Trier und Berlin – Wenn Staatskünstler Geschichte gestalten
„Proletarier aller Länder vereinigt euch“, so endet das von Karl Marx und Friedrich Engels geschriebene Kommunistische Manifest aus dem Jahr 1848. Es hätte sich Karl Marx zu seinen Lebzeiten sicherlich nicht träumen lassen, dass er 2018 überlebensgroß 200 Jahre nach seiner Geburt in Bronze gegossen aus China ‚reimportiert‘ wird, um in seiner Geburtsstadt Trier von Touristen, Unwissenden und VerehrerInnen umringt, bestaunt und bewundert zu werden. Aber auch ‚Sacco und Jacketti‘, so der DDR-Spott über die Marx-Engels-Skulptur in Berlin, sind nach der Wende auf Reisen gegangen – wenn auch nur innerhalb Berlins und mit offenem Ende. Die Zahl derer, die die beiden Begründer des Marxismus verehren, ist in Mitteleuropa in den letzten Jahrzehnten deutlich eingebrochen. Aber neue Anhänger in Asien könnten den Schwund an Begeisterung wettmachen. Gregor Gysi, das Showtalent der Linken, meint zwar, es „ärgert mich, dass er für seinen Missbrauch verantwortlich gemacht wird“ und nennt auch gleich die diktatorischen Regime in der DDR und der Sowjetunion. Ich selbst sehe allerdings die Wurzeln dieser und anderer kommunistischer Diktaturen durchaus auch bis ins Werk von Marx und Engels reichen. Wenn die Umsetzung der Vorschläge der Urväter des Kommunismus immer schiefläuft, kann es eigentlich nicht nur an den Nachfahren liegen!
Statt Herrschaft des Proletariats Diktatur der Partei
Die von Marx und Engels und ihren Jüngern geforderte „Diktatur des Proletariats“ las sich für mich schon immer als Aufforderung, die eigenen Ziele ohne Rücksicht auf andere durchzusetzen. Aber selbst Marx sah in der „Diktatur des Proletariats“ nur einen Zwischenschritt zum Phantasiegebilde der ‚klassenlosen Gesellschaft‘. „Zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt die Periode der revolutionären Umwandlung der einen in die andere. Der entspricht auch eine politische Übergangsperiode deren Staat nichts andres sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats“, so Marx in seinen ‚Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei‘. Gemeint ist das ‚Gothaer Programm‘, das die Basis für die Vereinigung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei mit dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein 1875 zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands darstellte. Sie benannte sich 1890 in Sozialdemokratische Partei Deutschlands um, somit unsere älteste deutsche Partei. Leider leidet sie heute zunehmend an Schwindsucht. Karl Marx hatte das Gothaer Programm heftig kritisiert, da es aus seiner Sicht zu sehr auf Reform statt auf Revolution setzte. Die Jünger des Kommunismus und ‚reinen‘ Marxismus haben sich dagegen bis heute eher darauf verlegt, aus der „Diktatur des Proletariats“ eine Diktatur der Partei zu formen.
Mit Demokratie und Rechtsstaat haben viele Vorschläge von Marx und Engels wenig zu tun, dennoch hatte Marx mit seiner Beschreibung des damaligen Kapitalismus in vielen Aspekten recht. Doch dieser frühindustrielle Kapitalismus hat sich nicht nur in unserem Land zur sozialen und hoffentlich zunehmend auch ökologischen Marktwirtschaft weiterentwickelt. Der zügellose Kapitalismus aus Marxschen Zeiten ist vielfach schon so durch Gesetze und Verordnungen eingebunden, dass die marktwirtschaftlichen Züge immer weniger zu erkennen sind. Darüber kann auch die ungleiche Verteilung des Reichtums in unserer Welt nicht hinwegtäuschen, die auch ich als Gefahr sehe. Und die prognostizierte „Verelendung“ der Arbeiter hat in den modernen Industrienationen ebenfalls nicht stattgefunden – ganz im Gegenteil. Nur wer besonders dicke Scheuklappen trägt, wird heute noch Marx zustimmen, der im ‚Manifest der Kommunistischen Partei‘ schrieb: „Der moderne Arbeiter dagegen, statt sich mit dem Fortschritt der Industrie zu heben, sinkt immer tiefer unter die Bedingungen seiner eigenen Klasse herab. Der Arbeiter wird zum Pauper, und der Pauperismus entwickelt sich noch rascher als Bevölkerung und Reichtum.“ Zur Verarmung kam es allerdings unter den marxistisch-kommunistischen Regimen in unserer Welt.
Die DDR hat direkt in unserem eigenen Land den Negativbeweis erbracht, dass mit dem realen Marxismus oder Kommunismus kein Staat zu machen ist. Letztendlich konnten nur Mauern, Zäune, Minengürtel und Schießbefehl die Menschen daran hindern, mit ihren eigenen Füßen die Entscheidung zwischen sozialistischer Planwirtschaft und Marktwirtschaft, zwischen Unfreiheit und Freiheit zu treffen. Und mit der Ehrlichkeit nahm es das DDR-Regime auch nicht so genau. “Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!” Diesen Satz sagte der damalige DDR-Staats- und Parteichef Walter Ulbricht am 15. Juni 1961 in einer Pressekonferenz. Leider handelte es sich dabei auch um eine Fake News, denn bereits am 13. August – also nur zwei Monate später – war es soweit: Das sozialistische Regime riegelte den Ostteil Berlins hermetisch ab und errichtete in den folgenden Wochen eine Mauer. Berlin und ganz Deutschland wurden nun noch brutaler geteilt!
Kritische Debatte über Marx & Co. notwendig
Dennoch bin ich nicht der Meinung, dass wir Karl Marx oder Friedrich Engels auf einem Hinterhof verstecken müssten. Ganz im Gegenteil: Die beiden Vordenker des Marxismus/Kommunismus sollten uns als Personen und mit ihren Werken den Impuls vermitteln, über die damalige Zeit und die zukünftige Entwicklung unserer Gesellschaft zu diskutieren. Eine offene und kritische Debatte kann auch in diesem Bereich nicht schaden, und letztendlich wird in Deutschland nicht zu viel, sondern zu wenig debattiert. Selbst unser XXL-Bundestag hat in drei Amtsperioden von Angela Merkel der offenen Debatte zu oft abgeschworen.
Zwar musste ich schon als Schüler und Student erleben, dass die Diskussionsfreude kommunistischer Grüppchen schnell schwindet, wenn sie auf einen Vertreter der politischen Mitte treffen. So hatte ich das Vergnügen, schon in der ersten Semesterstunde in Tübingen zum Angriffspunkt marxistisch-leninistischer Aktivisten zu werden, denn die marxistisch-leninistische Schülergruppe hatte mich schon mal als ‚Verdächtigen‘ aus dem christlich-demokratischen Umfeld weiter gemeldet. Diese Blockwartmentalität hat mich schon damals an marxistisch-kommunistischen Organisationen gestört. Und gleiches gilt auch für die rechtsextremen Pendants. Wir brauchen auch heute die offene Auseinandersetzung mit den Ideen des Marxismus, denn zumindest in jeder Finanz- und Wirtschaftskrise lugt das „Gespenst des Kommunismus“ wieder um die Ecke. Es geht nicht darum, wie Marx im Eingangsabsatz des Kommunistischen Manifests meint „zu einer heiligen Hetzjagd gegen das Gespenst“ zu blasen, sondern um eine sachgerechte Diskussion.
Welche Verantwortung trägt der Autor?
Selbstredend kann nicht jedem Autor die Schuld für Verbrechen zugerechnet werden, die irregeleitete Anhänger begehen, aber Marx legte großen Wert darauf, nicht nur als „genialer Philosoph und Ökonom“ zu gelten, für den ihn Gregor Gysi hält, sondern er wollte mehr: “Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern.” Dies ist ihm sicherlich mit allen Höhen und besonders Tiefen gelungen. Man mag sich kaum daran erinnern, wer sich alles auf die kommunistischen Leitgedanken von Marx berufen hat: Stalin, Mao, die Roten Khmer in Kambodscha und Ulbricht, Honecker und ihre SED-Konsorten. Die Millionen von Opfern sind ein hoher Blutzoll für einen Irrweg in der Geschichte. Und dabei ist es völlig gleichgültig für jedes der Opfer, ob Marx dies so bei seinen Theorien einkalkulierte oder nicht. Nehmen wir mal zu seinen Gunsten an, dass er bei seiner „Diktatur des Proletariats“ an eine echte Herrschaft des Volkes gedacht hat und nicht an massenhafte Unterdrückung und Terrorherrschaft.
