EU: Es droht ein zeitlicher Flickenteppich

Zersplittert das europäische Ziffernblatt nach Wegfall der Zeitumstellung?

Jetzt haben wir alle mal wieder unsere Uhren von der Winter- auf die Sommerzeit umgestellt. Wer keine Funkuhr besitzt, der hat manchmal viel zu tun – und dies bis zur Steuerung der Heizung. Sicherlich kann man über die Zeitumstellung trefflich streiten, und ob das Drehen am Uhrzeiger zweimal im Jahr Sinn macht, ist auch für mich höchst zweifelhaft. Sommer- und Winterzeit wurden 1980 in Deutschland eingeführt und ab 1996 in allen Staaten der Europäischen Union (EU) vereinheitlicht. Die einen freuen sich über längere Abende im Biergarten bei Helligkeit und andere klagen zurecht, dass sich ihre Kinder bei der Zeitumstellung schwertun. Leicht skurril ist für mich allerdings das Marschtempo der Europäischen Union beim Thema Zeitumstellung. Der Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gab sich im August 2018 als Oberdemokrat und wollte einer Umfrage unter EU-Bürgern folgend die Zeitumstellung abschaffen, doch dann brauchte das Europaparlament bis Ende März 2019, um sich ebenfalls für ein Ende der Zeitumstellung auszusprechen. So richtig weiter war die EU nach diesem Votum allerdings noch immer nicht: Nun sind die EU-Staaten an der Reihe und sollen eine einheitliche Zeit-Lösung finden, denn ansonsten droht eine Zersplitterung des europäischen Ziffernblatts.

Zahlreiche Uhren aus dem Schwarzwald hängen an einer Wand.
Wer so viele Uhren besitzt wie das Schwarzwald-Museum in Triberg, der war bei der Umstellung von Winter- auf Sommerzeit gut beschäftigt. Die Zeitumstellung ärgert viele Menschen, doch so mancher Zeitgenosse schätzt auch das abendliche Grillen im Sommer bei Tageslicht. Leicht skurril ist es jedoch, wenn Jean-Claude Juncker die Entscheidung über die neue Zeitordnung in der EU den Einzelstaaten zurückspielt und das Europaparlament sich für den Wegfall der Zeitumstellung ausspricht, ohne sich jedoch auf eine präferierte Nachfolgelösung festzulegen. Da hätten sich die Einzelstaaten auch schon im vergangenen Jahr untereinander auf eine neue Zeitordnung einigen können. So beweist die EU keine Handlungsfähigkeit, sondern braucht schon für banale Themen viel Zeit und zu viele Bürokraten. (Bild: Ulsamer)

EU-Umfrage: Kein demokratisches Erweckungserlebnis

Eifrig verkündet die EU-Kommission 2018 nach einer Umfrage zur Zeitumstellung: „4,6 Mio. Rückmeldungen aus allen 28 Mitgliedstaaten“ seien eingegangen. „Mehr Antworten wurden bislang bei keiner anderen öffentlichen Konsultation der Kommission eingereicht.“ Und 84 Prozent der Teilnehmer hätten sich dafür ausgesprochen, “die halbjährliche Zeitumstellung abzuschaffen“. Das klingt ja geradezu nach einem demokratischen Erweckungserlebnis: Endlich wird der Wille der EU-Völker ernstgenommen und eine Änderung auf den Weg gebracht! Nun sollte man aber bei der Beteiligungsquote doch die Kirche im Dorf lassen, denn 4,6 Millionen Rückmeldungen bei über 500 Millionen Bürgerinnen und Bürgern in der EU – dies würde bei allen wirklich wichtigen europäischen Fragen kaum als Quorum anerkannt werden! Und so verhärtete sich mein Verdacht, dass uns das große Demokratie-Theater nur vorgespielt wird, da es sich um keine Frage mit weitreichenden Folgen handelt. Auf diese Weise können die EU-Kommission und das EU-Parlament aber bei den demnächst anstehenden Wahlen bzw. Neubesetzungen auf ihr ach so tolles Demokratie-Experiment verweisen.

