Esslingen am Neckar: Wenn der Amtsschimmel die Efeuhecke frisst

Kleingeistige Bürokraten gegen Bienen und Amseln

In meinem Beitrag „Esslingen am Neckar: Grüner Efeu schlimmer als Müll?“ bin ich bereits auf ein Schreiben aus dem Baurechtsamt der Stadt Esslingen eingegangen, das uns aufforderte, unsere Efeupflanzen zurück zu schneiden. Die Ranken hatten es gewagt, obwohl ich immer wieder zur Schere greife, der Sonne entgegen zu wachsen. Und sie ragten zehn bis zwanzig Zentimeter in den Gehweg hinein, doch es verblieben 120 Zentimeter. Dies reicht nicht nur für Fußgänger, sondern auch für einen Zwillingskinderwagen oder Rollstuhl. So dachten wir zumindest. Mit dieser Meinung hatten wir aber keine Chancen bei der Stadtverwaltung – auch nicht beim SPD-Oberbürgermeister Jürgen Zieger. Die Rückmeldungen aus dem Gemeinderat waren – mit einer Ausnahme – verhalten: Bei so manchem Gemeinderatsmitglied ist dies auch verständlich, denn ein Blick auf die beruflichen Engagements zeigt, dass man es sich mit der Stadtverwaltung besser nicht verscherzt. Der Hinweis, die Bienen erfreuten sich im späten Sommer an den Blüten und die Amseln im Winter an den Efeu-Beeren, konnte die Stadtverwaltung nicht zum Überdenken ihres kleinlichen Briefes anregen.

Viele braune Efeuäste, die sichtbar sind. Das Grün wurde zurückgeschnitten. Ein weißes 'Plakat' in A 3 mit einer kritischen Einschätzung.
Selbst im Winter schön grün und mit ihren Beeren ein Anziehungspunkt für Amseln, so sah unser Efeu aus – ehe die Stadtverwaltung Esslingen in einem kleingeistigen Schreiben den brutalen Rückschnitt forderte. (Bild: Ulsamer)

Kindermund tut Wahrheit kund

Kaum hatte ich mit der Heckenschere im Dienst der Obrigkeit losgelegt, kamen einige Grundschüler vorbei und erprobten das inzwischen erworbene Lesevermögen: sehr interessiert und mit zunehmender kindlicher Empörung lasen sie unseren Hinweis auf den eigentlichen Urheber des Kurzhaarschnitts. Sie waren verblüfft und meinten, sie wären bisher ohne Probleme sogar zu mehreren am Efeu vorbei gegangen. Und sie stellten sich lachend und feixend die Frage, wie umfänglich denn die Personen seien, die hier Probleme hätten! Die Bienen, die einer der Väter als Hobbyimker halte, würden unsern Efeu sicher vermissen, meinte einer der jungen Naturfreunde. Als ich den zweiten Teil des Efeus ‚skalpierte‘, schlich sich einer der von mir angeschriebenen Gemeinderäte vorbei. Leider sah ich ihn erst um die nächste Ecke verschwinden. Ansonsten hätte ich ihm gerne vor Ort die Folgen der kleinkarierten Vorgabe der Stadtverwaltung gezeigt. Denn selber schauen ist nicht jedermanns Sache. Apropos kleingeistig: Unweit unserer monierten Efeuranken steht ein Neubau, und man mag es kaum glauben: dort ist der Gehweg so breit wie unsere nutzbare Passage mit Efeu! Ein solches Gebäude hätte die Stadt Esslingen gar nicht genehmigen dürfen, wenn doch rd. 120 Zentimeter bei uns nicht ausreichend sind. Gleichbehandlung sieht anders aus.

Gehweg mit einem Metermaß. 120 cm breit.
Etwas merkwürdig mutet es an, dass vor einem Neubau in unserer Nähe – ganz ohne Pflanzen – auch nicht mehr Raum als auf unserem Trottoir mit Pflanzen zur Verfügung steht. Diese Diskrepanz kann man sich sicherlich nur in einer Behörde wie dem Baurechtsamt in Esslingen am Neckar erklären! (Bild: Ulsamer)

Die Reaktionen der Passanten, die unser Infotäfelchen lasen und uns ansprachen, waren voller Unverständnis für die Vorgabe der Stadtverwaltung. Wir waren hin- und hergerissen, ob wir auf stur schalten sollten, aber das halte ich speziell in Esslingen am Neckar leider für zwecklos. Zu dieser Einschätzung gehören auch Kontakte, die ich in anderer Mission – mit zahlreichen Kommunen – hatte, und leider ist meine Wohngemeinde schon höchst speziell unterwegs. Dies zeigt sich auch beim seit Jahren leerstehenden früheren Busbahnhof, wo eine ‚grüne‘ Zwischennutzung abgelehnt wurde oder bei einem geplanten Neubaugebiet auf einer Streuobstwiese im ‚Greut‘. Widerstand wäre angebracht, aber wer gegen Windmühlenflügel anrennt, der endet schon mal in der Justizvollzugsanstalt. Kein Scherz! Rudolf Diebetsberger spielte in Stuttgart acht Meter vom genehmigten Ort entfernt auf seinem Horn für einen guten Zweck. Er sollte für diese Ordnungswidrigkeit Strafe bezahlen, was er verweigerte, und prompt landete er allen Ernstes in Stammheim! Den älteren Leserinnen und Lesern dürfte der Begriff noch geläufig sein: Dort saßen einst die Terroristen der ‚Roten Armee Fraktion‘ ein. So viel zur Kleinkariertheit mancher Stadtverwaltungen! Dieses traurige ‚Spiel‘ ist dann doch nicht nach unserem Geschmack, also lieber widerwillig die Efeuranken abschneiden. So weit haben wir es in unserem Land gebracht! Sind wir vielleicht wirklich schon in der Bananenrepublik gelandet?

Efeublätter mit Beeren.
Im Sommer eine Bienenweide, im Winter Futterangebot für Amseln. (Bild: Ulsamer)

Natur nur für Sonntagsreden

Ich habe alles Verständnis der Welt für Vorgaben, die der Sicherheit dienen, aber wenn 120 Zentimeter auf einem Gehweg – der relativ wenig frequentiert ist – zum Passieren nicht mehr reichen, dann bekomme ich Zweifel an der deutschen Bürokratie. Und Bienen und Amseln oder allerlei anderes Getier haben zunehmend schlechte Karten, wenn es um die Abwägung verschiedener Ansprüche an unsere städtische Umwelt geht. Es wird zwar viel über Naturschutz geredet, doch wenn es konkret wird, kommen nicht selten Tiere und Pflanzen zumindest sinnbildlich unter die Räder. So wurden im irischen Kerry ausgerechnet aufblühende Fuchsien und Montbretien per Kahlschlag am Straßenrand ausradiert. Ohne Rücksicht auf nektarsuchende Insekten und brütende Vögel. Die Spezialisten für eine kahlgeschorene ‚Natur‘ und ausgeräumte Landschaft finden sich leider überall in Europa und auf unserem Globus.

In Esslingen am Neckar würde ich mir mehr Verständnis der Stadtverwaltung für Natur und Umwelt wünschen, und dies nicht nur in Sonntagsreden des Oberbürgermeisters!

 

Innerstädtische Idylle. Ältere Häuser mit rotem Ziegeldach, davor Bäume und Gebüsch.
Nicht nur bei Efeuhecken oder der Streuobstwiese im ‚Greut‘ zeigt man sich bei der Stadtverwaltung in Esslingen wenig zimperlich. So will die Esslinger Wohnungsbau Gesellschaft (EWB) das Rondell im ‚Schönen Rain‘ bebauen, ein idyllisches Plätzchen im Norden der Stadt, das vielleicht beim ein- oder anderen Gebäudeteil etwas der ‚Pflege‘ bedarf. Gleich gegenüber kann man betrachten, was moderner Wohnungsbau auch bedeuten kann: die Schaffung der sozialen Brennpunkte von morgen. Das kleine Quartier im ‚Schönen Rain‘ stammt aus den frühen 1920er Jahren, doch es soll zumindest zur Hälfte Platz machen für einige weitere Betonklötzchen. Da ist unsere Efeuhecke natürlich ein vergleichsweise unbedeutendes Problemchen. (Bild: Ulsamer)

 

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