Hubertus Heil wird zum Oberregulator der Republik
Meiner Meinung nach spricht wirklich nichts dagegen, Arbeiten von zuhause aus zu erledigen, die die Anwesenheit im Büro, in der Fabrikhalle oder Werkstatt nicht erfordern. Warum denn Zeit für die Anfahrt verlieren, möglichst noch in einem Stau landen oder sich in Corona-Zeiten in eine Bahn setzen, wenn man dank Laptop gleich nach dem Frühstück loslegen kann. Bis hierher passt für mich der Vorschlag von Hubertus Heil, unserem SPD-Bundesarbeitsminister, sehr gut, der sich allerdings immer stärker als Oberregulator der Republik geriert. Muss es denn schon wieder eine gesetzliche Regelung sein, mit der er mindestens 24 Tage Homeoffice pro Arbeitnehmer durchsetzen möchte? Schnell wird dann der Streit ausbrechen, welche Tätigkeiten denn von zuhause aus erledigt werden können, und nach Corona könnten auch Arbeitgeber auf die lukrative Idee kommen, doch flugs Arbeitsplätze im Unternehmen räumlich einzusparen und – dem ‚Mobile-Arbeit-Gesetz‘ folgend – in Küche, Flur und Wohnzimmer des Mitarbeiters zu verlagern. Hubertus Heil sollte sich mal in Ruhe die digitale Infrastruktur in unserem Land ansehen und bitte gleichfalls die Wohnsituation vieler Bürger, dann würden ihm schnell die Grenzen seines Gesetzentwurfs selbst auffallen.

Wenn der Stuhl wackelt
Vor einigen Jahrzehnten war es noch deutlich einfacher, ein häusliches Arbeitszimmer von der Steuer abzusetzen, doch die heutigen Steuergesetze sind hier wenig hilfreich. So werden viele mit dem ‚Mobile-Arbeit-Gesetz‘ beglückte Arbeitnehmer im häuslichen Bereich irgendwo am schlecht beleuchteten Ecktisch auf einem wackeligen Stuhl für das Unternehmen werkeln müssen unter Arbeitsumständen, die sie im Betrieb zu recht niemals akzeptieren würden. Zur räumlichen Misere addiert sich meist auch die schlechte Mobilfunkabdeckung, denn selbst in Städten ist die Qualität des Mobilfunks häufig mangelhaft, und per Leitung und WLAN holpert es im digitalen Zeitalter dennoch allerorten. Anja Karliczek, die Kabinettskollegin des Arbeitsministers, und ihres Zeichens Ministerin für Bildung und Wissenschaft meinte ja auch: “5G ist nicht an jeder Milchkanne notwendig.” Dies mag schon sein, doch als Grundanspruch muss doch in Deutschland gelten, schnelle digitale Netze in der Fläche anzubieten. Es ist kein Trost, wenn an der letzten Milchkanne auf 4 G/LTE verwiesen wird, denn die Funklöcher reihen sich schon jetzt aneinander wie die Schlaglöcher auf zahlreichen Straßen. Vielleicht lebt Heil ja noch in den Zeiten, in denen unter Heimarbeit das Zusammenbauen einfacher Teile verstanden wurde. In Unternehmen sind heute Spezialisten dafür zuständig, die Informations- und Kommunikationsnetze am Laufen zu halten und diese werden sich freuen, wenn sie sich auch noch mit den Mängeln in privaten Räumen befassen können.

Nun habe ich lange in einem großen Unternehmen gearbeitet, doch kenne ich die Situation gleichfalls aus meiner Zeit im Mittelstand: Auf einen ergonomischen und gut beleuchteten Arbeitsplatz wird durchaus geachtet, aber vielleicht denkt der Arbeitsminister auch, dieser würde mit dem vom Arbeitgeber überlassenen PC oder Laptop gleich nach Hause mitgeliefert. Von Hubertus Heil hätte ich erwartet, dass er doch etwas bürgernäher denkt und handelt: Doch schon wieder Fehlanzeige. Bei vielen Mitarbeitern im Homeoffice wird der Couchtisch, eine Ecke im Esszimmer bzw. in der Küche oder der Kinderspieltisch abends als Büroersatz herhalten müssen. Klar – solche Sorgen plagen unsere Spitzenpolitiker ohnehin nicht! Im Deutschlandfunk-Interview meinte Heil auf die Nachfrage nach der Absetzbarkeit eines Arbeitszimmers: „Über steuerliche Dinge kann man ja sprechen. Es gibt ja die Möglichkeit heute, auch Arbeitszimmer abzusetzen. Das ist relativ restriktiv. Das ist aber eine andere Baustelle.“ So ist das mit unseren Bundesministern, sie verstehen es trefflich von wichtigen Themen abzulenken. Für die Mehrheit der neuen Homeoffice’ler ist die Frage eines Arbeitszimmers (wenn überhaupt!) und dessen Absetzbarkeit eben keine Banalität, sondern von zentraler Bedeutung.

Homeoffice am Küchentisch
Hubertus Heil legt selbstredend großen Wert darauf, dass die Arbeitszeiterfassung nicht zu kurz kommt. „Mir geht es um einen Ordnungsrahmen für mobiles Arbeiten. Dazu gehört übrigens auch, dass wir dafür sorgen, dass durch mobiles Arbeiten die Arbeit nicht entgrenzt wird und das Privatleben aufgefressen wird. Deshalb müssen wir auch deutlich machen, dass die Arbeitszeitgesetze auch im Homeoffice gelten. Auch im Homeoffice oder beim mobilen Arbeiten muss mal Feierabend sein.“ Gerne palavern Politiker vom Abbau der Bürokratie, doch eines ist sicher, das Mobile-Arbeit-Gesetz wird gerade bei der Arbeitszeiterfassung oder bei Ruhezeiten einen Mehraufwand mit sich bringen. Dies gilt selbst dann, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf eine Arbeitszeiterfassung im gegenseitigen Einvernehmen verzichten würden. Dann marschieren Betriebsräte auf oder die Gesetzeskeule wird geschwungen, und schon wird wieder eifrig notiert, erfasst, gespeichert. Wer als Vorgesetzter nicht auf die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeiten achtet, der steht schon mit einem Fuß im Gefängnis. „Die Arbeitnehmer müssen nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden haben.“ So ist es denn beim Homeoffice oder mobilen Arbeiten mit allzu großer Flexibilität nicht weit her: Am Nachmittag mit den Kindern Hausaufgaben machen und am späteren Abend nochmals der Erwerbstätigkeit nachgehen, dann am nächsten Vormittag – wenn die Kinder um 7.15 Uhr auf dem Weg zur Schule sind – wieder loslegen, das darf der Arbeitnehmer nach der Gesetzeslage nicht!

Viele Versicherungsfragen bleiben bisher ungelöst, wenn man während der Homeoffice-Tage z.B. mit den Kindern zwischendurch zum Arzt geht. „Wenn man beispielsweise das Kind in die Kita bringt und dann nachhause zurückfährt, ist man bisher, wenn man dann Homeoffice macht, nicht gesetzlich versichert. Diese Schutzlücke will ich schließen“, meint der Bundesarbeitsminister. Da sehe ich schon eine Vielzahl von offenen juristischen Fragen aufscheinen, die eine besonders penible Erfassung von Arbeitszeiten erzwingen werden. Ein Stopp auf dem Rückweg von der Kita am Supermarkt wäre allemal nicht abgesichert. Wenn der Mitarbeiter auf dem Weg zur Kantine auf dem Werksgelände stürzt, ist dies anders zu sehen, als ein Sturz in der eigenen Küche aus dem gleichen Grund. Für alles wird der ministerielle Heilsbringer noch eine ‚Lösung‘ austüfteln lassen, aber ohne detailverliebten Bürokratismus wird dies nicht abgehen.

Vertrauen statt Paragraphen
Aus meiner Sicht macht es keinen Sinn, die Unternehmen, Verbände und Institutionen ausgerechnet in Corona-Zeiten mit neuen Gesetzen und Verordnungen zu belasten. Es hat sich doch gezeigt, dass gerade wegen der Covid-19-Pandemie weit mehr zuhause gearbeitet wird als vorher. Diese Impulse sollten aufgegriffen werden, ohne gleich wieder ein Gesetz zu formulieren. Und wie ist Hubertus Heil ausgerechnet auf 24 Tage gekommen? Wäre es nicht besser, im Sinne der Eigenverantwortung, Arbeitnehmer, Betriebsräte und Arbeitgeber, aber auch die Tarifpartner innovative Lösungen für das mobile Arbeiten gemeinsam entwickeln zu lassen? Ich denke schon!
Ich habe ganz gewiss nichts gegen mobiles Arbeiten und habe dies bei zwei großen Vorhaben auch selbst genutzt, wobei aber nicht mein Arbeitgeber das Problem war, sondern die bereits erwähnten löchrigen Datennetze! Empfangslöcher machten das Arbeiten an verschiedenen Orten oder gar im Zug zu einem Glücksspiel. Hier liegt doch der Hase im Pfeffer: Leitungsgebundene und mobile Kommunikationsnetze müssen leistungsfähiger werden, wenn mobiles Arbeiten wirklich Vorteile bringen soll.
Arbeitsminister neigen meist zu Eifer bei der Gesetzgebung. Auch Hubertus Heil sollte aufhören, sich als Oberregulator der Republik zu gerieren! Wer mehr Flexibilität bei der Arbeit will, der sollte auf mehr Vertrauen setzen und nicht beständig die Arbeitswelt mit neuen Paragraphen beglücken.
Sehr geehrter Herr Dr. Ulsamer,
vielen Dank für Ihren erhellenden Artikel.
Die angestrebte gesetzliche Regelung kann nie ein präzise Vorgabe für die Beteiligten schaffen. Es wird also viel Spielraum für Interpretationen bleiben, mit denen sich die Arbeitsgerichte dann beschäftigen können.
Sinnvolles Arbeiten in der eigenen Wohnung ist nur möglich, wenn dafür ein eigener Raum zur Verfügung steht.
Die damit verbundene Kostensenkung werden die Betrieb sicher schätzen.
Arbeiten von zuhause kann für beide Seiten von Vorteil sein.
Dies ist dann nach meiner Ansicht auch die Basis für eine vertragliche Regelung, ohne dass der Gesetzgeber versucht diese vorzugeben.
Es gab Zeiten in denen von Tarifpartnerschaft gesprochen worden ist. Dieses Thema wäre geeignet partnerschaftliche Lösungen, interessengrecht anzustreben.
Mit freundlichen Grüßen aus Immendingen
Gerhard Walter
Sehr geehrter Herr Walter,
vielen Dank für Ihre interessanten Ausführungen, die ich inhaltlich teile. Ja, wir sollten für das ‘Homeoffice’ – wie Sie schreiben – “partnerschaftliche Lösungen” suchen!
Mit besten Grüßen
Lothar Ulsamer