Insekten verlieren ihre Heimat 

Schmetterlinge, Hummeln, Bienen und Käfer sind akut bedroht

Wildbienen und Hummeln summen immer weniger durch unsere Landschaft, Schmetterlinge flattern seltener über Wiesen und durch Wälder, selbst viele Käfer krabbeln kaum noch durch Stadt und Land. Studien belegen seit Jahren einen dramatischen Rückgang der Insekten insgesamt, zahlreiche Arten sind bereits gänzlich verschwunden, doch es fehlt an konsequentem politischem Handeln, um den Insektenschwund zu stoppen. Stattdessen werden immer neue Studien durchgeführt und einzelne Pilotprojekte gefördert, doch dies wird nicht verhindern, dass immer mehr Insekten ihre Heimat verlieren. In einer ausgeräumten und zersiedelten Landschaft fehlt nicht nur die Nahrung, sondern auch Nistmöglichkeiten sind seltener zu finden. Die ständige Intensivierung der Landwirtschaft mit großflächigen Monokulturen, Gülleschwemme und chemischer Keule haben den Lebensraum von Wildbienen und Schmetterlingen in manchen Regionen zerstört. Das von der EU geförderte und von der deutschen Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner propagierte Ertragsdenken um jeden Preis hat nicht nur das Insektenleben ruiniert, sondern treibt bäuerliche Familienbetriebe seit Jahren in den Ruin. Wenn Schwebfliegen um bis zu 97 % zurückgegangen sind und wir in Deutschland einen Verlust an Biomasse bei den Insekten um 75 % zu beklagen haben, dann müssten bei Politik, Verbänden und Bürgern alle Alarmglocken läuten!

Eine Libelle auf einem Blatt. Ihre Flügel sind rostrot.
Wenn Tümpel, Weiher und naturnahe Seen, Bäche und Flüsse verschwinden, dann haben es Libellen schwer. Die Landschaft wurde für die Bearbeitung weiter Feldfluren ausgeräumt: nicht nur Gewässer, sondern auch Gebüschinseln, Baumgruppen, Lesesteinhaufen oder Trockensteinmauern wurden im Zuge von Flurbereinigungen beseitigt. Aber auch im urbanen Bereich wird selbst in Parkanlagen zu wenig Wert auf Tümpel und Weiher gelegt. (Bild: Ulsamer)

Katastrophaler Schwund der Insekten

Im Grunde sind die Insekten hart im Nehmen, ansonsten hätten sie auch nicht seit rd. 480 Mio. Jahren die Erde besiedelt, selbst den Meteoriteneinschlag überlebt, dem die Dinosaurier vor 66 Mio. Jahren zum Opfer fielen, doch die menschlichen Eingriffe sind inzwischen so gravierend, dass selbst zahllose Käfer-, Wildbienen- oder Schmetterlingsarten vom Aussterben bedroht sind. Beim Wandern kann man noch den einen oder anderen Ameisenhaufen und das emsige Treiben bewundern, doch selbst die Ameisenbestände stehen unter Druck. Und so betonte Professor Andreas Vilcinskas, einer der führenden Insektenforscher in ‚Geo kompakt‘: „Wir beobachten ja einen verheerenden Schwund der Insektenfauna, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit.“  Die Lobbyisten des Deutschen Bauernverbands fordern zwar immer neue Studien, die den Schwund der Insekten belegen, doch mal ganz ehrlich: Jeder Fahrzeuglenker kann nach einer längeren Autofahrt an der Frontscheibe erkennen, dass dort kaum noch Insekten ihr Leben lassen mussten. Und wer hat schon noch in lauen Sommernächten Nachtfalter in großer Zahl umherfliegen sehen? Imker haben mir erzählt, dass sie Maisfelder bis an den Horizont als Todeszonen für ihre Bienen betrachten. Honig- und Wildbienen, die pestizidbelastete Monokulturen gerade noch überleben, haben das Problem, dass nach dem Verblühen schlagartig die Nahrung in weitem Umfeld verschwindet, und dies trifft die wilden Bienenarten besonders, da sie nicht so weit fliegen wie die Honigbienen, und sie haben auch keinen menschlichen Helfer, der notfalls den Bienenstock rechtzeitig umsetzt. Nicht zu unterschätzen ist auch die Tatsache, dass beim Ausfall einer Honigbiene die anderen arbeitssamen Mitbewohnerinnen die Pflege der Brut fortsetzen. Fällt dagegen die solitär lebende Wildbiene z. B. durch Spritzmittel aus, dann ist auch die Brut dem Tode geweiht. Viele Wildbienen sind dazuhin auf bestimmte Pflanzenarten spezialisiert und werden diese durch Herbizide vernichtet, dann fehlt in einer immer uniformeren Landschaft die Nahrungsgrundlage gänzlich.

Schwebfliege, die mit ihren gelb-scwarzen Streifen einer Biene gleicht auf einer Efeublüte.
Schwebfliegen sind nach einer 50 Jahre umfassenden Untersuchung von Wulf Gatter u.a. auf der Schwäbischen Alb um bis zu 97 % zurückgegangen. Studien aus anderen Regionen kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass die Schwebfliegen die wichtigsten Bestäuber nach den Bienen sind. Im Herbst zieht der Efeu auch die Schwebfliegen an, doch, wehe, wenn die Efeuranken in den Gehweg hineinragen: Obwohl noch 120 Zentimeter Platz waren, mussten wir in Esslingen am Neckar auf behördliches Geheiß hin unsere Efeuhecke drastisch zurückschneiden. Nun gut, Bürokraten leben auch nicht wie Insekten von Nektar, sondern von unseren Steuergeldern! „Eine Umfrage unter Bienen, Wespen und Schmetterlingen würde dem Efeu sicher allerbeste Beliebtheitswerte bringen“, so der NABU. „Blüht die Kletterpflanze doch erst, wenn sonst nur noch wenige Nektarquellen zur Verfügung stehen. Praktisch alles, was sechs Beine hat, kommt im Herbst hier vorbei.“ (Bild: Ulsamer)

Die Forschungsstation Randecker Maar auf der Schwäbischen Alb in Baden-Württemberg beobachtet seit einem halben Jahrhundert Insekten, und das Ergebnis ist dramatisch: Der Rückgang der Schwebfliegen beträgt bis zu 97 %! Die Grundlage für die erwähnte Studie legten Wulf Gatter und seine Mitstreiter durch die Beobachtung von ziehenden Insekten (und auch Vögeln) per Fernglas, wobei die Ergebnisse ebenso in eine systematische Erfassung über 50 Jahre einflossen, genauso wie die Insektenfänge mit Reusen. Schwebfliegen gehören eindeutig zu den Nützlingen, denn ihre Larven vertilgen vor allem Blattläuse. Die ausgewachsenen Tiere sind wichtige Bestäuber. „Erwachsene Schwebfliegen ernähren sich ausschließlich von Nektar und Pollen, sie sind neben Bienen unsere wichtigsten Bestäuber“, so der NABU. Der dramatische Rückgang der Schwebfliegen ist somit auch kein Thema für esoterische Fachzirkel, sondern eine katastrophale Entwicklung, die uns alle betrifft, obgleich er lautlos und „unspektakulär“ verläuft. Endlose Diskussionen über die Ursachen des Insektenrückgangs bringen Hummeln und Schmetterlingen oder den Schwebfliegen nichts, und so mancher Regierungspolitiker sollte endlich aufwachen: “Wenn die Insekten weg sind, dann ist alles weg. Insekten sind die Voraussetzung für unser Leben“, betonte Professor Lars Krogmann, Leiter der Abteilung Hautflügler am Naturkundemuseum in Stuttgart, bei der Vorstellung der erwähnten Studie „50-jährige Untersuchungen an migrierenden Schwebfliegen, Waffenfliegen und Schlupfwespen belegen extreme Rückgänge“. Und wer wollte Krogmann da widersprechen? Ich gewiss nicht, doch noch immer reagieren Teile der Politik zu zögerlich auf den katastrophalen Insektenschwund: Nicht selten legen sich Landesregierungen zumindest zeitweise beim Insektenschutz ins Zeug, wenn ein Volksbegehren sie dazu zwingt. So geschehen in Bayern, Baden-Württemberg oder Niedersachsen. Und wenn der öffentliche Druck nachlässt, dann lehnen sich manche PolitikerInnen wieder gemütlich im Amtssessel zurück!

Ein Zitronenfalter sitzt auf dem Lenker eines Fhrrads: allerdings auf einem Hinweisschild für einen Fahrradweg.
Das gelbe Trikot trägt der Zitronenfalter schon. (Bild: Ulsamer)

Dramatisches Insektensterben

Der Entomologische Verein Krefeld, der sich seit über 100 Jahren der wissenschaftlich orientierten Insektenkunde widmet, hat in einer Langzeitstudie von 1989 bis 2016 einen Rückgang der Biomasse von Fluginsekten von über 75 % festgestellt – und dies in über 60 Naturschutzgebieten. Ganz folgerichtig ist der Schwund an Insekten auf landwirtschaftlichen Monokulturen noch dramatischer. Die Lobbyisten einer überkommenen Agrarindustrie betonen gerne, dass die Landwirtschaft doch am Insektensterben keine Schuld tragen könne, wenn Wildbienen und Schmetterlinge auch in Naturschutzgebieten abnehmen, doch dieses ‚Argument‘ trägt nicht: „Etwa 60 Prozent aller Naturschutzgebiete sind hierzulande kleiner als 50 Hektar“, so schreibt der NABU. „Die Gebiete werden durch ihre Insellage und durch ihre langen Außengrenzen stark von ihrer Umgebung beeinflusst – äußere Einflüsse, wie der Eintrag von Pestiziden oder Nährstoffen (Eutrophierung) können nicht ausreichend abgepuffert werden. So liegt es nahe, dass durch Praktiken der intensiven Landwirtschaft der Erhaltungszustand vieler Schutzgebiete massiv beeinträchtigt wird – und nicht zuletzt der von Insekten.“ Nicht unterschätzt werden darf auch, dass sich mit abfließendem Regenwasser Gülle, Pestizide und Mineraldünger in Naturschutzgebiete ergießen, und der Wind trägt für die Natur schädliche Stoffe natürlich auch über die Grenzen von Naturschutzgebieten hinweg. Deshalb kommt es auch darauf an, auf allen Agrarflächen naturnäher und nachhaltiger zu wirtschaften. Ökologisches Denken darf eben nicht erst hinter dem Schild ‚Naturschutzgebiet‘ beginnen!

Drei schwarze Waldmistkäfer an tierischem Kot. Eine grünliche Fliege sitzt auch daran.
Der Waldmistkäfer, der sich in Buchenwäldern wohlfühlt, gräbt nicht nur gerne Tunnel in die Erde, sondern er lockert sie dabei – wie der Regenwurm – auch auf. Dazuhin ist er eifrig unterwegs, um den Kot von Säugetieren zu beseitigen und damit auch mögliche Krankheitserreger. Der Kot wird in die Tunnel eingetragen, und von ihm ernähren sich dann die aus dem Ei schlüpfenden Larven. (Bild: Ulsamer)

In Reinform bekommt man das Insektensterben auf vielen Agrarflächen zu spüren. So sind weder Mais- noch Rapsfelder ideale Bienenweiden, sondern eher ein Grund für ihr frühes Sterben. Im Maisfeld nehmen höchstens Wildschweine Deckung. Und auf Grünland, das fünf oder sechs Mal im Jahr gemäht wird, da findet sich auch kaum noch ein Grashüpfer. Wälder, die teilweise zu Forstplantagen degradiert wurden, haben nichts mit Natur zu tun, und wenn Bäume nicht mehr alt werden dürfen, das Totholz weitgehend entfernt wird und lichte Mischwälder verschwunden sind, dann vergeht auch Insekten im Wald das Summen. Und so mancher Übergang vom Forst zum Acker lässt keinen Raum für Wildkräuter oder Büsche, von einem gestuften Waldrand keine Spur! Im urbanen Bereich zerstören Versiegelung und Zerschneidung gleichfalls den Lebensraum der Insekten. Wenn Schotter als ‚pflegeleichter‘ Garten gilt und anderswo die Mähroboter Insekten häckseln und Amphibien oder Igel tödlich verletzen, dann ist die Natur in breiter Front auf dem Rückzug. Blicken wir in die ‚Roten Listen‘, dann sehen wir, dass 64 % der Tagfalterarten rückläufig sind und Köcherfliegen gar zu 96 %.

Eine Wildbiene an einer Vogeltränke.
Insekten müssen immer weitere Strecken zurücklegen, um Wasser zu finden: Viele Tümpel und Weiher wurden zugeschüttet. Und in zu wenigen Gärten lässt sich eine Wasserstelle finden, viele Brunnen in Städten mögen künstlerisch wertvoll sein, doch oft ist die Wasseraufnahme für Wildtiere unmöglich. (Bild: Ulsamer)

Weltweit sterben lautlos die Insekten

Verwunderlich ist der Schwund bei Köcherfliegen nicht, denn ihre Larven halten sich gerne in sauberen und natürlichen Bächen auf, doch auch diese sind selten geworden. Libellen sind ebenso die Leidtragenden, wenn Bäche und Flüsse in ein enges Betonkorsett gezwungen und Tümpel oder Weiher zugeschüttet wurden. In den zurückliegenden 50 Jahren sind 75 % der Kleingewässer in Deutschland verschwunden und mit ihnen viele Tiere- und Pflanzenarten. Kröten, Fröschen, Molchen oder Libellen fehlt der Lebensraum, und gerade in Dürreperioden finden viele Wildtiere keine Wasserstelle mehr. Oft wird unterschätzt, dass auch Bienen Wasser für sich selbst und die Kühlung im Stock benötigen. Im Zuge der Flurbereinigungen wurde über Jahre alles getan, um einzelne Felder im Handtuchformat oder schmale Weinbergparzellen besser zugänglich zu machen und mit großen Maschinen bearbeitbare Flächen zu formen. Aus Sicht der Bauern und Weingärtner mehr als verständlich, doch zumeist wurden auch Hecken, Trockensteinmauern, Bauminseln oder Tümpel gleich mit beseitigt. Die Zeche zahlen heute die Insekten, aber auch Eidechsen oder Amphibien. In gleicher Weise wurde in manchen Regionen aus artenreichem Wald ein Einheitsforst. Wenn heute nicht selten der Unmut über eine falsche Bewirtschaftung der Wälder bei den Förstern ‚abgeladen‘ wird, so tragen nach meiner Meinung Flächenbesitzer und Politik die Hauptschuld an einer unökologischen Ausrichtung: Kommunen, aber auch Land und Bund sowie die Mehrheit der Privatwaldbesitzer setzten zu lange einseitig auf die Gewinnmaximierung zu Lasten der Wälder. In die gleiche Kerbe schlägt auch eine teilweise rückwärtsgewandte Hochschulausbildung der zukünftigen Förster, die zu sehr an Ertrag statt an Ökologie ausgerichtet ist. In nicht wenigen Gemeinden ist ein hoher finanzieller Gewinn aus dem Holzeinschlag schon ins Budget eingeplant, da bleibt wenig Spielraum für nachhaltige Projekte.

Zwei Ameisen transportieren eine gelbliche Blüte.
Sogar die emsigen und wohl organisierten Ameisen tun sich in vielen Regionen zunehmend schwer, da ihnen der Lebensraum geraubt wird. (Bild: Ulsamer)

Das Insektensterben ist – wie zu erwarten – kein rein deutsches oder europäisches Phänomen. So haben australische Autoren 73 Studien ausgewertet, in denen es um Insekten ging und ihre Zusammenfassung in der Zeitschrift ‚Biological Conservation‘ veröffentlicht: Der Rückgang der Kerbtiere lasse sich weltweit feststellen, und deren Biomasse habe jährlich einen Schwund von 2,5 Prozent. Besonders dramatisch verlaufe der Rückgang bei Schmetterlingen und Bienen, und auch Wespen und Ameisen seien – wie der Dungkäfer – elementar betroffen. Zu den zentralen Ursachen gehören nach dieser Studie der Verlust an Lebensraum durch die intensive Landwirtschaft, sowie die Ausdehnung von Städten und Verkehrswegen. Düngemittel und Pestizide – dazuhin Neonicotinoide – gefährden das Überleben von Insekten. Francisco Sánchez-Bayo vom Sydney Institute of Agriculture kommt in dem Report zu dem Schluss, dass alles getan werden müsse, um den Insektenschwund aufzuhalten, denn er befürchtet ansonsten einen „catastrophic collapse of nature’s ecosystems“. Im Lebensraum der Insekten vollzieht sich weltweit ein ungehörtes Sterben, das inzwischen apokalyptische Formen angenommen hat. Hier würde ich mir mehr Engagement grüner Politiker ebenso wünschen wie bei CDU und CSU, denn einst war der „Naturschutz ein konservatives Anliegen“*. Manchmal mag ich es kaum noch glauben, dass ich im Jahr 1983 eine Ausgabe meiner Vierteljahresschrift ‚Perspektiven‘ genau so betitelt hatte. Angesprochen fühlen dürfen sich PolitikerInnen aus allen Parteien!

