EMMA: Alice Schwarzer und ihre intellektuellen Dünnbrettbohrer

Der Offene Brief an Bundeskanzler Scholz ist ein moralisches Armutszeugnis

Der ‚Offene Brief‘ von Alice Schwarzer & Co. an Bundeskanzler Olaf Scholz, der sich gegen die Unterstützung der Ukraine mit schweren Waffen richtet, gleicht einem intellektuellen Totalschaden und zeigt eine unglaubliche moralische Kaltherzigkeit verbunden mit politischer Infantilität. Ich hätte nie gedacht, dass der Kabarettist Dieter Nuhr oder der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar bzw. Julian Nida-Rümelin, Philosoph und Vorsitzender des Deutschen Ethikrats einen solchen Brief intellektueller Trostlosigkeit unterzeichnen. Sie haben sich mit einer greisen Truppe zusammengefunden, die belegt, dass mit dem Alter nicht unbedingt die Weisheit zunimmt. Filmemacher Alexander Kluge, Liedermacher Reinhard Mey oder Bildhauer Heinz Mack, sowie Plakatkünstler Klaus Staeck zeigen, dass ein hoher Bekanntheitsgrad zumindest in ihrem jeweiligen Fanclub kein Beleg für politische Klugheit ist. Scheinheilig klingt die Feststellung der Briefeschreiber „Wir teilen das Urteil über die russische Aggression als Bruch der Grundnorm des Völkerrechts“, wenn sie dann die Lieferung schwerer Waffen ablehnen, denn „Die zweite Grenzlinie ist das Maß an Zerstörung und menschlichem Leid unter der ukrainischen Zivilbevölkerung. Selbst der berechtigte Widerstand gegen einen Aggressor steht dazu irgendwann in einem unerträglichen Missverhältnis.“ Dies würde heißen, dass der Kriegsverbrecher Wladimir Putin freie Hand hätte, denn wer nur rücksichtslos genug Wohngebiete und Krankenhäuser bombardiert, den dürfte man nicht aufhalten. Und wer gibt den Briefunterzeichnern das Recht, für die ukrainische Bürgerschaft zu sprechen, die um ihre Freiheit kämpft? Überheblichkeit hat sich bei den Briefunterzeichnern mit fehlender Moral gepaart.

Das Bundeskanzleramt in Berlin: Es dominiert Beton mit Glas. Im Vordergrund ein Metallgitter. Links die Fahnen der EU und von Deutschland.
Olaf Scholz bekam im Bundeskanzleramt einen ‚Offenen Brief‘ von Alice Schwarzer und ihren intellektuellen Dünnbrettbohrern. Man kann es auch niemandem recht machen, mag er denken, mir und vielen anderen ist er bei der Unterstützung der Ukraine zu zögerlich, die Briefschreiber fordern ihn auf, den Ukrainern für ihren Freiheitskampf keine schweren Waffen zu liefern, und bei einer Maikundgebung in Düsseldorf wurde er bereits als „Kriegstreiber“ beschimpft. (Bild: Ulsamer)

Umdeutung der Realität

Diese Briefeschreiber machen sich zum willigen Handlanger Putins und Lawrows, die keine Gelegenheit auslassen, mit dem dritten Weltkrieg zu drohen. Mit der Bereitstellung schwerer Waffen steige „das Risiko der Ausbreitung des Krieges innerhalb der Ukraine; das Risiko einer Ausweitung auf ganz Europa; ja, das Risiko eines 3. Weltkrieges“, so meint auch der 95jährige Schriftsteller Martin Walser. Woher wissen diese Prominenten eigentlich, dass wir einer Ausweitung des Krieges entgehen, wenn wir die Ukraine nicht unterstützen und vor Putins imperialistischer Politik kuschen? Wird nicht andersherum ein Schuh draus? Wenn wir Putin in der Ukraine nicht aufhalten, dann wird er sich über das nächste Land hermachen! Olaf Scholz scheint dies auch nur langsam zu verinnerlichen, denn viel zu lange zögerte er bei Waffenlieferungen, was ich in meinem Blog deutlich kritisiert habe. Aber nicht nur bei diesem B-Promi-Brief scheint es an der Wahrnehmungsfähigkeit zu mangeln, denn wer bei der Maikundgebung in Düsseldorf Bundeskanzler Scholz als Kriegstreiber bezeichnet, der hat sich von der Realität bereits komplett verabschiedet. So kann ich der sehr emotional vorgetragenen Aussage von Olaf Scholz nur zustimmen: „Ich respektiere jeden Pazifismus, ich respektiere jede Haltung, aber es muss einem Bürger der Ukraine zynisch vorkommen, wenn ihm gesagt wird, er solle sich gegen die Putinsche Aggression ohne Waffen verteidigen. Das ist aus der Zeit gefallen.“ Und ich kann nur hoffen, dass Scholz alles politisch Vertretbare tut, um seinen Satz zu untermauern: „Ich sage ganz klar: Wir werden nicht zulassen, dass hier mit Gewalt Grenzen verschoben werden.“

Nochmals zurück zum Offenen Brief von Alice Schwarzer. „Wir warnen vor einem zweifachen Irrtum: Zum einen, dass die Verantwortung für die Gefahr einer Eskalation zum atomaren Konflikt allein den ursprünglichen Aggressor angehe und nicht auch diejenigen, die ihm sehenden Auges ein Motiv zu einem gegebenenfalls verbrecherischen Handeln liefern.“ Wie infantil und weltfremd ist denn diese Aussage von Personen, die sich als Intellektuelle bezeichnen? Jetzt sollen die freiheitlichen Staaten auch noch schuld sein, wenn Putin und seine Hofschranzen den Krieg ausweiten sollten! Dann wäre ein Massenmörder nicht mehr für seine weiteren Untaten haftbar zu machen, wenn die Polizei versucht, seine Verbrechen zu stoppen. Welche beispiellose moralische Wüste tut sich bei diesem Offenen Brief auf? Es ist eine Schande! Würde man Antje Vollmer, die als Erstunterzeichnerin mit „Theologin und grüne Politikerin“ firmiert oder dem Sozialpsychologen Harald Welzer folgen, dann würde sich auch die Schuld am Zweiten Weltkrieg und dessen furchtbaren Auswirkungen relativieren. Das hat ja nun hoffentlich niemand gemeint! „Die unter Druck stattfindende eskalierende Aufrüstung könnte der Beginn einer weltweiten Rüstungsspirale mit katastrophalen Konsequenzen sein, nicht zuletzt auch für die globale Gesundheit und den Klimawandel. Es gilt, bei allen Unterschieden, einen weltweiten Frieden anzustreben.“ Natürlich ist ein „weltweiter Frieden“ ein zentrales Anliegen, doch wer hat denn die Ukraine angegriffen? Putin! Wer vernichtet mit Bomben und Raketen ganze Städte? Die Unterzeichner des Pamphlets deuten die Realität um und entlasten so den Kriegsverbrecher Putin.

Ein langer Grenzzaun aus Metall durchschneidet eine Landschaft mit Wiesen und Wald. Eine breite Schneise wurde angelegt, damit die DDR-Grenzer freies Schussfeld hatten.
Wenn es nach Wladimir Putin geht, dann ist die Ukraine nur das erste Land, das er wieder in das ‚Großrussische Reich‘ eingliedern möchte. Die Ukraine kämpft auch für die Freiheit all der anderen Staaten und Regionen, auf die Putin einen imperialistischen Blick geworfen hat. Wir müssen verhindern, dass Putins Russland wieder in sowjetische Dimensionen wächst und demokratische Staaten zu Vasallen macht. Ist es schon vergessen: Auf fast 1400 Kilometern ließ die SED mit sowjetischer Rückendeckung Zäune und Mauern errichten, Selbstschussanlagen installieren und Minen legen, um den eigenen Bürgern den Weg in den freien Westen unmöglich zu machen. (Bild: Ulsamer)

Naive Briefschreiber

Die Briefeschreiber lehnen es ab „weder direkt noch indirekt, weitere schwere Waffen an die Ukraine (zu) liefern“ und schreiben: „Wir bitten Sie im Gegenteil dringlich, alles dazu beizutragen, dass es so schnell wie möglich zu einem Waffenstillstand kommen kann; zu einem Kompromiss, den beide Seiten akzeptieren können.“ Wer wollte dies nicht, einen Waffenstillstand? Aber kein Wort dazu, wie man mit dem Imperialisten Putin zu einem Waffenstillstand oder Friedensschluss gelangen soll. Haben sich nicht Regierungschefs aus aller Welt – unter ihnen auch Olaf Scholz – bei Putin die Türklinke in die Hand gegeben? Ohne Erfolg! Sie wurden belogen – wie das Bundesaußenministerin Annalena Baerbock nach ihrem Gespräch mit ihrem russischen Kollegen Sergey Lawrow ebenfalls erkennen musste. Wer hat nicht alles bei Putin angerufen, um den Frieden zu erhalten oder wiederherzustellen? Was war die Antwort? Noch mehr Artillerieattacken und Vergewaltigungen. Zuletzt wurde Kiew bombardiert, als der UN-Generalsekretär António Guterres – von Putin kommend – dort auf Vermittlungsmission eingetroffen war. Ein beispielloses, zynisches Vorgehen! Wie naiv sind eigentlich diese Briefschreiber, die glauben, mit Putin könne man so einfach einen Kompromiss finden! Was heißt hier überhaupt Kompromiss? Was darf der Aggressor Putin alles als ‚Beute‘ behalten?

Ohne Diplomatie und Verhandlungen wird es keinen Frieden in der Ukraine geben, was nicht nur den Briefschreibern klar ist, doch zuerst muss Putin auch gewillt sein, auf seine Maximalforderungen zu verzichten und seine ständige Hetze gegen vermeintliche „Nazis“ einstellen. Der einzige Nazi, wenn man dieses Wort schon verbiegen und benutzen möchte, sitzt im Kreml und ganz gewiss nicht in der ukrainischen Regierung oder anderen freiheitlichen Staaten. Putin, Lawrow und Konsorten haben sich in ihrer eigenen Welt verschanzt. Das wird gerade auch bei den ständigen absurden Nazi-Vergleichen deutlich. Nach einem Bericht der ‚Tagesschau‘ hat Lawrow im italienischen Fernsehsender Rete4 die obskure russische Kriegsbegründung wiederholt, in der Ukraine seien Nazis am Werk: “Wie kann es eine Nazifizierung geben, wenn er (Anm. der Red.: der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj) Jude ist? Ich kann mich irren. Aber Adolf Hitler hatte auch jüdisches Blut. Das heißt überhaupt nichts. Das weise jüdische Volk sagt, dass die eifrigsten Antisemiten in der Regel Juden sind.” Der israelische Außenminister Jair Lapid widersprach der “unverzeihlichen, skandalösen Äußerung, einem schrecklichen historischen Fehler”. Wie irrwitzig die ‚Entnazifizierungsparolen‘ von Putin und Lawrow sind, lässt sich auch daran auf tragische Weise erkennen, dass Verfolgte der NS-Diktatur im russischen Bombenhagel fliehen müssen oder wie Boris Romantschenko in Charkiw zu Tode kommen. Er hatte mehrere Konzentrationslager überlebt. Die Briefschreiber schreiben in „Anbetracht unserer historischen Verantwortung“, doch wo bleibt diese Verantwortung, wenn man im Grunde die Ukraine sich selbst überlassen und der Aggression Russlands schutzlos ausliefern möchte?

Zugang zum ehemaligen KZ Buchenwald. Eine Besuchergruppe geht gerade durch das schmiedeeiserne Tor. Der Durcghang befindet sich in einem Gebäude mir rotbrauner Holzfassade.
Was von Putins „Entnazifizierung“ der Ukraine zu halten ist, mussten viele frühere Opfer des Nationalsozialismus in der Ukraine erleben. Boris Romantschenko starb in Charkiw im Bombenhagel. Er hatte die Konzentrationslager Buchenwald (Foto), Peenemünde, Mittelbau-Dora und Bergen-Belsen überlebt. (Bild: Ulsamer)

Appeasement-Politik hat noch nie genutzt

Wenn man der scheinheiligen Argumentation der Briefschreiber folgt, dann können die freiheitlichen Demokratien die Ukraine zwar mit Knüppeln und Helmen unterstützen, aber nicht mit Waffen, die ihnen die Verteidigung ihres Landes erlauben. Alice Schwarzer, die ‚Emma‘ mal wieder in die breitere Öffentlichkeit befördern wollte, scheint es nicht zu rühren, wenn Kinderkrankenhäuser zerbombt, Babys in der U-Bahn auf die Welt kommen müssen und Frauen reihenweise vergewaltigt, ihre Männer gefoltert und ermordet werden. Das hätte ich von einer Frauenrechtlerin und einstigen Ikone der Emanzipation nicht erwartet! Die Co-Fraktionschefin von Bündnis90/Die Grünen im Deutschen Bundestag, Britta Haßelmann betonte in der Stuttgarter Zeitung: “Wo sollen ‘Kompromisse’ sein, wenn Putin völkerrechtswidrig ein freies europäisches Land überfällt, Städte dem Erdboden gleichgemacht, Zivilisten ermordet werden und Vergewaltigung systematisch als Waffe gegen Frauen eingesetzt wird?” Diese Frage lassen die Briefschreiber – wie die Schriftstellerin Juli Zeh –  unbeantwortet, denn sie machen sich mehr Sorgen um die eigene Haut als um das Leben der Ukrainer.

Kein vernünftig denkender Mensch will einen Atomkrieg riskieren, doch wer vor Autokraten mit imperialistischen Aufwallungen wie Wladimir Putin zurückweicht, der handelt wie die Politiker, die in den 1930er Jahren meinten, Nachgiebigkeit würde sich bei Adolf Hitler auszahlen. Das schreckliche Ende der Appeasement-Politik ist allen bekannt. Wenn wir jetzt die Ukraine nicht nachhaltig unterstützen und einen Sieg Putins verhindern, dann wird er sich umso schneller dem nächsten Nachbarn in unfriedlicher Weise zuwenden. Wer heute die Ukraine im Stich lässt, der muss sich nicht wundern, wenn er bei einer eigenen Bedrohung allein dasteht. Unsere mittel-osteuropäischen Nachbarn, die unter Hitler und Stalin litten, erkennen das deutlich, die Briefschreiber leider nicht. Ich mache mir wegen Putins aggressivem Verhalten und seiner verbalen Attacken auch ernsthaft Sorgen, doch diese dürfen nicht die Tatsache überdecken, dass wir mit allem Nachdruck die Ukraine in ihrem Freiheitskampf unterstützen müssen. Der Kampf der Ukrainerinnen und Ukrainer ist auch unser Kampf! Es gilt, die Freiheit gemeinsam gegen die Unterdrückung zu verteidigen. Und dazu gehört die Lieferung schwerer Waffen an dieses bedrängte Land.

Ukrainische Flagge an einer Hauswand. Oben blau, unten gelb.
Die Bürgerinnen und Bürger, die in der Ukraine für ihre Freiheit und gegen den Aggressor Putin kämpfen, brauchen konkrete Hilfe – auch schwere Waffen – und kein Wegducken. (Bild: Ulsamer)

Wer Schwäche zeigt, hat bei Putin schon verloren!

Diplomatische Anstrengungen und humanitäre Hilfe müssen die militärischen Bemühungen flankieren. Wir alle können nur hoffen, dass Putin angesichts des anhaltenden Widerstands der Ukraine zu echten Verhandlungen bereit ist. Letztendlich müssen wir uns im Klaren sein, solange Putin an den Schalthebeln der Macht sitzt und mit dem Atomknopf drohen kann, werden wir nicht mehr in Ruhe leben können. Die Härte, mit der Putins Regime gegen Oppositionelle und Andersdenkende im eigenen Land vorgeht, ist ein Beweis dafür, dass er sich der Unterstützung breiter Schichten immer weniger sicher sein kann. Und die Oligarchen, die lieber Geld zählen und im Westen shoppen gehen, macht dieser Angriffskrieg mit Sicherheit nicht glücklich.

Wegducken ist keine Lösung, auch wenn die Briefschreiber aus scheinintellektuellen Kreisen dazu raten. Die ukrainischen Bürgerinnen und Bürger können und wollen sich nicht unter die russische Knute beugen. „Der Kampf ist hier; ich brauche Munition, keine Mitfahrgelegenheit“, hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wohl auf das US-amerikanische Angebot geantwortet, ihn auszufliegen. Bei so manchem der Briefschreiber habe ich den Eindruck, es wäre ihnen lieber gewesen, der Präsident hätte sich ins Ausland abgesetzt und die Ukraine wäre unter den mörderischen Militärschlägen Putins zusammengebrochen. Da scheinen sich die Gedanken so manchen Unterzeichners des ‚Offenen Briefs‘ mit denen Putins zu treffen.

Es geht um Freiheit und Frieden. Für die Ukraine und für Deutschland. Der Brief von Alice Schwarzer, den inzwischen 170 000 Menschen unterzeichnet haben sollen, stärkt Putin und schwächt die Bemühungen, den russischen Angriffskrieg zu beenden. Wer das Gegenteil behauptet, der irrt! Wer Schwäche zeigt, hat bei Putin bereits verloren. Die Briefschreiber stellen zu sehr ihr eigenes ungetrübtes Wohlergehen in den Mittelpunkt und übersehen dabei das Leid und Elend unserer Mitmenschen in der Ukraine.

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