„Wer einen guten Wein nicht zu schätzen weiß, ist zu großen Taten nicht fähig“, so lautet sein Lieblingszitat von Marx– zumindest hat Gregor Gysi dies in einer WDR-Sendung bekannt. Das macht mir Karl Marx schon beinahe sympathisch, doch als politisch denkender Mensch zählen für mich die Menschenrechte dann doch mehr als ein Viertele Schwarzriesling. Bemerkenswert ist es ja auch, dass Karl Marx über lange Perioden seines Lebens von den Zuwendungen seines Freundes, Mitautors und letztendlich Kapitalisten Friedrich Engels lebte. Die Finanzmittel kamen aus den Betrieben eines Unternehmens in Barmen (heute ein Stadtteil von Wuppertal), das Engels Vater gehörte, und dies scheint Marx auch nicht gestört zu haben, der doch alle Firmen vergesellschaften wollte. Auch in einem Textilbetrieb der väterlichen Firma in Manchester hat Engels nichts getan, um Verbesserungen für die ArbeiterInnen zu erreichen. Ganz im Gegenteil: Marx und Engels unterstützten keine Sozialreformer, sondern hofften im Gegenteil darauf, dass sich aus der möglichst schlechten Lage der Arbeiterschaft ein revolutionärer Funke entwickeln würde.
Zweifellos hat seine Analyse, die von einer Verelendung des Proletariats ausgeht, in der Zeit der frühen Industrialisierung viele wahren Aspekte, doch in den freiheitlichen und marktwirtschaftlichen Volkswirtschaften ging es den Arbeitnehmern bald besser als in den sozialistischen oder kommunistischen ‚Paradiesen‘. Daher verstehe ich auch nicht, warum PolitikerInnen der Linken bis heute Mehrwert aus seinen Schriften schöpfen wollen – und dies für die Lösung heutiger Herausforderungen! Sicherlich würde selbst Karl Marx seine Schriften heute nicht mehr wie in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts schreiben, dies sollten wir ihm alle zubilligen.
„Beim nächsten Mal machen wir es besser“
„Wie Darwin das Gesetz der Entwicklung der organischen Natur, so entdeckte Marx das Entwicklungsgesetz der menschlichen Geschichte“, so Friedrich Engels aus Anlass des Todes von Karl Marx, der am 14. März 1883 in London verstorben war. Da bin ich allerdings froh, dass seine „Diktatur des Proletariats“ und die Vergesellschaftung der Produktionsmittel dann doch – zumindest dauerhaft – weder die Geschichte Deutschlands noch der Welt bestimmen. Schlange stehen für die alltäglichen Notwendigkeiten des Lebens oder die skrupellose Umweltverschmutzung – wie in der DDR – sind mir zumindest erspart geblieben. Ja, ja, werden seine Fans unserer Tage rufen, das waren eben die Fehler des DDR-Regimes. Irgendwann sollten eigentlich alle einsehen, dass neue Anläufe zu Marxens idealer Gesellschaft es nicht wert sind, denn auch sie würden nur wieder Menschen in Not und Bedrängnis stürzen. In der Wendezeit brach sich die Ironie auch am Marx-Engels-Denkmal in Berlin Bahn: „Das nächste Mal machen wir’s besser“ stand auf einem Pappschild und am Sockel fand sich der Satz „Beim nächsten Mal wird alles besser“. Da kann ich nur hoffen, dass sich in Deutschland niemals mehr eine Partei mit marxistisch-kommunistischer Ausrichtung wie in der damaligen DDR breitmachen kann.
Und mit der Treffsicherheit der Marxschen ‚wissenschaftlichen‘ Vorhersagen ist das ohnehin so eine Sache: Er erwartete die revolutionäre Erhebung der Unterdrückten in den früh industrialisierten Staaten, die im eigentlichen Sinne das notwendige Proletariat hervorbringen. Doch das genaue Gegenteil war der Fall: Die Kommunisten konnten im landwirtschaftlich geprägten zaristischen Russland und dann in China die Macht ergreifen, wo es damals auch keine industrielle Grundlage gab.
Nicht nur die Umsetzung der Ideen von Marx führte ins Elend, sondern allzu glücklich verlief auch das Leben der Familie Marx nicht, so Wikipedia: „Vier von Marx’ Kindern starben noch im Kindesalter; Jenny Caroline starb 1883 im Alter von 38 Jahren, gerade zwei Monate vor ihrem Vater. Die beiden ihn überlebenden Töchter beendeten ihr Leben durch Suizid.“ Und Jenny von Westphalen, “the beloved wife of Karl Marx“, so die Inschrift auf dem Grabstein in London, war bereits 15 Monate vor ihrem Mann verstorben. Dazuhin war das Leben der Familie von finanziellen Sorgen und Entbehrungen geprägt – und dies trotz der lebenslangen Unterstützung durch Friedrich Engels.
Karl Marx steht auch für Gewalt
„Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen“, so Marx. So ganz kann dies nicht stimmen, wenn ich mir die Entwicklung in unseren modernen Gesellschaften anschaue. Ausgerechnet Donald Trump und seine Milliardärs- und Militärclique wurde von Arbeitern aus dem US-Rostgürtel mit ins Weiße Haus befördert: Dies ist sicherlich kein Beispiel für die Behauptung von Marx. Und selbst in China, dem Land der ‚edlen‘ Spender des Giganten-Marx für Trier, herrscht inzwischen eine Mischung aus Kommunismus – mit der Herrschaft der Partei – und einem Turbokapitalismus, der unentwegt Milliardäre produziert und gleichzeitig dennoch wirtschaftliche Verbesserungen für die breiten Schichten hervorbrachte. Wenn in der Stadt Trier schon ein metallener Marx auf den Sockel gehoben wurde, dann hätte ich mir den etwas menschennäher vorgestellt, und vielleicht hätten wir diesen dann auch selbst bezahlen sollen: Die Kommunistische Partei in China sorgt immerhin dafür, dass ihre Kritiker in Arbeitslagern verschwinden. Und wer die Vorherrschaft der Kommunistischen Partei nicht in Frage stellt, der kann wohl behütet und am Markt „Das Kapital“ anhäufen. So hatte sich das Marx dann sicherlich nicht vorgestellt, sonst hätte er sein dreibändiges Hauptwerk gewiss anders betitelt.
„Die Kommunisten verschmähen es, ihre Ansichten und Absichten zu verheimlichen. Sie erklären es offen, daß ihre Zwecke nur erreicht werden können durch den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung. Mögen die herrschenden Klassen vor einer Kommunistischen Revolution zittern. Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen.“ So heißt es im Kommunistischen Manifest. Ihre Ketten haben die „Proletarier“ in den westlichen Industrienationen ganz ohne Revolution verloren und das ist auch gut so. Auf dem Haager Kongress liebäugelte Marx auch mit der Gewalt auf dem Weg in sein Arbeiterparadies: „müssen wir auch anerkennen, daß in den meisten Ländern des Kontinents der Hebel unserer Revolutionen die Gewalt sein muß; die Gewalt ist es, an die man eines Tages appellieren muß, um die Herrschaft der Arbeit zu errichten.“ Gut, dass uns im Westen Deutschlands dieser Ausflug in die Gewalt – wenn man von revolutionären Attacken von Arbeiter- und Soldatenräten am Ende des Ersten Weltkriegs absieht – erspart geblieben ist.
In seiner Kritik an Religionen, die er als Mittel der Selbsttäuschung ansieht, greift er in seiner Schrift „Zur Judenfrage“ auch antijüdische Vorurteile auf: „Welches ist der weltliche Grund des Judentums? Das praktische Bedürfniß, der Eigennutz.“ Oder: „Welches ist der weltliche Kultus des Juden? Der Schacher. Welches ist sein weltlicher Gott? Das Geld.“ So kennzeichnet Hannah Arendt Marx‘ Schrift „Zur Judenfrage“ in ihrem 1955 auf Deutsch erschienen Werk „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ als ein „klassisches Werk“ des „Antisemitismus der Linken.“ Marx‘ Vater, Heinrich, hieß eigentlich Marx Levi, der frühere jüdische Familienname lautete Mardochai, doch trat Heinrich Marx mit seiner Familie 1824 zur protestantischen Kirche über.
Staatskünstler gestalten Geschichte
Als ich in Trier vor der Kolossalstatue von Karl Marx, gestaltet vom chinesischen Staatskünstlers Wu Weishan stand, hatte ich schon das Gefühl, ganz so imposant hätte die Statue mitsamt Sockel nicht ausfallen müssen. 5,50 Meter insgesamt! Da kommen mir Marx und Engels in Berlin schon fast wie zwei nette ältere Herren vor. Die suchen allerdings seit bald einem Jahrzehnt eine neue Heimstatt, denn zuerst mussten sie dem U-Bahn-Bau weichen und jetzt passen sie – nach Meinung mancher Politiker – nicht mehr so richtig an den ursprünglichen Platz. Das Marx-Engels-Forum hat sich längst gewandelt, wie auch unsere Gesellschaft, und dies gehört zu unserem Leben. Vielleicht finden sie ja ein Plätzchen an der Humboldt Universität, wie dies jüngst ins Gespräch gebracht wurde. Ganz so unpassend ist auch ihr jetziger Standort nicht, denn immerhin liegt die Karl-Liebknecht-Brücke nebenan.
Der CSU-Politiker Peter Ramsauer meinte 2012 als Bundesbauminister, man könne die Bronzefiguren von Marx und Engels auf den Sozialistenfriedhof in Berlin-Friedrichsfelde versetzen, denn dort befinde sich „so eine Art sozialistisches Reste-Zentrum“. Als „geschichtsvergessen“ bezeichnete der Bausenator Michael Müller Ramsauers Fingerzeig. Nun hat Müller als heutiger Regierender Bürgermeister von Berlin ja reichlich Erfahrung bei der Lösung der Standortfrage.
Wie der chinesische Marx für Trier, so entstand auch das Duo Marx-Engels für Berlin nicht im stillen Kämmerchen eines Künstlers, sondern beauftragt wurde das Denkmal von der Kunstkommission des Ministeriums für Kultur der damaligen DDR. Der Bildhauer Ludwig Engelhardt erhielt den Auftrag. Bei einem Besuch im Atelier allerdings scheinen der Staatsratsvorsitzende Erich Honecker und das Politbüro-Mitglied Kurt Hager die fehlende Gigantomanie zu bemängeln. Doch ein Gegenentwurf blieb folgenlos, als die Skulptur mit Stelen ergänz wurde: Hier fanden sich auch zeitgenössische Streiter für den Sozialismus, so eben auch Honecker. Wu Weishan hatte in China sicherlich keine Probleme, das Material für die Skulptur in Trier zu beschaffen, das sah bei Ludwig Engelhardt in der DDR ganz anders aus. Rohstoffe waren in der Planwirtschaft knapp, und so musste beim ebenfalls in Arbeit befindlichen Thälmann-Denkmal an der Wandstärke gespart werden, um den Bronzeguss von Marx und Engels realisieren zu können. So ist das halt mit sozialistischen, marxistischen oder kommunistischen Planwirtschaften!
Rote Rosen für den Stichwortgeber
Gemeinsam mit meiner Frau habe ich 1982 einen Jahreskalender mit dem Titel „Das wahre Gesicht des Sozialismus“ veröffentlicht, daher muss ich schon zugeben, dass ich an der einen oder anderen Stelle nicht ganz unparteiisch bin, wenn es um Karl Marx geht. Aber wer ist schon wirklich ‚objektiv‘ bei Diskussionen um den Marxismus und seinen Begründer? Da hat es auch die SPD nicht leicht, die 1928 in Trier das Geburtshaus von Karl Marx kaufte und dort heute über die Friedrich-Ebert-Stiftung eine Ausstellung zum Leben und Wirken von Marx zeigt. So richtig zu Marx bekennen, dies mag sich die SPD heute nicht mehr. In vielen historischen und aktuellen Fällen berufen sich ja die kommunistischen Parteien oder die Linke auf ihn. Vielleicht haben die Autoren der Ausstellungstexte recht, die auf die Offenheit des Marxschen Werks abheben: Er ist der Stichwortgeber für Gruppen des linken Spektrums. „Im Kern setzt sich das fort, was die Wirkung von Karl Marx ausmacht: Wie schon vor 1945 schrecken die einen nicht davor zurück mit Marx Gewalt und Diktatur zu rechtfertigen. Die anderen suchen nach gewaltfreien Wegen zum Demokratischen Sozialismus. So oder so buchstabieren sie Marx mit ihren eigenen Inhalten aus.“ Aus meiner Sicht gibt es keinen demokratischen Sozialismus, zumindest habe ich davon zu meinen Lebzeiten nichts vernommen. Damit macht es auch wenig Sinn, sich immer wieder auf die Suche zu machen! Aber – wie gesagt – da bin ich nun mal voreingenommen.
Nicht nur der ‚Glanz‘ des DDR-Sozialismus ist verblichen, sondern auch die Fotos mit den Helden des Sozialismus auf den Edelstahlstelen in Berlin sind kaum noch erkennbar. Wieder einmal zeigt sich: die Geschichte schreitet voran und nimmt dabei keine Rücksicht auf die Marxisten aller Länder! Dennoch legten zwei glühende Verehrerinnen in Trier bei unserem Besuch gerade ihrem Marx rote Rosen zu Füßen. Auch dies ist ein Zeichen dafür, dass die Ideen von Karl Marx auch an seinem 200. Geburtstag auf viele Menschen noch eine gewisse Anziehungskraft ausüben. Spätestens bei jeder Wirtschaftskrise – so auch bei der letzten Finanzkrise haben viele die im Buchregal eingestaubten Werke von Marx und Engels wieder herausgezogen. Somit ist klar, dass wir mit dauerhaften Reformen auch marktwirtschaftliche Wirtschaftssysteme an die aktuelle Lage anpassen müssen: Und Ziel ist immer, das Wohl der Menschen zu verbessern und nicht Zockern unsere Wirtschaft zu überlassen.
Reformer haben die Welt vorangebracht
Daher hätte ich mir auch mehr von einer Ausstellung im Museum am Dom in Trier erwartet, die den vielversprechenden Titel ‚LebensWert Arbeit‘ trägt und sich auf den ebenfalls in Trier geborenen Theologen und Sozialreformer Oswald von Nell-Breuning bezieht. Statt konkreter Ansatzpunkte für soziale Reformen, wie sie Nell-Breuning im Auge hatte, gab es beim ‚Kooperationspartner im Karl Marx Jubiläumsjahr‘ eher wohlfeile künstlerische Experimente zum „Spannungsfeld von Arbeitsleben und Menschenwürde“ zu bestaunen. Nell-Breuning hatte u.a. dazu beigetragen, dass sich die Vertreter der katholischen Soziallehre und eher sozialistisch orientierte Gewerkschafter einander annäherten oder zumindest den Dialog aufnahmen. In Fortführung dieses Ansatzes hätte ich mir sozialreformerische Konzepte im Zeitalter der Globalisierung gewünscht. Mit solchen Ausstellungen kommt die katholische Kirche mit Sicherheit nicht aus der Ecke der sozialpolitischen Bedeutungslosigkeit heraus.
Für die nächsten Jahre würde ich mir gleich umfassende Ausstellungen für Sozialreformer vorstellen wie diese Karl Marx in Trier gewidmet wurden. Das Rheinische Landesmuseum, das Stadtmuseum Simeonstift und das Museum Karl-Marx-Haus gingen auf sein Leben und Werk ein, sparten aber auch die Nachwirkungen nicht aus. Und dies ist gut so, denn Karl Marx hat auch zum 200. Geburtstag politische AnhängerInnen in aller Welt. In allen Präsentationen wird deutlich, dass Marx kein in sich geschlossenes Werk vorgelegt hat, daher bieten sich seine Schriften auch als Stichwortgeber für unterschiedlichste sozialistische, marxistische und kommunistische Gruppierungen an. Bisher ist es jedoch noch in keinem Staat gelungen, seine klassenlose Gesellschaft umzusetzen, bestenfalls blieben die Revolutionäre in der „Diktatur des Proletariats“ stecken, wobei sie die Demokratie, die Freiheit und den Rechtsstaat mit Füßen traten. Unsere Welt wurde bisher nur durch Reformen vorangebracht, nicht aber durch gewalttätige Revolutionen. Und so kann ich Karl Marx nur zustimmen, wenn er in seinen ‘Confessions’ im Jahre 1865 schreibt: “An allem ist zu zweifeln.” Natürlich auch an den Aussagen von ihm selbst.
6 Antworten auf „Geburtstag von Karl Marx: In Bronze gegossene Geschichte“