EU: „Green Deal“ – befeuert mit Atomstrom

Ursula von der Leyen fliegt mit Atomrakete zum Mond

Die Energiewende ist ein großes Rad, doch zunehmend habe ich den Eindruck, dass wir uns weder in Europa noch in der Welt darauf einigen können, in welche Richtung das Rad eigentlich gedreht werden soll. Ursula von der Leyen macht sich als EU-Kommissionspräsidentin schon mal mit ihrem „New Deal“ auf zum Mond, und in Madrid tagten bei der UN-Weltklimakonferenz sage und schreibe 30 000 Interessenvertreter: der Berg kreißte und gebar ein graues Mäuschen. Langsam habe ich genug von fadenscheinigen Kompromissen, die nicht das Papier wert sind, auf denen sie das Licht der politischen Welt erblicken. Und Mammuttreffen, zu denen zehntausende von Menschen anreisen, um nichts Habhaftes zu beschließen, halte ich für unerträglich. Aber wen wundert‘s, wenn die einen unrealistische Forderungen aufstellen und die anderen sich gar nicht bewegen wollen? Statt des Palavers würde ich mir wünschen, dass jeder und jede schon mal mit den Veränderungen in Richtung Ökologie und Nachhaltigkeit beginnen würde – egal auf welcher gesellschaftlichen Ebene. In Deutschland wurde das Klimapäckchen der Bundesregierung zumindest beim CO2-Preis noch etwas aufgefüllt.

Die Kamine und Gebäude der Wiederaufbereitungsanlage in La Hague vom Meer aus gesehen.
Bundeskanzlerin Merkel zog bei der Kernenergie in Deutschland nach Fukushima gewissermaßen den Stecker. Und dies macht gerade auch unter Sicherheitsgesichtspunkten Sinn, aber nur, wenn auch die anderen europäischen Staaten mitziehen. Davon ist jedoch wenig zu spüren. Kein Wunder: In Frankreich kommen 70 % des Stroms aus der Atomenergie. Im Bild: Teile der Wiederaufbereitungsanlage im französischen La Hague – im Nordwesten der Normandie. (Bild: Ulsamer)

Wird Kernkraft wieder salonfähig?

Leicht verblüfft bin ich, dass sogar Vertreter der Grünen Gefallen am „Green Deal“ finden, der bisher nur aus Luftblasen besteht. “Ursula von der Leyen hat ein ambitioniertes Paket vorgestellt. Am Green Deal Day bin ich besonders gerne Europäer. Im Vergleich zu dem Klimapaket der Bundesregierung sind die Vorschläge der Kommission ein Meilenstein”, so der grüne Europaparlamentsabgeordnete Sven Giegold. Bis 2050 solle die EU klimaneutral wirtschaften! Das klingt schön, und erinnert mich an von der Leyens blumige Aussagen als Verteidigungsministerin, doch letztendlich immer die gleiche Leier: Panzer waren nicht fahrbereit, Helikopter konnten nicht abheben und U-Boote nicht tauchen. Selbst die warme Unterwäsche für Manöver im Winter war knapp. Na gut, könnte man sagen, dieses Problem wird die Erderwärmung ohne politisches Zutun lösen. Und ausgerechnet Ursula von der Leyen wurde auf dem Ticket von Emmanuel Macron und Angela Merkel ins Amt der Kommissionspräsidentin befördert.

Die Abschlusserklärung des Europäischen Rats zur Vorstellung des „Green Deals“ lässt nicht nur Schlupflöcher für alle Klimasünder offen, sondern öffnet das Tor sperrangelweit für die Kernenergie auf dem Weg zur Klimaneutralität. „Some Member States have indicated that they use nuclear energy as part of their national energy mix.“ So ganz unauffällig wird hier die Kernenergie rehabilitiert, die doch in der deutschen Politik überwiegend in Verruf geriet. Und nun nickt Bundeskanzlerin Angela Merkel, die nach Fukushima abrupt das Steuer herumriss und das Ende der Kernkraftwerke in Deutschland einläutete, solche EU-Erklärungen ab. Nicht wenige Beobachter rieben sich bei der Ausstiegsentscheidung 2011 die Augen, denn wenige Wochen vorher hatte sich Merkel noch als Befürworterin der Atomkraft gezeigt. Nun folgen wir eifrig unserem Kurs, doch andere EU-Staaten lassen die Reaktoren, selbst altertümliche, weiter auf Hochbetrieb laufen. Welchen Sinn macht es, wenn sich Deutschland relativ zackig aus der Kernkraft verabschiedet, obwohl ringsum die Meiler weiter brodeln und noch neue Atomkraftwerke gebaut werden sollen? Einen Zuwachs an Sicherheit kann ich nicht erkennen! Schon gar nicht, wenn uralte Atomkraftwerke am Netz bleiben und im Vereinigten Königreich – im bald Nicht-EU-Staat – chinesische Unternehmen an neuen Kernenergieanlagen mit bauen.

Braunkohleabbau im Vordergrund - mit großen Baggern. Im Hintergrud Windenergieanlagen.
Vergangenheit und Zukunft. Tagebau im Rheinischen Braunkohlerevier mit Windenergieanlagen. Regenerative Energie macht nur Sinn, wenn auch entsprechende Speicherkapazitäten aufgebaut werden. (Bild: Ulsamer)

Ein bisschen Kohle kann nicht schaden?

Für reichlich abwegig halte ich es, wenn uns ein „Green Deal“ schmackhaft gemacht werden soll, den jeder Teilnehmerstaat so interpretiert wie er denn möchte. Selbstredend hat Frankreich gute Gründe, Atomstrom nicht aus dem Energiemix streichen zu wollen, denn bei unseren Nachbarn kommen 70 % des Stroms aus Kernkraftwerken. Daher tut sich der französische Präsident Emmanuel Macron auch immer leichter, über die Reduzierung von CO2 zu philosophieren. Mich stört auch nicht das Eigeninteresse eines EU-Mitgliedsstaats, sondern die Unehrlichkeit der EU-Kommission und des Europäischen Rats, die den Eindruck erwecken, als wäre klar, in welche Richtung der Karren geschoben werden soll.

Verständnis habe ich auch für den polnischen Regierungschef Mateusz Morawiecki, der sich mit seiner Zustimmung zur Klimaneutralität bis 2050 zurückhielt. Polen bezieht 77 % aus Kohlekraftwerken. Mir ist es lieber, wenn Bedenken offen geäußert werden und nicht ständig eine Kompromisssoße über alle politischen Papiere gegossen wird. In der Erklärung des Europäischen Rats heißt es – ohne Namensnennung: „One Member State, at this stage, cannot commit to implement this objective as far as it is concerned, and the European Council will come back to this in June 2020.“ Da ist es wieder, die Verklausulierung: So war das schon beim Altmeister der Nebelgranaten Jean-Claude Juncker. Warum schreiben die EU-Ratsherren – und Damen gleichermaßen – nicht einfach Polen statt „One Member State“?

Das Kernkraftwerk in Obrigheim wird rückgebaut. Das Reaktorgebäude ist noch zu sehen.
Wenn Deutschland seine Kernkraftwerke abschaltet, andere EU-Staaten aber weiterhin auf Atomkraft setzen und diese sogar noch ausbauen, dann wird die Welt nicht wirklich verändert – und gewiss nicht sicherer! Skurril ist es, wenn uns ein „Green Deal” von der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angepriesen wird, in dem sich klammheimlich wieder die Atomkraft als Teil des Strommixes findet: „Some Member States have indicated that they use nuclear energy as part of their national energy mix.” Im Bild das im Rückbau befindliche Kernkraftwerk im baden-württembergischen Obrigheim. (Bild: Ulsamer)

Das Mammut ist auch ausgestorben

Der tschechische Ministerpräsident Andrey Babis wollte Atomstrom auch gleich in ein schickes grünes Mäntelchen einkleiden und forderte, dass Anrainerstaaten den Bau weiterer Atomkraftwerke nicht durch Einsprüche verzögern mögen. Ungarn & Co. möchten mehr Geld für den energiepolitischen Wandel. So haben wir das alte Spiel: Die Vorturnerin Ursula von der Leyen tut so, als würde sie nicht bemerken, dass jeder seine eigenen Übungen turnt und dabei aus der Reihe tanzt. So wird das nichts mit der Energiewende.

Aber nicht nur bei der EU stehen die Treffen in keinem Verhältnis zu den Ergebnissen, sondern in noch größerem Maße bei den UN-Weltklimakonferenzen. So kann ich Entwicklungsminister Gerd Müller nur zustimmen, der gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland betonte: „Wir brauchen nicht jedes Jahr eine Weltklimakonferenz in dieser Dimension. Das ist vollkommen aus dem Ruder gelaufen.“ Qualität sollte vor Masse gehen, denn die bisherigen Ergebnisse der Weltklimakonferenzen – wie jetzt wieder in Madrid – sind eher bescheiden. Dies gilt insbesondere für die in Angriff genommenen Maßnahmen, um die Erderwärmung zu bremsen. Daran ändert es auch nichts, dass Greta Thunberg und ihre Anhänger nach Madrid eilten. Weltuntergangsstimmung auf der einen Seite und behäbiges Weiter so auf der anderen wird uns nicht weiterbringen. Echte Kompromisse, die auch tragen und umgesetzt werden, lassen sich aber in Mammutkonferenzen nicht erzielen! Wir sollten uns erinnern, wie es dem Mammut ergangen ist!

Vollmond vor dunklem Nachthimmel.
Wann fliegt Ursula von der Leyen mit einer Atomrakete zum Mond? Voraussetzung 1. Sie meinte zum „Green Deal”: „Jemand hat mal gesagt: Das ist Europas Mann-auf-dem-Mond-Moment.” Voraussetzung 2. „Some Member States have indicated that they use nuclear energy as part of their national energy mix.” Dann wird der Rest schon werden. So habe ich mir den „Green Deal” nicht vorgestellt: Große Worte und im Beipack die Atomkraft für die Nachbarn. (Bild: Ulsamer)

Ursula fliegt zum Mond

Nachdem in ihrer Amtszeit viele Ministerkollegen mit der Flugbereitschaft – die zur Bundeswehr gehört – nicht abheben konnten, möchte Ursula von der Leyen jetzt wohl mit einer Atomrakete zum Mond fliegen. Zumindest verglich sie den „Green Deal“ mit dem Wunsch der USA, auf dem Mond zu landen. „Jemand hat mal gesagt: Das ist Europas Mann-auf-dem-Mond-Moment.” Zwar frage ich mich, was die Landung auf dem Mond unserer Welt gebracht hat, daher würde ich auch den Versuch, die Erderwärmung zu bremsen, nicht mit dem Flug zum Mond vergleichen. Auch in den USA erlosch danach bald das Interesse an teuren Mondexpeditionen. Genau dies müssen wir in unserem Kampf für eine Eindämmung des Klimawandels vermeiden. Und aus deutscher Sicht frage ich nochmals: Warum steigen wir aus der Kernkraft aus, wenn wir es scheinbar ganz okay finden, wenn unsere Nachbarn Atomkraftwerke betreiben und diese auch noch vermehren wollen?

Wo ist denn die klare energiepolitische Strategie? Diese Frage wurde bisher weder in Deutschland noch in der EU beantwortet. Als Befürworter der regenerativen Energien vermisse ich einen vorausschauenden Ausbau der Energiespeicher. Die Sonne strahlt nun mal, wann sie ‚möchte‘ und der Wind weht, wenn es der Natur ‚gefällt‘. Zweck der Energiewende kann es nicht sein, dass wir später in Spitzenzeiten Atomstrom beziehen. Auch die aktuelle Energiepolitik ist voller Widersprüche: In Deutschland wurden die Steinkohlezechen geschlossen – und dies mit großem politischen Brimborium -, doch nun beziehen wir Steinkohle sogar aus Australien! Was war nochmal mit Australien? Ja, dort schlägt der Klimawandel schon zu, und die Buschbrände nehmen an Umfang und Gewalt überhand. Gleichzeitig wird in Australien ein neuer Hafen für den Kohleexport – Abbot Point – gebaut!

Ein „Green Deal“ kann doch nicht heißen, dass wir ein Hintertürchen für Atomkraft offenlassen. Wenn wir dies in der EU tun, dann führen wir den Ausstieg aus der Kernenergie in Deutschland ad absurdum! Atomkraft kann doch nicht in Deutschland gefährlich sein, aber in der Rest-EU zum guten Energiemix gehören! Wir brauchen keine großen Worte – weder in Brüssel noch bei UN-Weltklimakonferenzen -, sondern konkretes Handeln gegen die Erderwärmung.

 

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