Rote-Liste-Status nutzt nichts bei Verlust des Lebensraums
Feldhasen werden auf den deutschen ‚Roten Listen‘ als ‚gefährdet‘ geführt und gleichzeitig dürfen sie weiter geschossen werden! Für das Jagdjahr 2022/23 nennt der Deutsche Jagdverband in seiner Statistik 238 148 getötete Feldhasen. Das ist ein Skandal! Der Feldhase kann auf kurzen Strecken bis zu 80 km/h schnell rennen, doch den Marathonlauf gegen eine intensive Landwirtschaft, die Zerschneidung der Landschaft und eine nimmermüde Jägerschaft droht er zu verlieren. Auf Felder und Wiesen schwappt die Gülleflut, mal wird mit der chemischen Keule zugeschlagen, Monokulturen und Einheitsgrün setzen sich durch, Brachflächen, blühende Ackersäume, Hecken und Feldgehölze sind zur Seltenheit geworden. Wo sollen Feldhasen da ihre Jungen bekommen und für sich selbst ein sicheres Plätzchen oder Nahrung finden? Zwar sind wir begeisterte Wanderer, auch in landwirtschaftlichen Regionen, inzwischen habe ich allerdings mehr Feldhasen in städtischen Parkanlagen als auf den namensgebenden Feldern gesehen. Den Feldhasen nützt es nichts, wenn sie auf der Roten Liste stehen und an Ostern gewissermaßen ein Festtag für Meister Lampe begangen wird – sie brauchen effektiven Schutz gegen Beschuss und die Sicherung ihres Lebensraums.
Verarmung der Landschaft
Die Landwirtschaftspolitik in der Europäischen Union setzt seit Jahrzehnten auf eine ständige Intensivierung und bietet mit Flächenprämien bis heute zu wenig Anreize, um eine strukturreiche Landschaft zu erhalten bzw. wieder herzustellen. Bei Flurbereinigungen galten Hecken oder Inseln mit Gebüsch und Bäumen oder Trockensteinmauern als Hindernisse für die immer gewaltigeren Landmaschinen und wurden beseitigt. Wo fünf Mal pro Jahr das Gras gemäht und die Felder bis zum nächsten asphaltierten oder geschotterten Weg beackert werden, findet der Feldhase keine ruhige Stelle für seine Jungen. Fehlt es an Deckung, haben Wildschweine oder Greifvögel, Füchse oder Rabenvögel als natürliche Feinde leichtes Spiel. Mit seinen tierischen Gegenspielern kam der Feldhase über lange Zeiträume zurecht, doch seine Existenz wird heute vom Menschen bedroht. Ackerflächen werden bei der Ernte so umfassend abgeräumt, dass im Herbst und Winter kaum Pflanzen oder deren Samen übrigbleiben. Nicht nur der Feldhase hat auf solchen braunen Flächen das Nachsehen, sondern Regenwürmer ebenfalls.
„Die Verarmung an Landschaftsstruktur wirkt sich dabei gleich mehrfach negativ aus. Durch das Fehlen an Deckung sind Hasen nicht nur den Witterungsbedingungen stärker ausgesetzt, sondern sind auch für Beutegreifer leichter zu entdecken. Darüber hinaus hat der Verlust an Strukturreichtum in der Landschaft auch zu einer Abnahme der Pflanzenbiodiversität geführt. Da Hasen sich hauptsächlich von Gräsern und Kräutern ernähren, führt die intensive Landwirtschaft womöglich auch zu einem Mangel an Nahrungsqualität oder -quantität. Um den negativen Folgen der Landschaftsveränderung entgegenzuwirken, wird das Stilllegen von Ackerland und das Anlegen von Ackerrandstreifen empfohlen“, so Dr. Klaus Hackländer in seiner Veröffentlichung ‚Feldhasen in der Kulturlandschaft: Die Bedeutung von Brachen für Nahrungsökologie, Energiehaushalt und Populationsdynamik‘, die er mit Förderung der Deutschen Wildtier Stiftung erstellt hat. Der am Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI) der Veterinärmedizinischen Universität Wien tätige Klaus Hackländer hat es auf den Punkt gebracht: Es fehlt an Nahrung und Versteckmöglichkeiten für den Feldhasen.
Flucht in die Stadt
Und daher hat sich so mancher Feldhase gezwungenermaßen schon mal zum ‚Stadthasen‘ gewandelt, der auf der Flucht vor Monokulturen und allerlei chemischen Helferlein in großflächige städtische Grünanlagen abgewandert ist. Auf diese Weise bekommt ‚Landflucht‘ eine neue inhaltliche Auslegung! Sein gutes Gehör und der ausgeprägte Geruchssinn schützten den Feldhasen und seine Kollegen – wie den Mountain Hare in Irland – lange vor ihren Feinden, aber Gülle aus der Massentierhaltung und Gärreste aus Biogasanlagen, das Totalherbizid Glyphosat, das Wildkräuter killt, oder der geballte Chemiebaukasten, der in der Intensivlandwirtschaft zum Zuge kommt, all das macht den Feldhasen zu schaffen. Ihre Populationen können sich nicht dauerhaft erholen, schon gar nicht, wenn obendrein noch die Büchse knallt.
Geradezu skurril ist es, wenn immer wieder behauptet wird, man müsse die Füchse dezimieren, um die Feldhasen zu schützen, doch flugs legen die gleichen Jäger auf Fuchs und Feldhase, und gerne auch mal auf ein Rebhuhn an. „Füchse sterben zum Wohl des Feldhasen“, so lautete die Überschrift in der ‚Stuttgarter Zeitung‘: Wenn schon zum großen Halali geblasen werden soll, dann aber bitte nicht mit solch fadenscheinigen Parolen! Feldhase und Fuchs kommen in einer halbwegs intakten Natur sowieso miteinander zurecht, wenn nicht beide Tierarten fleißig bejagt würden. Und noch abstruser ist es – am Rande bemerkt – wenn zuerst die Füchse massenhaft abgeschossen werden, um anschließend über die Mäuseplage zu jammern! Viele Zeitgenossen scheinen sich von der Natur immer weiter zu entfernen, und so fällt ihnen gar nicht mehr auf, dass Tiere und Pflanzen aus unserer Landschaft verschwinden. Dabei geht es nicht nur um den Feldhasen oder den Feldhamster, den Großen Brachvogel oder Stare und Schwalben, sondern auch um Insekten, die um 75 % in drei Jahrzehnten abgenommen haben. Axel Hochkirch und seine Mitautorinnen und -autoren belegen mit ihrer im Internet-Fachmagazin PLOS One veröffentlichten Studie ‚A multi-taxon analysis of European Red Lists reveals major threats to biodiversity‘, dass fast ein Fünftel der in den Roten Listen erfassten Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht sind! Weitere Hinweise zu dieser Studie finden Sie in meinem Beitrag ‚Tieren und Pflanzen beim Aussterben zusehen? Rote Listen: Die Biodiversität schmilzt dahin‘. Wir müssen die Politik dazu drängen, diesem traurigen Trend nicht länger weitgehend tatenlos zuzusehen. Der Feldhase gilt bisher bereits als gefährdet, doch um schlimmeres zu verhindern, muss der zahlenmäßige Niedergang sofort gestoppt werden!
Feldhasen ganzjährig schützen
Wer den Lebensraum der Feldhasen sichern und wieder ausweiten möchte, der muss sich für eine Extensivierung der Landwirtschaft einsetzen. Derzeit dagegen wird von der EU-Kommission, der Mehrheit des EU-Parlaments und der Bundesregierung mit dem grünen Landwirtschaftsminister Cem Özdemir genau das Gegenteil betrieben. Wenn wir unsere Natur schützen wollen, brauchen wir eine Agrarrevolution! Vor den Wahlen zum Europaparlament im Juni 2024 findet jedoch exakt das Gegenteil statt: Plötzlich scheinen Brachflächen, Blühstreifen und eine sachgerechte Fruchtfolge nicht mehr wichtig und entsprechende Vorgaben werden gekippt. Das passt auf erschreckende Weise zur Verlängerung der Zulassung von Glyphosat für ein weiteres Jahrzehnt! Und dies unter der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die lange über einen ‚Green Deal‘ palaverte, der sich in der Tagespolitik indessen längst in Luft aufgelöst hat. Mehr dazu in: ‚EU: Green Deal im Glyphosatnebel verschollen. EU-Kommission hat kein Herz für Insekten und Wildkräuter‘. Die EU-Agrarsubventionen, die noch immer überwiegend an der Fläche und weniger an Ökologie und Nachhaltigkeit orientiert sind, bedeuten den Untergang für Feldhasen und Rebhühner. Und ganz nebenbei: Die kleinbäuerlichen Familienbetriebe werden durch die desaströse EU-Agrarpolitik ebenso vernichtet wie Insekten und Vögel, was allerdings manchen Traktor-Rabauken wohl nicht aufgefallen war, die sich gegen ökologisch sinnvolle Vorgaben wenden und nicht bemerken, dass sie sich mit ihrem Widerstand das eigene Grab schaufeln. Erschreckend ist der Kniefall der Bundesregierung vor den Traktorkolonnen. Auf diesen traurigen Aspekt einer Politik, die der Natur und den Bauern schadet, bin ich in meinem Blog-Beitrag ‚Ampelregierung von Traktoren überrollt. Scholz & Co in Agrardiesellache ausgerutscht‘ eingegangen.
Zwar soll es noch rd. zwei Millionen Feldhasen in Deutschland geben, doch es ist längst überfällig, den Negativtrend in den Bestandszahlen umzukehren: „Im NABU-Positionspapier zur Jagd werden sowohl Feldhase als auch Wildkaninchen grundsätzlich als jagdbare Arten aufgeführt“, so der NABU in Nordrhein-Westfalen, worüber man natürlich streiten könnte. Den weiteren Ausführungen kann ich gleichwohl zustimmen. „Es ist aus Sicht des Naturschutzes aber völlig unverständlich, wenn Rote-Liste-Arten ins Jagdrecht aufgenommen werden bzw. dort verbleiben und sogar eine Jagdzeit erhalten. Vielmehr sind gefährdete Arten, die in den Roten Listen der Bundesländer geführt werden oder deren Bestände eine nachhaltige Nutzung nicht ermöglichen, in diesen Ländern ganzjährig zu schonen. Da die Population der Feldhasen – insbesondere durch die intensive Landwirtschaft – in den vergangenen zehn Jahren dramatisch gesunken ist, dieser Trend vermutlich weiter bestehen bleibt und der Feldhase deshalb bundes- wie landesweit auf der Roten Liste steht, fordert der NABU NRW eine ganzjährige Schonzeit für den Feldhasen – zumindest bis die frühere Populationsstärke und Verbreitung wieder erreicht ist.“ Dieser Forderung kann ich mich nur anschließen!
Vielfalt statt Einfalt
Bis zu einer wirklichen Erholung der Bestände an Feldhasen muss in Deutschland ein ganzjähriges Bejagungsverbot gelten – ausgedehnt des Weiteren auf Rebhühner! Es reicht nicht, wenn Politiker in Sonntagsreden einige Sätze über die Natur verlieren, an Werktagen ist es gleichfalls unabdingbar, den Naturschutz zu stärken. Die Feldhasen brauchen mehr Lebensraum und umfassende Sicherheit vor der nächsten todbringenden Schrotladung. Die Existenz von Feldhasen, Wildkaninchen oder Rebhühnern lässt sich nur sichern, wenn die EU-Agrarpolitik eine tiefgreifende Neuorientierung erlebt: Mehr Hecken, Steinriegel, Tümpel und Feldgehölze müssen wieder zu einer strukturreichen Landschaft beitragen, Brachflächen, überjährige Blühstreifen und breite Ackersäume sind unerlässlich, und dazu gehört eine deutliche Reduktion aller Herbizide, Insektizide und Fungizide in der Landwirtschaft sowie in Gärten, Grünanlagen oder Parks. Rinder gehören nicht in Massenställe, sondern zurück auf die Weide, und dabei kommt es auf einen niedrigen Besatz an, so bleibt Platz für einen Feldhasen auf Futtersuche oder in einer geschützten Ecke auch für die Aufzucht der Jungen. Und Insekten freuen sich über Kuhfladen, die Vögel über die fliegende Nahrung. Dieses Beispiel zeigt, dass eine naturnahe Landwirtschaft vielen Tier- und Pflanzenarten erneut Auftrieb geben würde. Das Denken und Handeln in Kreisläufen wäre dafür ein entscheidendes Prinzip, denn „Alles hängt mit allem zusammen“, eine Erkenntnis, zu der Alexander von Humboldt bereits um 1800 aus intensiven Naturbeobachtungen gelangte.
Der Lebensraum der Feldhasen auf landwirtschaftlichen Flächen muss unbedingt vergrößert werden, ansonsten gehen die Bestandszahlen weiter zurück. Feldhasen in städtischen Parkanlagen sind ein positives Zeichen, doch sie müssen auch im ländlichen Raum wieder eine Lebenschance erhalten. Wer die Feldhasen unterstützen möchte, der muss die Jagd auf Meister Lampe einstellen! Wir brauchen einfach mehr Vielfalt in unserer Landschaft, und das heißt mehr Strukturreichtum und weniger Äcker bis zum Horizont, weniger Chemie und mehr Natur!