Igel: Stacheln helfen nicht gegen Verlust des Lebensraums

Igelfreundliche Felder, Parks und Gärten sind wichtig

Igel sehen wehrhaft aus, doch leider nutzen ihnen ihre rd. 8000 Stacheln nichts, wenn der Mensch ihren Lebensraum zerstört. Hunderttausende Igel werden jedes Jahr auf deutschen Straßen überfahren, denn er rollt sich bei Gefahr zu einer Kugel zusammen, anstatt auf seinen flinken Beinen das Weite zu suchen. Aber richtig Ernst wurde es für die Igel, die seit 15 Mio. Jahren in ihrer heutigen Gestalt überlebt haben, erst durch das Verschwinden von Hecken und Gebüschinseln, das Fehlen gestufter Waldränder und die Zerstörung von Feldrainen. Dazuhin haben sich Brachflächen oder extensiv genutzte Weideflächen rar gemacht. So fehlt es in der Feldflur und in artenarmen Wirtschaftswäldern nicht nur an Versteck- und Nistmöglichkeiten, sondern auch an Nahrung. Wenn wir heute mehr Igel in naturnahen Gärten oder städtischen Parks sehen, so ist das nicht eine Folge der Zunahme der Stacheltiere, sondern sie begehen wie die Feldhasen ‚Landflucht‘. Als Kulturfolger eroberten die Igel neue Lebensräume, doch dies ersetzt nicht die ursprünglichen Areale im land- oder forstwirtschaftlich genutzten Bereich.

Grau-brauner Igel transportiert Blätter im Maul.
Unser Garten ist so klein, dass wir es kaum glauben wollten, als zum ersten Mal ein Igel begann, Blätter zu sammeln und sich unter einer Kiefer in einer kleinen Höhlung sein Winterquartier einzurichten. (Bild: Ulsamer)

Nahrungsgrundlage schwindet

Aber auch in den Gärten des urbanen Raums droht mehr und mehr Ungemach für die Igel: Mähroboter, die häufig mal in der Dämmerung und bei Nacht dem Rasen einen beständigen Kurzhaarschnitt verpassen, haben viele Igel tödlich verletzt. Und in Gärten voller Schotter oder mit einzelnen freigestellten Bonsaibäumchen auf Unkrautfolie können sich Igel weder ernähren noch bei Tag oder gar im Winter einen Unterschlupf suchen. Besonders eifrige Hobbygärtner, die sich an abgezirkelten Pflanzen und Blumenrabatten erfreuen, die jedes Blatt jagen und jedes Ästchen in die Biomülltonne werfen, zerstören den Lebensraum der Igel. Laubhaufen dagegen, oder für die Menschen eher undurchdringliche Hecken, Totholz,  ein Loch unter einem Gartenhäuschen und viele andere ‚unordentliche‘ Kleinigkeiten, erfreuen die stacheligen Vierbeiner. Wo es an natürlichen Verstecken fehlt, da kann für die Wintermonate ein Igelhaus Abhilfe schaffen.

Igel in einem Igelhaus mit Stroh.
Kranke und vor dem Winter als zu leicht befundene Igel werden in verschiedenen Igelstationen versorgt, und das Ziel ist natürlich möglichst die Auswilderung. Diese Igel-Dame macht noch ein Nickerchen, denn das langsame Auswildern ist anstrengend. (Bild: Ulsamer)

Igel wurden früher in Kinderbüchern oder auch in manchen modernen Publikationen mit Äpfeln gezeigt, doch sie stehen nicht auf diese Früchte, sondern interessieren sich bei fauligem Fallobst nur für darin befindliche Raupen und Würmer. Generell steht den Igeln der Sinn nach Käfern, Larven von Schmetterlingen und anderen Insekten, Spinnen oder Regenwürmern – und auch mal eine Schnecke. Gerade in Dürrezeiten lassen sich Regenwürmer kaum sehen. Abgeräumte Gemüsebeete und Ackerflächen, deren braune Erde vielleicht das Herz mancher Landwirte und Kleingärtner im Winterhalbjahr erfreut, bedeuten den Tod vieler Regenwürmer, weil sie keine Nahrung finden. Wenn jedem Unkräutlein, das sich zeigt, mit Glyphosat in Gärten und auf Äckern der Garaus gemacht wird, wenn Zwischenfrüchte auf dem Acker fehlen, dann ist der Tisch für den Regenwurm – und in der Folge für den Igel – nicht mehr reichlich gedeckt: Es droht eine Hungersnot im Tierreich. Zwar ist eine Fütterung wildlebender Igel umstritten, doch stellen wir ‚unserem‘ Igel nachts ein Schälchen mit Igelfutter raus, und am liebsten mögen die beiden teilweise gleichzeitig auftauchenden nächtlichen Besucher eine Portion Mehlwürmer. In einer ausgeräumten Landschaft glauben wir mit einer Zusatzmahlzeit richtig zu liegen. Und dies gilt besonders für das bereitgestellte Wasser. Zumindest in unserem städtischen Raum sind natürliche Tümpel verschwunden. Sie sind leider auch auf den Feldern und Wiesen inzwischen Mangelware.

Dunkel irkender Igel zwischen grünen Blättern.
„Heutzutage leben Igel fast ausschließlich im menschlichen Siedlungsraum, weil sie dort bessere Lebensbedingungen vorfinden, als in den Monokulturen der freien Landschaft. Sie rechnen deshalb zu den Kulturfolgern”, so der Verein ‚Pro Igel e.V.‘. Eigentlich ist es ein Trauerspiel: Ganze Lebensräume hat beispielsweise der Igel im landwirtschaftlichen Bereich verloren und sich mit dem Feldhasen in die Gemeinden und Städte geflüchtet. Wer sich umfassender mit den Verhaltensweisen der Igel beschäftigen und seinen Garten ‚igelfreundlich‘ umgestalten möchte, der findet gute Anregungen in Monika Neumeiers Buch ‚Igel im Garten‘, Franck-Kosmos Verlag, Stuttgart 2018. (Bild: Ulsamer)

Mähroboter-Massaker vermeiden

Nun noch einmal ein Wort zu Mährobotern: stark eingespannte Zeitgenossen setzen immer häufiger auf Mähroboter, denn sie bevorzugen einen Rasen wie auf dem Fußballplatz und wollen sich nicht selbst betätigen. Nicht wenige lassen ihren ‚Robo‘ in der Dämmerung oder nachts aktiv werden, doch genau dann machen sich die Igel auf Nahrungssuche. Und wenn sie die sich nähernde Gefahr erkennen, rollen sie sich zu einer Kugel zusammen. „Die Tiere können durch die scharfen Messer massive Verletzungen erleiden”, betont die NABU-Gartenexpertin Marja Rottleb. Die Gartenbesitzer bekommen dies oft nicht mit, da sich die schwerverletzten Tiere noch vom Rasen in irgendein Versteck schleppen, um dort zu sterben. Könnten Igel mit Schmerzschreien auf ihr trauriges Schicksal aufmerksam machen, dann bliebe so mancher Mähroboter bei Nacht in der ‚Garage‘. Mähroboter sollten, wenn überhaupt, nur tagsüber eingesetzt werden – oder am besten überhaupt nicht. Wo ständig der Mähroboter rollt, überleben keine Blühpflanzen oder Kräuter, und damit fehlt die Nahrung für Insekten. Selbstverständlich gilt erhöhte Vorsicht auch beim Einsatz von Fadenmähern oder größeren Freischneidern: “Unter Hecken und im hohen Gras sollte man vor dem Mähen unbedingt mit einem Laubrechen prüfen, ob dort ein Igel schläft“, so nochmals Marja Rottleb.

