Die Kraft der Natur nutzen
Auf den ersten Blick, und auch auf den zweiten, war es bedrückend, als ich im Harz sterbende Bäume erblickte – in einem Ausmaß, das ich bisher so noch nicht gesehen hatte. All die abgestorbenen Fichten, die sich ohne Nadeln und Rinde gen Himmel recken, sind jedoch nicht das Ende des Waldes, sondern sie sind stehende oder liegende Symbole einer verfehlten Forstpolitik. Ein wenig aufgemuntert hat mich dieser Gedanke schon: Hier stirbt nicht der Wald, sondern großflächige Monokulturen finden ihr Ende. Und daran ist nicht in erster Linie der Klimawandel schuld, sondern die Vermessenheit vieler für den Forst Verantwortlicher, die glaubten, der Natur ein Schnippchen schlagen zu können, indem sie aus Wäldern, die sich aus sich selbst heraus regeneriert hätten, Forststrukturen schufen, in denen eine Baumart in Reih und Glied gepflanzt wurde. Lange ist das gut gegangen, obwohl Borkenkäferattacken auf Fichtenforste gewiss keine Neuheit sind. Wo seit ein oder zwei Jahrhunderten eintönige Fichtenbestände dominieren, da gehört dieser Baum zumeist nicht hin. Die Erderwärmung und lange Dürreperioden sind nur der letzte Anstoß für das Fichtensterben in weiten Teilen Deutschlands. Zu lange haben zahlreiche Förster auf den vermeintlichen Brotbaum Fichte gesetzt, doch diese Sackgasse haben sie häufig angesteuert, weil private und öffentliche Waldbesitzer nur auf den kurzfristigen Gewinn bzw. den Finanzmittelzufluss in kommunale Kassen oder die Etats von Ländern und Bund geschaut haben. So ist es nicht fünf vor zwölf, sondern fünf nach zwölf in den Forstmonokulturen, und die Folgen haben mich im Harz wirklich entsetzt.
Mischwald ist widerstandsfähiger
Zwischen den dahinsiechenden Fichten oder deren längst abgestorbenen hellen Stämmen regt sich neues Leben. So manche kleine Fichte wächst unverdrossen neben dem Stumpf einer vorhergehenden Generation oder gar direkt aus dem vermeintlichen Totholz, das so wichtig für den nachwachsenden Wald und viele seiner Bewohner ist. Buchen versuchen den Raum wieder zu besetzen, den ihre Vorfahren lange einnahmen und den ihnen der forstwirtschaftlich tätige Mensch genommen hat. Jetzt waren die Blätter der zaghaft aufwachsenden Buchen zwar herbstlich gefärbt, doch sie geben dennoch Anlass zur Freude: Gerade im Nationalpark Harz und auf umliegenden Flächen haben die Buchen eine Chance, den Wald von morgen durch Naturverjüngung hervorzubringen. Und wenn auf Wirtschaftsflächen Waldbesitzer und Förster zu Buchensetzlingen greifen, dann ist auch das in Ordnung, wenn ein vielfältiger Mischwald entsteht.
Monokulturen sind immer anfälliger als ein Mischwald, und daher muss dieser das Ziel aller Bemühungen sein, was sich im Nationalpark Hainich, der nur knapp zwei Autostunden vom Nationalpark Harz entfernt ist, auf den ersten Blick erkennen lässt. Im größten deutschen Laubwaldgebiet gibt es bisher kein vergleichbares Baumsterben wie im von Fichten geprägten Harz. Am besten ist es, Wälder und Forstflächen möglichst umfassend sich selbst zu überlassen, denn die Natur wird längerfristig in einer solchen Umbruchphase das bessere Ergebnis hervorbringen. Niemand scheint in diesen Tagen so richtig zu wissen, welche Baumarten denn für die Zukunft erfolgversprechend sind, daher sollte man die ‚Auswahl‘ auf weiten Flächen natürlichen Prozessen überantworten. Wenn auf Kahlschlagflächen Ebereschen – auch Vogelbeere genannt – oder Birken heranwachsen, mal Eichen, Buchen oder Tannen und Kiefern ein Plätzchen finden, dann sind dies wichtige Schritte in Richtung auf einen möglichst artenreichen Mischwald. Und in bestimmten Höhenlagen werden auch Fichten heranwachsen können. Drosseln, Amseln und andere gefiederte Freunde haben Vogelbeeren im Übrigen zum Fressen gern!
