Golfstrom: Kaltes Nordeuropa in einer heißen Welt

Die Atlantische Umwälzpumpe stottert als Folge der Eisschmelze

Fällt die Umwälzpumpe des Golfstroms im Nordatlantik aus, wird es in den anliegenden Regionen deutlich kälter, obwohl gleichzeitig andere Weltgegenden unter zunehmender Hitze leiden. Manchen wird es eher skurril anmuten, wenn ich nach zum Teil heißen und dazu extrem trockenen Sommermonaten erneut über das Risiko berichte, dass der Golfstrom weiter an Kraft verliert bzw. in den nächsten Jahrzehnten möglicherweise zusammenbricht und dadurch niedrigere Temperaturen als bisher in Deutschland und noch mehr in Nordeuropa drohen könnten. Neuere Berechnungen deuten darauf hin, dass der Kipppunkt beim Golfstrom bereits Mitte des 21. Jahrhunderts drohen könnte. Dann würden im Alten Land vor den Toren Hamburgs keine Äpfel mehr gedeihen, sondern sich eine Kältesteppe ausbreiten. Palmen in Irland würden der Vergangenheit angehören und Väterchen Frost in Skandinavien wieder stärker das Wetter bestimmen. Dass der Golfstrom schwächelt, und dies tut er nach entsprechenden Studien tatsächlich, ist eine Folge der Erderwärmung, denn in Grönland schmelzen die Gletscher und das ins Meer strömende Süßwasser verdünnt den Salzgehalt immer stärker, wodurch das Meerwasser nicht mehr in große Tiefen absinkt: Die Atlantische Umwälzströmung (Atlantic Meridional Overturning Circulation AMOC) verliert ihre Kraft! Es würde nicht nur kälter in Teilen Europas, sondern die Wetterextreme würden weiter zunehmen, gewaltige Stürme über das Land ziehen.

Zahlreiche Menschen an einem Strand mit weißen Wellen. Zum Teil sind sie im Wasser. Dahinter die bergige Küste.
Die jährliche Durchschnittstemperatur liegt in Cornwall bei über 13 Grad Celsius, doch dies könnte sich durch einen Ausfall des Golfstroms dramatisch ändern. Nur dank des Golfstroms haben „Nord- und Nordwesteuropa ein mildes Klima, ohne ihn wäre es dort durchschnittlich fünf bis zehn Grad kälter“, so Michael Odenwald in ‚The Weather Channel‘. Die Aufnahme entstand an der Widemouth Bay in Cornwall. (Bild: Ulsamer)

Wenn die Umwälzpumpe schwächelt

Die Politik hat bereits genug mit Dürren und Extremregen zu tun, scheint im Kampf gegen den Klimawandel beständig hinter der Entwicklung her zu hecheln, statt sich konsequent für eine Verringerung der Emissionen klimaschädlicher Gase einzusetzen. Wer möchte sich da noch mit einer zusätzlichen Gefahrenquelle beschäftigen? Kaum jemand! Und daher wird die nachlassende Leistung des Golfstroms zwar in wissenschaftlichen Kreisen vermehrt diskutiert, aber wer hat in bundes- oder europapolitischen Gremien noch den Elan, die schwächelnde Atlantische Umwälzpumpe ins Kalkül zu ziehen, wo doch bereits die Umwälzpumpen im privaten Heizungskeller zu einem politischen Desaster zumindest für die Ampelregierung geführt haben. Im Fachmagazin ‚nature communaications‘ kommen die dänischen Klimaforscher Peter Ditlevsen und Susanne Ditlevsen in ihrem Beitrag ‚Warning of a forthcoming collapse of the Atlantic meridional overturning circulation‘ zu dem Ergebnis, dass der Golfstrom, um bei diesem eingeführten Begriff zu bleiben, zwischen 2025 und 2095 seine Umwälzleistung verlieren könnte, wobei die Tendenz bei 2050 liegen dürfte. Die Autoren der Studie sind sich der Problematik von präzisen Vorhersagen bewusst und artikulieren dies auch, doch bereits ohne einen kompletten Ausfall des Golfstroms könnte es zusätzliche Probleme für Natur und Mensch geben.

