Rückgänge um bis zu 97 % bei Schwebfliegen
Wer mit offenen Augen durch unsere Städte und Landschaften geht, muss leider seit Jahren erkennen, dass immer weniger Wildbienen, Hummeln oder Schmetterlinge unterwegs sind. Und Menschen, die weniger wandern, dafür aber mehr mit dem Auto fahren, melden selbst nach langen sommerlichen Fahrten saubere Windschutzscheiben: Ja, es wird stiller, zumindest die Natur verstummt! Das Summen der Insekten wird immer leiser, und auch der Gesang der Vögel hat an Vielstimmigkeit verloren. Zahllose Studien belegen das dramatische Insektensterben, so jüngst eine Untersuchung zu den Schwebfliegen, die die Forschungsstation Randecker Maar auf der Schwäbischen Alb seit einem halben Jahrhundert beobachtet: Der Rückgang der Schwebfliegen beträgt bis zu 97 %! Diese erschreckende Zahl ist jedoch für viele Politiker und für die Vertreter des Deutschen Bauernverbands kein Warnruf, der sie aus ihrer Lethargie wecken würde. Leider unterstützt so mancher Nutzer der sozialen Medien die Kräfte, die noch immer das Verschwinden der Insekten leugnen. Eine weitere Zerstörung unserer Landschaft, gefördert durch eine desaströse EU-Agrarpolitik, aber auch die zunehmende Verstädterung tragen zum Niedergang von Insekten und Vögeln maßgeblich bei. In einer ausgeräumten Landschaft gibt es keinen Platz für Insekten und Vögel.

Schwebfliegen sind wichtige Bestäuber
Die Grundlage für die erwähnte neue Studie legten Wulf Gatter und seine Mitstreiter durch die Beobachtung von ziehenden Insekten (und auch Vögeln) per Fernglas, wobei die Ergebnisse ebenso in eine systematische Erfassung über 50 Jahre einflossen wie die Insektenfänge mit Reusen. Schwebfliegen, deren Larven vor allem von Blattläusen leben, gingen um 97 % zurück, Waffenfliegen und Schlupfwespen um rd. 85 % – und dies über einen Zeitraum von lediglich fünf Jahrzehnten! Bienen und Hummeln, aber auch Wespen sind in der öffentlichen Diskussion präsenter, doch wir dürfen die Schwebfliegen nicht unterschätzen. Sie ähneln manchmal mit der schwarz-gelben Farbgebung Bienen oder Wespen, allerdings sind ihre Ähnlichkeiten in der Musterung nur Tarnung, um Fressfeinde abzuwehren. Über einen Stachel verfügen sie nicht. Mögen Schwebfliegen in Gesprächen weniger präsent sein, so sollten wir ihre Bedeutung nicht unterschätzen: „Erwachsene Schwebfliegen ernähren sich ausschließlich von Nektar und Pollen, sie sind neben Bienen unsere wichtigsten Bestäuber“, so der NABU. Der dramatische Rückgang der Schwebfliegen ist somit auch kein Thema für esoterische Fachzirkel, sondern eine katastrophale Entwicklung, die uns alle betrifft.

“Wenn die Insekten weg sind, dann ist alles weg. Insekten sind die Voraussetzung für unser Leben“, betonte Professor Lars Krogmann, Leiter der Abteilung Hautflügler am Naturkundemuseum in Stuttgart, bei der Vorstellung der Studie ‚50-jährige Untersuchungen an migrierenden Schwebfliegen, Waffenfliegen und Schlupfwespen belegen extreme Rückgänge‘. Und wer wollte Krogmann da widersprechen? Ich gewiss nicht, doch noch immer reagieren Teile der Politik zu zögerlich auf den katastrophalen Insektenschwund. Mehr und mehr verdichtet sich der Eindruck, dass sich Politikerinnen wie Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner und ihre männlichen Amtskollegen ungern mit den Lobbyisten des Deutschen Bauernverbands anlegen, doch ohne einen grundsätzlichen Wandel in der Landnutzung werden wir den Rückgang der Insekten nicht bremsen können. So ist es auch ein Trauerspiel, dass die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen zwar von einem ‚Green Deal‘ faselt, allerdings ist zumindest im Landwirtschaftsbereich kein Elan zu verspüren, die Agrarförderung durchgängig ökologisch und nachhaltig auszurichten.

