Straßen-Chaos bald auch in der Luft?
Begeisterungsfähigkeit ist für mich ein positives Merkmal von Politikerinnen und Politikern, aber allzu oft müssen wir diese heute vermissen. Doch bei aller Euphorie, wenn sie sich denn einmal Bahn bricht, sollten Regierungsmitglieder und ihre mediale Entourage die Realität nicht aus den Augen verlieren. Diesen Eindruck habe ich allerdings derzeit, wenn ich über Dorothee Bär oder Andreas Scheuer und ihrem Lieblingsthema ‚Flugtaxi‘ lese. Meine Begeisterung für Drohnen litt nachdrücklich, als ich in Dublin auf dem Flughafen saß und unser Flugzeug wegen einer Drohne nicht starten konnte. Wir hatten Glück und der Alarm konnte schnell aufgehoben werden. Andere Flugpassagiere erwischte es in London-Gatwick deutlich schlechter: da stoppten Drohnensichtungen den Flugverkehr vor kurzem an zwei Tagen – und die Drohnen verschwanden jeweils spurlos. Nun werden die Fans der Flugtaxis aufstöhnen, was denn ein illegaler Drohnenflug mit einem zulässigen Flugtaxi zu tun habe? Auf den ersten Blick wenig, doch bei näherer Betrachtung sehr viel: Jede Bewegung im Luftraum ist heikel, problematischer allemal als ein Fahrzeug auf der Straße. Und wenn ich mir vorstelle, dass Flugtaxis in engbebauten Städten landen sollen, kann ich nur den Kopf schütteln.

Flugtaxis und Drohnen kein Mittel gegen Verkehrsinfarkt
Selbstredend gibt es Einsatzfelder für Drohnen und zukünftig auch für Flugtaxis, die sicherlich Sinn machen. Dabei denke ich an weniger dicht besiedelte Regionen, wo sowohl eine kleine Drohne ein Paket ausliefern kann, als auch Passagiere auf der nächsten Wiese einem Flugtaxi entsteigen können. Aber völlig verquer ist es, wenn hin und wieder der Eindruck erweckt wird, Flugtaxis und Drohnen wären eine Lösung für die alltäglichen Verkehrsprobleme auf unseren Straßen. So titelt z.B. die Stuttgarter Zeitung: “Airbus präsentiert Flugtaxi / Dem Stau entfliehen“. Das Gegenteil wird der Fall sein: Auch über unseren Köpfen bahnt sich das gleiche Durcheinander an, wenn nicht rechtzeitig gegengesteuert wird. Einen Verkehrsinfarkt zusätzlich noch in der dritten Dimension braucht wirklich niemand.
„Mein Ziel ist es, dass Deutschland in dieser Technologie Weltmarktführer wird“, sagte Dorothee Bär in ihrer Funktion als Staatsministerin für Digitales in der Regierung Merkel. „Zukunft wird aus Mut gemacht“, ergänzt sie. Da hat sie recht, und häufig fehlt uns in Deutschland und Europa der Mut, Neues beherzt anzugehen. Bei der Aufgabenstellung von Staatsministerin Bär hätte ich mir allerdings gewünscht, dass sie nicht gerade das Flugtaxi als Musterbeispiel für den digitalen Fortschritt in Deutschland anbietet. In einem Land, in dem man von einem Funkloch ins andere stolpert, und ausgerechnet von der Bundesministerin für Forschung und Bildung, Anja Karliczek, betont wird, man brauche den Mobilfunkstandard 5G nicht bis zur letzten Milchkanne, da frage ich mich schon, ob das Flugtaxi nun zum politischen Problemlöser geeignet ist.

Gespannt auf den rechtlichen Rahmen
Ihr Kabinettskollege Andreas Scheuer, seines Zeichens Verkehrsminister, legt ein Förderprogramm für Drohnen und Flugtaxis auf, die er „aus dem Labor in die Luft bringen“ möchte. In seinem Fall wäre es mir deutlich lieber, CSU-Minister Scheuer würde zuerst mal die Probleme auf den Straßen und Schienen lösen. Vielleicht dient die Flugtaxi-Begeisterung auch nur dazu, sich in die Lüfte zu erheben und so den Alltagsproblemen der ‚normalen‘ Bevölkerung zu entschweben. Beim Begriff ‚entschweben‘ fällt mir immer der Satz aus dem Unions-Programm für die Bundestagswahl 2017 ein: „Deutschland ist weltweit Vorzeigeland für seine Infrastruktur.“ Wenn ich schlaglochübersäte Straßen und zerbröselnde Brücken befahre oder mich über eine teilweise eingleisige Bahnstrecke von Stuttgart in die Schweiz wundere, dann habe ich einen ganz anderen Eindruck: Die Autoren des Wahlprogramms und die PolitikerInnen, die diesen Satz schrieben oder abnickten, saßen vermutlich im Hubschrauber, um von einem Termin zum anderen zu eilen. Vielleicht werden sie ja bald im Flugtaxi unterwegs sein und dabei wieder nur ein geschöntes Bild von unserem Land bekommen.
Gespannt bin ich auch, in welchen Zeiträumen die Bundesregierung alle rechtlichen und politischen Schwierigkeiten für den wirtschaftlichen Einsatz großer Logistik-Drohnen oder den Transport von Passagieren in Flugtaxis ohne Piloten aus dem Weg räumt. Über einige Jahre habe ich erlebt, wie diffizil solche gesetzlichen Rahmensetzungen selbst für (teil-) autonom fahrende Pkw und Lkw sind – und im Luftraum kommen noch ganz andere Dimensionen hinzu. Mancher Politiker wird sich darauf konzentrieren, solche Flugobjekte in Deutschland herstellen zu lassen und dann ins Ausland zu verkaufen, wo die Gesetzgeber häufig weniger zimperlich sind. „Weltmarktführer“, so der Anspruch von Dorothee Bär, wird man im Regelfall aber nur, wenn man die Erzeugnisse auch im eigenen Land einsetzt.

Digitale Dienste kommen aus den USA
Nochmals zurück zur Digitalisierung in Deutschland und Europa. Die Funklöcher habe ich schon angesprochen, das nicht selten lahme Internet möchte ich nur am Rande erwähnen. Um den Schulen etwas mehr digitalen Schwung zu vermitteln, braucht es einen Pakt von Bund und Ländern, der zeitweilig zu einem Streit um Auslegungen unseres Grundgesetzes ausartete. Dankbar wäre ich der Politik in unserem Land, aber auch in der EU, wenn wir endlich beginnen würden, digitale Entwicklungen nicht nur zu reglementieren, sondern sie selbst innovativ voranzutreiben. Eine Datenschutz-Grundverordnung und ein neues Urheberrechtsgesetz, das fast zwangsläufig auch zum Einsatz von Upload-Filtern führt, ersetzt nicht den Aufbau europäischer Anbieter.
Google und Amazon, Facebook, Twitter, WhatsApp oder Instagram haben ihren Ursprung in den USA – und nur die Fraktion der Reglementierer stammt aus Europa. Statt sich ins Flugtaxi zu schwingen, sollten sich die deutschen und europäischen PolitikerInnen dafür einsetzen, dass wir Impulse für den digitalen Markt nicht zunehmend anderen Weltregionen überlassen.

Im Speisewagen statt auf der Lok
Aber nicht nur bei der Software für die genannten Dienste sind wir Deutschen und Europäer nur noch als zahlungsfähige Gäste im Speisewagen unterwegs, denn die Lok halten längst andere besetzt, sondern das Gesagte gilt auch für die Hardware, vom PC über den Laptop bis hin zu Smartphones. Speichermedien oder Batteriezellen für die Automobilindustrie beispielsweise kommen aus Asien. Und beim Aufbau der 5G-Mobilfunknetze soll der chinesische Konzern Huawei möglicherweise zum Zug kommen: Dies hält nicht nur die US-Administration für bedenklich. Über Mobilfunknetze laufen sensible Daten! Keine Spur von europäischer Gegenwehr! Dabei kann es nicht wahr sein, dass europäische Unternehmen weder Laptops noch Smartphones zu wettbewerbsfähigen Preisen herstellen können. Darüber hinaus kann ich aus eigener Anschauung nicht erkennen, dass mein Huawei-Smartphone dem Rest der technischen Welt überlegen wäre. In Deutschland und Europa wurde der Versuch aufgegeben, sich an die Spitze der Digitalisierung zu setzen. Und bei Kuka, einem führenden Roboter-Hersteller für den industriellen Einsatz haben jetzt die Chinesen das Sagen. Selbst die Regulierungsfraktion ist bei der Einführung einer Digitalsteuer in der EU gescheitert: Wir können weder die Dienstleistungen anbieten noch sie adäquat besteuern! Dies halte ich für ein doppeltes Armutszeugnis – für Deutschland und die EU.
Aber jetzt haben sich ja nicht nur Dorothee Bär und Andres Scheuer in neue Sphären aufgemacht – mit dem Flugtaxi! Ich habe gar nichts dagegen, wenn diese entwickelt werden, dann aber bitte mit dem Geld der Unternehmen. Fördermittel sollten konsequent und geballt dort eingesetzt werden, wo es um die technologische und wirtschaftliche Zukunft Europas geht: Und diese sehe ich eher beim Internet-Handel, den sozialen Medien, bei Batteriezellen, Wasserstofftechnologie sowie Mobilitätsdienstleistungen zur Lösung unserer realen Probleme, aber auch in der gesamten Umwelttechnologie. Bedauerlicherweise sind wir in den angesprochenen Wirtschaftssektoren immer häufiger nur noch als Beifahrer unterwegs.

Echte Problemlöser sind gefragt
Flugtaxis und Drohnen mögen sich als Spielzeug für Politikerinnen und Politiker eignen, doch sie werden weder die akuten Verkehrsprobleme in Deutschland lösen noch tiefgreifend zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und zum Wohlstand unseres Landes beitragen. Es wäre an der Zeit, dass die Bundesregierung die zentralen Fragen beantwortet und sich nicht in verschiedenen Sandkästen zum Spielen niederlässt.
In der vierten Merkel-Regierung hätte ich mir ein wirkliches Ministerium für Digitales gewünscht, doch noch immer sind die Kompetenzen verstreut, so z.B. mit Dorothee Bär als Staatsministerin für Digitales im Kanzleramt, und Andreas Scheuer ist nicht nur für den Verkehr zuständig, sondern auch für digitale Infrastruktur. Und dann gibt es auch noch den Kanzleramtsminister Helge Braun, der sich der digitalen Revolution annehmen soll – und zahlreiche Fachabteilungen in anderen Ministerien: Eine Aufsplitterung erhöht natürlich nicht die Schlagkraft.
Mit dem vermehrten Einsatz von Drohnen und dem Start von Flugtaxis entstehen zahlreiche Sicherheitsfragen, und nicht zuletzt die Bürgerinnen und Bürger müssen für deren Einsatz gewonnen werden. Ich glaube kaum, dass sich die Wählerinnen und Wähler in Deutschland für übers Dach fliegende Drohnen und Flugtaxis begeistern lassen, wenn sie sich schon über den Fahrzeugverkehr vor der Haustür oder die Züge hinter ihrem Gartenzaun aufregen.

3 Antworten auf „Flugtaxi – das neue Polit-Spielzeug“