Apropos Demokratie: Nur in Deutschland, Österreich und Luxemburg hatte sich überhaupt mehr als 1 Prozent der Bevölkerung an der Internet-Befragung beteiligt. Klarer Spitzenreiter dabei waren wir Deutschen mit 3,79 %. Und so entfielen auf deutsche Teilnehmer auch 3 Mio. Antworten. In Italien beteiligten sich 0,04 %, aber die haben wohl gerade andere Sorgen, und im Vereinigten Königreich gerade mal 0,02 %. Gut, den Brexit-Briten war die Zeitumstellung in der Rest-EU wohl schon im vergangenen Jahr egal. Bei der schwachen Beteiligung an der EU-Umfrage ließ sich auch ablesen, dass der Weg zu einer einheitlichen Lösung für unsere EU-Zeit nicht leicht sein würde. Ganz einheitlich wird es ohnehin kaum gehen, da zwischen Polen und Portugal doch gewaltige natürliche Unterschiede beim Auf- und Untergang der Sonne liegen – ganz egal für welches Zeitregime wir uns gemeinsam in der EU entscheiden.

Facebook-Post der EU-Kommission in Deutschland mit "Wir hören Euch" und einem Sommer- bzw. Winterbild.
„Wir hören Euch”, verkündet der deutsche PR-Ableger der Europäischen Kommission am 1. September 2018 und meint damit die nun angepeilte Abschaffung der Zeitumstellung. Ich würde aber auch gerne bei der Neuorientierung der Agrarpolitik gefragt werden! Vielleicht hätten wir Bürgerinnen und Bürger ebenfalls gefragt werden sollen, ob wir auf die Datenschutz-Grundverordnung setzen oder stattdessen eine konsequentere Innovationspolitik wollen. Erst Ende März 2019 beschloss auch das Europaparlament, das Ende der Zeitumstellung einzuläuten. Doch erledigt ist das Thema damit noch lange nicht, denn die Einzelstaaten müssen sich jetzt zusammenraufen und eine neue Zeitordnung finden, die nicht zu nationalstaatlichem Wirrwarr führt. Ein Musterbeispiel für eine sachgerechte und effektive Arbeit der EU ist diese Vorgehensweise allemal nicht. (Bild: Screenshot, Facebook, 1.9.18)

Juncker: Zwischen Verschleierungstaktik und Lächerlichkeit

Geradezu lächerlich war es, als nach der unverbindlichen Abstimmung der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker das Ende der Zeitumstellung verkündete: „Die Menschen wollen das, wir machen das.“ Dieser Art Sprüche klangen zwar ganz nett und volksnah, aber ein Lehrbeispiel an Demokratie war es sicherlich nicht, wenn wir ausgerechnet bei einer solchen politischen Nebensächlichkeit gefragt und zum Entscheider hochstilisiert werden.

Dabei hätte ich doch viel lieber meine Stimme erhoben und per Internet eingebracht, wenn es um die Neuorientierung der industriellen Landwirtschaft geht. 58 Mrd. EURO aus den EU-Kassen gehen in die Förderung der Landwirtschaft – und aus meiner Sicht führen diese Gelder zu einer Fehlsteuerung. Aber dazu wurden wir bisher nicht befragt! Derzeit steht eine Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) an, doch letztendlich befürchte ich, dass die Agrarlobbyisten aus den einzelnen EU-Staaten eine echte Neuorientierung an ökologischen Grundsätzen und dem grundsätzlichen Gedanken der Nachhaltigkeit verhindern werden. So scheint es, dass sich bei wichtigen Themen Juncker, der müde Altmeister der Verschleierungstaktik, von uns Bürgern ohnehin nicht hineinreden lassen will.

Die historischen Teile der Gedächntniskirche in Berlin. Am Turm eine goldene Uhr.
Europa ist durch die Europäische Union und ihre Vorläufer zusammengewachsen. Wie wichtig die Friedensicherung für uns Europäer ist, belegt auch die Gedächtniskirche in Berlin. Banale Themen wie das Ende der Umstellung von der Winter- auf die Sommerzeit müssten in der EU effizienter gelöst werden, damit mehr Zeit – um beim Thema zu bleiben – für die wichtigen Fragen Europas bleibt. (Bild: Ulsamer)

Rückfall in nationale Lösungen droht

Aber zurück zur Zeitumstellung: Wenn wir eine möglichst einheitliche Lösung in Sachen Zeit erhalten wollen, dann haben die Einzelstaaten jetzt den Schwarzen Peter. Es reicht aus meiner Sicht nicht, die Handlungsfähigkeit der EU zu beschwören, dann jedoch die eigentliche Hauptfrage unbeantwortet den Staaten vor die Tür zu legen. Wozu sind eine Kommission und ein Parlament in der Europäischen Union denn gut, wenn diese nur wissen, was sie nicht länger wollen, nämlich die Zeitumstellung. Im Übrigen erinnert mich ein solches Vorgehen schon beinahe an das britische Parlament, das beim Brexit zwar weiß, was alles nicht geht, doch zu keinem konsensfähigen Vorschlag findet.

Ich bin wirklich gespannt, wie die einzelnen Mitgliedsstaaten der EU die Diskussionen über die Abschaffung der Zeitumstellung führen werden, denn zumeist haben sich bei der Umfrage nur kleinste Teile der Bevölkerung eingebracht. Vielleicht ist aber auch nur in deutschen Landen die Aufregung über die Zeitumstellung groß und unseren Partnern ist diese gleichgültig. Derzeit gibt es natürlich weit schwerwiegendere Verwerfungen zwischen den einzelnen EU-Staaten – nicht nur zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU der 27. Manche mittel-osteuropäischen Staaten fahren immer wieder einen Konfliktkurs zur EU-Kommission, Italien tanzt gerne mal aus der Reihe und wäre ohne die Zins- und Kredithilfe der Europäischen Zentralbank wohl längst in Konkurs gegangen. Vor einem solchen Hintergrund spielt die EU-Kommission die Zeitumstellung wieder den Ländern zu. Das Europaparlament hätte gerade vor der Neuwahl weit deutlicher zum Ausdruck bringen sollen, was es denn möchte: eine dauerhafte Sommer- oder Winterzeit – oder was auch immer.

Eine weiße Tauve sitzt in einem leeren Fesnterrahmen aus Natursteinen. Daneben eine Uhr mit goldenen Ziffern und Zeigern.
Innerhalb der EU brauchen wir eine abgestimmte Lösung für die Jahre nach der Abschaffung der Zeitumstellung, denn gerade auch wirtschaftliche Gründe sprechen gegen nationale Alleingänge. Vielleicht kann die Friedentaube ja ihren Beitrag leisten. (Bild: Ulsamer)

Handlungsfähigkeit der EU bedroht

Den Umgang der EU-Institutionen mit dem im Grunde banalen Thema der Zeitumstellung halte ich für unzureichend, denn hier hätte schneller und sachgerechter gearbeitet werden müssen. Monate – im Grund Jahre – mit einer solchen Thematik zu verbringen und dann das Finden einer konsensfähigen und länderübergreifenden Lösung den Einzelstaaten zu überlassen, wirft kein gutes Licht auf die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union. Zumindest bei dieser Frage kommen mir Zweifel an Sinn und Bedeutung der heutigen EU. Die Einzelstaaten hätten hier gleich auch den Diskurs mit den Nachbarn aufnehmen können.

Wenn die EU in Europa und der Welt einen maßgeblichen Einfluss behalten oder sich erarbeiten möchte, dann muss die Schlagkraft zunehmen. Dies wird nur gelingen, wenn Klarheit über die Aufgabenfelder herrscht und der Wasserkopf an Bürokraten eine deutliche Fokussierung erfährt. Wer schon an der Zeitumstellung herum dilettiert, der kann die großen Probleme unserer Tage nicht effektiv abarbeiten. Die Europäische Union hat uns vorangebracht, doch jetzt scheint unser so wichtiger Club ziellos herumzuirren. Leider.

 

 

 

 

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