Fliegt bald der letzte Große Brachvogel übers Land?

Die Zerstörung seines Lebensraums geht weiter

Der Große Brachvogel sieht mit seinem langen Schnabel schon etwas archaisch aus, und ganz passend findet er sich in Deutschland – leider – auf der Roten Liste in der höchsten Gefährdungskategorie ‚Vom Aussterben bedroht‘. Danach folgt nur noch ‚Ausgestorben oder verschollen‘. Wenn er auf seinen dünnen Beinen durch feuchte Wiesen, am Rand von Seen oder im Watt auf Nahrungssuche geht, dann sieht man seinen langen Schnabel im Boden verschwinden, doch es fehlt ihm nicht nur an Nahrung, sondern auch an Nistplätzen. Der Große Brachvogel brütet „vor allem in Mooren, Dünen, Feuchtwiesen und auf störungsarmen Weiden“, heißt es beim NABU. „Er rastet an Küsten sowie in der Nähe von überfluteten Äckern, Wiesen und an Flachwasserzonen von Seen.“ In diesen beiden Sätzen lässt sich die ganze Tragik seines Vogeldaseins erkennen: Feuchtwiesen haben sich in der intensiv bewirtschafteten Feldflur rar gemacht, und wo soll dieser braungefleckte Vogel noch Weideflächen ohne Störungen oder Dünen ohne Touristen finden? Wann haben Sie, liebe Leserinnen und Leser, zuletzt einen Acker oder eine echte Wiese gesehen, die länger überflutet wurde? Mit dem Verschwinden von Tümpeln und Schilfgürteln oder intakten Mooren ist der Lebensraum des Großen Brachvogels immer kleiner geworden. Das Ende dieses Schnepfenvogels scheint zumindest in Deutschland und auch in weiten Teilen Europas nahe zu sein, wenn Feuchtgebiete nicht renaturiert werden.

Ein Großer Brachvogel steht auf einem Bein und streckt das andere nach hinten. Er hat auch einen Flügel nach hinten geklappt. Es sieht aus, als mache der Watvogel Gymnastik.
Ein wenig Gymnastik vor dem Abflug! (Bild: Ulsamer)

Ein Opfer der EU-Agrarpolitik

Als Wiesen zweimal im Jahr gemäht wurden und nicht wie heute im EU-Subventionszeitalter als Dauergrünland gleich fünf oder gar sieben Mal abrasiert werden, da fand der Große Brachvogel noch einen Nistplatz in kleinen ausgepolsterten Mulden. Die verfehlte Agrarpolitik der EU trägt eine maßgebliche Mitschuld am Verschwinden des Großen Brachvogels und seiner Verwandten, denn selbst das letzte Fleckchen wird beackert oder gemäht. Ausdrücklich möchte ich darauf hinweisen, dass natürlich der politischen Rahmensetzung meine Kritik gilt und nicht dem einzelnen Landwirt, der durch die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU gegängelt wird, eine grünlackierte Subventionsmaschine, die Natur und Umwelt schädigt, aber letztendlich auch die kleinen familiengeführten Bauerhöfe stranguliert.

Eine kleine Gruppe Großer Brachvögel steht auf einer grünen Weidefläche.
Der Umbruch von Wiesen, aber auch die häufige Mahd von Grünland oder die Zerstörung von Mooren hat dem Großen Brachvogel in weiten Regionen Europas seine Habitate geraubt. (Bild: Ulsamer)

Angeregt zu diesem kleinen Beitrag haben mich einige Brachvögel, die wir im südirischen Kerry an einem See gesehen haben, der sich nach winterlichen Regenmonaten immer wieder hinter einer Düne aufstaut. Eine Weidefläche steht partiell unter Wasser, Kühe trinken aus dem kleinen Gewässer, Austernfischer stochern nach Regenwürmern und ein Schwarm Kiebitze saust über die Landschaft – und da sind sie, die majestätisch über die Weide schreitenden Großen Brachvögel mit ihrem wehmütig anmutenden Gesang: ein langgezogenes Tüüüh. Selbst in Irland sind die größten europäischen Watvögel zu einer Seltenheit geworden – nicht nur als Stand-, sondern ebenso als Zugvögel. Für neun Gebiete wurde in Irland ein eigenes Schutzprogramm für den Curlew, den Großen Brachvogel, aufgelegt. Nicht nur die Nester werden im engen Kontakt mit den Landbesitzern geschützt, sondern einige eingesammelte Eier ausgebrütet und die Küken später ausgewildert. Trotz dieser Bemühungen nahm die Zahl der Paare in den geschützten Arealen von 46 im Jahr 2017 auf 30 bis 42 im Jahr 2021 ab. Während in den späten 1980er Jahren noch 3 300 bis 5 500 Paare des Großen Brachvogels in der Republik Irland brüteten, sind es heute vielleicht gerade mal 150, so der Jahresbericht 2022 des ‚Curlew Conservation Programme‘. Ein Rückgang von 96 % zeigt die schreckliche Dramatik!

