EU: Die Regulierungswut der digitalen Habenichtse

Wir brauchen Innovatoren statt Verhinderer im Internet

Nun bin ich vom Alter her nicht mit dem Internet und Google, mit Facebook, Instagram und Twitter oder WhatsApp und Amazon aufgewachsen, sondern habe mich während des Studiums noch auf die Bibliothek gestützt. Und es war schon ein Segen, als der erste Kopiershop in Tübingen seine Türen öffnete! Dennoch schätze ich die Chancen, die heute eine sofortige Recherche im Internet bietet, wobei es natürlich beim Überangebot immer schwieriger wird, die Spreu vom Weizen zu scheiden. Allerdings vermittelte auch nicht jedes Buch oder jeder Zeitschriftenartikel seinerzeit eine Erleuchtung. Via Facebook und Twitter kann man sich schnell an der Quelle über die Aussagen von Politikern oder Parteien informieren – und dies im globalen Maßstab. Natürlich sehe ich auch die Gefahren, die sich aus den Möglichkeiten ergeben, Fake News gewissermaßen in Echtzeit in die Welt zu setzen, aber ein Blick in die Geschichte zeigt, dass Falschmeldungen von Bismarck bis Hindenburg, von Hitler bis zu den ‚Hitler-Tagebüchern‘ ganz ohne soziale Medien auskamen. Was mich bekümmert sind jedoch nicht die Mängel des digitalen Zeitalters, sondern die krampfhaften Versuche der EU und ihrer Mitgliedsstaaten, die Internet-Dienste zu regulieren, ohne sich selbst innovativ an die Spitze zu setzen.

Laptop-Bildschirm mit Facebook und Händen an der Tastatur.
Nicht nur die wichtigsten Internet-Dienste kommen aus den USA, sondern auch die benötigte Hardware kommt zumeist nicht aus Deutschland, denn hier dominieren asiatische Hersteller. Ich finde es bestürzend, dass Deutschland und Europa bei der Digitalisierung zunehmend abgehängt werden, doch die EU setzt auf Regulierer statt auf Innovatoren. (Bild: Ulsamer)

Bürokratie-Monster erdrückt Innovationskraft

Zu viele Politiker werden in den EU-Institutionen – Kommission, Parlament und Europäischer Rat -, aber auch in Deutschland von dem Irrglauben geleitet, man habe die Zukunft im Griff, wenn man nur beständig Verordnungen und Gesetze über die Welt ausgieße. Das Gegenteil allerdings ist richtig. Der Kabarettist Dieter Nuhr bemerkte unlängst im ‚Ersten‘: „Denn die Erfinder werden die Welt retten, nicht die Verhinderer. Nicht die, die im Wege stehen, sondern die, die neue Wege bauen.“ Damit traf er ins Schwarze! Nuhrs Feststellung trifft auf alle Lebensbereiche zu, und leider zunehmend auch auf weite Teile der EU-Politik.

Musterbeispiele für eine weltfremde Regulierungswut sind die Datenschutz-Grundverordnung und das Urheberrechtsgesetz der EU. Im Grunde gibt es zwar richtige Grundvorstellungen, denn selbstredend sind der Datenschutz und der Schutz geistigen Eigentums wichtig und richtig. Doch wie so oft entwickelt die EU dann ein Bürokratie-Monster, das mir mehr Sorgen bereitet als die oft geschmähten ‚Daten-Kraken‘ unter den Internet-Dienstleistern. Zu wenige Mitglieder des Europaparlaments scheinen zu begreifen, dass es nicht nur darum gehen kann, zumeist US-amerikanische Anbieter in die Schranken zu weisen, sondern es müssen innerhalb der Europäischen Union neue Ideen entwickelt werden, damit auch europäische Unternehmen in der digitalen Welt an der Spitze mitmarschieren.

Facebook-Post von netzpolitik.org mit einem Bild protestierender Netz-Aktivisten.
Viele gerade auch junge Menschen teilen die Meinung von netzpolitik.org: Das neue Urheberrecht führt nicht in die Zukunft, sondern orientiert sich am Gestern. Die Demonstranten hätten es verdient gehabt, dass die europäische Politik sie ernster genommen hätte. Ich habe inzwischen den Eindruck gewonnen, dass es auch weniger problematische Techniken gibt, um das geistige Eigentum zu schützen. Mit dieser Software können Suchmaschinen abgewiesen werden, doch daran haben viele Autoren gar kein Interesse, sondern sie wollen ja die Verbreitung ihrer Gedanken. Sie wollen aber gleichzeitig auch Geld sehen, und dies macht das Thema so kompliziert. (Bild: Screenshot, Facebook, 26.3.19)

Das Fass des Unmuts ist übergelaufen

Leider geht es vielen EU-Politikern und den emsigen Bürokraten nicht darum, deutsche oder europäische Wettbewerber aufzubauen, die Amazon oder Google, Facebook oder Twitter Paroli bieten können, sondern kleingeistig brüsten sich EU-Politiker mit der Höhe der Strafen, die zukünftig bei Verstößen gegen den Datenschutz verhängt werden können. Irgendwie erinnert mich dies an Städte, die sich über jeden Falschparker freuen, der ein Knöllchen bekommt, oder – anderes Beispiel – an die Deutsche Umwelthilfe, die als Abmahnverein zum Teil davon lebt, Einzelhändler zu belangen, die ein Elektrogerät nicht gut sichtbar mit den Verbrauchsangaben gekennzeichnet haben. Die EU schuf für ihren Aktionsraum mit der Datenschutz-Grundverordnung Regeln, die in weiten Bereichen über das Ziel hinausschießen, dabei aber zentrale Fragen dennoch an die Einzelstaaten zurückreichen.

Die Reform des Urheberrechts brachte das Fass gerade bei jüngeren Bürgerinnen und Bürgern zum Überlaufen. Demonstranten zogen durch die Straßen, doch ihr Aufschrei verhallte weitgehend ungehört. Sie werden sich vermutlich bei der Wahl zum Europaparlament bei den entsprechenden Politikern ‚bedanken‘. Diese können sich dann mal wieder über den Verlust an Wählerstimmen beklagen. So habe ich mir die EU-Politik nun wirklich nicht vorgestellt! Völlig daneben sind auch Angriffe auf die demonstrierende Internet-Generation, diese lasse sich von den US-Internet-Riesen instrumentalisieren oder gar kaufen. Die Kampagne der Befürworter der Urheberrechtsreform, getragen u.a. von den Zeitungs- und Zeitschriftenverlegern, ist doch auch Ausfluss von Eigeninteressen!

Facebook-Post von und mit Daniel Caspary. Er betont die Notwendigkeit der Urheberrechtsreform.
Daniel Caspary sitzt für die CDU im Europaparlament und wandte sich gegen die „Stimmungsmache” durch Gegner der Urheberrechtsreform. Er selbst nahm allerdings den großen Knüppel in die Hand: „Nun wird offensichtlich versucht, auch mit gekauften Demonstranten die Verabschiedung des Urheberrechts zu verhindern.” Nach dieser Äußerung in ‚Bild‘ wiederholte Caspary den Satz im Europaparlament. Ob er damit besorgte junge Menschen an die CDU binden kann? (Bild: Screenshot, Facebook, 26.3.19)

Gekaufte und instrumentalisierte Demonstranten?