Dunkler Mähroboter auf grünem kurzen Rasen.
Da kommt der Mähroboter und sorgt für extremen Kurzschnitt des Rasens. Er bedeutet eine nicht zu unterschätzende Gefahr für Igel, Eidechsen, Kröten und andere Kleintiere, die gerne mal übersehen werden. Ich habe an dieser Stelle ganz bewusst auf Fotos von fürchterlich verstümmelten Igeln verzichtet. Davon gibt es genügend im Internet zu sehen. Leider! (Bild: Ulsamer)

Igeln darf in Deutschland ganzjährig nicht nachgestellt werden, sie dürfen weder getötet noch verletzt oder gefangen werden. Ihre Populationen gehen dennoch zurück, und so befindet sich der Igel in Bayern bereits auf der Vorwarnliste der Roten Liste für gefährdete Arten. Ein Alarmzeichen! Daher sollten wir alles tun, um den Igeln wieder mehr Lebensraum zu sichern, und dies gilt für den landwirtschaftlichen Bereich ebenso wie für die Waldränder oder den urbanen Raum. Wir brauchen wieder mehr Gebüsch, Hecken, Stein- oder Reisighaufen und Totholz, aber auch Brachflächen, Streuobstwiesen, extensiv genutzte Weiden und Ackerflächen ohne Monokulturen. Und die chemische Keule sollte weder auf Feldern noch in Parks und Gärten zuschlagen. Wichtig ist ein Verbund von Biotopen auch im ländlichen Bereich, der Igeln längere Wanderungen ermöglicht. Gerade männliche Tiere sind oft auf einer Fläche von einem Quadratkilometer unterwegs, nicht zuletzt in der Paarungszeit. Im städtischen Bereich ist der Aktionsraum deutlich kleiner, allerdings sollte zwischen den Gärten ein Igel immer einen Durchschlupf finden, um sich so ein ausreichendes Nahrungsangebot erschließen zu können, im Idealfall ohne eine Straße überqueren zu müssen. Nicht nur in Dürrezeiten – die sich mehren – braucht der Igel Wasser zum Überleben. Eine Vogeltränke oder ein kleiner Tümpel mit flachem Ufer können ebenso helfen wie zugängliche Bachufer oder Seen. Ein Swimmingpool ist dagegen eine tödliche Gefahr, denn der Igel kann zwar schwimmen, aber er kann nicht mehr herausklettern.

Ein kleiner und ein etwas größerer Igel fressen Haferflocken, die für Vögel vorgesehen waren.
Igel sind im Grunde Einzelgänger, doch diese beiden zog das Streufutter für Vögel an, nachdem sie das Igelfutter schon verputzt hatten. (Bild: Ulsamer)

Mehr Natur wagen

Igel haben den Vorteil, dass sie durch ihr Äußeres eigentlich überall auf Wohlwollen treffen. Diese freundliche Zuneigung muss sich allerdings auch im Schutz des Lebensraums der Stacheltiere niederschlagen. Daran fehlt es jedoch immer häufiger. Natur verschwindet in vielen Gärten unter Schotter oder Folie gegen ‚Unkräuter‘. Kleinparzellierte Gärten im urbanen Bereich, in denen sich statt einigen heimischen Sträuchern nur noch ‚englischer‘ Rasen oder exotische Pflanzen finden, und immer großflächigere Monokulturen im Agrarbereich rauben den Igeln ihren Lebensraum. Es ist Zeit für ein Umdenken: Die Natur muss erhalten und gefördert werden.

Im eigenen Garten können wir die Basis für ein igelgerechtes Nahrungsangebot sowie für Tages- und Winterquartiere schaffen, doch es ist auch an der Zeit, dass alle kommunalen, landes- oder bundeseigenen Flächen ökologischer ‚genutzt‘ werden. Im landwirtschaftlichen Bereich hilft nur eine Agrarrevolution, die Flächensubventionen abschafft und Förderung direkt an ökologische Maßnahmen knüpft. Diese Neuorientierung würde die ohnehin ökologisch orientierten Bauern unterstützen. Eine grundlegende Verbesserung lässt sich für viele Tiere und Pflanzen nur erreichen, wenn im Agrarbereich umgedacht wird, denn über die Hälfte der Landesfläche wird landwirtschaftlich genutzt. Es ist aber an uns allen, wo immer möglich, mehr für Igel, Vögel, Insekten & Co. zu tun. Nur gemeinsam können wir die desolate Lage der Natur in Deutschland verbessern!

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