Ein bräunlicher Grashüpfer auf steinigem Untergrund mit einigen grünen Halmen.
Grünland hat zunehmend weniger mit einer Wiese zu tun. Artenvielfalt ist dem Einheitsgrün für Hochleistungskühe gewichen. Dies merkt man auch daran, dass kaum noch ein Grashüpfer zu sehen ist, wenn die Mahd großflächig und meist auch noch fünf oder sechs Mal im Jahr erfolgt. (Bild: Ulsamer)

Bedrohte Lebensräume

Die Versiegelung der Böden und die intensive Landwirtschaft tragen nach den zahlreichen wissenschaftlichen Studien maßgeblich zum Insektensterben bei. Dies ist auch nicht überraschend, da beide Formen der Landnutzung große Flächen bedecken. Einbeziehen würde ich eine Forstwirtschaft, die ebenfalls der Neuausrichtung bedarf. Wir brauchen eine Revolution im land- und forstwirtschaftlichen Bereich sowie eine naturnähere Nutzung der urbanen Flächen, dies steht außer Frage, wenn wir den Insekten – und ebenso den Vögeln – wieder mehr Lebensraum zubilligen wollen. Tun wir dies nicht, dann wird dies dramatische Folgen für die Nahrungsmittelproduktion haben. Der ‚Bericht zur Lage der Natur in Deutschland‘, der von der Bundesregierung 2020 vorgelegt wurde, unterstreicht den unzureichenden Zustand der Lebensräume in unserem Land. Knapp 70 % der unter dem Blickwinkel des Artenschutzes bewerteten Lebensräume weisen einen ungünstig-unzureichenden oder ungünstig-schlechten Erhaltungszustand auf. Kein Wunder, dass auch       63 % der betrachteten Arten in diese negativen Kategorien fallen. Libellen, Käfer und Schmetterlinge sind besonders betroffen, und selbst Wildbienen fehlt der Lebensraum. Zu den Hauptverursachern des Artenschwunds zählt die immer intensivere Landwirtschaft. Wo früher Wiesen zweimal im Jahr gemäht wurden, wird heute eifrig gedüngt, damit das Mähwerk sechsmal zuschlagen kann. Felder haben viele Wiesen verdrängt, Pestizide und Herbizide gefährden nicht nur Insekten und Vögel. Gülle aus der Massentierhaltung schädigt die Natur – und das Trinkwasser. Die EU-Agrarförderung muss auf eine ökologische und nachhaltige Grundlage gestellt werden – oder der Artenschwund ist nicht aufzuhalten. Die Natur braucht mehr Schutz!

Eine Biene sitzt in der Mitte einer Blüte mit gelben Blütenblättern und einem braunen Innenteil.
Die Imkerei erfreut sich eines großen Zuspruchs auch bei Unternehmen, die das Öko-Gewissen ihrer Kunden mit einigen Bienenstöcken befriedigen wollen, doch dann muss sich im Umfeld auch das Blütenangebot vergrößern. Ansonsten ziehen Wildbienen den Kürzeren. (Bild: Ulsamer)

Wer heute meint, der Insektenschutz sei eine Nebensache, der irrt gewaltig. „Vier Fünftel aller Wild- und Kulturpflanzen werden durch Insekten bestäubt“, so der WWF. Damit ist auch klar: Selbst wer nur an den eigenen Magen denkt, der muss auf den Insektenschutz setzen, ansonsten dürfte sein Teller in der Zukunft öfter leerbleiben. Es geht somit nicht nur um die biologische Vielfalt, um die es sich zu kämpfen lohnt, sondern auch um die Ernährung der Menschheit. Ohne die kostenlosen Bestäuber aus der Insektenwelt wird es kaum gehen, es sei denn man setzt – wie in China – auf eifrige menschliche Helferlein, die mit Wattestäbchen Pollen von Blüte zu Blüte tragen. Nach der Corona-Pandemie kann ich mir kaum vorstellen, dass das chinesische Modell Schule machen wird, denn es beinhaltet leider auch brutalen Raubbau an der Natur im großen Stil. Die Ökoleistungen von Hummeln, Wildbienen und Schmetterlingen, aber auch von Ameisen oder Käfern sind so umfassend, dass wir nicht auf sie verzichten können.

Eine Mauerbiene sitzt an einem Insektenhotel. Mehrere der Röhren sind bereits teilweise mit Brutrkammern belegt.
Insektenhotels helfen Insekten – wie hier der gehörnten Mauerbiene -, wenn in einer ausgeräumten Landschaft andere Plätze für die Brutzellen fehlen. In allseits gedämmten Häusern fehlen Mauerspalten oder andere Hohlräume, und Schneckenhäuser oder Trockensteinmauern sind auch nicht überall zu finden. (Bild: Ulsamer)

Landschaft: Zurück in die Zukunft!

Ich möchte die kleinen Schritte für eine ökologischere Gestaltung von Land- und Fortwirtschaft oder auch in unseren urbanen Zentren nicht missen, doch hier einige Stadtbäume mehr und dort ein Blühstreifen oder ein gestufter Waldrand werden unsere Probleme nicht lösen. Natürlich sind Projekte wie ‚Biosphärenreservate als Modelllandschaften für den Insektenschutz‘ wichtig, an dem sich die UNESCO-Biosphärenreservate Mittelelbe, Bayerische Rhön, Schaalsee, Schorfheide-Chorin und Schwarzwald sowie der WWF und weitere Partner beteiligen, doch letztendlich müssen wir schneller als bisher bundesweit und in der EU zu Verbesserungen kommen, ansonsten wird der Insektenschwund sich beschleunigen. Alle EU-Staaten sind hier zu einer Kehrtwende in der Agrarpolitik und beim Naturschutz aufgerufen, dies zeigt die Entwicklung in Irland, das nicht ohne Grund als ‚grüne Insel‘ bezeichnet wird. Thomás Murray vom National Biodiversity Data Centre prognostizierte, dass bis 2030 die ohnehin schon zahlenmäßig wenigen Hummeln bis 2030 um weitere 11 % und bis 2050 sogar um 87 % abnehmen werden, wenn nicht beherzt gegengesteuert wird. Die EU stellte zwar einen ‚Green Deal‘ vor, doch allein mir fehlt der Glaube, dass die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen das Ruder herumwerfen wird. Sie konnte weder als deutsche Verteidigungsministerin bei steigenden Budgets den Materialmangel der Truppe beheben noch jetzt zügig Corona-Impfstoff bestellen, und die EU-Agrarförderung hat seit Jahr und Tag wenig mit Naturschutz zu tun! Und ganz nebenbei zerstören die an der Fläche orientierten Subventionen bäuerliche Existenzen.

Mehrere kleine Hummeln auf lila Blüten.
Inzwischen ein seltener Anblick: Die Blüten sind gleich mehrfach besetzt. Der fehlende Lebensraum setzt Wildbienen, Hummeln und Schmetterlingen immer stärker zu. (Bild: Ulsamer)