Einsicht in Fehler notwendig
Eine Waldwende wird nur gelingen, wenn die politischen Entscheidungsträger, aber auch die Forstwirtschaft gemeinsam mit den Flächenbesitzern die bisherigen Fehler klar ansprechen und daraus ein breiter Veränderungswille resultiert. Die notwendige wissenschaftliche Begleitung ist ebenfalls wichtig, doch kommt es letztendlich auf das nachhaltige und zukunftsorientierte Handeln aller Beteiligten an. Bäume müssen wieder in Wäldern heranwachsen dürfen und nicht in vom Menschen vorgeformten Forsten. Natürlich benötigen wir Holz, was natürlich auch die Nutzung von Waldflächen beinhaltet, allerdings brauchen wir eine Abkehr vom Gedanken, Wälder und Forste seien Holzfabriken. Das heißt gleichzeitig, dass nicht der letzte Baumstamm aus Kahlschlägen weggeschleppt werden sollte, sondern ausreichend Totholz auf den Flächen verbleibt. Die vorgeschobene Behauptung, man müsse wegen des Borkenkäferbefalls die Stämme möglichst schnell abtransportieren, trägt nicht, denn sind die Bäume tot, dann bedeutet das auch das Ende für den Buchdrucker, der unter der Borke seine Spuren hinterlässt. In einem Mischwald hätten es die Borkenkäfer ohnehin schwerer gehabt, sich zu verbreiten, weil ihnen nicht alle Baumarten ‚munden‘. Aber wenn Fichten dicht beieinanderstehen, ist die explosionsartige Zunahme der Borkenkäfer bereits vorprogrammiert. Dies gilt in besonderer Weise, wenn die Fichten durch andere Einflussfaktoren bereits geschädigt sind – so z. B. durch Wassermangel und Hitze.
Wenig gelernt haben Forstverantwortliche, wenn sie weiterhin Rehe oder Rothirsche zu ‚Bösewichten‘ abstempeln, die nachwachsenden Bäumchen ans Leder, sprich an Blätter und Rinde wollen. „Ein unnatürlich hoher Verbiss durch zu hohe Wildbestände kann jedoch zu einer starken Beeinträchtigung der gesamten Vegetationsentwicklung führen, so dass auch im Nationalpark auf eine Regulierung dieser Schalenwildarten nicht verzichtet werden kann“, so ein Flyer des Nationalparks Harz. Wenn ich mir die enormen Schäden innerhalb der zugänglichen Nationalparkgebiete und außerhalb liegender Flächen anschaue, dann kann ich nur sagen, dass die Baumgerippe nicht auf die Rechnung von Tieren gehen – weder Rehe noch Borkenkäfer -, sondern auf das falsche Verhalten der Menschen! Kilometerweit sind wir an blauen Flatterbändern entlanggefahren, Schilder wiesen auf eine Treibjagd hin, alle Hochsitze waren besetzt: Es scheint der Irrglaube vorzuherrschen, dass jener Förster die prächtigsten Bäume im Forst hat, der mit Hilfe anderer Jäger am meisten Tiere abschießt. In einem Mischwald, der auf Naturverjüngung zurückgeht, sind die Probleme geringer, auch wenn nicht ständig die Büchsen knallen. Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung! Wer glaubt, mit gebietsfremden Setzlingen oder Samen – wie Douglasien – alle Schwierigkeiten überwinden zu können, die sich bei den Fichten ergeben haben, der produziert die nächste Katastrophe. Einseitige Festlegungen waren noch nie gut, und allemal nicht in Wald und Forst.
Auf Naturverjüngung setzen
Die trockenen Jahre seit 2018 haben allen Wäldern zugesetzt, und daher ist es um so wichtiger, ihnen Ruhe zur Regeneration zu geben, doch das Gegenteil ist der Fall. Im Nationalpark Harz wurde eifrig Totholz entfernt, vorgeblich, um sich besser gegen Waldbrände zu schützen. Der NABU Sachsen-Anhalt reichte dagegen Klage ein und die Nationalparkverwaltung stoppte ihre Aktivitäten – nach eigenen Angaben – entlang eines Wegs bei Schierke. Natürlich möchte auch ich keine Wälder brennen sehen, doch wie sollen neue Bäume und andere Pflanzen aufkommen, wenn man ihnen gewissermaßen die ‚Nahrung‘, das vermodernde Holz, wegnimmt? Die Eingriffsfreude scheint bei der Nationalparkverwaltung im Harz recht groß zu sein, denn so heißt es in der bereits erwähnten Publikation zur ‚Waldentwicklung im Nationalpark Harz‘: „Durch gezielte Eingriffe werden dunkle, geschlossene Fichtenforste aufgelockert, um das notwendige Licht zum Wachstum der kleinen Buchen an den Waldboden zu lassen“. Diesen Teil der Arbeit können sich die Forstleute im Nationalpark nun weitgehend sparen: Licht haben nachwachsende Bäumchen genügend, denn die Fichtenforste sind weitgehend zusammengebrochen. Eher untertrieben ist die Aussage in der ‚Goslarschen Zeitung‘: „Der Waldschadensbericht 2022 für Sachsen-Anhalt hält große Schwierigkeiten in den Wäldern fest. Von den Fichten, der im Harz dominierenden Baumart, weise jeder zweite Baum starke Schäden auf. Die Trockenheit, einer der Gründe für die Probleme, halte an.“ Nun habe ich die Bäume nicht gezählt, aber das Schadensbild ist so dramatisch, dass sicherlich mehr als die Hälfte der Fichten ihr Leben bereits ausgehaucht hat.
„Das bei diesen Maßnahmen anfallende Holz wird an den befahrbaren Wegen abgelagert und verkauft“, so der Flyer der Nationalparkverwaltung weiter. „Ein Verbleiben dieses Holzes in den Flächen ist aus Waldschutzgründen nicht möglich.“ Eine echt abstruse Ansicht! Totholz wegzuschleppen aus „Waldschutzgründen“, das ist nun wirklich eine irreführende Aussage. Und dann kommt es noch besser – nein, schlechter! „Für die nachfolgende Bepflanzung wären die Flächen außerdem nicht begehbar.“ Naturverjüngung scheint ein Fremdwort für manche Vertreter bei der Nationalparkverwaltung im Harz zu sein. Lasst doch die Bäumchen wachsen, die nachkommen, dann muss auch niemand über vermodernde Baumstämme klettern! Die Bayerische Forstverwaltung schreibt zumindest: „Die Naturverjüngung ist der eleganteste Weg, den Generationenwechsel im Bestand einzuleiten. Dabei wird die natürliche Ansamung der Altbäume für die Begründung einer neuen Waldgeneration genutzt. Diese Form der Waldverjüngung zeichnet sich insbesondere durch ihre wirtschaftlichen und ökologischen Vorteile aus.“ Ob in Bayern immer entsprechend gehandelt wird, das weiß ich nicht, doch zumindest der Ansatz ist richtig.
Ausverkauf der Wälder stoppen
Im Jahr 2021 stieg der Holzeinschlag in Deutschland auf 82,9 Mio. m³. Damit lag er nochmals 3,2 % über dem Jahr 2020. In meinem Blog-Beitrag ‚Ausverkauf im deutschen Wald?‘ hatte ich im Mai 2021 darauf hingewiesen, dass 2020 mit 80,4 Mio. m³ mehr Holz eingeschlagen wurde als in jedem anderen Jahr seit der Wiedervereinigung. Die Holzberge links und rechts der Forstwege sind weiter erschreckend hoch, und sie unterstreichen eindrücklich, dass unsere Wälder mehr Schutz brauchen. Eine Perversion ist es, dass bei solchen Einschlagmengen zeitweise das Bauholz knapp wurde und die Preise bis heute auf einem hohen Niveau verharren. Eine Mitschuld tragen gestiegene Exporte nach China und in die USA. Es kann nicht richtig sein, die deutschen Wälder auszuplündern, um damit Geschäfte in Übersee zu machen. Wer heute den Klimawandel aufhalten möchte, der kann doch nicht eifrig die Einschlagmengen erhöhen – oder hat sich noch nicht herumgesprochen, dass Bäume CO2 speichern?
In marktwirtschaftlichen Systemen ist Holz ein handelbares Gut, und dies ist auch richtig so. Die soziale und ökologische Marktwirtschaft allerdings muss den Gewinninteressen Grenzen setzen, wenn dabei andere Güter gefährdet werden. Man kann nicht nur in Sonntagsreden über die Bedeutung des Waldes als CO2-Senke fabulieren und wochentags die Vollernter breite Schneisen in die Wälder und Forstplantagen schlagen lassen. Völlig abwegig ist es, dass bei manchen Waldbauern kaum ein Ertrag hängenbleibt, Händler und Spekulanten dagegen das Holz auf dem Weg in die USA oder auch nach China vergolden können und hohe Gewinne abgreifen, oder wenn es als Parkett wieder nach Deutschland zurückgeschippert wird. Als Steuerzahler kann ich es nur als üblen Witz empfinden, dass öffentliche Kassen Schäden durch Käferbefall ausgleichen oder Subventionen bezahlen, um den Preisverfall abzufedern und anschließend klingeln im internationalen Holzhandel die Kassen. Und zum Entfernen von sogenanntem ‚Käferholz‘ rückte dann auch noch die Bundeswehr an. Eine solche Entwicklung hat nichts mit Markwirtschaft zu tun! Wenn gleichzeitig in Deutschland Holzbauunternehmen über extreme Preissteigerungen und gar Knappheit an Bauholz klagen, wird der politische Änderungsbedarf noch offensichtlicher. Holz ist eine Ware, und ich kaufe ja auch Artikel aus Holz, doch die Priorität muss heute auf den Erhalt und die Stärkung der Wälder gelegt werden.
Wälder brauchen Zeit
Kehren wir nochmals in den Harz zurück. Die Fichtenbestände, die jetzt Baum um Baum ihren Geist aufgeben, sind ein deutlicher Beleg dafür, dass es keinen Sinn macht, einseitig auf eine Baumart zu setzen. Die über lange Perioden dominierenden Buchen fielen dem Raubbau zum Opfer, der durch Bergwerke, Verhüttung oder Salinen ausgelöst wurde. Darauf folgten Monokulturen aus Fichten – wie bereits beschrieben. Nun konnten die Menschen, die vor 100 oder 200 Jahren Setzlinge in den Boden brachten, nicht wissen, dass der Klimawandel dynamisch voranschreiten würde und Erderwärmung bzw. Dürre den Fichten eines Tages die Lebensgrundlage entziehen würden. Doch ihre Bäume sind längst gefällt, die jetzt betroffenen Fichten sind keine Baumveteranen, sondern stammen in weiten Regionen aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Als sie gesetzt und gehegt wurden, hätte man bei etwas Voraussicht darauf kommen können, dass Monokulturen mit Fichten zum Problem werden könnten – allemal in dieser Höhenlage und Klimazone.
Gerne berufen sich Wissenschaftler und Praktiker darauf, dass der Gedanke der Nachhaltigkeit gewissermaßen im Wald erfunden wurde. Der kurfürstlich-sächsische Bergrat Hans Carl von Carlowitz zielte 1713 auf die Forstwirtschaft und forderte eine „continuirlich beständige und nachhaltende Nutzung“ der Wälder in einer Periode des Raubbaus, und auch nach drei Jahrhunderten liegt er richtig. Wenn wir heute den Wäldern nicht mehr Zeit zur natürlichen Entwicklung geben, dann schaden wir uns selbst und nachwachsenden Generationen. Dies gilt noch mehr für ihren vom Menschen geformten Verwandten, den Forst. Der Forst muss wieder zum Wald werden, der sich überwiegend durch Naturverjüngung erhält. Es mag immer Flächen geben, auf denen Bäume systematisch angepflanzt werden müssen, doch das muss die Ausnahme sein. Die Natur weiß im Regelfall besser, was sich in der Zukunft in unseren Breitengraden an Pflanzen durchsetzen wird. Und wir müssen dann alles tun, um damit zurechtzukommen. Wer jetzt eifrig für die Anpflanzung von gebietsfremden Baumarten wirbt, der macht vermutlich den gleichen Fehler wie die Propheten der Fichtenmonokulturen in früheren Zeiten. Wer recht hat, lässt sich bei Wäldern meist erst nach 50 oder 100 Jahren feststellen, daher ist man mit Mischwäldern eher auf der richtigen Seite.
‚Don’t put all your eggs in one basket‘, diesen klugen Hinweis haben wir erstmals im schottischen Aberdeen in Bezug auf die Ölindustrie gehört. Man sollte niemals alle Ressourcen auf ein Thema, einen Aspekt konzentrieren, denn bei einem Scheitern steht man ziemlich blank da. In besonderem Maße ist das für Wald und Forst zutreffend: Mischwald ist besser als Monokulturen. Wer auf Sukzession setzt, bekommt artenreiche Wälder. Wo Eichelhäher und Eichhörnchen noch nicht in die Städte abgewandert sind, können sie einen Beitrag zur Vielfalt in den Wäldern leisten, denn so mancher Samen, den sie verstecken und nicht mehr abholen, wird zu einem neuen Strauch oder Baum. Ich hoffe sehr, dass im Harz die Freiflächen, auf denen die Fichten abgestorben sind, die Zeit bekommen, um aus sich heraus neue Wälder zu bilden. Mögen Forstmonokulturen am Ende sein, die Wälder sind es nicht! Ohne Zeit und Geduld wird es weder innerhalb des Nationalparks Harz noch auf anderen Flächen gehen, damit aus der Tristesse sterbender Fichten neue Wälder entstehen können. Mir zumindest haben die roten Beeren der Ebereschen, die Blätter der kleinen Buchen und Eichen oder die grünen Nadeln einiger Kiefern und nachwachsender Fichten Mut gemacht. Je nach Untergrund am Standort und der Versorgung mit Nährstoffen und Wasser werden sie die Entwicklung mitprägen können. Wenn wir die Fehler vergangener Jahrzehnte vermeiden wollen, müssen wir mehr auf die Kraft der Natur und weniger auf forstwirtschaftliche Eingriffe setzen!
4 Antworten auf „Harz: Der Forst stirbt, ein Wald wächst“