Daniel Caspary, für die CDU im Europaparlament, meinte gar in ‚Bild‘: „Nun wird offensichtlich versucht, auch mit gekauften Demonstranten die Verabschiedung des Urheberrechts zu verhindern.“ Nicht viel besser der Wortführer der Europäischen Volkspartei bei diesem Thema, Axel Voss: „Ich gehe davon aus, dass große Techfirmen wie Google, Youtube und Facebook alles versuchen, um nicht in die Verantwortung genommen zu werden. Diese Unternehmen haben natürlich einen direkten Zugang auf beispielsweise bekannte Youtuber. Sie emotionalisieren das Thema stark, in dem sie den Youtubern und Bloggern erzählen, dass ihr Kanal oder Blog betroffen ist.“ Da haben wir es wieder, die idealistischen Gutmenschen kämpfen für ein neues Urheberrecht, doch die Gegner sind die Handlanger der US-Unternehmen. Ich hätte mir gewünscht, dass Caspary, Voss & Co. mehr Bereitschaft gezeigt hätten, kritische Anmerkungen nicht abzubügeln, sondern diese in ihre Arbeit einzubeziehen.

Den Aufruhr unter Internet-Aktivisten befeuerte insbesondere der Verdacht, den Uploadfiltern würden nicht nur Inhalte im Internet zum Opfer fallen, um das Recht von Künstlern oder Autoren an ihrem Werk zu schützen, sondern die Anbieter würden zum Eigenschutz weit mehr Inhalte aussortieren, um vor Klagen und Strafen gefeit zu sein. Generell wird es z.B. schwierig werden, mit Hilfe von Software zu entscheiden, ob bei einem Film, Foto oder schriftlichem Beitrag das Urheberrecht verletzt wird oder ob es sich um eine rechtlich einwandfreie Persiflage, eine Parodie oder die Einbettung in eine kritische Gegenstimme handelt.

"Wir stehen für Kunst- und Meinungsfreiheit", so ist die ganzseitige Anzeige überschrieben. Unterzeichner sind u.a. die Zeitungs- und Zeitschriftenverleger.
„Wir stehen für Kunst- und Meinungsfreiheit” betonen verschiedene Kreativverbände in ganzseitigen Anzeigen. Selbstredend sollen Autoren und Künstler und alle anderen Kulturschaffenden einen gerechten Anteil an den Gewinnen der Internet-Unternehmen erhalten, die ihre Arbeiten nutzen. Doch in der Diskussion wurden die Sorgen gerade auch jüngerer Internet-Nutzer nicht sachgerecht aufgegriffen oder die Demonstranten wurden nicht selten in ein schiefes Licht gerückt. Hinten runter fallen ebenfalls die Kreativen aus der Internetszene. (Bild: Repro aus Welt am Sonntag, 24.3.19)

Gute Politik braucht sich nicht zu fürchten

Für mich mutet es skurril an, in welch überzogener Weise plötzlich die sozialen Medien zum Hort des Bösen stilisiert werden. Oben habe ich bereits auf die irrwitzige Behauptung hingewiesen, mit Facebook und Twitter seien Falschmeldungen in die Welt gekommen: Wer dies behauptet, der hat im Geschichtsunterricht zwar nicht – wie manche SchülerInnen bei Fridays for Future – den Unterricht ‚geschwänzt‘, sondern ein Nickerchen gemacht oder an seiner späteren Politkarriere gebastelt. Otto von Bismarck redigierte die kaiserliche Depesche 1870 so, dass sie der französischen Seite – nach weiterer einseitiger Bearbeitung – als Kriegsgrund diente. Und Paul von Hindenburg, nach dem noch heute Straßen in Deutschland benannt sind, war Inspirator der sogenannten ‚Dochstoßlegende‘, die nicht zuletzt den demokratischen Zentrumspolitiker Matthias Erzberger das Leben kostete. Dazu mehr in meinem Beitrag ‚Soziale Medien sind nicht die Erfinder der Desinformation. Fake News aus den Amtsstuben der Herrschenden‘.

Viel zu leichtfertig wird von unterlegenen Politikern gerne behauptet, Facebook und Twitter würden über Wahlen entscheiden. Und notfalls steckt der russische Geheimdienst dahinter. Gibt es solche Einflüsse, dann müssen sie bekämpft werden, doch letztendlich entscheiden die Persönlichkeit, der Politikstil, die propagierten Inhalte und die Art des Wahlkampfs in Demokratien. Hätten die US-Demokraten nicht die in vielen Regionen ungeliebte Hillary Clinton aufgestellt, wäre uns vermutlich ein unsäglicher Präsident Donald Trump erspart geblieben. Sicherlich wäre es auch angebracht gewesen, wenn Clinton die sozialen Medien stärker in ihren Wahlkampf einbezogen hätte, doch sie setzte auf Zeitungsanzeigen. Noch immer ist eine gute Politik die beste Voraussetzung dafür, sich langfristig durchzusetzen. Vorausgesetzt, man sucht den persönlichen und medialen Kontakt zu den Bürgerinnen und Bürgern.

Wikipedia-Meldung, dass am 21. März 2019 das Informationsangebot aus Protest abgeschaltet werde.
Wikipedia schaltete seine deutsche Seite schon mal aus Protest gegen die Urheberrechtsreform für einen Tag ab. Dank Büchern, Zeitungen sowie Hörfunk und Fernsehen und anderen Internet-Quellen haben wir den Tag gut überstanden, dennoch hätte ich mir etwas mehr Offenheit bei den Befürwortern der Urheberrechtsreform in dieser Diskussion gewünscht. (Bild: Screenshot, Wikipedia, 21.3.19)

Die beleidigte Leberwurst wählt niemand

Die Justizkommissarin Vera Jourová berichtete in der ‚Stuttgarter Zeitung‘: „Anstatt den Hass zu löschen, habe ich mich selbst aus Facebook gelöscht.“ Natürlich gibt es keine Entschuldigung für Hass-Posts, -Tweets oder -Mails, dies steht außer Frage. Doch solche Angriffe gab es auch in Zeiten, als Briefe noch zum Lebensstil gehörten. Haben damals Politiker die Post abbestellt? Werden in Zukunft Demonstrationen insgesamt verboten, weil es dort zu Pöbeleien kommen könnte? Werden Fußballspiele abgesagt, weil sich Ultras angekündigt haben? „Ich kann ohne Facebook leben“, sagte die EU-Justizkommissarin. Das bezweifle ich nicht, doch nach meiner Meinung muss auch über Facebook und Twitter um Zustimmung gerungen werden. Völlig abwegig ist es, wenn eine Politikerin, die sich selbst von einem zentralen Kommunikationskanal abgekoppelt hat, nur nach Regulierung ruft: „Es ist offensichtlich, dass Unternehmen wie Facebook, die so großen Einfluss auf unser Leben haben, kontrolliert werden müssen.“ Wieder kein Wort zum weit wichtigeren Basisthema: Warum entstehen in europäischen Landen nur Regulierungsvorschläge, stattdessen fehlt es an eigenständigen Innovationen!

Als beleidigte Leberwurst – hoffentlich vegan – gab sich Robert Habeck, seines Zeichens Ko-Vorsitzender von Bündnis90/Die Grünen im Bund entschlossen, Facebook und Twitter „Bye, bye“ zu sagen. Geradezu gekonnt hat er seinen weitgehenden Social-Media-Abgang mit dem Hackerangriff auf seine und anderer Leute Daten vernetzt, verbunden wollte ich sagen. Aber auch beim Schriftsteller Habeck liegt das Problem nicht bei den sozialen Medien, sondern bei ihm selbst. Im bayerischen Wahlkampf hatte er ganz unvermittelt zur Twitter-Attacke angesetzt: „Endlich gibt es wieder Demokratie in Bayern. Alleinherrschaft wird beendet. Demokratie atmet wieder auf.“ Zwar gab es anschließend eine lauwarme Entschuldigung von Habeck, doch solche Tweets erinnern mich eher an Donald Trump. Aber Habeck dachte auch bei der nächsten Verbalattacke nicht nach: „Wir versuchen, alles zu machen, damit Thüringen ein offenes, freies, liberales, demokratisches Land wird, ein ökologisches Land.” Das ist Habeck nicht nur so herausgerutscht, sondern entstammte einem Video, das Wochen vorher vorbereitet und dann per Twitter verbreitet wurde – von den Grünen in Thüringen. Ganz übersehen hatte Habeck wohl dabei, dass seine Partei in Thüringen mitregiert. Oder ist die dortige rot-rot-grüne Regierung etwa in seinen Augen undemokratisch? Solche politischen Missgriffe resultieren aber nicht aus den Internetdiensten, denn zahlreiche andere Politiker argumentieren auch dort – und zwar sachgerecht.