Ein Großer Brachvogel bohrt seinen langen Schnabel in den Boden. Er sucht Regenwürmer.
Mit seinem nach unten gebogenen langen Schnabel stochert der Große Brachvogel im Boden u.a. nach Regen- oder Wattwürmern, doch er sucht auch zwischen Steinen oder im Gras geschickt nach Insekten. (Bild: Ulsamer)

Der Lebensraum schwindet

Für Deutschland liegen eher vage Zahlen – Expertenschätzungen – vor, die sich im neuesten ‚Vogelschutzbericht 2019‘ der Bundesregierung niedergeschlagen haben. Es soll im Jahr 2016 noch 3 600 bis 4 800 Brutpaare des Großen Brachvogels gegeben haben, wobei die Tendenz beständig nach unten zeigt. Von 1985 bis 2016 hat die Zahl der Großen Brachvögel um 26 % bis 65 % abgenommen. Mögen die Bestandszahlen auch nicht vollumfänglich bekannt sein, so ist klar, dass der Große Brachvogel vom Aussterben in Europa bedroht ist. Punktuelle Einzelmaßnahmen zum Schutz des Lebensraums für den Großen Brachvogel erfolgen zwar auch in Deutschland, doch diese können die negative Bestandsentwicklung nicht bremsen. Ein Wiesenbrüterprojekt als Ausgleichsmaßnahme hier und sogenannte ‚Agrarumweltmaßnahmen zur Regulation von Mahd- und Ernteterminen‘ da – das reicht eben nicht aus!

Ein Großer Brachvogel bei der Gefiederpflege. Er hat seinen Schnabel zwischen die Brustfedern geschoben.
Gefiederpflege ist nicht nur beim Großen Brachvogel lebenswichtig. (Bild: Ulsamer)

Weit schwerer wiegen die Entwässerung von Flächen für eine ‚optimierte‘ landwirtschaftliche oder forstwirtschaftliche Nutzung, das Überhandnehmen von Monokulturen, das häufige Mähen von Grünland statt der extensiven Beweidung oder der zu hohe Besatz mit Rindern, genauso wie Aufforstungsmaßnahmen in ehemaligen Moorgebieten. Bäche, Flüsse und Seen wurden durch menschliche Eingriffe in die Kulturlandschaft ‚eingepasst‘ oder sie haben ihre Stillwasserzonen und die Röhrichtgürtel verloren. Viele Kleingewässer wurden bei Flurbereinigungen gleich ganz aus der Natur getilgt. Moore wurden zerstört, im wahrsten Sinne des Wortes verfeuert oder sie landen weiterhin in der sackweise portionierten Gartenerde. Touristische und sportliche Aktivitäten überziehen häufig den letzten Winkel, da bleibt wenig Platz für das ungestörte Brutgeschäft des Großen Brachvogels. Außerhalb der EU wird der Große Brachvogel weiterhin bejagt, und auch dies setzt dem Zugvogel zu, der zum Teil an der westlichen Mittelmeerküste überwintert. Wo ihr Lebensraum verschandelt wird oder gänzlich verschwindet, haben die Großen Brachvögel keine Chance. Als sie ihre Brutplätze in Mooren verloren, die abgebaut wurden, passten sie sich an und suchten neue Nistmöglichkeiten auf Wiesen, Weiden oder Brachen, doch die Intensivierung der Landwirtschaft macht sie auch dort heimatlos.

Auf der WEide neben einer Wasserfläche sitzen Krickenten, ein Großer Brachvogel und Austernfischer. Ein Austernfischer landet gerade.
Ein kleines Paradies auf Zeit: Im Winter füllt sich eine Senke hinter den Dünen im irischen Kerry mit Regenwasser und bildet zwei Seen, und die umgebenden extensiv genutzten Weideflächen ziehen hin und wieder einige Große Brachvögel an. Hier finden sie zwar Nahrung, doch nisten wäre wegen der zahlreichen Rinder, Hunde, aber auch Touristen im Umfeld nicht denkbar. (Bild: Ulsamer)

Landnutzung verändern!

Nicht nur die Nistplätze sind in einer ausgeräumten und intensiv genutzten Landschaft weniger geworden, sondern es fehlt – wie bei der Mehrzahl der Wildvögel – an der Nahrung. Insekten und ihre Larven stehen auf dem Speiseplan des Großen Brachvogels. Allerdings hat das Insektensterben in vielen Regionen nur noch ein Viertel der Insekten, die es vor einigen Jahrzehnten gab, übriggelassen. Insektizide, Pestizide oder Gülleflut und Kunstdünger haben den Insekten ebenso zugesetzt wie vielen anderen Tierarten. Selbst Regenwürmer sind in manchen Böden selten geworden, die der Große Brachvogel gerne mit seinem gebogenen Schnabel aufspürt und verspeist. Im Küstenbereich holt er Wattwürmer aus dem Schlick. Schnecken und Krebstierchen verschwinden ebenfalls im Schnabel des Watvogels. Selten frisst der Große Brachvogel Amphibien, sollte er sie finden. Nicht nur dem Großen Brachvogel, sondern auch Fröschen oder Kröten fehlen die Tümpel, naturnahe Weiher und Seen. Notfalls würde er kleine Reptilien keinesfalls verschmähen, doch Eidechsen sind auf vielen Flächen zur Rarität geworden.

Ein Großer Brachvogel, davor ein deutlich kleinerer Rotschenkel. Der Name betont das wichtige Merkmal: rote Beine.
Um die kleinen Seen aus Regenwasser hoppeln Wildkaninchen, zu den Großen Brachvögeln gesellen sich Rotschenkel (mit im Bild), Austernfischer, Kiebitze, Krickenten und Möwen. (Bild: Ulsamer)

Ältere Große Brachvögel mögen unter Mühen noch das nötige Futter finden, um sich selbst zu erhalten, Küken dagegen ziehen sie nicht mehr auf. Dies zeigt sich im bereits angesprochenen irischen Report über den Großen Brachvogel. Die Zerstörung oder deutliche Verschlechterung des Lebensraums hat über Jahrzehnte eine tödliche Spirale in Gang gesetzt: Immer weniger Jungvögel, die restliche Population altert, der Lebensraumverlust geht weiter, so gibt es noch weniger Küken usw. Das künstliche Ausbrüten und Aufziehen von Küken, die dann ausgewildert werden, ändert nichts am Abwärtstrend, wenn nicht großflächig Veränderungen in unserer Landschaft durchgesetzt werden. Wir brauchen wieder mehr Tümpel und naturnahe Seen und Flüsse, Moorflächen müssen erhalten und renaturiert werden. Manche Weiden sollten – wo immer machbar – wieder zu Feuchtwiesen werden. Der Einsatz von Insektiziden, Pestiziden und Fungiziden ist rigoroser als bisher einzuschränken, damit Insekten und andere Tiere wieder eine Überlebenschance haben. Dauergrünland, das im Zuge der Massentierhaltung einem Sportplatzrasen gleicht, muss wieder zu blühenden Wiesen mit extensiver Bewirtschaftung werden. Schluss muss sein mit Monokulturen auf Äckern und im Forst, die bis an den Horizont reichen!

Drei Große Brachvögel stehen auf einer grünen Weidefläche, ein vierter Vogel fliegt weg.
Wohin die Großen Brachvögel auch fliegen, in Deutschland oder Irland haben sich ihre Überlebenschancen durch den Verlust an Lebensraum dramatisch verschlechtert. Diese eindrucksvollen Watvögel drohen auszusterben. (Bild: Ulsamer)

Eine echte Chance für den Großen Brachvogel wird es in Europa nur geben, wenn die EU-Agrarsubventionen nicht länger für jeden intensiv genutzten Hektar an Agrarland ausgeschüttet, sondern nur für einen nachhaltigen und ökologischen Landbau genutzt werden. Leider fehlt es bisher in der Europäischen Kommission unter Ursula von der Leyen und im Europaparlament am Willen, die verbliebene Natur zu retten. Sonntagsreden zum ‚Green Deal‘ reichen nicht! Auch in Deutschland gibt es zahlreiche Strategien zum Schutz der biologischen Vielfalt oder der Moore, doch es fehlt an deren tatkräftiger Umsetzung. Die Weltnaturschutzorganisation IUCN sieht den eurasischen Großen Brachvogel ebenfalls im Niedergang, in den meisten europäischen Staaten steht er auf der Roten Liste. Das alles nutzt dem eindrucksvollen Vogel wenig, wenn er nicht wieder mehr Nistplätze und Nahrung, mehr Raum zum Leben findet! Es ist nicht 5 vor 12 für den Großen Brachvogel in Deutschland oder Irland – um nur diese beiden Staaten zu nennen -, sondern 5 nach 12. Wer den Großen Brachvogel retten will, der muss jetzt für seinen Lebensraum kämpfen!

 

Ein Großer Brachvogel ist im Wasser kaum zu erkennen. Er hat den Kopf seitlich ins Wasser gelegt, doch der Schnabel schaut heraus.
Ein so ausführliches Bad hatte ich bei einem Großen Brachvogel noch nie gesehen. (Bild: Ulsamer)

 

Ein Großer Brachvogel ist mit dem Kopf unter Wasser.
Dieser Große Brachvogel nimmt es mit der Sauberkeit ganz genau. (Bild: Ulsamer)

 

Großer Brachvogel steht in einer kleinen Wasserfläche.
Wieder aufgetaucht. Süßwasser ist für zahlreiche Vogelarten nicht nur zum Trinken, sondern auch für ein Bad wichtig. Mehr dazu in meinem Blog-Beitrag: ‘Vögel leiden an Nahrungs- und Wassermangel‘. (Bild: Ulsamer)

 

 

2 Antworten auf „Fliegt bald der letzte Große Brachvogel übers Land?“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert