Die EU muss handlungsfähig und bürgernah werden
Alle halben Jahre wieder: die Zeitumstellung! Längst ist es in Vergessenheit geraten, dass die Sommerzeit eingeführt wurde, weil man 1980 in Deutschland und der DDR glaubte, man könne auf diese Weise Energie sparen. Das wäre in der damaligen Ölkrise ein nicht zu unterschätzender Vorteil gewesen, allerdings stellte sich im Laufe der Jahre heraus, dass der Energieverbrauch durch die Zeitumstellung nicht reduziert werden konnte. Doch was solls, dachten wohl die politischen Entscheider, und sie führten 1996 unverdrossen eine gemeinsame Regelung für die Zeitumstellung in der Europäischen Union ein. Die Zeitumstellung, die bei vielen Menschen zu einer Art Mini-Jetlag führt und nachweislich gesundheitliche Probleme hervorruft, löste ein so lautes Grummeln aus, dass die EU-Kommission in einem Anflug von Bürgernähe eine breitangelegte Umfrage durchführte, an der sich 4,6 Mio. Bürgerinnen und Bürger beteiligten und mehrheitlich gegen die Zeitumstellung votierten. Der damalige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker verkündete daher 2018: „Die Menschen wollen das, wir machen das“. Das ist nun sechs Jahre her, doch passiert ist nichts. Auch unter seiner Nachfolgerin Ursula von der Leyen stellen wir brav unsere Uhren um, weil sich die Entscheider in den EU-Gremien und den Mitgliedsstaaten nicht auf eine einheitliche Lösung einigen können. Die EU hat sich mehr und mehr von der Idee eines europäischen Problemlösers hin zu einem bürokratischen Moloch entwickelt, der selbst zum Problem geworden ist. Statt an Vereinfachungen zu arbeiten, wird die Diskussion um die Zeitumstellung mit der Frage der Zeitzonen überlagert und damit zu einem echten Streitthema. In Brüssel und Strasburg wird leider viel geredet und reichlich Steuergeld verschwendet, doch kleine und große Herausforderungen werden nicht bewältigt. Dies ist für mich als überzeugtem Europäer eine Schande! Die Debatten über die Zeitumstellung und die Versuche zahlreicher Politiker, das eigene Unvermögen zu kaschieren, bringen unser gemeinsames Europa nicht voran.
Gesundheit leidet
Um ehrlich zu sein, die Zeitumstellung an sich ärgert mich weniger, als die Unfähigkeit der EU-Bürokraten, einen Vorschlag zu erarbeiten, um die versprochene Abschaffung der Zeitumstellung zu realisieren. Es scheint in der EU-Kommission jedoch niemanden zu grämen, wenn die Bürgerschaft zunehmend das Vertrauen in die europäischen Institutionen verliert. Dabei geht es nicht nur um die Zeitumstellung, denn das wäre zu verschmerzen, sondern auch um den von Ursula von der Leyen vielgepriesenen ‚Green Deal‘, der zur Lachnummer wurde, als Atomkraft und Gaskraftwerke plötzlich in der Taxonomie zu ‚grünen‘ Energieträgern wurden, und wer den Einsatz von Glyphosat um zehn Jahre verlängert, der hat nicht gehört, was die Uhr geschlagen hat. Damit wären wir wieder bei der Zeitumstellung. Laut einer von der DAK 2024 in Auftrag gegebenen Umfrage klagten 30 % der Befragten – bei Frauen sind es 39 % – nach der Umstellung der Uhren über gesundheitliche Probleme. Dies sind fünf Prozentpunkte mehr als im Vorjahr. Es scheint kein Prozess der Gewöhnung an die Zeitumstellung stattzufinden, denn ähnliche Werte ergaben sich auch in vorhergehenden Befragungen, eher im Gegenteil. Bei 49 % der Betroffenen hielten die Beschwerden über eine Woche, bei jedem Vierten gar einen ganzen Monat an. „Rund 79 Prozent der Betroffenen fühlen sich müde und schlapp, während 63 Prozent über Einschlafprobleme und Schlafstörungen klagen. Weitere häufig genannte Beschwerden sind Konzentrationsschwierigkeiten (39 Prozent) und Gereiztheit (32 Prozent). Zudem berichten zehn Prozent der Befragten über depressive Verstimmungen. Fast ein Fünftel der Berufstätigen (19 Prozent) gibt an, aufgrund der Zeitumstellung nicht pünktlich zur Arbeit gekommen zu sein“, so die DAK. Die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger scheint die EU-Kommission zumindest bei der Zeitumstellung nicht zu beschäftigen, da basteln die EU-Gremien doch lieber an immer neuen Grenzwerten z. B. für Feinstaub, die irgendwann wirtschaftliche Aktivitäten in weiten Bereichen unmöglich oder nicht mehr wettbewerbsfähig machen werden.
Umfragen sind so eine Sache, denn man muss im Auge behalten, wie hoch der Prozentsatz der Beteiligung ist. Das gilt auch für die eingangs erwähnte Bürgerbefragung der EU, bei der sich 84 % für die Abschaffung der halbjährlichen Zeitumstellung aussprachen. 2018 hatten sich 4,6 Mio. EU-Bürger beteiligt. Bei damals 500 Mio. EU-Bürgern ist dies natürlich ein relativ kleiner Prozentsatz, darauf bin ich bereits kritisch in meinem Blog-Beitrag ‚Zeitumstellung: Die Uhr tickt – die EU bleibt stehen‘ eingegangen, doch andererseits hatten sich an keiner anderen Befragung der EU-Kommission mehr Menschen beteiligt. Weitere Umfragen zeigen ein ähnliches Bild, so befürworteten 76 % der Teilnehmer an der DAK-Umfrage die Abschaffung der Zeitumstellung. Es ist also längst überfällig, den vollmundigen Ankündigungen von Junkers Taten folgen zu lassen und das Ende der Zeitumstellung einzuläuten.
Hilflose EU-Kommission
Ich bin mir bewusst, dass sich bei einem Ende der Zeitumstellung die Frage aufdrängt, ob denn eine Rückkehr zur früheren Normalzeit, der jetzigen Winterzeit, oder eine ewige Sommerzeit das richtige wäre. Eine ewige Sommerzeit, die bei Umfragen gut abschneidet, hätte den Nachteil, dass es im Winter erst gegen neun Uhr hell wird. Und damit wären Schülerinnen und Schüler noch länger im Dunkeln unterwegs bzw. würden – bei Kunstlicht – in den Klassenzimmern sitzen. Eines sollten wir aus den Schulschließungen während der Coronapandemie gelernt haben: Die jungen Menschen dürfen nicht die Leidtragenden egal welcher Lösung sein. Feststellen lässt sich, dass bei Umfragen die Zustimmung für die Zeitumstellung bei Rentnern größer ist als bei Arbeitnehmern, denn diese können sich ihren Tagesablauf weitgehend selbst einteilen.
Statt auf möglichst einfach umsetzbare Lösungen zu setzen, überlagert die EU die Zeitumstellung mit Kontroversen über die Einteilung der Zeitzonen innerhalb der EU. Selbst die abwegige Idee wurde ins Spiel gebracht, die bisherigen drei Zeitzonen zusammenzuführen, was natürlich kaum vorstellbar ist, betrachtet man die Unterschiede beim Auf- bzw. Untergang der Sonne zwischen Polen und Portugal mal realistisch. Die EU-Kommission macht es sich bei der Zeitumstellung zu einfach, indem sie diese Frage an die Mitgliedsstaaten delegiert. „Nach einer Bewertung der bestehenden Regelung kam die Kommission zu folgendem Schluss: Die Mitgliedstaaten sind am besten in der Lage, selbst zu entscheiden, ob sie die Sommerzeit oder die Standardzeit („Winterzeit“) dauerhaft beibehalten wollen. Dabei gilt es, eine Fragmentierung zu vermeiden.“ Wenn ein Thema politisch unangenehm und für Luftnummern nicht geeignet ist, dann wird es kurzerhand an die Mitgliedsstaaten zurückverwiesen, ansonsten jedoch okkupiert die EU-Kommission gerne mehr Aufgabenfelder, die effektiver in den einzelnen Staaten oder Regionen abgearbeitet würden.
Nebenbei bemerkt: Im Europäischen Rat sind die Verkehrsminister für die Frage der Zeitumstellung zuständig, doch dieses erlauchte Gremium ist kaum zu sachorientierten und innovativen Vorschlägen befähigt. Das hat sich gezeigt, als die Verkehrsminister ein Verbot für Lkw-Fahrer aussprachen, an Wochenenden in ihrem Fahrzeug zu übernachten. Haben Sie, liebe Leserinnen und Leser, inzwischen neue Unterkünfte an Autobahnparkplätzen aus dem Boden sprießen sehen? Ich nicht. Selbst die Parkplätze sind weiterhin zu klein. So viel zur Fachkompetenz der EU-Verkehrsminister. Mehr dazu in meinem Blog-Beitrag: „EU: Wie viele Lkw-Fahrer können bei den Verkehrsministern pennen? Weltfremde Politiker sollten ein Praktikum als Brummi-Fahrer machen“.
Die EU-Kommission hat in Sachen Zeitumstellung versagt. Es kann nicht sein, dass 2018 der damalige EU-Kommissionspräsident Juncker großspurig verkündet, man werde dem ‚Bürgerwillen‘ folgen und die Zeitumstellung abschaffen und dann passiert nichts, obwohl 2019 auch das Europarlament das Ende der Zeitumstellung beschloss. Leider ist das kein Einzelfall. Die EU wird nur überleben und im Konzert der politischen Mächte mitspielen können, wenn sie weniger bürokratisch und dafür bürgerfreundlicher handelt. Die EU muss aufhören mehr Themenfelder zu besetzen und zuerst einmal die bestehenden Herausforderungen meistern. Die EU ist im Jammertal nicht nur der Zeitumstellung gefangen, sondern irrt auch bei anderen Fragen ohne Kompass durch die Welt, und dies lässt für die anstehenden Wahlen zum Europarlament nichts Gutes ahnen.