Wild- und Honigbienen auf Nahrungssuche
In den letzten Jahren ist die Imkerei für so manchen Mitbürger zum Hobby geworden, und nicht wenige Unternehmen oder Gebäudebetreiber lassen sich Bienenkörbe aufs Dach stellen. Mehr Honigbienen sollen dem Insektenschwund entgegenwirken, der nicht mehr zu leugnen ist. Um 75 % und mehr haben Wildbienen, Hummeln, Schwebfliegen oder Schmetterlinge abgenommen – nicht nur in Deutschland, der Insektenschwund ist ein weltweites Phänomen. Aber wer glaubt, dass mehr Honigbienen unsere Probleme lösen, der irrt. Ganz im Gegenteil: Durch unzählige weitere Bienenvölker, die von Menschen gehalten werden, nimmt die Konkurrenz um die wenigen Blüten noch zu! Wer eine Konkurrenz zwischen Honigbienen und ihren wilden Schwestern vermeiden möchte, der muss für mehr blühende Wiesen, Feldraine, Büsche und Bäume sorgen! Alleinlebende Wildbienen haben das Nachsehen, wenn sie gegen gut organisierte Bienenvölker antreten müssen, die auch noch auf die Unterstützung des Imkers zählen können. Der Insektenschwund kann nur gestoppt werden, wenn monotone Agrarflächen zurückgedrängt werden und in Stadt und Land die Rückkehr zu einer vielfältigeren und artenreicheren Landschaft eingeläutet wird. Wo Nahrung oder Nistmöglichkeiten fehlen und dann auch noch die chemische Keule zuschlägt oder die Gülleflut hereinbricht, dort haben Wildbienen kaum eine Chance.
Verarmte Landschaft
Die mögliche Konkurrenz zwischen Wildbienen und Honigbienen thematisiert u.a. das „Wildbienen Spezial“ des ‚Deutschen Bienen Journals‘. So wird in Berlin zunehmend „auch die letzte Baulücke versiegelt“, und „Die zahlreichen Parks und Kleingärten, die zum Teil durchaus naturnah gestaltet sein können, bieten den anspruchsvollen Wildbienen keinen Ersatz.“ Zum beklagenswerten Verlust an Lebensraum „kommt ein weiteres Problem hinzu: die in den vergangenen Jahren massiv angestiegene Zahl von Honigbienenvölkern. Auch der Deutsche Imkerbund geht davon aus, dass es in Berlin heute zu viele Honigbienen gibt.“ Ein steigender Trend bei Honigbienenvölkern lässt sich bundesweit ebenfalls feststellen: Gab es in Deutschland 2007 laut ‚Statista 2022‘ 670 000 Bienenvölker, so stieg die Zahl bis 2021 auf über eine Million. Hätten im gleichen Zeitraum artenreiche Brachflächen oder mehrjährige Blühwiesen zugenommen, könnten wir in Deutschland auf mehr Hecken und Streuobstwiesen blicken, würden Saumbiotope nicht immer wieder zur Unzeit ‚kahlrasiert‘, dann würde sich die Frage nach einer Konkurrenz zwischen Wild- und Honigbienen gar nicht stellen. Leider hat das Blütenangebot sich nicht mit der Zunahme der Honigbienen vermehrt, sondern durch eine weitere Intensivierung der Landwirtschaft und die Versiegelung der Landschaft abgenommen. Um 1900 soll es im Deutschen Reich rd. 2,6 Mio. Bienenvölker gegeben haben, doch in jener Zeit gab es auch noch Brachflächen und Blühwiesen – und dies ganz ohne EU-Subventionen.
Im Grunde ist allerdings nicht die mögliche Konkurrenz von Wildbienen und Schmetterlingen auf der einen Seite und Honigbienen auf der anderen Seite das Problem, sondern die Verarmung unserer Landschaft. Nicht zuletzt im Rahmen von Flurbereinigungen wurden strukturreiche Elemente ‚plattgewalzt‘. Hecken und Bauminseln galten als störende Hindernisse für die Bewirtschaftung mit großen Agrarmaschinen. Haufen aus Lesesteinen, Trockenmauern, vermoderndes Holz oder Tümpel und mäandrierende Bäche verschwanden aus der Agrarfläche. Brachen wurden zur Seltenheit und müssen mit Subventionsgeldern mühsam zurückgeholt werden. Wälder wandelten sich zum Forst, in dem alte Baumriesen kaum noch zu finden sind, und nicht selten wird krampfhaft versucht, einen gefällten Baum nachträglich zum ‚Biotopbaum‘ zu befördern, um Nähe zur Natur vorzugaukeln. Schottergärten in Städten, englischer Rasen und akkurate Rabatte oder Parkanlagen, in denen frühere Wiesen heute eher einem Sportplatzrasen gleichen, sind als Heimat für Wildbienen nicht geeignet. Es fehlt nicht nur an Nahrung, sondern auch an Nistmöglichkeiten. Hin und wieder ein Insektenhotel, das mag das Gewissen beruhigen, doch es schafft keine Trendwende. Dennoch haben wir mehrere aufgestellt und Hecken gepflanzt, um zumindest einen kleinen Beitrag gegen die Wohnungsnot bei Wildbienen zu leisten. Und die ‚Belegung‘ zeigt, dass zahlreiche Wildbienen nach einem Obdach suchen. Honigbienen haben es bei der Unterkunft leichter, denn für sie sorgt der Imker, und wenn Nahrung knapp wird, dann hilft er mit Zuckerwasser aus.
Wildbienen auf der Roten Liste statt in der Natur
Die Honigbiene kann allein nicht überleben, sie ist ein soziales Insekt. Gemeinsam geht es besser, und so leben in einem Bienenvolk im Sommer rd. 30 000 bis 50 000 Arbeiterinnen, im Winter dagegen nur 10 000 bis 15 000. Der Ausfall einer einzelnen Honigbiene ist daher zu verschmerzen, ganz anders steht es um die überwiegende Mehrheit der Wildbienen, denn ca. 90 % der Wildbienenarten leben solitär. Das Weibchen leistet alle Arbeiten beim Brutgeschäft selbst. Anders sieht es bei den Hummeln aus, deren Staat jedoch eher klein und kurzlebig ist. Die Wildbienen suchen für ihr Nest einen geeigneten Hohlraum oder bauen diesen selbst, was wir im letzten Sommer sehr schön bei Blattschneiderbienen beobachten konnten, die ihre Nester unter unseren Dachziegeln, aber auch in altem Holz oder in den Löchern von Betonpfosten anlegten. Mit bewundernswertem Eifer schnitten sie Stücke aus den Blättern von Rosen oder Montbretien und flogen mit diesen unter dem Körper zum Nistplatz zurück. Mit den Blattteilen kleideten sie die Wände des Hohlraums aus und verschlossen diesen auch damit. Zwar ging es auf unserem Dach fast zu wie bei einem staatenbildenden Insekt, doch schnell war erkennbar, dass jede Blattschneiderbiene ihren eigenen Eingang ansteuerte. In Gebäuden, wo noch die kleinste Ritze verschlossen wird, da gibt es kein Plätzchen für Blattschneiderbienen. Und Totholz, in dem sich bereits tiefe Risse und Gänge gebildet haben, ist ebenfalls in Stadt und Land Mangelware.
„Von den Wildbienenarten Deutschland steht über die Hälfte auf der Roten Liste der bedrohten Arten“, so der BUND. „Von den über 550 in Deutschland beheimateten Wildbienenarten sind laut Roter Liste mittlerweile 31 vom Aussterben bedroht, 197 gefährdet und 42 Arten stehen auf der Vorwarnliste.“ Leider bewahrheitet sich nicht nur bei den Wildbienen, sondern auch bei anderen Insektenarten der Grundsatz: Schlimmer geht immer! Leider! Obwohl seit Jahren Studie um Studie weltweit zum Insektensterben erscheint, die vor allem auf die weitere Intensivierung der Landwirtschaft und die Verarmung der Landschaft als Ursachen hinweisen, wirft die Politik das Ruder nicht herum. Selbst der grüne Landwirtschaftsminister Cem Özdemir hat die für 2023 vorgesehene Ausweitung der Artenschutzflächen vertagt und die vorgegebene Fruchtfolge aufgehoben. Mehr Weizen soll auf deutschen Äckern sprießen – wieder einmal zu Lasten der Insekten! Und das Tor zur Aufweichung der Vorgaben hat die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen (CDU) aufgestoßen. Wenn jetzt der Krieg in der Ukraine, den Wladimir Putin vom Zaun gebrochen hat, als Begründung herhalten muss, so scheint sich immer eine Ausrede finden zu lassen, wenn dringend notwendige Veränderungen in der landwirtschaftlichen Produktion mal wieder verschoben werden. Und so setzt sich der Insektenschwund fort.
Das leise Insektensterben
„Den Forschern zufolge sind fast 10% aller europäischen Schmetterlingsarten vom Aussterben bedroht. Wie der ‚European Grassland Indicator‘ darlegt, ist seit den späten 90iger Jahren die Populationsgröße bei 17 charakteristischen Arten um mehr als 70% zurückgegangen, wofür vor allem Habitatverlust und schlechtes Management verantwortlich sind“, so heißt es bei der Europäischen Kommission – CORDIS Forschungsergebnisse der EU. Ein dramatischer Rückgang, der hier bereits 2013 in einem Bericht, der von der Butterfly Conservation Europe koordiniert wurde, wissenschaftlich belegt wird. Fast ein Jahrzehnt ist seither vergangen, doch den Schmetterlingen geht es nicht besser. „Die bisherigen EU-Initiativen zum Schutz wilder Bestäuber waren leider so schwach, dass sie keine Früchte trugen“, schrieb Samo Jereb vom Europäischen Rechnungshof 2020. Dies ist ein weiterer Beleg dafür, dass die EU viel zu viel Geld für die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) ausschüttet, anstatt eine ökologische und nachhaltige Landwirtschaft zu fördern.