Ein Papageientaucher, ein Vogel, mit einem weißen Bauch, schwarzem Rücken und buntem Schnabel.
Die Papageientaucher gehen nur in der Brutsaison an Land, ansonsten leben sie auf dem offenen Meer. Jagen immer mehr schwere Stürme gerade im Winter über die Ozeane, dann wird das Überleben für sie und andere Seevögel immer schwieriger. Mehr zu den Papageitauchern, die bereits jetzt dramatische Populationsrückgänge zu verzeichnen haben, finden Sie in meinem Blog-Beitrag: ‚Papageientaucher: Die bunten ‚Clowns‘ der Meere werden immer seltener. Seevögel leiden unter Überfischung, Plastikmüll und Klimawandel‘. (Bild: Ulsamer)

Die Atlantische Umwälzströmung sorgte bei uns in Bereichen Mitteleuropas, aber insbesondere in Großbritannien, Irland und Skandinavien für relativ günstige Klimaverhältnisse. Bisher transportiert der Golfstrom wärmeres Meerwasser aus den Zonen am Äquator gen Norden, ein Teil verdunstet und so wird das Wasser salzhaltiger. Wenn das Wasser dichter und somit schwer genug geworden ist, sinkt es wie ein gewaltiger Wasserfall mehrere tausend Meter ab und tritt in tieferen Schichten des Ozeans gewissermaßen den Rückweg an. Fließt nun aber in Grönland zu viel Süßwasser von abschmelzenden Gletschern ins Meer, dann verdünnt das den Salzgehalt und das Wasser sinkt nicht mehr ab, die Umwälzpumpe bleibt stehen. Über eine Abschwächung des Golfstroms, der warmes Wasser aus den Subtropen und dem Golf von Mexiko im Atlantik gen Norden und Nordosten transportiert, wird schon geraume Zeit diskutiert, worüber ich in meinem Blog-Beitrag ‚Wenn der Golfstrom schlapp macht. Erderwärmung könnte Nord- und Westeuropa eisige Zeiten bescheren‘ berichtet habe. Die oben bereits angesprochene Analyse stützt eine Studie von Wissenschaftlern aus Irland, Großbritannien und Deutschland, die ergab, dass die Atlantische Meridionale Umwälzströmung (AMOC) in den letzten 1 000 Jahren noch nie so geschwächelt hat wie jetzt. Levke Caesar, Stefan Rahmstorf u. a. haben darüber in ‚nature‘ unter dem Titel ‚Observed fingerprint of a weakening Atlantic Ocean overturning circulation‘ detailliert berichtet. Sie griffen zusätzlich zu neueren Messwerten auf Ozeansedimente, Eisbohrkerne, Baumringe oder Schiffslogbücher zurück, daher lassen sich mehrere Hundert Jahre bis zu anderthalb Jahrtausenden rekonstruieren. Die Wissenschaftler „fanden solide Belege dafür, dass die Abschwächung im 20. Jahrhundert im vergangenen Jahrtausend beispiellos war – sie ist wahrscheinlich eine Folge des vom Menschen verursachten Klimawandels“, so das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK).

Mehrere Fischtrawler in einem kleinen Hafen. Sie sind am Abend beleuchtet und haben verschiedene Farben.
Sollte der Golfstrom versiegen, dann werden sich Flora und Fauna im Nordatlantik dramatisch verändern. Ein weiteres Risiko, denn die Meere sind ohnehin schon leergefischt und vermüllt. Im kleinen Hafen von Port-en-Bessin in der Normandie, drängeln sich die Trawler. (Bild: Ulsamer)

Klimagase konsequenter vermindern

Für die bereits eingetretene Abschwächung des Golfstroms gibt es verschiedene Indizien, z. B. eine ‚Kälteblase‘ im Nordatlantik zwischen Neufundland und Irland. „Ein Symptom ist eine Region von der dreifachen Größe Deutschlands westlich der Britischen Inseln, die sich zunehmend abkühlt“, äußert sich Professor Stefan Rahmsdorf im Magazin ‚Der Spiegel‘. „Es ist die einzige Weltgegend, die sich in den vergangenen hundert Jahren trotz wachsender Treibhausgasmengen in der Luft nicht erwärmt hat“, führt der Leiter der Abteilung Erdsystemanalyse am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung weiter aus. Eine Veränderung um wenige Grad bei der Temperatur kann verheerende Folgen haben, was eben nicht nur für die Erderwärmung im Zuge des Klimawandels gilt, sondern auch für eine deutliche Abschwächung des Golfstroms, die wiederum auf den Klimawandel zurückgeht.

