Bourbon-Juncker verkündet im Schmierentheater die ewige Sommerzeit
Sicherlich kann man über die Zeitumstellung trefflich streiten, und ob das Drehen am Uhrzeiger zweimal im Jahr Sinn macht, ist auch für mich höchst zweifelhaft. Sommer- und Winterzeit wurden 1980 in Deutschland eingeführt und ab 1996 in allen Staaten der Europäischen Union (EU) vereinheitlicht. Die einen freuen sich über längere Abende im Biergarten bei Helligkeit und andere klagen zurecht, dass sich ihre Kinder bei der Zeitumstellung schwertun. Doch nun wollte die EU-Kommission – angestoßen vom Europaparlament – mal bei den Bürgerinnen und Bürgern auf den Busch klopfen und rief zur Abstimmung über die Zeitumstellung auf. Eigentlich hätte ich mir gewünscht, dass wir mal bei der Ausrichtung der Landwirtschaftspolitik, bei der Datenschutz-Grundverordnung oder der Flüchtlingspolitik um unsere Meinung gebeten worden wären, aber Fehlanzeige. Auch bei der Sturheit der EU-Kommission gegenüber den Briten unter der Regierung von David Cameron wurden wir nicht um unseren Rat gefragt, vielleicht hätten wir ja alle gemeinsam den Brexit mit mehr Flexibilität verhindert. Nein, ausgerechnet bei der Zeitumstellung werden wird konsultiert!

Kein Demokratie-Erweckungserlebnis
Geradezu lächerlich ist es, wenn nach der unverbindlichen Abstimmung der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker verkündet „Die Menschen wollen das, wir machen das.“ Solche Sprüche im ZDF klingen zwar ganz nett und volksnah, aber ein Lehrbeispiel an Demokratie ist es sicherlich nicht, wenn wir ausgerechnet bei einer solchen politischen Nebensächlichkeit gefragt und zum Entscheider hochstilisiert werden. Dabei hätte ich doch viel lieber meine Stimme erhoben und per Internet eingebracht, wenn es um die Neuorientierung der industriellen Landwirtschaft geht. 50 Mrd. EURO aus den EU-Kassen gehen in die Förderung der Landwirtschaft – und aus meiner Sicht führen diese Gelder zu einer Fehlsteuerung. Aber dazu wurden wir bisher nicht befragt! Derzeit steht eine Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) an, doch letztendlich befürchte ich, dass die Agrarlobbyisten aus den einzelnen EU-Staaten eine echte Neuorientierung an ökologischen Grundsätzen und dem grundsätzlichen Gedanken der Nachhaltigkeit verhindern werden.
Aber lassen wir das und bleiben beim Thema Zeitumstellung. Eifrig verkündet die EU-Kommission: „4,6 Mio. Rückmeldungen aus allen 28 Mitgliedstaaten“ seien eingegangen. „Mehr Antworten wurden bislang bei keiner anderen öffentlichen Konsultation der Kommission eingereicht.“ Und 84 Prozent der Teilnehmer hätten sich dafür ausgesprochen, “die halbjährliche Zeitumstellung abzuschaffen“. Das klingt ja geradezu nach einem demokratischen Erweckungserlebnis: Endlich wird der Wille der EU-Völker ernstgenommen und eine Änderung auf den Weg gebracht! Nun sollte man aber bei der Beteiligungsquote doch die Kirche im Dorf lassen, denn 4,6 Millionen Rückmeldungen bei über 500 Millionen Bürgerinnen und Bürgern in der EU, dies würde bei allen wirklich wichtigen europäischen Fragen kaum als Quorum anerkannt werden. Und so verhärtet sich mein Verdacht, dass uns das große Demokratie-Theater nur vorgespielt wird, da es sich um keine Frage mit weitreichenden Folgen handelt. So können die EU-Kommission und das EU-Parlament bei den im nächsten Jahr anstehenden Wahlen bzw. Neubesetzungen auf ihr ach so tolles Demokratie-Experiment verweisen.

Das neue Entscheidungs-Quorum: Unter einem Prozent
Apropos Demokratie: Nur in Deutschland, Österreich und Luxemburg haben sich überhaupt mehr als 1 Prozent der Bevölkerung an der Internet-Befragung beteiligt. Klarer Spitzenreiter dabei sind wir Deutschen mit 3,79 %. Und so entfallen auf deutsche Teilnehmer auch 3 Mio. Antworten. Eigentlich müssten es noch zwei Stimmen mehr sein, doch meine Frau und ich haben an diesem höchst zweifelhaften Unterfangen nicht teilgenommen. In Italien haben sich 0,04 % beteiligt, aber die haben wohl gerade andere Sorgen, und im Vereinigten Königreich gerade mal 0,02 %. Gut, den Brexit-Briten kann die Zeitumstellung in der Rest-EU wirklich egal sein. Aber dennoch lässt auch die britische Nichtbeteiligung aufhorchen, denn wie werden sie wohl ihre Uhren stellen, sollten die dann 27 EU-Staaten die Zeitumstellung zu den Akten legen? Sollten die Briten eine andere Variante als die EU wählen, dann könnte durch den Brexit nicht nur auf der grünen Insel eine hard border drohen, sondern die Uhren könnten in der Republik Irland und in Nordirland eine andere Zeit anzeigen! Aber Jean-Claude Juncker, der dann hoffentlich auf dem EU-Altenteil sitzt und kein weiteres Unheil anrichten kann, dürfte dies egal sein: Er hat bereits den Brexit mit provoziert und mit seinen Seifenblasen à la ‚Joint Paper‘ gemeinsam mit der britischen Premierministerin Theresa May falsche Sicherheiten in die Brexit-Verhandlungen gebracht.

Ich bin wirklich gespannt, wie die einzelnen Mitgliedsstaaten der EU die Diskussionen über die Abschaffung der Zeitumstellung führen werden, denn zumeist haben sich nur kleinste Teile der Bevölkerung eingebracht. Vielleicht ist aber auch nur in deutschen Landen die Aufregung über die Zeitumstellung groß und unseren Partnern ist diese gleichgültig. Hoffentlich gibt es keine neuen Verwerfungen, wenn die mittel-osteuropäischen Mitgliedsländer oder die Südeuropäer sich fragen, warum sich Juncker sofort das Ende der Zeitumstellung aufs Panier schreibt, obwohl doch nur in seinem Heimatland Luxemburg und den deutschsprachigen Staaten Österreich und Deutschland wirklich von einer nennenswerten Beteiligung gesprochen werden kann.
Was die Stunde geschlagen hat
Auf die Zeitumstellung kann ich gut und gerne verzichten, dies möchte ich betonen, somit käme mir eine entsprechende Entscheidung der EU-Gremien und der Mitgliedsstaaten gerade recht, insbesondere dann, wenn dauerhaft die Sommerzeit gelten würde. Hierfür hatte sich ebenfalls eine Mehrheit ausgesprochen. Selbst bei einem Besuch in Nigeria wurde Bundeskanzlerin Angela Merkel von Medienvertretern mit dem gewichtigen Umfrageergebnis zur Zeitumstellung konfrontiert. “Ich persönlich hätte dafür jedenfalls eine sehr hohe Priorität.” Und sie ergänzte ironisch, dass sie nicht wisse, ob sich ihre Gastgeber im Klaren seien, “welches zentrale Problem die Menschen in Europa haben”. Zumeist habe ich eine kritische Einstellung zu den politischen Aussagen der „Wir schaffen das“-Kanzlerin, doch da kann ich ihr nur zustimmen: Es geht darum, Fluchtursachen in Afrika zu bekämpfen, Menschen eine bessere Zukunft durch solidarisches Handeln zu ermöglichen, den Zusammenhalt der EU und den inneren Frieden in Deutschland durch die ungelösten Flüchtlingsprobleme nicht weiter zu gefährden und da wird die Bundeskanzlerin in Afrika nach der Zeitumstellung gefragt! In welcher Welt leben wir eigentlich?

Das EU-Parlament, aber auch der EU-Ministerrat und die EU-Kommission sollten sich den zentralen Herausforderungen unserer Zeit stellen und nicht durch das Theater um die Zeitumstellung von zahllosen ungelösten Problemen ablenken. Glaubt der EU-Kommissionspräsident wirklich, dass er als großer Demokrat in die Annalen der Geschichte eingeht, weil er sich ausgerechnet bei der Zeitumstellung mit „Die Menschen wollen das, wir machen das“, zu Wort meldet? Wann werden wir denn von Jean-Claude Juncker gefragt, ob wir das Ende der industriellen Landwirtschaft wollen und uns für eine ökologische Neuausrichtung einsetzen? Die EU braucht neue Persönlichkeiten an der Spitze und keine abgehalfterten Landespolitiker, die nach Europa weggelobt werden. Dies sollte auch bedacht werden, wenn im kommenden Jahr die Nachfolge von Jean-Claude Juncker bestimmt wird, der sein politisches Verfallsdatum längst überschritten hat. Dies wurde auch beim Streit um Zölle mit US-Präsident Donald Trump mehr als deutlich, als er brabbelte: „Wir werden Zölle legen auf Harley-Davidson, Bourbon und Blue Jeans, Levi‘s“. Trotz längerem Suchen konnte ich unter den 20 wichtigsten Lieferländern für Jeans die USA nicht finden. Das scheint Juncker und Konsorten aber egal zu sein.
Auch wenn die EU die Zeitumstellung abschaffen sollte, so habe ich den Eindruck, dass viele Politikerinnen und Politiker noch nicht gehört haben, was die Stunde geschlagen hat.
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