von zwei großflächigen Anlagen mit dauerhaft abgestellten Mobile Homes bzw. anderen Vehikeln abgeschlossen, doch im Grunde gibt es kein wirklich ansprechendes Angebot für mobile Touristen. So finden sich – trotz eines Verbotsschilds – immer mehr Zelte und Wohnmobile in der sensiblen Dünenzone. (Bild: Ulsamer)

Hohe Ansprüche – triste Realität

In den Grundsätzen der Foundation for Environmental Education heißt es: „As a general rule, Blue Flag accreditation is only given to sites that can demonstrate management of visitors and recreational use that prevents long-term irreversible damage to the local natural environment.“ Wie verträgt es sich dann, dass an Inch Strand oder auch am Ventry Beach von vielen Zeitgenossen kaum Rücksicht auf die verbliebenen Dünen genommen wird oder gar trotz Verbotsschildern direkt an die Dünen herangefahren und dort übernachtet wird? Ventry Beach wird im Übrigen auch von der Blue Flag geziert, doch nicht nur dort entsprechen die Toiletten kaum den Vorgaben der Kriterien 19 bis 21 für die Auszeichnung mit einer Blauen Flagge. „Beaches with a high number of daily visitors must have their facilities checked and cleaned every day or several times a day.“ Die Ansprüche auf dem Papier oder im Internetauftritt sind hoch, die Realität sieht trister aus.

Hinweisschild an Ventry Beach, in englischer und irischer Sprache. Es wird dringend vom Baden an den Bachmündungen abgeraten.
Mit der Wasserqualität an den Mündungen der Bäche steht es am Ventry Beach nicht zum Besten. Eine Blaue Fahne gibt es dennoch. (Bild: Ulsamer)

Die Wasserqualität ist eines der zentralen Kriterien für die Blue Flag, doch auch hier gibt es durchaus Zweifel. So veröffentlichte Radio Kerry am 9. August 2021 eine Warnung, dass bei starkem Regen die Wasserqualität durch eingeschwemmte Stoffe – z. B. Kolibakterien – von landwirtschaftlichen Flächen beeinträchtigt werden könnte. Genannt wurde dabei u. a. Ventry. Meine Bedenken resultieren besonders aus der geringen Zahl von Kläranlagen in Irland, und selbst touristisch geprägte Ortschaften verfügen oft nur über eine rudimentäre Säuberung der Abwässer. Bezeichnend ist es auch, dass Schilder vor dem Baden in der Nähe kleiner Zuflüsse warnen.

Strand in Ventry. Es weht die Blue Flag. Links die Station der Lifeguard. Zahlreiche Personen am Sandstrand. Im Hintergrund die Ortschaft Ventry.
Am Ventry Beach in der Nähe der Touristenhochburg Dingle weht in der Hauptsaison auch die Blue Flag. Und zumindest in Sachen Vermüllung hat sich viel getan, doch dies ist dem ganzjährigen Einsatz umweltbewusster Bürger und weniger der blauen Fahne zuzuschreiben. (Bild: Ulsamer)

Unabhängige Prüfung notwendig

Es gibt jedoch in der Tat positive Entwicklungen, die ich ausdrücklich erwähnen möchte: Verringert hat sich in den letzten 30 Jahren die Vermüllung an zahlreichen irischen Stränden, dies können wir aus eigener Erfahrung berichten. Und so müssen wir uns nicht mehr so oft nach anderer Leute Müll bücken. Die Zeiten scheinen vorbei zu sein, in denen wir noch argwöhnisch beobachtet wurden, wenn wir bei Strandwanderungen Plastikmüll aufsammelten und so Tüte um Tüte füllten und zu unserem eigenen Mülleimer schleppten. Hier hat sich zumindest bei einzelnen Bevölkerungsgruppen ein höheres Umweltbewusstsein, auch in Irland, durchgesetzt. Und gerade an Ventry Beach erleichtern Müllzangen, -tüten und -handschuhe neuerdings das Einsammeln von anderer Leute Müll! Allerdings sind insbesondere Plastikteile, die mit den Wellen und Strömungen aus anderen Regionen herangeschwemmt werden, deshalb immer noch nicht einfach verschwunden. Es wäre an der Zeit, auf Fischernetze beispielsweise ein hohes Pfand zu erheben, damit diese bei Beschädigungen nicht einfach über Bord gehen und als Geisternetze jahrelang durch unsere Ozeane treiben.

Hinweisschild zur Reinigung des Strands mit einer Zange und Säcken.
Wenn die Blue Flag nach der Saison eingeholt wird, dann verschwindet auch das Müllsammelequipment, doch der Strand bei Ventry wurde in den letzten Jahren immer sauberer. (Bild: Ulsamer)

Eine Blue Flag für Strände, an denen auf Ökologie und Nachhaltigkeit geachtet wird, ist ein wichtiger Anreiz für mehr Schutz von Natur und Umwelt. Doch dies setzt voraus, dass die Kriterien klar und scharf formuliert sind und nicht zahlreiche Schlupflöcher beinhalten. Wenn es um Wasserqualität, Umweltmanagement und -erziehung sowie um die Sicherheit geht, dann müssen solche grundsätzlichen Anforderungen auch durch externe Fachleute umfassend geprüft werden. Hieran habe ich Zweifel. Die Foundation for Environmental Education macht es sich zu leicht, wenn sie die Verantwortung für die Einhaltung der löblichen Kriterien auf nationale und regionale Organisationen überträgt, die natürlich ihre – gerade auch touristischen – Eigeninteressen vertreten oder nicht über das notwendige Durchsetzungsvermögen verfügen, um Strände nachhaltig zu schützen. In der Republik Irland konnte die Regierung noch nicht einmal Wassergebühren für Privathaushalte durchsetzen: Wer die natürliche Ressource Süßwasser nicht zu schützen vermag, der tut sich auch mit Meeren und Stränden schwer.

Wenn kilometerlange Strände mit und ohne blauer Flagge zum Parkplatz degradiert werden, dann hat dies nichts mit dem Schutz der Natur oder nachhaltigem Tourismus zu tun! Die ‚Blaue Flagge‘ wird bei einer Übernutzung von Stränden zur Farce!

 

Ein großes, weißes Zelt - Tipi - im Vordergrund, dahinter ein Wohnmobil und weitere Fahrzeuge auf dem Sandstrand. Rechts das Meer. Im Hintergrund Berge.
Über dem Strand an der Brandon Bay – zwischen Dingle und Tralee – im irischen Kerry weht zwar nicht die blaue Fahne, doch er lädt zu traumhaften Wanderungen ein: Schade nur, dass am Strand nicht nur geparkt wird, sondern mancher Zeitgenosse fährt auch gerne mehrfach den Strand auf und ab, als wäre hier der Treffpunkt der Poser-Szene. (Bild: Ulsamer)

 

Menschenleerer Sandstrand im Winter. Im Hintergrund die die ersten Berge derDingle Halbinsel.
Im Winter gibt’s Ruhe pur. Wenn der größte Besucheransturm vorbei ist, dann ist und bleibt Inch Strand ein malerischer Ort, den der Regisseur David Lean auch als einen der Drehorte für seinen 1970 uraufgeführten Film ‚Ryan’s Daughter‘ auswählte. Im Hintergrund hier die Berge der Dingle Halbinsel. (Bild: Ulsamer)

 

Eine grüne zusammengequetschte Plastikflasche am Sandstrand mit Seetang.
In der EU hätte sich die Kommission weniger mit Einmal-Löffeln und Ohrstäbchen befassen sollen, sondern ein EU-weites Pfandsystem für Plastikflaschen auf den Weg bringen müssen, denn ein nicht unerheblicher Anteil des Kunststoffmülls besteht aus ganzen oder zerfallenden Flaschen. Und Plastikmüll kann tödlich sein! (Bild: Ulsamer)

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