Wenn wir die Insekten, Vögel und andere Wildtiere schützen wollen, dann müssen wir der ständigen Intensivierung der Landwirtschaft abschwören, der Bundesagrarministerin Julia Klöckner von der CDU noch immer das Wort redet. Kleinräumigere Strukturen auf den Agrarflächen sind besonders wichtig, in denen langjährige Blühstreifen ebenso einen Platz finden wie Gehölze, Trockensteinmauern und Lesesteinhaufen, aber auch Totholz und Tümpel. Ließen sich solche Veränderungen, die auch ein Schritt zurück sind – denn dies hatten wir ja alles in unserer Landschaft! – nicht mit der Gewinnung regenerativen Stroms verbinden? Damit meine ich nicht, dass noch mehr Mais angebaut und in Biogasanlagen wandern soll, sondern könnten nicht bei entsprechender Gestaltung rund um Windkraftanlagen kleine Biotope entstehen, die dann auch noch miteinander verbunden werden müssten? Windrotoren gehören nach meiner Meinung ohnehin nicht in die bereits geschädigten Wälder, sondern auf die Äcker! Der Einsatz von Pestiziden muss über das bisherige Maß hinaus deutlich eingeschränkt werden, denn diese töten nicht nur Insekten – wie die Neonicotinoide -, sondern sie nehmen ihnen auch die Nahrung, da Wildkräuter – z. B. durch Glyphosat und seine Nachfolger – vernichtet werden. Die Mahd muss sich wieder an der Natur und an den Insekten orientieren und nicht nur an der viel zu hohen Zahl hungriger Hochleistungskühe: Dies bedeutet, dass die Schnittzahl verringert werden muss. Generell sollte sich der Besatz an Tieren an der Fläche für deren Nahrung orientieren, und es muss Schluss damit sein, dass Felder und Wiesen nur als Ablagefläche für Gülle und Mist gesehen werden. Schickt Rinder, Schweine und Hühner wieder auf die Weide! Viele Insekten, aber auch die Stare werden sich freuen.

Marienkäfer - rot mit schwarzen Punkten - am grünen Blatt einer Distel.
Kaum tauchten im Herbst mancherorts Schwärme von Marienkäfern auf, da wurden sie in verschiedenen Medien schon als „Plage“ tituliert. Dabei sind die Käfer doch hilfreiche Geister im Kampf gegen Blattläuse. Die in Gewächshäusern gerne eingesetzte asiatische Verwandtschaft verdrängt nach ihrem Flug in die Freiheit die einheimischen ‚Glückskäfer‘. Mal wieder eine negative Nebenwirkung der Globalisierung. (Bild: Ulsamer)

Urbanität grüner werden lassen

Mit diesen Anmerkungen zur Landwirtschaft möchte ich weder die Waldbesitzer noch die Kommunen und privaten Garteninhaber aus ihrer Verantwortung entlassen. Gerade auch in Gärten und Parks bieten sich viele Chancen, die Lebensräume für Insekten und Vögel wieder auszuweiten. Die Städte und Gemeinden, aber auch die Länder und der Bund müssen ihre Flächen insektenfreundlicher und damit ökologischer gestalten. Wer jedoch lieber Bürger anschreibt, weil die Efeuranken etwas zu weit in den noch immer ausreichend breiten Gehweg hineinragen, als sich selbst um mehr Stadtbäume oder eine grüne Zwischennutzung ungenutzter öffentlicher Flächen zu kümmern, der hat noch nicht begriffen, um was es geht. Sonntagsreden zum Umwelt- und Klimaschutz nutzen nichts, wenn ab Montag wieder Asphalt und Beton regieren – und auch die letzte Streuobstwiese zum Baugebiet wird.

Eine schwarze Holzbiene mit offenen Flügeln auf einer rötlichen Wickenblüte.
Viele spezialisierte Wildbienen – wie hier die Holzbiene – finden zunehmend weniger Nahrung und keinen Unterschlupf. (Bild: Ulsamer)

Schmetterlinge, Hummeln, Wildbienen oder Käfer dürfen nicht länger heimatlos sein in unserer Gesellschaft: ihr Lebensraum muss geschützt und wieder ausgeweitet werden. Insektenschutz ist nicht nur etwas für Naturbegeisterte, sondern geht alle Bürgerinnen und Bürger an, denn ohne die natürlichen Bestäuber wird sich das Nahrungsangebot für die Menschen drastisch verkleinern, die Vielfalt bei Pflanzen und Tieren wird noch schneller abnehmen. Es geht nicht darum, der Land- und Forstwirtschaft die Schuld am Insektenschwund zuzuschieben oder einzelne Kommunen an den Pranger zu stellen, denn nur gemeinsam können wir das Aussterben ganzer Insektenarten verhindern. Obwohl der flächenmäßige Unterschied erheblich ist, kann jeder Gartenbesitzer durch ‚insektenfreundliche‘ Bepflanzung seines Einflussbereichs mit geeigneten Blühpflanzen den Tisch für die Insekten decken. Die Politik muss auf allen Ebenen dazu gebracht werden, den Schutz der Insekten aufzugreifen und konkrete Maßnahmen umzusetzen. Grüne Politik bedeutet nicht nur, den Klimawandel zu bekämpfen, sondern sich sehr ernsthaft um Naturschutz zu kümmern. Auch in der EU-Agrarförderung muss eine grundsätzliche Neuorientierung erfolgen, die nicht auf ständige Intensivierung und Ertragssteigerung setzt, sondern Natur und Ökologie in den Mittelpunkt rückt! Geben wir alle gemeinsam unseren Insekten wieder eine sichere Heimat!

 

Ein Schmetterlin - Admiral - sitzt auf einem Apfel.
Dieser Admiral schien es auf etwas Saft aus dem herbstlichen Apfel abgesehen zu haben. (Bild: Ulsamer)

 

Eine grüne Wanze läuft an einem dicken Grashalm hoch.
Die Blattwanzen überwintern im Erwachsenenstadium, ihre Larven finden sich im Sommer. (Bild: Ulsamer)

 

Hellbraune Raupe läuft über einen hellen Randstein an einer Straße.
Diese Raupe schien im sächsischen Görlitz auf der Suche nach einem ruhigen Plätzchen für die Verpuppung zu sein. Zum Erfolgsrezept der Insekten gehört es, dass im Regelfall die Larven nicht die gleiche Nahrung beanspruchen wie das ausgewachsene Tier, so kommen sich auch Raupen und z. B. der spätere Schmetterling nicht ins Gehege. (Bild: Ulsamer)

 

 

 

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Ein Schmetterlin: ein Schwalbenschwanz. Er hat gelbe Flügel mit schwarzen Mustern.Der Schwalbenschwanz bevorzugt blütenreiche Wiesen und Trockenrasen, und genau diese Grünlandbestände werden immer kleiner. Auf intensiv genutzten Feldern und mehrfach gemähtem Grünland kann der Schwalbenschwanz nicht überleben. Mit acht Zentimetern Flügelspannweite ist der Schwalbenschwanz einer der größten Schmetterlinge Mitteleuropas. Aufgenommen habe ich ihn auf dem Ipf im baden-württembergischen Ostalbkreis. (Bild: Ulsamer)

 

Frontseite der Zeitschrift "Perspektiven" mit dem Titel "Naturschutz - ein konservatives Anliegen" und einem Foto eines einsamen Hofes im Schwarzwald.dem*Als ich 1983 eine Ausgabe meiner Schriftenreihe „Perspektiven“ dem Thema „Naturschutz – ein konservatives Anliegen“ widmete, hätte ich mir nicht vorstellen können und wollen, dass weite Teile der CDU oder der Deutsche Bauernverband auch Jahrzehnte später den Naturschutz als lästige Pflicht und nicht als Grundlage unseres Lebens betrachten würden. Leider verbissen sich die 1980 gegründeten Grünen häufig nur in den Anti-Atom-Kampf und vernachlässigen auch als Bündnis90/Die Grünen den Naturschutz.  Auch die erschreckende Abnahme von Insekten und Vögeln führte bisher nicht zu einer echten Neuorientierung der industriellen Landwirtschaft. Die „Perspektiven“-Ausgabe enthielt auch einen Beitrag mit dem Titel „Wir müssen ein sensibles Gewissen gegenüber der Natur haben“. Recht hat der Autor, der damalige Bundespräsident Karl Carstens. Seine Ausführungen schlossen mit folgender Aussage, der auch in unseren Tagen nichts hinzuzufügen ist: „Aber auch in unserer eigenen Kultur finden wir eine Tradition, die einen freundlichen, ja, liebenden Umgang mit der Natur empfiehlt. Der mittelalterliche Ordensgründer Franz von Assisi hat dies sinnbildlich klargemacht, als er mit Vögeln und Fischen sprach und sie nicht als Beute, sondern als Freunde behandelte. Naturschutz, Liebe zur Natur und Freude an der Gestaltung ihrer Schönheit verbinden sich.“ (Bild: Ulsamer)