Ausgetrockneter Boden mit tiefen Rissen und wenigen Grashalmen am Rand.
Immer häufiger bringen mehrwöchige Dürreperioden im Zeichen des Klimawandels die Natur und die Menschen auch in Mittel- und Nordeuropa an ihre Grenzen. Fällt der Golfstrom im Zuge des Abschmelzens des Eises in Grönland aus, dann wird sich die Situation weiter verschärfen. (Bild: Ulsamer)

Wenn wir verhindern wollen, dass der Golfstrom weiter schwächelt oder gar ganz ausfällt, dann müssen wir mehr gegen die Erderwärmung tun. Klimaschädliche Emissionen müssen so schnell wie möglich reduziert werden, denn wenn sie die Atmosphäre weiter aufheizen, schmilzt der Eisschild auf Grönland und das Süßwasser vermindert den Salzgehalt im Meer, und letztendlich stellen wir somit selbst die enorm wichtige Umwälzpumpe des Golfstroms ab. Die Atlantic Meridional Overturning Circulation hat das vielsagende Kürzel ‚AMOC‘: Wir müssen mehr Engagement gegen die Erderwärmung zeigen, wenn wir nicht wollen, dass der Golfstrom Amok läuft! Sollte der Golfstrom immer schwächer werden, dürfte es trotz der globalen Erwärmung in verschiedenen Regionen Europas deutlich kälter werden. Stürme würden heftiger daher fegen und andere Wetterextreme wie Dürren und Starkregen zunehmen. Bei einem Ausfall des Golfstroms gehen Wissenschaftler davon aus, dass der Meeresspiegel an der US-amerikanischen Ostküste zusätzlich zur allgemeinen Erhöhung als Folge der Erderwärmung weiter ansteigt.

Starkregen fällt auf den asphaltierten Boden, und das Wasser verschwindet in einer metallenen Dole.
Starkregen wird als Folge des Klimawandels zunehmen. Diese extremen Wetterereignisse würden bei einem deutlichen Nachlassen des Golfstroms noch weiter verstärkt. Niederprasselnder Dauerregen bringt wenig für die Natur bzw. den Aufbau von Grundwasservorräten, da zahlreiche Speicherflächen wie Moore, Feuchtwiesen, Tümpel oder Flussauen aus unserer – häufig versiegelten – Landschaft verschwunden sind. Stattdessen wird die Infrastruktur in Mitleidenschaft gezogen. (Bild: Ulsamer)

Natürlich hat der Tag bei Politikerinnen und Politikern genauso wie bei anderen Menschen nur 24 Stunden, dennoch ist es an der Zeit, das Risiko einer Schwächung des Golfstroms bzw. dessen Ausfall in Szenarien und Strategien mit einzubeziehen. Die Gefahren, die durch das Ausbleiben des Golfstroms hervorgerufen werden, erinnern uns alle daran, noch engagierter – gerade auch mit neuen Technologien – gegen CO2-Emissionen vorzugehen.

 

Eine grün-blaue Welle kommt mit sehr viel Gischt auf den Betrachter zu.
Die Stürme nehmen im Zeichen des Klimawandels an Intensität zu, was nicht nur die Küstenregionen trifft – wie hier im irischen Kerry -, doch dort verschärft sich die Lage durch den Anstieg des Meeresspiegels noch weiter. Sollte der Golfstrom an Kraft verlieren, werden sich die Wetterextreme verstärken und zerstörerische Stürme dürften zunehmen. (Bild: Ulsamer)

 

Kleine weiße Wellen (White horses) auf dem tiefblauen Meer.
Die Atlantic Meridional Overturning Circulation (AMOC) transportiert Wärme aus dem Äquatorbereich – z. B. dem Golf von Mexiko – in den Nordatlantik und sorgt so für ein gemäßigtes Klima. Bei einem Ausfall dieses ‚Förderbands‘ wird es in Großbritannien, Irland oder Norwegen deutlich kühler, doch selbst in Norddeutschland werden die Temperaturen niedriger ausfallen. So richtig neu ist das Thema nicht, denn bereits 1978 veröffentlichte der 2019 verstorbene US-amerikanische Erd- und Umweltwissenschaftler Wallace S. Broecker in ‚Nature‘ einen Beitrag mit dem Titel ‚Unpleasant surprises in the greenhouse?‘, worin er auch auf die Bedeutung der Atlantic Meridional Overturning Circulation und die Faktoren einging, die dieses enorme ‚Förderband‘ für Meerwasser beeinflussen. (Bild: Ulsamer)

 

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Im Vordergrund eine blau-grüne Welle, dahinter Gischt, die an einem dunklen Felsen hochspritzt.Das Nachlassen des Golfstroms ist eine Folge der Erderwärmung. Diese Entwicklung wird zugleich die negativen Folgen des Klimawandels wie Stürme, Dürren oder Starkregen weiter verschärfen. (Bild: Ulsamer)

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