Wolf am Schluchsee im Schwarzwald erschossen
Nach einem 600 Kilometer langen Marsch erreichte ein junger Wolf, aus Niedersachsen kommend, Baden-Württemberg. Er wurde in der Nähe des Bodensees gesichtet, wanderte über die Baar und wurde am Schluchsee im Hochschwarzwald tot aufgefunden: Die Untersuchungen im Berliner Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung zur Todesursache ergaben eine erschreckende Diagnose: Der Wolf wurde durch einen Schuss in die Brust getötet. Nationale und internationale Schutzvorschriften haben auch diesem Wolf nichts genützt. Wenn sich nicht das Bewusstsein vieler Menschen verändert und wir auch Wildtieren ein Lebensrecht zugestehen, dann bleiben Erklärungen zum Schutz zuwandernder Wildtiere leeres Gerede. Es ist höchste Zeit, die Schutzbestimmungen auch durchzusetzen.
Wer näherkommt, wird erschossen
In Niedersachsen leben über 100 Wölfe in 11 Rudeln, und auch dort wurden drei Wölfe illegal erschossen und aufgefunden. An die Dunkelziffer mag ich erst gar nicht denken. Gefährlich wird es für Wölfe aber nicht nur in Niedersachsen, wenn sie die Scheu vor Menschen verlieren. So wurde „Kurti“ im April 2016 im offiziellen Auftrag erschossen, da er den Menschen zu nahe gekommen war. Er hatte jedoch niemand angegriffen oder gar verletzt.
Ein vergleichbares Schicksal erlitt „Bruno“ der Bär in Bayern. Aus Italien hatte er sich über Österreich nach Deutschland vorgearbeitet und dort 2006 auch noch seinen Hunger gestillt. Hätte er sich doch besser eine Wegzehrung mitgebracht oder wäre in Tirol geblieben, wo sich die Jägerschaft geweigert hatte, ihn zu erschießen! „In Garmisch-Partenkirchen hatte er mehrere Schafe gerissen, anschließend überfiel er in Bayern auch Hühner- und Hasenställe, räumte Bienenstöcke aus und tötete immer wieder Schafe“, so der „Spiegel“ (26.6.2006). Klingt dies nicht geradezu erschreckend? Oder ist das eine Art von Satire? „Bruno“ hatte das getan, was Bären so tun, wenn sie Hunger haben.
Auf der Abschussliste
Als „Bruno“ an einer Pension vorbeilief, in der die Gäste gerade ihr Abendessen einnahmen, da war für den damaligen bayerischen Umweltminister, Werner Schnappauf, alles klar: „Bruno“ wurde zum „Problembären“ erklärt, und als alle Versuche, ihn einzufangen, gescheiterten, da „half“ nur noch der Todesschuss. Mir war es schon damals ein Rätsel, warum es finnischen Spezialisten mit trainierten Suchhunden nicht gelang, ihn aufzuspüren, dann aber in Windeseile eine Lokalisierung erfolgte, um dem Bär den Garaus zu machen.
Es irritiert mich schon, dass in anderen europäischen oder außereuropäischen Staaten Wölfe und Bären ein relativ friedliches Dasein führen und nicht gleich ein Jagdkommando losgeschickt wird, wenn sich ein Wildtier nicht schnell genug in den Wald verdrückt.
Hysterie statt Realitätssinn
Hysterisches Geschrei von Teilen der Landwirtschaftslobby finde ich geradezu abstoßend, wenn sie mal wieder einen Wolf zum Feind ihrer Tierbestände hochstilisieren. Die überwiegende Mehrheit der in Deutschland gehaltenen Tiere vom Huhn über das Schwein bis zur Kuh wird wohl niemals einem Wolf begegnen, denn sie werden in – nach meiner Meinung – zu engen Ställen gehalten und lernen noch nicht mal den Sonnenschein kennen. Diese industrielle Landwirtschaft hat von Wildtieren allemal nichts zu befürchten und leider auch nicht von der Politik. Anders sieht dies wohl das Landvolk in Niedersachsen: „Auf Initiative des Landvolks haben sich jetzt Tierhalter in Verden getroffen und ein Aktionsbündnis gegründet – mit einer klaren Forderung: Das Bündnis will sich für ein ‚Ende der unkritischen Willkommenskultur für Wölfe’ stark machen”, laut NDR 821.2.17)
Das Alarmgeschrei verstehe ich auch nicht, wenn sich ein Wolf oder Bär an einigen Hühnern vergreift, wenn in Deutschland im Jahr 50 Millionen männliche Küken gleich nach dem Schlüpfen aussortiert und getötet werden. Und dank einer verfehlten Landwirtschaftspolitik ist mit Schafhaltung, wenn man die Flächensubventionen abzieht und von Naturschutzaufgaben absieht, ohnehin kein Geld zu verdienen. Auch muss in unseren Landen die Dorfgemeinschaft nicht hungern, wenn Wolf oder Bär ein Schaf reißen. Selbstverständlich müssen Landwirte eine Entschädigung erhalten, wenn Bär oder Wolf sie heimsuchen – oder noch besser, sie benötigen Fördermittel, um ihren Tierbestand entsprechend abzusichern.
Sind denn alle Tiere gefährlich?
Kaum machen sich einige Biber an die Arbeit und stauen einen Bach auf, da laufen die ersten Flächenbesitzer Amok, da eine ihrer Wiesen überflutet wird. Politiker sehen die Zeit gekommen, Biber abzuschießen oder auch zu verspeisen. Ist ein Teil der Bevölkerung empört, dann soll es mit den Biberrezepten ein Scherz gewesen sein. So ganz glaube ich solchen Ausflüchten allerdings nicht. Und wenn Otter sich einer ihrer Lieblingsspeisen, den Fischen zuwenden, dann geht es ihnen wie den Kormoranen: sie fallen in Ungnade. Vergrämen oder Abschuss werden dann von manchen Fischern gefordert.
Wildtierkorridore könnten zur Farce werden
Welchen Sinn macht es, in Deutschland und der Europäischen Union Wildtierkorridore auszuweisen, die gerade auch den Großtieren – wie Wolf oder Bär – Wanderbewegungen erlauben sollen, wenn sie dann legal oder illegal erschossen werden. Bei einem Projekt der Daimler AG in Immendingen an der Donau beispielsweise wird eine Wildtierpassage verwirklicht, die das Gelände auf 33 Hektar Fläche durchzieht. Damit entstanden dem Unternehmen zusätzliche Kosten für Wildtiertunnel und Wildbrücke und für den Kauf dieses Flächenanteils, der für technische Aufgaben nicht genutzt werden kann. Es erfolgt auch keine Anrechnung beim naturschutzfachlichen Ausgleich. Dennoch bin ich von der Sinnhaftigkeit solcher Maßnahmen überzeugt: Allerdings nur, wenn Bär, Wolf oder Luchs auch vor und nach der Wildtierpassage auf Verständnis bei uns Menschen treffen.
Dringend erforderlich ist auch die Erhöhung der Zahl von Wildbrücken über zentrale Verkehrsadern, denn in den letzten Jahren wurden in Deutschland auch zahlreiche Wölfe Opfer des Verkehrs.
Der Wolf ist nicht unser Feind
Nun aber zurück zum Wolf vom Schluchsee: Sein Tod darf nicht ungesühnt bleiben, und ich hoffe, dass Polizei und Staatsanwaltschaft alles daransetzen, den Täter zu finden. Zumindest eine erste und wichtige Spur dürfte das im toten Wolf aufgefundene Projektil sein. Eine Freiheitsstrafe, die durchaus verhängt werden kann, sollte dann auch eine abschreckende Wirkung haben. Geldstrafen führen in solchen Fällen des Gesetzesbruchs erfahrungsgemäß nicht wirklich weiter.
In Baden-Württemberg verurteilten nicht nur der NABU und andere Naturschutzverbände, sondern auch der Landesjagdverband den Abschuss des Wolfs, doch vielleicht ist es an der Zeit, in den Jagd-, Forst- und Agrarverbänden auch unter den Mitgliedern für ein naturnäheres Bewusstsein zu werben. Sollte ein Jäger gezielt den Wolf erschossen und ihn im Schluchsee „entsorgt“ haben, dann erwarte ich nicht nur die Distanzierung der Jagdverbände, sondern auch den Ausschluss solcher Mitglieder und deren Sympathisanten, die weder durch Gesetze noch ethische Vorstellungen von illegalen Abschlüssen abgehalten werden können.
Landesjägermeister Jörg Friedmann betonte: „Wir verurteilen diese Tat. Der Abschuss ist für unsere Bemühungen um einen sachlichen und zielorientierten Umgang mit Wolf und Luchs ein herber Rückschlag.“ Das klingt ja ganz nett, aber was mir hier fehlt ist ein „Schuss“ Empathie. Wenn wir mit der Natur, und somit auch den Wildtieren, nicht mitfühlen, dann können wir auch kein Zusammenleben ermöglichen.
Neubesinnung verstärken
Begrüßenswert ist es aus meiner Sicht, dass in Deutschland immer mehr „Schutzgebiete“ unterschiedlicher Ausrichtung – seien es Nationalparks oder Biosphärengebiete – ausgewiesen werden, so z.B. in jüngster Zeit der Nationalpark Schwarzwald oder das Biosphärengebiet Schwarzwald, doch wir brauchen auch eine Neubesinnung in weiteren Teilen der Politik und der Bürgerschaft: Die Bedeutung der Natur wird auch in Zeiten zu geringgeschätzt, in denen allenthalben von Nachhaltigkeit geredet wird.
Generell müsste sich die Landwirtschafts- und Forstpolitik stärker an Naturschutzaufgaben orientieren und hier beziehe ich auch ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen industrieller Produktion und Schutz des Waldes auf der einen Seite und den Belangen der Tierwelt auf der anderen Seite mit ein.
Die Rückkehr des Bibers – aber auch anderer ausgerotteter Wildtiere – ist eine Erfolgsgeschichte des Naturschutzes. Ich kann wirklich nicht verstehen, warum diese von manchen Politikern, Bürgern und Journalisten in ein düsteres Weltuntergangsszenarium umgeschrieben wird.
Der Wolf im Schwarzwald hätte ein besseres Schicksal verdient gehabt, und dies gilt natürlich auch für „Bruno“ – und ihre Artgenossen. Ich hoffe sehr, dass die nächsten Zuwanderer auf vier Pfoten eine bessere Aufnahme finden.
Aufklärung der Bevölkerung im Verhalten Wildtieren gegenüber durch Tierorganisationen mit Unterstützung der Politiker der Umweltministerien ist unbedingt erforderlich . Natürlich müssen die Verantwortlichen der Politik vollkommen unabhängig von Spenden der Lobbyisten sein !