Weltweites Insektensterben
Manche Studien zum Insektenschwund gehen auf kleinräumige Veränderungen ein, doch die Untersuchung zu den Schwebfliegen von Wulf Gatter und seinen Mitautoren unterstreicht, dass sich diese Veränderung auch weit darüber hinaus zeigt. Der Insektenschwund geht nicht auf eine lokale oder regionale Veränderung zurück, sondern auf bereits angesprochene Formen der Landnutzung. Zu den Gründen des Insektensterbens zählen die ständige Intensivierung der industriellen Landwirtschaft, die chemische Keule und die Überdüngung, aber auch die zunehmende Versiegelung. Daher fehlen die Schwebfliegen nicht in einem begrenzten Areal, sondern der massenhafte Strom der Schwebfliegen der früher von Norden nach Süden über die Schwäbische Alb zog, ist nahezu versiegt. Wo Wulf Gatter und seine 600 MitstreiterInnen in den zurückliegenden 50 Jahren anfänglich noch hunderttausende von Schwebfliegen in einem kurzen Zeitraum erfassen konnten, da lohnt sich heute kaum noch das Aufstellen einer Reuse. Dieses erschreckende Bild zeigen auch andere Langzeituntersuchungen. Der Entomologische Verein Krefeld, der sich seit über 100 Jahren der wissenschaftlich orientierten Insektenkunde widmet, hat von 1989 bis 2016 einen Rückgang der Biomasse von Fluginsekten von über 75 % festgestellt – und zwar in über 60 Naturschutzgebieten! Ganz folgerichtig ist der Schwund an Insekten auf landwirtschaftlichen Monokulturen noch deutlicher zu erkennen. Der NABU hat hierzu im Übrigen 20 Studien ausgewertet, die – leider – gleichfalls das Verschwinden der Insekten belegen.

Das Insektensterben ist auch kein rein deutsches oder europäisches Phänomen. So haben australische Autoren 73 Studien ausgewertet, in denen es um Insekten ging und ihre Zusammenfassung in der Zeitschrift ‚Biological Conservation‘ veröffentlicht: Der Rückgang der Kerbtiere lasse sich weltweit feststellen, und deren Biomasse habe jährlich einen Schwund von 2,5 Prozent. Besonders dramatisch verlaufe der Rückgang bei Schmetterlingen und Bienen, und auch Wespen und Ameisen seien – wie der Dungkäfer – elementar betroffen. Zu den zentralen Ursachen gehören nach dieser Studie der Verlust an Lebensraum durch die intensive Landwirtschaft, sowie die Ausdehnung von Städten und Verkehrswegen. Düngemittel und Pestizide – dazuhin Neonikotinoide – gefährden das Überleben von Insekten. Francisco Sánchez-Bayo vom Sydney Institute of Agriculture kommt in dem Report zu dem Schluss, dass alles getan werden müsse, um den Insektenschwund aufzuhalten, denn er befürchtet ansonsten einen „catastrophic collapse of nature’s ecosystems“.

Zurück zu mehr Vielfalt in der Landschaft
Schwebfliegen, Hummeln, Wildbienen, Schmetterlinge, Ameisen, sind genauso wie zahlreiche Vogelarten, Fledermäuse oder selbst Regenwürmer auf dem Rückzug. Und Feldhasen, Igel und Eichhörnchen haben längst Wald und Flur verlassen und sich in städtische Gärten und Parks zurückgezogen, da dort weder die Büchse knallt noch Hecken und blühende Wegränder abrasiert wurden. Wer sich jedoch einen Schottergarten anlegt oder ständig den Mähroboter sausen lässt, im Herbst den Laubbläser anwirft und die Überreste gleich einsaugt, der vergeht sich an der Natur. Wir alle müssen jetzt gemeinsam handeln und die Lebensräume von Insekten, Vögeln und anderen Tieren sichern. Dabei kommt es auf jeden Acker und jede Wiese an, aber auch kleine Flächen im ländlichen oder urbanen Bereich müssen wieder naturnäher genutzt werden. Dabei denke ich beispielsweise an breite und unendlich lange Böschungen an Bundesstraßen und Autobahnen, die aufgewertet und so neuen Lebensraum für Insekten bieten können. Und würde die Deutsche Bahn nicht fleißig Herbizide versprühen, dann wäre das Umfeld der Gleisanlagen ebenfalls ökologisch interessanter. Es ist schon ein Wunder, dass sich Eidechsen im Schotterbett überhaupt wohlfühlen. Mit diesen Beispielen möchte ich auch nochmals darauf hinweisen, dass es nicht darum geht, ein Refugium für einzelne Tierarten zu schaffen, sondern die Natur muss insgesamt stärker geschützt werden. Hier ein Blühstreifen und dort eine einsame Gebüschinsel in einem trostlosen Umfeld, das wird die Rettung nicht bringen. Dennoch möchte ich keinen noch so kleinen Versuch missen, den Tieren und Pflanzen wieder zu ihrem Recht zu verhelfen.

Unsere Landschaft muss vielfältiger werden, denn nur dies kann Hummeln und Wildbienen, aber auch Schwebfliegen, Käfern oder Libellen wieder neue Lebensräume bieten. Flurbereinigungen haben schon vor Jahrzehnten die Grundlage für die heutigen großflächigen Äcker geschaffen, doch im Grunde bräuchten wir wieder Hecken und Mauern zwischen kleinteiligeren Agrarflächen. Mehr blühende Wiesen und Ackerränder, mehr Gebüsch und Bauminseln, zusätzliche Tümpel, Weiher und renaturierte Bachläufe sind von großer Bedeutung. Der ökologische Landbau muss deutlich ausgeweitet werden, und auch in der konventionellen Landwirtschaft sind noch große Spielräume für ökologische Maßnahmen vorhanden. Diese Chancen müssen durch eine Neuorientierung der EU-Agrarpolitik genutzt werden, doch im Gezerre zwischen EU-Kommission und -Parlament sowie den Regierungen der Mitgliedsstaaten kommt diese nicht wirklich voran, was wir in den zurückliegenden Wochen wieder erleben konnten: Gerne sprechen Politiker von Ökologie und Nachhaltigkeit – im täglichen Handeln ist aber wenig davon zu spüren.

Mais-Agrarwüsten statt blühender Wiesen
„Kein anderer Lebensraum ist so schnell und so radikal von der Deutschlandkarte verschwunden wie die artenreiche Wiese.“ Wenn wir dem Tierfilmer Jan Haft folgen, dann wird klar, dass nicht jedes Fleckchen Grünland auch für Insekten und andere Tiere als Lebensraum dienen kann. Das Einheitsgrün mancher Flächen hebt sich zwar von Monokulturen wie Raps oder Mais ab, doch auf diesen ‚Wiesen‘ ist der Artenreichtum längst verschwunden. „Das heißt, die artenreichen Wiesen, die ab und zu mit Stallmist gedüngt und ein- oder zweimal im Jahr gemäht werden, sind gerade dabei, von der Landkarte zu verschwinden“, so Haft. Und so möchte ich ergänzen: Der Hochleistungskuh in der Massentierhaltung entspricht das überdüngte Grünland. Leider! Mit den Blühwiesen verschwinden jedoch nicht nur die Bestäuber, sondern auch viele Vogelarten. Sie finden keinen Brutplatz in der ausgeräumten Landschaft, und immer häufiger fehlen ihnen die Insekten als Nahrung bei der Aufzucht der Jungen.

Der Deutsche Imkerbund überschrieb ein Informationsblatt mit „Agrarwüste Mais“ und betonte: „Mais-Monokulturen, die hohe Mengen an Insektiziden, Herbiziden, Fungiziden und Düngemitteln benötigen, stellen ein Problem mit Langzeitfolgen dar“. Und so mancher Politiker, der sich für Biogasanlagen einsetzte, erkennt nun hoffentlich, dass immer weitläufigere Maisäcker Insekten ihrer Lebensgrundlage berauben. „Mit Mais bebaute Flächen stehen für den Anbau von Trachtpflanzen nicht mehr zur Verfügung und verringern daher das Nahrungsangebot für alle Blüten besuchende Insekten. In weiten Teilen Deutschlands hungern diese im Sommer“, so nochmals der Deutsche Imkerbund. Über Mais bis zum Horizont freuen sich neben den Anbauern und den Betreibern von Biogasanlagen höchstens Wildschweine, die sich im mannshohen Mais verstecken und gleich noch sattessen können. Und auf ebensolchen Maisfeldern schlägt auch die chemische Keule vermehrt zu: „Der hohe Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, bspw. gegen den Maiswurzelbohrer, schädigt aber nicht nur die Bienen, sondern alle Blüten besuchenden Insekten.“ Vielen Bauern sage ich mit diesen Zeilen zum Glück nichts Neues, denn sie haben längst umgedacht. Sie setzen wieder auf vielfältige Pflanzen und lassen die chemische Keule im Schrank.

Politik wachrütteln!
Leider haben die Schwebfliegen, die um bis zu 97 % zurückgegangen sind, keinen Stachel, mit dem sie Politiker und Agrarlobbyisten mal stechen und so auf ihr trauriges Schicksal aufmerksam machen könnten. Auch Schmetterlinge machen sich rar, worauf Wulf Gatter schon früher hingewiesen hat. „Früher sind hier im Beobachtungszeitraum jeden Tag weit mehr als 1 000 Kohlweißlinge vorbeigeflogen“, unterstrich der Förster und Insektenforscher in der ‚Stuttgarter Zeitung‘ (14.9.17) und er fuhr fort: „Wenn es jetzt noch 20 sind, dann war es ein guter Tag.“ Und statt 400 Tagpfauenaugen flattert jetzt im gleichen Zeitraum nur noch ein ‚verirrter‘ Schmetterling dieser Gattung herum. Wenn wir den Insekten helfen wollen, müssen wir noch energischer als bisher die Politiker aus dem Schlummer reißen, die sich nicht um das Insektensterben kümmern oder es gar leugnen. All die Bauern, Naturschützer, Wissenschaftler und politischen Entscheidungsträger, die sich für Wildbienen, Hummeln, Schwebfliegen, Schmetterlinge, Libellen oder Käfer engagieren, brauchen dagegen unsere Rückendeckung.

Es geht bei der gesamten Diskussion nicht um Schuldzuschreibung, sondern um gemeinsame Anstrengungen zur Problemlösung! Bei der Landnutzung dominiert die Landwirtschaft, daher müssen die EU-Agrarsubventionen neu ausgerichtet werden, und Minischrittchen genügen längst nicht mehr. Eine Agrarrevolution muss dafür sorgen, dass Subventionen aus Steuertöpfen nur dann bezahlt werden, wenn ein Beitrag zum Natur- und Umweltschutz geleistet wird. Dies gilt natürlich auch für die Forstwirtschaft, denn dort wurde zu lange auf Forstplantagen statt auf Mischwald gesetzt. Im urbanen Bereich gilt es, Parks oder sogenannte ‚Grünanlagen‘ fit für Insekten und Vögel zu machen, und Schottergärten sollten ebenso der Vergangenheit angehören wie immerzu rumorende Laubbläser oder Mähroboter, die Igel und Amphibien häckseln. Als Verbraucher sind wir gefordert, denn im Supermarkt entscheiden wir durch die Produktwahl über den Erhalt der Natur. Dies muss uns aber noch mehr durch übersichtliche Kennzeichnungssysteme erleichtert werden, denn nicht jeder Käufer hat die Zeit, das Kleingedruckte zu lesen, und in Corona-Tagen will man ja auch wieder an die Luft!
Der galoppierende Insektenschwund lässt sich nicht mit lahmenden Politikern stoppen: Wecken wir die Politiker gemeinsam und lautstark auf, die noch immer pennen und stärken wir all denen den Rücken, die sich für Insekten und Vögel, für unsere Natur und Umwelt einsetzen!


2 Antworten auf „Galoppierender Insektenschwund und lahmende Politiker“