Familienausflug als Demo anmelden?

Wenn ‚Querdenker‘ und Politextremisten aufmarschieren

Langsam aber sicher reicht es mir: Seit über einem Jahr konnten wir keinen Ausflug mehr mit unserer Familie unternehmen, denn mit unseren Kindern, deren Ehemännern und Enkelkindern kommen wir auf 13 Personen – und drei Hunde. Aber in Stuttgart demonstrieren 15 000 sogenannte ‚Querdenker‘ ohne Masken und auf Tuchfühlung! Freundlich werden diese Zeitgenossen von der Polizei begleitet, obwohl sie alle Corona-Restriktionen missachten. Für uns Normaldenker stellte sich in der Osterzeit wieder mal die Frage, wann man denn welches Familienmitglied treffen kann, um die Zwei-Haushalte-Regel nicht zu überschreiten. Kinder haben einen holprigen oder keinen Schulunterricht, und die Zahl der Nichtschwimmer steigt, da die Bäder geschlossen sind. Im Gottesdienst gilt Abstand, Maskenpflicht und Gesangsverbot, doch durch die Straßen meiner Geburtsstadt marschieren Maskenverweigerer – und nichts geschieht. Drei Wochen vorher taten es ihnen Linksextremisten gleich und bekundeten lautstark ihre „Solidarität mit politischen Gefangenen“. Sie kamen voll maskiert – wie zumeist, mit und ohne Corona. Da frage ich mich, warum wir unseren Familienausflug nicht ganz einfach als Demonstration anmelden?

'Querdenker' marschieren ohne Masken durch Stutgart, sie haben Magaphone und unterschiedliche Musikinstrumente dabei.
Musik statt Masken: Musikvereine dürfen nicht spielen, doch bei den Corona-Leugnern darf aufgespielt werden. (Bild: Screenshot, YouTube, stuggi.TV, 5.4.2021)

Mit zweierlei Maß gemessen

Der neue Stuttgarter CDU-Oberbürgermeister Frank Nopper hätte sich im Vorfeld des ‚Querdenker‘-Aufmarschs besser mit allen Alternativen beschäftigen sollen, um dieses blamable Zurückweichen des Rechtsstaats vor ganzen Horden von Maskenverweigerern zu verhindern. Stattdessen kümmerte er sich um das Schickeria-Thema Metropol-Filmtheater! Dort soll statt eines Kinos eine Boulderhalle einziehen. Sollte, muss ich vermutlich schreiben, denn Stuttgart machte mal wieder mobil. Ausnahmsweise nicht gegen Stuttgart 21, sondern gegen die Umwidmung eines Kinos: Wären doch alle, die jetzt jammern, zweiwöchentlich ins Metropol als zahlende Filmgucker gegangen, dann würde sich diese Frage erst gar nicht stellen! Zusätzlich steht ja auch noch die Sanierung der Oper für 1 Mrd. Euro an, die Noppers Vorgänger, der Grüne Fritz Kuhn, gemeinsam mit der grün-schwarzen Landesregierung unter Winfried Kretschmann ohne echte Bürgerbeteiligung auf den Weg brachte. Nun gut, da kann so eine ‚Querdenker‘-Demo schon mal unter dem Radar aufziehen. „Die Anmelder haben uns ja gerade zugesagt, dass sie die Coronabeschränkungen einhalten werden“, meinte OB Nopper hinterher in der Stuttgarter Zeitung. Wie blauäugig kann und darf ein Oberbürgermeister eigentlich sein? Michael Ballweg & Co. haben sich bisher noch in keiner Stadt an die Vorgaben gehalten!

Zersprungene Scheibe vor Sportschuhen.
Stuttgart Riots: Im Juni 2020 wurden in Stuttgart von einem angetrunkenen Mob Polizisten brutal angegriffen, Läden geplündert und Fahrzeuge demoliert: Viel zu lange hatte die Stadtverwaltung weder auf mobile Jugendarbeit gesetzt noch Gruppen klare Grenzen aufgezeigt, die im Schlossgarten als ‚Partyszene‘ bezeichnet wurden: In Wirklichkeit dominierten Saufgelage und Vermüllung. (Bild: Ulsamer)

Nun können weder Frank Nopper noch der 2020 auf dem Ticket der Freien Wähler zum Ordnungsbürgermeister gewählte Clemens Maier etwas für die Irrwege ihrer Vorgänger, doch in Stuttgart wird seit längerer Zeit mit unterschiedlichem Maß gemessen. Viel zu lange schaute die Stadtverwaltung zu, was sich in den Oberen Anlagen – dem Schlossgarten – und auf dem Schlossplatz bis hinüber zu den Treppen des Kleinen Schlossplatzes so tut: So lange, bis Frust und Hass auf die Stadtgesellschaft sich in der Nacht vom 20. auf den 21. Juni 2020 explosiv Bahn brachen. Mehr dazu in meinem Blog-Beitrag: ‚Stuttgart: Wenn der Mob die Straße beherrscht. Brutale Krawallmacher müssen gestoppt werden‘. Es fehlte über Monate und Jahre an sachgerechter mobiler Jugendarbeit, aber auch eine klare Grenzziehung zwischen erlaubtem und nichterlaubtem Tun unterblieb. Ich erinnere mich noch an ein Schild in Zürich: „Erlaubt ist, was nicht stört!“ Daran hatten sich zu wenige gehalten, und die Stadtverwaltung tolerierte dies.

Rudolf Diebetsberger spielt in unmittelbarer Nähe des Kleinen Schlossplatzes in Stuttgart Horn. Im dunklen Anzug mit schwarzem Hut. Sein Horn aus Messing glänzt
Dass die Stadtverwaltung in Stuttgart und die Justiz auch schnell und unbarmherzig vorgehen können, das beweist die Justiz-Posse um Rudolf Diebetsberger: Er spielte ganz nah am Kleinen Schlossplatz, doch blies Diebetsberger acht Meter neben dem zugewiesenen Platz, da dieser belegt war. Als sich der sozial engagierte Hornist weigerte, die Geldbuße zu begleichen, wanderte er nach Stammheim in den Knast. Ausgerechnet dort saßen auch viele RAF-Terroristen ein, die die Gerichte zu ihrer Bühne degradiert hatten. (Bild: Screenshot, „Facebook“, 12.1.2018)

Ganz anders erging es Rudolf Diebetsberger, der am Kleinen Schlossplatz für einen guten Zweck ins Horn stieß, um mit den Einnahmen indische Kinder vor einer Erblindung zu schützen. Als sein zugewiesener Platz belegt war, spielte er acht Meter davon entfernt und wurde von den Stuttgarter Ordnungsbehörden in die Mangel genommen. Er bezahlte die verhängte Geld-Buße nicht, landete vor Gericht und schließlich im Knast. Ausgerechnet in meiner Heimatstadt? Und dann auch gleich noch in Stammheim? Dort saßen einst die Baader-Meinhof-Terroristen der ‚Roten Armee Fraktion (RAF)‘ ein. Nicht nur dieser kuriose oder besser abstruse Vorgang warf nachdrücklich die Frage auf, welche Maßstäbe das städtische Ordnungsamt und die Justiz in unseren Tagen anlegen? Damals mit einem grünen Chef im Rathaus, jetzt mit einem schwarzen, doch mit den Maßstäben stimmt noch immer etwas nicht! Ein Hornist wanderte hinter Gitter, 15 000 Personen, die die eigene und die Gesundheit ihrer Mitbürger aufs Spiel setzen, werden von der Polizei in Stuttgart eskortiert, damit sie nicht mit Gegendemonstranten zusammentreffen, und das Fazit des Polizeipräsidiums: „Insgesamt verliefen die Versammlungen und Aufzüge friedlich.“ Wie wird friedlich definiert, wenn die Teilnehmer durch ihr Verhalten ein hoch gefährliches, nicht selten tödliches Virus ohne Schutz verbreiten? „Sowohl am Marienplatz, als auch auf der Versammlungsstrecke und auf dem Cannstatter Wasen verstieß die Mehrzahl aller Teilnehmer gegen die Abstands- und Maskenauflagen“, so die Polizei.

Polizisten gehen rückwärts vor dem Demonstrationszug her. Sie tragen weiße Schutzhelme. Die Demonstranten gehen eng gedrängt.
Polizisten im Rückwärtsgang: 15 000 ‚Querdenker‘ demonstrieren und die Ordnungsbehörden schauen zu. In der Innenstadt werden dagegen üblicherweise die Besucher in Corona-Zeiten zum Maske tragen ermahnt und die Haushaltszahl geprüft. Ich bin der Überzeugung, dass Stadt und Polizeiführung die Polizisten vor Ort nicht in eine Situation bringen dürfen, in denen diese gewissermaßen Geleitschutz für Demonstranten geben, die ganz bewusst rechtliche Vorgaben brechen. ((Bild: Screenshot, YouTube, SWR, 5.4.2021)

Den ‚Querdenkern‘ auf den Leim gegangen

Wenn die Stadtverwaltung in Stuttgart nicht die Zügel anzieht, wird Stuttgart zum Aufmarschgebiet von ‚Querdenkern‘ sowie links- und rechtsextremen Gruppierungen, die sich inzwischen in der Region auch gerne handgreiflich bekriegen. Dem Image der Stadt Stuttgart, die einst als ‚Stadt zwischen Wald und Reben‘ für sich warb, später dann wegen der Feinstaubemissionen fälschlicherweise als „schmutzigste Stadt Deutschlands“ bezeichnet wurde, fügte das ‚Querdenker‘-Spektakel schweren Schaden zu. Und mal ganz nebenbei: ‚Querdenken‘ ist wichtig, doch sollte das Denken generell von der Realität ausgehen, und daran fehlt es inzwischen nicht nur beim zusammengewürfelten Haufen von Michael Ballweg, sondern auch bei der Bundesregierung. Die einen leugnen die Gefahren der Pandemie, die man unschwer an den Erkrankten auf den Intensivstationen und den Verstorbenen erkennen kann, und tragen bei ihren Demos ‚fleißig‘ zur Verbreitung des Coronavirus bei. Die Bundesregierung, aber auch viele Landespolitiker, haben es auf der anderen Seite seit 2013 versäumt, unser Land gegen weltweite Pandemien aufzurüsten. Das Robert-Koch-Institut und die Fraunhofer-Gesellschaft hatten mit Szenarien anschaulich vor Seuchen dieses Typs gewarnt, doch nichts geschah. Und wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel „Impfen, impfen, impfen“ ausruft, obwohl der Impfstoff Mangelware ist, dann ist sie so realitätsfern unterwegs wie die ‚Querdenker‘.

Linksextreme Demonstranten sind vermummt. Rote Fahnen.
Maske gehört ohnehin zum Outfit! Gerne maskiert oder gleich ganz vermummt marschierten Linksextremisten mit dem Slogan „Solidarität mit politischen Gefangenen“ durch die Stadt. Die streng ausgerichteten Kolonnen erinnern zum Teil nicht von ungefähr an den Schwarzen Block, der sich 2017 in Hamburg austobte, als Olaf Scholz als Erster Bürgermeister der Hansestadt lieber in der Elbphilharmonie saß als den Schutz der Bürger zu koordinieren. Aber kirchliche Veranstaltungen werden auf ein Minimum reduziert, der Schulunterricht holpert, Schwimmbäder sind geschlossen, und es dürfen sich nur – noch? – zwei Haushalte treffen. (Bild: Screenshot, YouTube, SWR, 5.4.2021)

Frank Nopper und Clemens Maier mögen in ihrem juristisch geprägten Weltbild als Verwaltungschefs meinen, sie hätten im Vorfeld der ‚Querdenker‘-Demonstration richtig gehandelt. So betonte Maier gegenüber der dpa: „Ich glaube, wir haben das Beste daraus gemacht“ und Nopper meinte „Hinterher ist man immer schlauer.“ Da hat der Oberbürgermeister recht, aber mal ganz ehrlich: Der Ablauf war doch jedem analytisch denkenden Menschen schon im Voraus klar! Maskengegner laufen eben ohne diesen Schutz herum! Und wer nichts von den Corona-Beschränkungen hält, der marschiert eben körpernah durch die Stadt. Wenn Nopper und Maier jetzt eine juristische Schutzmauer aufrichten, dann zeigt dies, dass sie die Bedrohung falsch eingeschätzt haben. Schließlich haben Gerichte aus berechtigten Gründen auch schon Demonstrationen verboten oder beschränkt! Musikvereine dürfen nicht spielen, aber die ‚Querdenker‘ dürfen gerne von Trommelwirbel begleitet werden! Kirchgängern wird dringend angeraten, sich vor den Fernseher zu setzen, denn pro Kirchenbank ist nur ein Platz frei! Doch 15 000 ‚Querdenker‘, Verschwörungstheoretiker mit oder ohne Aluhut und viele Bürger, die an der Corona-Politik verzweifeln, marschieren durch die Stadt Stuttgart und brüllen ihre Parolen, und niemand ist gewillt, einen solchen Superspreading-Event zu verhindern! Frank Nopper und Clemens Maier kenne ich aus ihrem ursprünglichen Arbeitsfeld, und daher bestürzt mich das jetzige Debakel umso mehr. Aber Backnang und Trossingen sind eben nicht Stuttgart, und Stuttgart ist längst nicht mehr die schwäbische ‚Metropole‘, in der alle zur Kehrwoche eilen, den Müll in den Abfalleimer werfen und in Parkanlagen höchstens mal Ball spielen. Wer sich nicht an die Gesetze und Vorgaben hält, der muss eben mit einem Eingreifen der Ordnungsbehörden rechnen, was gleichermaßen für Vandalen im Park wie für maskenlose ‚Querdenker‘ gilt. Und notfalls muss auch mal der Wasserwerfer auffahren, der in Stuttgart in der Garage steht, seit ein Gegner von Stuttgart 21 vor 11 Jahren am Auge schwer verletzt wurde.

Titelseite der Fraunhofer-Publikation und der Bundestagsdrucksache, die beide im Text erwähnt werden.
Die Corona-Leugner haben die Realität aus dem Blick verloren, doch dies gilt leider auch für die Bundesregierung. Wie verträgt es sich mit dem Eid, den Kanzlerin, Minister und Abgeordnete ablegen, wenn sie Warnungen vor einer Pandemie negieren? Hier klagen zehntausende von Corona-Toten an! Das Robert-Koch-Institut entwickelte als oberste Behörde für den Seuchenschutz in Deutschland ein eindrückliches Szenario, das sich wie ein ‚Drehbuch‘ zur heutigen Corona-Pandemie liest, aber leider hat wohl niemand die Bundestagsdrucksache 17/12051 gelesen. 2013 ging diese Untersuchung mit dem Titel „Pandemie durch Virus Modi-SARS“ an alle Bundestagsmitglieder, doch sinnvolle Reaktionen blieben aus. Die Fraunhofer-Gesellschaft zählt zu den führenden Forschungsorganisationen für anwendungsorientierte Forschung in Europa, daher hätte die Studie „Pandemische Influenza in Deutschland 2020 – Szenarien und Handlungsoptionen“ ebenfalls aus dem Jahre 2013 mehr Beachtung verdient gehabt. (Bild: Collage, bundestag.de, fraunhofer.de)

Das Impfen geht nur langsam voran, da die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen über den Preis der Impfdosen und die Haftung feilschte, während die USA, Großbritannien oder Israel bereits eifrig bestellten. Die Teststrategie hat diesen Begriff nicht verdient. Deutschland wankt von Lockdown zu Lockdown. Was also mit unserem Treffen tun: Vielleicht ist unser Familienausflug absehbar nur möglich, wenn wir ihn als Demo anmelden! Wir garantieren Friedfertigkeit und werden Masken tragen!

 

Gruppe von Personen, darunter auch Kinder gehen durch eine Allee alter Bäume im Wald.
Wenn 15 000 ‚Querdenker‘ in Stuttgart ohne Masken und auf Tuchfühlung durch die Stadt marschieren dürfen, dann sollten wir unseren ersten Familienausflug seit über einem Jahr vielleicht als Demonstration anmelden? Wir wären sogar zu einem Test vorab bereit! Leider stammt das obige Bild aus Vor-Corona-Zeiten von einer Wanderung an der Donau. (Bild: Ulsamer)

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert