Symbolpolitik hilft Natur, Umwelt und Klima nicht
Die eine Stadt hat ihren „Klimanotstand“ – Konstanz am Bodensee – und die andere -Esslingen am Neckar – eine „StadtOase“ beim Omnibusbahnhof. Sehr unterschiedlich erscheinen die Ansätze, doch in beiden Fällen fällt mir als passendem Aufkleber nur ‚Symbolpolitik‘ ein! In Esslingen wird der Gegensatz zwischen einigen Pflanzen und Sitzgelegenheiten, der sogenannten „Stadt-Oase“, und der Realität besonders deutlich, wenn man 100 Meter entfernt den seit November 2014 leerstehenden alten Busbahnhof betrachtet. Dort hätte eine riesige Fläche über Jahre eine ökologische Zwischennutzung erfahren können, doch Fehlanzeige. Zäune umgeben eine unansehnliche Asphaltfläche, die einer neuen Nutzung harrt: Da hätten sich Passanten und Schmetterlinge über eine Blühwiese gefreut. Aber statt eines solchen Paradieses auf Zeit – inzwischen bereits 5 Jahre! – haben die Stadt Esslingen und die Stadtwerke ihre „StadtOase“ aufgestellt – für wenige Monate.

Stadtpolitik mit grünem Mäntelchen
Häufig frage ich mich schon, ob Stadtpolitik noch irgendetwas mit der Realität zu tun hat. Dies gilt nicht nur für Esslingen, die Stadt, in der ich schon über drei Jahrzehnte lebe, sondern für viele Kommunen, die ich privat und beruflich kennenlernen durfte. Der Schutz von Klima, Natur und Umwelt wird zwar überall im Munde geführt, doch beim konkreten Handeln hapert es. Und wenn dann Alltagsentscheidungen in Stadtverwaltung und Gemeinderat endlich an der Klimarelevanz gemessen werden, dann wird dies – wie in Konstanz – mit dem „Klimanotstand“ gerechtfertigt. Da stimmen aus meiner Sicht weder die Begrifflichkeit noch die daraus resultierenden Folgen. Wir haben in so mancher Kommune wirklich einen Notstand, aber einen Notstand im sachgerechten Handeln – und dies auf vielen Feldern.

Als 2017 in Esslingen erstmals für zwei Wochen am Postmichelbrunnen ein ‚Grünes Zimmer‘ Station machte, stand der besagte frühere Busbahnhof schon seit Jahren leer – ohne jedes Grün. Schon damals drückte ich meine Verwunderung über diese Art von Symbolpolitik in einem Blog-Beitrag aus: ‚Die Ödnis in der Stadt und das grüne Inselchen‘. Nun stellt der Ex-Busbahnhof immer noch eine triste, graue Fläche dar, doch unentwegt verkauft der SPD-Oberbürgermeister sein Kurzzeitgrün in überzogener Weise: „Die Stadt Esslingen geht hier in Zeiten des Klimawandels neue Wege“, meint Jürgen Zieger. Bei näherer Betrachtung marschiert die Stadt aber auch bei der Überbauung von (Streuobst-)Wiesen auf ausgetretenen Pfaden. So soll trotz Bürgerprotests im ‚Greut‘ ein Wohnbauprojekt entstehen, wo bisher das Grün dominiert. Da zeigt sich dann doch, dass das grüne Mäntelchen recht fadenscheinig geworden ist.

Ökologische Zwischennutzung vergessen
„Mit der StadtOase schafft die Stadt Esslingen zusammen mit den Stadtwerken eine besondere Atmosphäre, die zum Verweilen und zur Erholung im Schatten einlädt – gerade in der großen Nähe zu Taxistand, Neuem ZOB und dem südlichen Abschnitt der Berliner Straße“, so Oberbürgermeister Zieger weiter. An einem ersten heißen Vorsommerabend gingen meine Frau und ich auf dem Weg zu einem Vortrag bei der Kreissparkasse an dieser „Oase“ vorbei, doch zum „Verweilen“ lud uns das verlorene Fleckchen Grün wahrlich nicht ein. Ohne Bier in Flaschen oder Dosen fühlten wir uns dort auch nicht willkommen. An einem sozialen Brennpunkt einige Pflanzen zu platzieren, löst soziale Probleme wirklich nicht.
Wenn wir bedenken, dass die Umgestaltung des Bahnhofsbereichs, in den der neue Busbahnhof integriert wurde, ebenfalls Jahre in Anspruch genommen hat, dann ist die Frage sicherlich erlaubt, ob Oberbürgermeister, Gemeinderat und Stadtverwaltung nicht Zeit genug gehabt hätten, die Szenarien schon mal vorab zu entwickeln oder für eine Zwischennutzung des früheren Busbahnhofs zu sorgen. An was liegt es wohl, dass Bauvorhaben im öffentlichen Bereich meist in Stolperschritten vorankommen – man denke an den Großflughafen Berlin-Brandenburg? Nun ist der ehemalige Busbahnhof in Esslingen und seine Bebauung natürlich eine andere Dimension, aber auch im Kleinen geht es zögerlich voran, wenn die öffentlichen Institutionen die Federführung haben.

Urban Gardening hätte geholfen
An Sturheit grenzt es, wenn im Jahresrhythmus ‚Grüne Zimmer‘ oder ‚StadtOasen‘ aufgebaut oder Umwelttage durchgezogen werden, andererseits innerstädtische Flächen wie der frühere Busbahnhof ohne naturfreundliche Zwischennutzung, dennoch aber versiegelt, brach liegen bleiben und die Frischluftzufuhr durch Bauprojekte beeinträchtigt wird. An einer freundlichen Gestaltung der Fläche des alten Busbahnhofs hätten sich bestimmt zahlreiche Bürgerinnen und Bürger, Vereine, Gärtnereien oder landwirtschaftliche Betriebe und Naturschutzgruppen beteiligt, wenn die Stadt ein solches Urban-Gardening-Projekt ermöglicht hätte.
Ist es denn nicht geradezu lachhaft, wenn man für zwei Wochen ein grünes Inselchen in die Stadt setzt und an anderer Stelle, in diesem Falle gerade mal 100 Meter weiter, gewissermaßen ein ganzer Kontinent ungenutzt als Ödnis vor sich hindämmert? Nicht vergleichbar, aber irgendwie auch skurril: Am bundesweit bekannten Stuttgarter Neckartor wird um jedes Gramm Feinstaub gerungen, doch Pflanzkübel entlang der ganzen Häuserfront sind zubetoniert!

Natur und Mensch brauchen echte Freiräume
Echt schräg ist es, wenn man das Einsprengsel auf Zeit, die „StadtOase“, betrachtet und dann auf der Internetseite der Stadt Esslingen liest: „Die bepflanzten Wände und die grünen Dächer reduzieren Lärm, sie spenden Schatten und filtern Staub aus der Luft. Wenn Feuchtigkeit über die Blattoberflächen der Bepflanzung verdunstet, entsteht außerdem Kälte – auf diese Weise dienen Pflanzen als natürliche Klimaanlage. Die Vielfalt der verwendeten Blattschmuck-, Blüh- und Naschpflanzen bietet zudem Insekten zusätzlichen Lebensraum.“ Würde die Stadtverwaltung mit Oberbürgermeister Zieger an der Spitze diese richtigen Sätze wirklich ernstnehmen, hätte sie anders gehandelt, hätte am Bahnhofsvorplatz für eine dauerhafte Lösung und zumindest für eine grüne Interimspflanzung auf der alten Busbahnhofsbrache gesorgt. Doch in dem tristen Umfeld von Stein und Beton schlagen die wenigen Pflänzchen in der „Oase“ leider kaum zu Buche.
Bereits bei der Gesamtplanung des Bahnhofsbereichs – einschließlich des alten Busbahnhofs – hätte man an Pflanzen denken sollen, doch stattdessen rückte man ein Toilettenhäuschen mit Ticketschalter in den Mittelpunkt. Dieses steht nackt und kahl auf der versiegelten Fläche vor dem gründerzeitlichen, sanierten Bahnhofsgebäude und es wäre durchaus denkbar, dieses Konstrukt dauerhaft mit blühendem Grün zu überziehen. Wer dann von „Blattschmuck-, Blüh- und Naschpflanzen“ in der nur zwei Monate lang eingerichteten „Oase“ direkt daneben berichtet, die „Insekten zusätzlichen Lebensraum“ bieten soll, der verulkt die Bürgerschaft.