Eine Reproduktion aus der Zeitung 'Die Welt'. Ein 'F' spaltet den Globus.
„Das Schicksal von weit über einer Milliarde Menschen in Asien, die Bevölkerung zweier Staaten liegt damit in weiten Teilen in der Hand” von Facebook, wissen die Autoren Johannes Boie und Christian Meier in einem vier Druckseiten umfassenden Beitrag in der ‚Welt am Sonntag‘. Nur gut, dass die gemeinten Bürgerinnen und Bürger dies nicht lesen, denn ansonsten würden sie sich über die Weltsicht dieser Journalisten wundern. WhatsApp kriegt auch sein Fett weg und bekommt gleich die Schuld an Aufständen und Lynchmorden zugeschoben. So einfach ist die Welt nun wirklich nicht! (Bild: Repro aus Welt am Sonntag, 24.3.19)

Facebook wird zum Popanz aufgebaut

Nicht wenige Zeitungsredakteure, aber auch viele Stimmen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk engagierten sich für die Urheberrechtsreform, da sie sich Einnahmen erhoffen, wenn z.B. Google, Facebook oder Twitter einen Obolus entrichten müssen, wenn sie urheberrechtlich geschützte Texte nutzen. Instagram und YouTube würden auch einen Teil ihrer Gewinne bei Fotografen und Filmschaffenden abliefern müssen. Dagegen habe ich nichts einzuwenden, doch müssen wir uns auch bei den digitalen Medien stärker am Modell der ‚Verwertungsgesellschaft Wort‘ orientieren und weniger an softwaregesteuerten Uploadfiltern, die einen ersten Schritt zur Zensur darstellen können. Und wehe man übt Kritik, dann wird man schnell mit dem Begriff „Mob“ tituliert und dies durch die EU-Kommission. Eine nachgelieferte Entschuldigung dürfte den Flurschaden nicht wieder beheben.

Zeitungsverlage, die seit Jahren überwiegend unter sinkenden Auflagen leiden, blasen zum Sturmangriff auf Facebook, damit bei ihnen selbst die Kassen wieder lauter klingeln. Dies ist legitim, aber auch dabei sollten Übertreibungen vermieden werden. „Das Schicksal von weit über einer Milliarde Menschen in Asien, die Bevölkerung zweier Staaten liegt damit in weiten Teilen in der Hand einer einzigen Firma aus Menlo Park, Kalifornien“, schreiben Johannes Boie und Christian Meier in einem Beitrag in der ‚Welt am Sonntag‘, der vier komplette Seiten umfasst und mit dem Satz beginnt: „Nie zuvor hatte ein Konzern so viel Macht über uns wie Facebook.“ Selbst an Lynchmorden ist dann WhatsApp schuld. Da frage ich mich wieder, wie bei den Fake News, ob manche Journalisten und Politiker so wenig über die Geschichte unserer Menschheit wissen? Lynchmorde, Aufstände und Völkermord gab es auch ohne Facebook, WhatsApp oder Twitter. Man denke nur an die schrecklichen Ereignisse vor unserer Haustür auf dem Balkan oder in Ruanda (Hutu gegen Tutsi) – oder werfe einen Blick in unsere eigene Geschichte.

Dialogschwäche und Regulierungsfreude

Ist es für viele eine Entlastungsstrategie, wenn sie ihren ganzen Frust über sinkende Auflagen oder schwindende Wählerscharen bei den sozialen Medien abladen und diese zum größten Übel der Welt erklären? Im Grunde halte ich es für eine Unverschämtheit, wenn uns eingeredet werden soll, die Daten-Kraken aus den USA seien schuld daran, wenn Wählerinnen und Wähler sich für die ‚Falschen‘ entscheiden – wer auch immer dies sein soll. Vorbeugend geben manche Politiker bereits vor der Europawahl die Devise aus, man müsse mit Manipulationen über Facebook und Twitter rechnen, um dann hinterher ihr schlechtes Abschneiden besser ‚erklären‘ zu können. Mancher Politikerin und manchem Politiker würde ich raten, eine am Menschen orientierte Politik voranzutreiben, die Probleme löst und nicht selbst zu einem wird. Konsequent muss dann aber auch über alle Kanäle informiert und der Dialog gesucht werden.

Apropos Dialog: Am 3. April fand sich bei Facebook Jean-Claude Junckers neuester Post – vom 25. Oktober 2018! Natürlich sind die Seiten des Europäischen Parlaments und der EU-Kommission auf dem aktuellen Stand, aber wie kann man denn den Namen eines der bekanntesten, wenn nicht des bekanntesten EU-Politikers kommunikativ ‚verschenken‘? Zur Ehrenrettung: Bei Twitter sind seine MitarbeiterInnen deutlich eifriger. Dennoch habe ich den Eindruck, dass sich viele Politiker in die Zeiten zurücksehnen, in welcher sie mit einer namentlich bekannten und von der Kopfzahl her überschaubaren Journalistenregie freundlich interviewt wurden. Die Kommunikationskanäle sind verzweigter und unübersichtlicher geworden, keine Frage, doch das sollte in Europa Ansporn sein, hier aktiv mitzumischen und nicht nur der Regulierungswut zu verfallen. Die fehlende Bereitschaft zum breiten und offenen Dialog geht leider vielfach einher mit dieser grenzenlosen Regulierungswut.

Tweet von Katarina Barley. Sie argumentiert, innerhalb der Bundesregierung habe sie gegen Artikel 13 des Urheberrechts gestimmt.
Katarina Barley, noch deutsche Justizministerin in Berlin und als Spitzenkandidatin der SPD auf dem Weg nach Straßburg / Brüssel, musste sich beim neuen Urheberrecht stark verbiegen: In Brüssel veranlasste sie im Auftrag der Bundesregierung die Zustimmung, doch anschließend ging sie schleunigst auf Distanz. (Bild: Screenshot, Twitter, 20.2.19)

Zickzack-Kurs statt Geradlinigkeit

Uploadfilter werden im Koalitionsvertrag von Union und SPD abgelehnt, daher verwundert es mich sehr, dass die Bundesregierung der Reform des EU-Urheberrechts zustimmte. Fachleute gehen davon aus, dass sich die Richtlinie der EU ohne diese Filter nicht umsetzen lässt. Sicherlich war es auch kein Ausdruck konsequenter Politik, als die Bundesjustizministerin Katarina Barley in Brüssel die Zustimmung zur Richtlinie veranlasste, nach ihrer Rückkehr im Gegensatz dazu eifrig betonte, sie lehne Uploadfilter ab. Was denn nun, möchte ich Katarina Barley zurufen? Ob sie mit dieser Zwitter-Politik viele Wählerstimmen als Spitzenkandidatin der SPD bei der Europawahl einfahren wird, darf bezweifelt werden. Oder setzen manche PolitikerInnen auf des Wählers Vergesslichkeit?

Mehr Ehrlichkeit und Geradlinigkeit würde ich mir nicht nur bei diesem Thema wünschen, denn undurchschaubare Winkelzüge stärken nicht die Demokratie. Und sollte wirklich die Bundesregierung für Emmanuel Macrons Aufgabe seiner Kritik an der Nordstream 2-Gaspipeline mit einem Ja zu den vom französischen Präsidenten gewünschten Uploadfiltern ‚bezahlt‘ haben, dann wäre dies ein weiterer Tiefschlag. Das Reglementieren des eigenen Vorgartens ist Macron, Merkel und ihren Mitstreitern leichter gefallen als eine Digitalsteuer, die Google, Facebook und Twitter wirklich zu wichtigen Steuerzahlern hätte machen können.

Publizisten und Künstler haben ein Anrecht auf die Respektierung ihrer Urheberrechte. Und für Leistungen, die von TV, Print-, oder sozialen Medien genutzt werden, muss es ein Entgelt geben. Doch habe ich den Eindruck, dass gerade dies durch das neue Urheberrecht nicht erreicht wird. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass Zeitungsverlage eine deutliche Finanzspritze erhalten, wenn Google für gezeigte Artikelüberschriften und einige Zeilen Text zur Kasse gebeten wird. Die Verlage sollten besser überlegen, wie die über Suchmaschinen bei ihnen landenden Leser an das Medium gebunden werden können. Dann ergeben sich auch kommerziell interessante Kontakte.

Schwarze Wolken ziehen am Horizont auf.
Manchmal habe ich den Eindruck, dass viele Politiker und Journalisten bei den sozialen Medien nur das Negative sehen, und natürlich gibt es auch bei Facebook und Twitter oder über Google viel Unsinn zu sehen. Aber ganz ehrlich: Gefällt Ihnen jedes Buch, das in dieser Welt publiziert wird? Und auch nicht jeder Fernseh- oder Hörfunkbeitrag oder jeder Zeitungs- bzw. Zeitschriftenartikel kann beanspruchen, wirklich durchdacht zu sein. (Bild: Ulsamer)

Ohne Innovationen bleiben wir abgehängt

Leider führen weder die Datenschutz-Grundverordnung noch das Urheberrecht wirklich in eine innovative Zukunft: Längst hat Europa mit wenigen Ausnahmen den Anschluss in weiten Bereichen digitaler Dienstleistungen verloren. Das Gejammer über Facebook, Google, Twitter und Instagram, über Microsoft oder Amazon greift zu kurz. Reglementierung bringt uns nicht in die Lok des Digital-Zugs, sondern macht uns allerhöchstens zum quengelnden Mitfahrer im letzten Waggon. Die EU und alle Mitgliedsstaaten, so natürlich auch Deutschland, müssten innovative Ideen fördern, damit eben auch Internet-Dienstleistungen wieder vom europäischen Kontinent in die Welt gehen. Gerade beim Internet-Handel haben wir gegenüber Amazon von der Dimension her wenig aufzubieten, wenn man von den Aktivitäten der Otto Group einmal absieht. Aber nicht nur bei den Dienstleistungen schwächelt Europa, sondern auch bei der Hardware, man denke nur an Smartphones, Laptops oder die Komponenten für digitale Infrastruktur. Und bei Batteriezellen blicken die deutschen Einkäufer noch immer gen Asien.

Der Kabarettist Dieter Nuhr hat mit seinem eingangs erwähnten Satz den Nagel auf den Kopf getroffen: „Denn die Erfinder werden die Welt retten, nicht die Verhinderer.“ Leider wird immer deutlicher spürbar, dass wir bei Internet-Dienstleistern und der notwendigen Hardware beständig weiter zurückfallen und daran ändert es auch nichts, wenn manche Politiker auf Flugtaxis setzen statt auf weltweite, digitale Massendienste. Und wer keine EU-Digitalsteuer durchsetzen kann, der sollte von Uploadfiltern die Finger lassen. Eine Besteuerung wäre einfacher umzusetzen, als der Schutz von Urheberrechten.

Nochmals möchte ich die drängende Frage aufwerfen: Wo sind die Innovatoren unter unseren Politikern? Ich würde ihnen gerne zurufen: Stoppt die Regulierungswut und setzt auf zukunftsweisende digitale Dienstleistungen sowie damit verbundene technische Produkte. Wir sollten uns nicht daran gewöhnen, zu den digitalen Habenichtsen zu gehören! Wir müssen die Chancen des Internets nutzen, ohne seine Gefahren zu negieren. Aber wer ständig nur über dunkle Wolken faselt, der sieht die Sonne nicht.

 

4 Antworten auf „EU: Die Regulierungswut der digitalen Habenichtse“

  1. Ich habe es erst heute gelesen, leider. Sonst wäre mein Kommentar längst dieser gewesen. Es ging der EU darum ein einheitliche Datenschutzverordnung zu schaffen und keine Neue. Jedes EU-Mitgliedsland hat eine eigene Verordnung das macht es Unternehmen, Behörden schon schwer was in dem einen Land erlaubt ist, wurde vielleicht wo anders verboten. Die EU hat deshalb alle Mitgliedsstaaten angeschrieben Vorschläge zu unterbreiten und diese würden dann in eine einheitliche Datenschutzverordnung geregelt. Deutschland hingegen hat nichts getan wie immer. Dann kam eine Mahnung die dann durch Brüssel zu einer Einheitlichen Verordnung festgelegt wurde. Nur Bild und Deppenzeitschriften haben daraus wieder Regelungswahn aus Brüsel gemacht damit Bildleser wieder was zu meckern haben.
    Wäre ich Unternehmer würde ich es auch lieber sehen wenn man vereinheitlicht und ich weis was ich z.Bsp. in Deutschland und Ital. und Spanien darf falls dort Firmensitze wären.
    Oder was wäre wenn in jedem EU-Land unterschiedliche Stromstärken wären und die Geräte müßten sobald sie das Herstellerland verlassen umgerüstet werden. Gurkenregelung wurde auf drängen des Handels eingeführt weil man in Brüssel es als schwierig ansah Gemüse in Qualitätsmerkmale einzustufen A und B z.Bsp. .Der Handel wollte gerade Gurken weil man diese besser verpacken konnte, wurde aber schon lange durch Brüssel abgeschaft.
    Wenn man schon urteilt sollte man sich informieren und nicht behaupten wie es die Bild machte werden bald die Klingelschilder wegen Brüssel abgeschaft. Urheberrecht genauso ein gefundenes Fressen für die Anwälte wir werden keine Kriminellen verurteilen sondern abmahnen. Das Urheberrecht soll doch nur dem dienen der davon profitiert. Es wird nicht mehr an die Presse gegeben wenn der Urheber es nicht wünscht.
    Der Vorderer eines Gesetzes wird geschützt weil die Industrie, Banken, Versicherungen Gesetzesvorlagen einbringen und nicht die Politik, was ja schon oft in ARD und ZDF gezeigt wurde solche Meldungen sollen verhindert werden Musiker, Künstler, Filmbranche usw. die juckt keiner ausser die Anwälte. Youtube zeigt leider zum Unmut der Oberen viele Dokus über IKEA, KIK, Banken und Versicherungen vom Dieselskandal mal abgesehen, die vorher keinen interessierten weil gerade Dschungelcamp oder anderen Mist kam. Nach Monaten auch Jahre kann man sich darüber noch im Internet informieren, Urheberrecht darauf und schon darf es nur noch übers Fernsehen geschaut falls es möglich ist sehen, danach nicht mehr. Das sind die Dinge die verhindert werden sollen. Facebook und Co. wen juckt es wenn andere daten sammeln und diese verkaufen. Beim Einkauf bei Edeka, Obi, Mediamarkt vom Smartphone gesammelte Daten jeder sammelt Daten bei Facebook geben die meisten nur falsche Daten ein und Kollegen und Bekannte sagen nur von mir aus ich habe nichts zu verbergen die können machen was sie wollen, aber über Facebook jammern und zu Whatsapp wechseln oder Twitter clever. Telefone abhören wen juckts solange es Facebook nicht ist sondern die NSA, BND alles gut. Was passiert hier mit meinen Daten? Ach so ist mir egal muß ja zustimmen sonst ist der Kommentar nicht würdig verarbeitet zu werden danke Datenschutz

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert