Hat Bundeskanzlerin Merkel ein vorparlamentarisches Staatsverständnis?
Für mich ist es immer wieder ein politisches Phänomen, welch hohes Ansehen Angela Merkel in Deutschland genießt. Sie kann Ministerpräsidenten abstrafen und für ihre vermeintlichen „Öffnungsdiskussionsorgien“ schelten, obwohl es denen nur um eine Belebung der Wirtschaft, die Rückkehr in den Schulunterricht oder die Öffnung von Kirchen bzw. Kinderspiel- und Sportplätzen geht. Eigentlich sollte mich dies nicht verwundern, denn auch beim Ausstieg aus der Kernkraft, der Aussetzung der Wehrpflicht oder der Ehe für alle warf sie nach Gutdünken das Ruder des deutschen Polit-Dampfers herum, ohne sich einer offenen Debatte im Deutschen Bundestag zu stellen, was nicht bedeutet, dass die Entscheidungen alle falsch sein müssten, doch irgendwie erinnert Angela Merkels Handeln an vorparlamentarische Zeiten. Ich weiß, dies sehen viele Mitbürger gänzlich anders, und das gilt auch für Mitglieder meiner eigenen Familie. Aber gerade eine offene Diskussionskultur ist doch das Schöne an unserer Gesellschaftsordnung: sie ist die Grundlage für zukunftsweisende Beschlüsse. Allerdings scheinen genau solche Debatten Angela Merkel ein Gräuel zu sein.
Offenen Diskurs abgewürgt
Gouvernante Angela erklärt uns gerne die Welt, wobei sie ein absoluter Fan ihrer eigenen Sicht der Dinge ist. Widerworte von uns ‚Kinderlein‘ mag sie gar nicht. Kaum machen sich Politiker sowohl aus ihrer Partei oder der Opposition, aber auch Wirtschafts- und Kirchenvertreter, Kinderschützer und Sportverbände Gedanken über notwendige Öffnungen des gesellschaftlichen Lebens, da meint sie mal wieder, solche Debatten abwürgen zu können. Die Bürgerschaft wird jedoch nur weiter zusammenstehen, wenn sie auch Perspektiven erkennen kann. Diese können aber nur in offenen Debatten entwickelt werden. Mit „Wir schaffen das“, würgte Bundeskanzlerin Merkel 2015 weiterführende Diskussionen über den Zustrom der Migranten ab, und genau so lief es bei den Migrations- und Flüchtlingsabkommen. Jeder, der es wagte, eine Frage zu stellen, der setzte sich dem Vorwurf aus, weit rechts zu stehen. So sollte der Diskurs in einer demokratischen Gesellschaft allerdings nicht ablaufen. Und dies sage ich im Interesse der Zuwanderer und der angestammten Bevölkerung: Wenn kontroverse Themen nicht offen angesprochen werden, dann führt das immer zu einem Erstarken der politischen Ränder, und dies ist ganz gewiss nicht in unser aller Sinne, schon gar nicht in meinem.
Bundeskanzlerin Merkel war eine Befürworterin der Kernenergie, doch innerhalb weniger Wochen drückte sie auf den Ausschaltknopf, ohne die notwendigen gesellschaftlichen Diskussionen und Debatten in unserem XXL-Bundestag wirklich zu führen. Auch an diesem Beispiel zeigt es sich, dass aus ihrer Entscheidung kein innovatives Energiekonzept für unser Land folgte, obwohl es zwingend notwendig gewesen wäre. Eine solche Strategie hätte aber breite Diskussionen vorausgesetzt, und diesen wollte sich Angela Merkel mal wieder nicht stellen. Die ‚Ehe für alle‘, ein gänzlich anderes Themenfeld, doch die gleiche Vorgehensweise. Angela Merkel zeigte sich zunächst wenig geneigt, diese Öffnung zu vollziehen. Bei einer TV-Veranstaltung der Zeitschrift ‚Brigitte‘ dann die Kehrtwende: sie öffnete plötzlich den Weg für eine Gewissensentscheidung der Abgeordneten, und mal wieder gab sie die Kursänderung nicht in einer Bundestagsdebatte zum Besten, sondern über die Medien. Beim Ausstieg aus der Atomkraft und bei der Ehe für alle schnappte sie den Grünen Angriffspunkte weg und erweiterte auch ihre Koalitionsoptionen. Politisch vielleicht ‚clever‘, aber nach meiner Ansicht sollten solche wegweisenden Veränderungen im Bundestag zuvor debattiert werden.
Politische Fehler vertuscht
Wenn heute die Bundeswehr unter Personalmangel stöhnt, dann ist dies auch die Folge der Aussetzung der Wehrpflicht. Den Übergang zu einer Berufsarmee zog Bundeskanzlerin Merkel durch, obwohl sie damit so manchen CDU-Anhänger verprellte. Umfassende Debatten im Parlament über die Konzepte für die zukünftige Sicherung von Personal und Material unterblieben. Weder Ursula von der Leyen noch Annegret Kramp-Karrenbauer gelang es, die Bundeswehr personell auf Kurs zu bringen, obwohl Deutschland immer mehr Geld in den Militärbereich steckt. Selbst warme Unterwäsche oder passende Dienstbekleidung fehlt immer wieder. Und die ehemalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen wurde für ihr inkompetentes Handeln nicht mit dem Rauswurf, sondern mit dem Aufstieg zur EU-Kommissionspräsidentin belohnt. Emmanuel Macron und Angela Merkel booteten in dieser hochpolitischen Entscheidung die Kandidaten des EU-Parlaments sozusagen ‚im Handstreich‘ gemeinsam aus! Ein solches Postengeschacher gehört für mich in vorparlamentarische Zeiten, wo der König seine Getreuen belohnt. Noch ein Beispiel gefällig? Annette Schavan trat 2013 als Bundesministerin für Bildung und Forschung zurück, da ihr der Doktortitel wegen vorsätzlicher Täuschung bei ihrer Doktorarbeit aberkannt wurde. Zum Dank schickte sie Angela Merkel als Botschafterin zum Heiligen Stuhl in den Vatikan. Bei solchem Verhalten fällt mir wirklich nichts mehr ein!
Bundeskanzlerin Merkel versteht es trefflich, uns Bürger in die Pflicht zu nehmen, doch damit versucht sie, die Fehler der Politik – ihre Fehler – vergessen zu machen. Selbstredend hat sie recht, wenn sie in Corona-Zeiten zur Geduld mahnt und uns auf Hygienevorschriften hinweist, als hätten wir vorher nie die Hände gewaschen. Kein Wort dagegen von der seit ewigen Zeiten amtierenden Bundeskanzlerin zu all den Versäumnissen ihrer Bundesregierungen. „Wir dürfen jetzt nicht leichtsinnig sein“, betont Merkel und meint damit ganz besonders uns alle. Doch warum hat Angela Merkel 2013 leichtsinnig die Bundestagsdrucksache 17/12051 nicht gelesen? Was haben sich denn ihre Zuarbeiter bei dem Szenario des Robert-Koch-Instituts mit dem Titel „Pandemie durch Virus Modi-SARS“ gedacht? Frank-Walter-Steinmeier und Karl Lauterbach saßen im Übrigen damals ebenfalls im Bundestag. Warnende Stimmen wurden nicht gehört, und so schlitterten wir mit Gouvernante Angela unvorbereitet in die Corona-Pandemie. Viele BürgerInnen werden sagen, wir sind zumindest nicht so schlimm wie Italien, Spanien oder die USA von Covid-19 getroffen worden, was richtig ist und ein großes Glück, aber es darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass generell die Vorbereitung auf eine Pandemie in den Merkel-Jahren sträflich vernachlässigt wurde. Ein Untersuchungsausschuss des Bundestags sollte sich diesem Themenkomplex widmen.
Wo war Gouvernante Angela?
„Ich appelliere an Sie, halten Sie sich an die Regeln“, so Bundeskanzlerin Merkel in ihren Ansprachen, und da kann ich ihr nur zustimmen. Nur gemeinsam können wir diese Pandemie überwinden. Apropos gemeinsam: Gelten die Regeln eigentlich auch für Minister ihrer Regierung? Abstand halten und Masken aufsetzen, das scheint allerdings nur für uns Bürger wichtig zu sein. Da quetscht sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn mit Ministerpräsident Volker Bouffier und Kanzleramtsminister Helge Braun sowie weiteren Personen in einen völlig überfüllten Aufzug im Krankenhaus, aber Spahn ist ja auch unser Minister fürs Händewaschen und wohl nicht fürs Abstand halten.
Annegret Kramp-Karrenbauer fehlt beim sogenannten Corona-Kabinett und begrüßt lieber ein Frachtflugzeug, das Schutzmasken aus China eingeflogen hat. Dabei trägt sie selbst keine Maske und hält auch keinen Abstand in einem unglaublichen Menschengetümmel. Vielleicht kein Wunder, denn AKK lässt wirklich keine Gelegenheit aus, in ein Fettnäpfchen zu treten. Bei Jens und Annegret, da hat Gouvernante Angela wirklich ihre Aufsichtspflicht missachtet. Vorbild sein, das ist eben doch sehr schwer.
„Öffnungsdiskussionsorgien“ oder notwendige Debatte?
Den heutigen Koalitionären von Union und SPD ist der Mangel an sachlichen politischen Diskussionen in unserem Parlament selbst aufgefallen, so schrieben sie 2017 in einem Sondierungspapier: „Der Deutsche Bundestag muss der zentrale Ort der gesellschaftlichen und politischen Debatte in Deutschland sein.“ Das sehe ich auch so, doch wird dies nur gelingen, wenn die politischen Entscheidungsträger – und allen voran Angela Merkel – zum offenen und kritischen Diskurs bereit sind. Mit Wortungetümen wie „Öffnungsdiskussionsorgien“ versucht Angela Merkel genau diese notwendigen Debatten abzuwürgen und ins Lächerliche zu ziehen. Norbert Röttgen, der ebenfalls gerne CDU-Vorsitzender und Kanzler werden möchte, übte schon mal und setzte die Wortschöpfung „Lockerungsdrängler“ in die Welt. Zu einer Demokratie gehört es, auch in Krisen über die notwendigen Maßnahmen zu sprechen und die dringend notwendigen Perspektiven zu erarbeiten. Und dies gilt besonders in einem föderalen System, wo Ministerpräsidenten nicht immer auf die ‚Mutti‘ in Berlin hören.
Bei Corona zeigt sich überdeutlich, dass es schwieriger ist, mit Augenmaß die Restriktionen zu lockern, als sie einzuführen. Und der gesellschaftliche Konsens lässt sich nicht durch Diskussionsverbote stärken – ganz im Gegenteil! „Öffnungsdiskussionsorgien“ ist ein fataler Begriff, der auf ein vorparlamentarisches Staatsverständnis hinweist. Der Eindruck verhärtet sich, dass Angela Merkel mit zunehmender Amtszeit Widerspruch immer weniger duldet, und Debatten waren ihr wohl schon immer ein Gräuel. Nun weiß ich nicht, was sich Angela Merkel unter Orgien vorstellt, aber Diskussionen gehören zu unserem Leben in einer freiheitlichen Gesellschaft. Nun gut, sie hat dies in ihren jungen Jahren in der DDR nicht erlebt: Als ich mich während meines Soziologiestudiums in Tübingen täglich mit maoistischen, marxistisch-leninistischen, marxistischen oder trotzkistischen Diskutanten herumschlagen durfte, studierte Merkel in der sozialistischen DDR Physik. Im Nachhinein muss ich sagen: diese Diskussionen haben mir nicht geschadet – im Gegenteil, auch wenn sie mir damals manches Mal auf den Geist gingen! Nicht nur von Angela Merkel würde ich mir heute etwas mehr Aufgeschlossenheit für gesellschaftliche Debatten wünschen.
3 Antworten auf „Gouvernante Angela und ihr Polit-Kindergarten“