Weiten wir den Blick ein weiteres Mal über die Wildbienen hinaus, dann wird die ganze Dramatik des Insektensterbens noch deutlicher: Die Forschungsstation Randecker Maar auf der Schwäbischen Alb in Baden-Württemberg beobachtet seit einem halben Jahrhundert Insekten, und das Ergebnis ist niederschmetternd: Der Rückgang der Schwebfliegen beträgt bis zu 97 %! Die Grundlage für die erwähnte Studie legten Wulf Gatter und seine Mitstreiter durch die Beobachtung von ziehenden Insekten (und auch Vögeln) per Fernglas, wobei die Ergebnisse ebenso in eine systematische Erfassung über 50 Jahre einflossen, wie die Insektenfänge mit Reusen. Schwebfliegen gehören eindeutig zu den Nützlingen, denn ihre Larven vertilgen vor allem Blattläuse. Die ausgewachsenen Tiere sind wichtige Bestäuber. Der Entomologische Verein Krefeld, der sich seit über 100 Jahren der wissenschaftlich orientierten Insektenkunde widmet, hat in einer Langzeitstudie von 1989 bis 2016 einen Rückgang der Biomasse von Fluginsekten von über 75 % festgestellt – und dies in über 60 Naturschutzgebieten. Ganz folgerichtig ist der Schwund an Insekten auf landwirtschaftlichen Monokulturen noch dramatischer. Es summen immer weniger Wildbienen durchs Land, doch es fehlt am politischen Willen, hier gegenzusteuern! Und der Deutsche Bauernverband fordert flugs immer eine weitere Studie, um politische Veränderungen zu blockieren.
Radikale Neuorientierung
Der Lebensraum für Wildbienen und das Nahrungsangebot werden immer kleiner. Da hilft es wenig, wenn mehr Honigbienenvölker gehalten werden. Wildbienen benötigen mehr Blühpflanzen, die Nektar und Pollen bieten, und nicht nur farbenprächtige geschlossene Blüten. Und solche Verbesserungen kommen selbstredend Wild- und Honigbienen, genauso wie Schmetterlingen zugute. Nährstoffarme Trockenlebensräume sind für verschiedene Wildbienen wichtig, für andere wiederum wenig bearbeitete Randstreifen an Gewässern oder Trockenmauern und Totholz. Feldraine mit Stauden, Gebüsch oder Bäumen bieten Nistmöglichkeiten für Wildbienen und andere Insekten und gleichfalls auch für Vögel. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass wir den Vogelschwund nur eindämmen können, wenn es wieder mehr Insekten gibt. Die Ränder an Straßen und Wegen sind ebenso wichtig wie die Säume an Feldern.
Strukturreiche Landschaften bekommen wir nicht zum Nulltarif zurück, doch im Agrarbereich muss die reine Flächensubventionierung eingestellt werden, um mit diesen Finanzmitteln ökologisch sinnvolle Vorhaben zu fördern. Dabei muss die Vernetzung von Flächen mehr Priorität bekommen, auf denen Wildbienen leben können. In unseren Städten müssen sogenannte ‚Grünanlagen‘ und Parks und die privaten Gärten naturnäher gestaltet werden. Es macht keinen Sinn, die Bauern gegen die Städter auszuspielen oder die Honig- gegen die Wildbienen. Nur gemeinsam kommen wir voran. Wir können aber auch nicht auf den letzten Nachzügler warten, der sich beim Deutschen Bauernverband in seiner Wagenburg festsetzt, denn dann wird es immer weniger Wildbienen geben. Herbizide und Insektizide schaden Wild- und Honigbienen, daher muss deren Einsatz drastisch eingeschränkt werden. Eine naturnähere Landwirtschaft, im Verbund mit einer ökologischeren Ausrichtung unserer Kommunen, ist überlebenswichtig – für Wildbienen und uns Menschen. Wer in den Städten die letzte Baulücke zupflastert und die Bebauung erzwingen möchte – wie der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (mit ruhender Mitgliedschaft bei Bündnis90/Die Grünen) -, der raubt den Wildbienen weitere Zufluchtsmöglichkeiten. So manches freie Baugrundstück ist für Insekten als Brache wichtiger als ein Apartmenthaus für ‚Besserverdienende‘. Eine naturnähere Landschaft bietet für Wild- und Honigbienen eine Zukunft, doch mehr Honigbienen dürfen nicht zu Lasten der Wildbienen gehalten werden!
Mehr Blüten und Nistmöglichkeiten braucht unser Land, dann gibt es wieder Platz für alle Insekten. Ein radikales Umdenken bei der Subventionierung der Landwirtschaft und im Städtebau oder bei der Gestaltung von Verkehrswegen ist unerlässlich, wenn wir den Rückgang der Wildbienen aufhalten wollen!
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Die Bestäubungsleistung von Hummeln darf an kälteren Frühlingstagen nicht unterschätzt werden, denn sie fliegen bereits ab 6 Grad Celsius, ihre Königinnen sogar bei 2 Grad. Durch Vibration der Brustmuskeln erzeugen sie die notwendige ‚Betriebstemperatur‘, Honigbienen machen sich erst ab 12 Grad auf den Weg. (Bild: Ulsamer)
3 Antworten auf „Insekten lechzen nach Nektar und Pollen“