Eine Million Touristen stürmen UNESCO-Welterbestätte
Von ‚Overtourism‘ hatte ich bisher nur gelesen, doch als wir auf den Spuren der frühen Hallstatt-Kultur in den gleichnamigen österreichischen Ort reisten, da erlebten wir hautnah, dass Tagestouristen zu einer Belastung für die ansässigen Bewohner werden können. Eine Million Tagesgäste stürmen pro Jahr die 750-Seelen-Gemeinde Hallstatt in Oberösterreich: Die Gäste kommen überwiegend aus Asien und erreichen ihr Ziel per Bus, aber auch in zahllosen Mietwagen. Im vergangenen Jahr luden sage und schreibe 19 344 Reisebusse ihre Passagiere am Mini-Busbahnhof in unmittelbarer Nähe des Hallstätter Sees aus. Die Geduld selbst vieler, die im Tourismus ihren Lebensunterhalt verdienen, ging zur Neige, und so soll ab 2020 die Zahl der Busse durch die Vergabe von Einfahr-Slots und einer Gebühr gesteuert werden. Ob dies wirklich eine gewisse Senkung der Touristenzahl bringt, muss sich noch zeigen. Zahllose papiergewordene Hilfeschreie prangen an Haustüren, Holzstapeln und Gartenzäunen: „Quiet please“. Der Konflikt zwischen so manchem Einwohner und den Gästen resultiert aus der schieren Zahl an Besuchern und nicht aus deren geografischer Herkunft.

Tagestouristen bringen wenig Geld ins Dorf
Für Hallstatt ist der Tourismus die wichtigste Einnahmequelle, dies lässt sich nicht leugnen. Die lange Geschichte des Salzes, die Jahrtausende zurückreicht, ist zwar nicht beendet, doch es arbeiten nur noch wenige Bürger in der Salzgewinnung. Daher wollen die Kritiker im Dorf die Touristen auch nicht vertreiben, sondern die Flut der Besucher kanalisieren, die nur für ein oder zwei Stunden entlang der Seestraße bis zum Ortskern eilen. Und ganz ehrlich: Wer so wenig Zeit mitbringt, der trägt natürlich kaum zur Wertschöpfung in dieser ländlichen Region bei. Nicht wenige Hallstatt-Fans scheinen nur das stille Örtchen am Busausstieg zu besuchen, das 120 000 Euro in die Gemeindekasse spülen soll. Etwas beruhigt war ich zumindest in dieser Hinsicht, als ich mich über die Anbindung an die nächstgelegene Kläranlage informierte. Diese ist gegeben, was nicht in allen Touri-Destinationen so ist.

Die Bedeutung der Tagestouristen für die lokale Wirtschaft wird naturgemäß unterschiedlich gewichtet. In den Oberösterreichischen Nachrichten betonte Peter Untersperger, der Vorstandsvorsitzende der Salinen Austria AG: “Die vielen Touristen in den Salzwelten sind von großer Bedeutung für uns“, und damit hat er ohne Zweifel recht. Doch die Mehrheit der Kurzbesucher saust im Geschwindschritt nur eine Häuserzeile entlang. Wer höhere Erlöse für die Gewerbetreibenden möchte, der muss durch entsprechende Programme die Touristen länger am Ort halten. Nicht so ganz folgen kann ich Edmund Brandner, der im gleichen Beitrag schrieb: „Auch seine funktionierende Nahversorgung verdankt der kleine Ort den vielen Gästen.“ Das Angebot im kleinen Supermarkt in Hallstatt – einst ein Spar-Laden – orientiert sich nur marginal an den täglichen Bedürfnissen der Einwohner, sondern bietet allerlei Erzeugnisse an, die gerne als Mitbringsel nach Asien transportiert werden. Bei manchem Produkt hatte ich den Eindruck, dass es den gleichen Weg schon einmal im Container – allerdings in umgekehrter Richtung – zurückgelegt hatte.

„Hallstatt is no museum“
Rd. 140 000 Übernachtungen kann Hallstatt pro Jahr vermelden. Dies zeigt die Bedeutung des Tourismus ganz augenfällig: Mit solchen Gästen, die wenigstens eine Nacht bleiben, kommt eher Geld in die Schatulle. Aber eine Million Tagesgäste, das verkraftet keine Gemeinde, die im Grunde aus einer kleinen, engen, malerischen Gasse am See und einigen Nebenwegen besteht. Sprachlich haben sich die Restaurants und Geschäfte mit mehrsprachigen Informationen auf die Gäste gerade auch aus China oder Südkorea eingerichtet, die den Löwenanteil der Besucher stellen. Doch so manchem Dorfbewohner geht es gewaltig gegen den Strich, dass seine Privatsphäre kaum gewahrt wird, weil der ein oder andere Besucher aus Fernost auf der Suche nach dem optimalen Fotomotiv gerne mal durch Häuser, Wohnungen oder Gärten stapft!

So ist es nicht verwunderlich, dass eine Unzahl von kleineren und großen Hinweisschildern Verhaltensregeln für die Besucher enthalten. Natürlich auch in den Landessprachen. Die Gemeinde weist dazuhin an allen Ecken und Enden darauf hin, „Hallstatt is no museum“, und bittet die Besucher, den Einwohnern mit Respekt entgegenzutreten. Pulks von Menschen mit Smartphones und umfangreicherem Equipment belagern regelrecht einige besonders markante Punkte, und da geht es dann gerne etwas lauter zu. „Quiet please“ ist nicht nur einmal zu lesen, wie auch Verbotsschilder für Drohnenflüge.

Mit ausländischen Bussen nach ‚Little China‘
Auch regionale Busunternehmen ziehen im Übrigen kaum Nutzen aus der gigantischen Zahl von Tagesbesuchern, da hier Busse aus Tschechien, Polen oder Ungarn dominieren. Viele der asiatischen Touristen fliegen zu ihrer Europa-Blitzreise über Prag ein und schauen dann im Galopp Cesky Krumlov, Salzburg und eben Hallstatt an. Zwar fragt man sich, wenn man in Hallstatt unterwegs ist, ob man wirklich in Österreich ist, aber ich finde es bemerkenswert, dass so viele – gerade auch junge – Menschen aus asiatischen Ländern Reiseziele in Europa ansteuern. Ich kann nur hoffen, dass sie nicht den Eindruck mit nach Hause nehmen, der europäische Kontinent sei nur noch ein Museum, in dem die letzten Ureinwohner zu Abnehmern chinesischer und südkoreanischer Produkte geworden sind. Das Interesse der Besucher aus Asien an Europa ist aus meiner Sicht auf jeden Fall positiv zu bewerten.

Dennoch muss der Besucherzuwachs gebremst werden, wenn das eigentliche ‚Produkt‘, die Gemeinde Hallstatt mit ihren malerisch am Berghang hängenden Häusern, die ansprechende Landschaft und die Historie, nicht leiden soll. Bis zu 10 000 Besucher am Tag, das würde selbst größere Kommunen an den Rand des Erträglichen bringen. Kamen 2010 noch 3 440 Busse nach Hallstatt, so waren es 2018 – wie eingangs erwähnt – 19 344! Der Bürgermeister von Hallstatt, Alexander Scheutz, hatte sich zwar lange gegen eine Art ‚Eintrittsgeld‘ gewehrt, wie es z.B. Venedig erhebt, doch unter dem Druck der Bürger stimmte er dem Slot-System zu, bei dem Busunternehmen ein Zeitfenster buchen und dafür eine Gebühr von 80 EURO entrichten müssen. 2015 hatte die Bürgerliste Hallstatt überraschend 28% der Stimmen geholt, und da wurde es selbst dem SPÖ-Bürgermeister heiß. An Spitzentagen sollen längerfristig statt 100 Bussen nur noch die Hälfte durch den Tunnel nach Hallstatt rollen. Ob sich dies reibungslos umsetzen lässt, wage ich doch zu bezweifeln, da viele Reisen für das kommende Jahr längst beworben wurden und ausgebucht sind.

Hallstatt: der Publikumsmagnet
So manches in die Jahre gekommene frühere Luxushotel an der Schwarzwaldhochstraße in Baden-Württemberg hätte sich vielleicht mit Touristen aus Asien am Leben erhalten lassen, die der museale Charme anzuziehen scheint. So ist es eben, der eine Ort hat zu viele Tagesbesucher, dem anderen fehlen sie. Zum Hallstatt-Boom hat in Asien weniger das UNESCO-Prädikat beigetragen, denn zum Gräberfeld aus der Bronze- und Eisenzeit oder den Orten der Salzgewinnung zieht es die wenigsten Besucher aus Asien.

Hallstatts Ruf verbreitete sich über Film und Fernsehen. In Südkorea trug eine TV-Soap – ‚Spring Waltz‘ – dazu bei, die Begeisterung für Hallstatt zu wecken. Und da im Fernsehen eine dramatische Liebesgeschichte die tragende Rolle spielt, wollen auch viele Landsleute mit einem Foto vom Drehort – zum Teil in Brautkleid und Smoking – den Familien- und Freundeskreis beeindrucken. Ausgestrahlt wurde die Serie gleichfalls in Japan, Taiwan, Thailand, Hongkong, Singapur, Malaysia, Macau, Brunei und auf den Philippinen – und aus diesen Ländern rekrutieren sich viele Besucher. In China andererseits bauten Investoren den ganzen Ort in der Provinz Guangdong nach, allerdings teilweise spiegelverkehrt. Aber auch diese Kopie scheint die Menschen eher zu ermutigen, sich nach Hallstatt aufzumachen und das Original selbst in Augenschein zu nehmen. Generell ist der Filmtourismus von großer Bedeutung für die Regionen, in denen die Drehorte liegen, dies galt vor Jahrzehnten für das irische Kerry mit Ryan’s Daughter oder für Nordirland mit Game of Thrones.

Ich habe volles Verständnis dafür, wenn sich Menschen Hallstatt und die Region in natura anschauen, denn wir haben es ja auch gerade getan. Trotz der Touristenströme war es in den ersten Oktobertagen durchaus möglich, sich in Ruhe das hochinteressante Heimatmuseum anzuschauen oder die geschichtsträchtige katholische bzw. evangelische Kirche zu besuchen. Und unter dem Sportgeschäft Janu wird sogar ein Einblick in mehrere Epochen vermittelt: Reste von Bauten aus römischer Zeit und aus der Ära der Habsburger, aber auch die Salinenschmiede haben in Stein ihre Spuren hinterlassen. Nicht überlaufen waren all die pittoresken Nebenwege im Ort, und sowohl die Fahrt mit der Salzbergbahn zum Gräberfeld, genauso wie die Tour durch die Stollen des Salzbergwerks war vom Andrang her machbar. Ein Foto im weniger stylischen ‚Bergmannsanzug‘ von der 64 Meter langen Untertagerutsche macht dagegen wohl weniger her, als ein gestelltes Bild auf dem Skywalk in Highheels hoch über Hallstatt. Am Abend konnten wir unseren Hunger in verschiedenen Restaurants mit Reinanke oder Saibling aus dem Hallstätter See und anderen lokalen Schmankerln in aller Ruhe stillen, denn der Sturm der Tagestouristen hatte sich dann längst gelegt.

Hallstatt ist sicherlich gut beraten, auf mehr Nachhaltigkeit im Tourismus zu setzen, denn Touristenfluten spülen schnell mal das gute Image weg oder sind gewissen Moden unterworfen. Leicht abwegig ist es daher, jetzt auch noch die Werbetrommel in Indien rühren zu wollen. Vielleicht sollten die Verantwortlichen zuerst ein Tourismus-Konzept umsetzen, das Hallstatt seinen Charme lässt und die Einwohner nicht überfordert. Die Geschichte der menschlichen Nutzung des Salzes, die in einem Hochtal über Hallstatt 7000 Jahre zurückreicht, der Salzbergbau ab 1500 vor Christus, die mehrere Tausend Gräber aus der älteren Eisenzeit, aber auch die Artefakte der Volkskultur sind gute Gründe für einen Besuch in Hallstatt. Und diese Themen dürfen touristisch nicht unter dem Ansturm der eiligen Tagesbesucher leiden. Auf die historischen Aspekte, die uns nach Hallstatt geführt haben, werde ich in einem weiteren Beitrag eingehen.

2 Antworten auf „Hallstatt: ‚Little China‘ im österreichischen Salzkammergut“