Eine dicke Staubschicht bedeckt die Geschichte

Esslingens Lapidarium ist eine Schande

Nun wohnen wir bereits vier Jahrzehnte in Esslingen – und wir empfinden die Geschichtsvergessenheit, die sich in der ehemaligen Freien Reichsstadt breitmacht, wirklich als bedrückend. Aber das gilt ja nicht nur für die Stadt am Neckar in Baden-Württemberg, sondern auch für Berlin. Besonders ärgerlich ist es, wenn im Internet auf der offiziellen Seite ‚museen-esslingen.de‘ auf das Lapidarium hingewiesen wird, das sich bei einem Besuch vor Ort als einziges Trauerspiel erweist. „Lapidarium, von lateinisch lapis „Stein“, ist die Bezeichnung für eine Sammlung von Steinwerken wie Skulpturen oder Grabsteine, die oft am Ausgrabungsort ausgestellt sind“, so heißt es unter Bezug auf Wikipedia auf der genannten Internetseite, doch ganz verschwiegen wird, dass die Fundstücke in den Bögen unter der Inneren Brücke vor lauter Staub, Dreck und Müll selbst am helllichten Tag kaum zu erkennen sind.

Unter einem Torbogen aus beschlagenen Steinquadaern zwei Ausstellungsstücke des Esslinger Lapidariums hinter einem engmaschigen Gitter.
Auf der städtischen Seite „museen-esslingen.de” sieht das Lapidarium mit einigen steinernen Resten des Karmeliterklosters noch recht schmuck aus, aber die heutige Realität ist eher bitter. (Bild:Ulsamer)

Lieblose Präsentation

Die wenigen steinernen Überreste eines großen Karmeliterklosters wurden beim Bau neuer Gebäude für die damalige Fachhochschule – heute Hochschule Esslingen – geborgen und „Seit 2009 können Teile dieser Funde (Grabsteine, Maßwerke und vieles mehr) im Lapidarium ganzjährig betrachtet werden“. Das klingt ja geradezu einladend, aber man sollte die Taschenlampe nicht vergessen, um durch Gitter in die dunklen Gemäuer leuchten zu können. Und ganz ehrlich: Unter dem angesammelten Schmutz ist nahezu nichts zu erkennen. Eine solch klägliche Präsentation haben die Überbleibsel des Karmeliterklosters nicht verdient, das immerhin von 1281 bis 1531 bestanden hatte.

Drei rot-graue Infosäulen mit Fotos und Texten.
Der Zahn der Zeit nagt auch an den Infosäulen zur Geschichte des Karmeliterklosters in Esslingen. Tatsächlich prangt hier noch der Aufdruck einer Telefonnummer, unter der man eine Führung durch das Lapidarium buchen könne. Es wäre aber sicherlich besser, zuerst mal eine Putzkolonne zu bestellen. (Bild: Ulsamer)

Der etwas schäbige ‚Auftritt‘ der Funde aus dem ehemaligen Karmeliterkloster wird doch wohl nichts damit zu tun haben, dass die Karmeliter in Esslingen schon bei ihrer Ankunft nicht bei allen gerne gesehen waren, denn sie waren bereits der vierte Bettelorden, der eine Niederlassung gründete. Die Mönche betrieben eine Mühle, einen Hof im nahegelegenen Köngen und Weingärten, so dass ihr Lebensunterhalt weitgehend gesichert war. Nach der Reformation wurde das Kloster an das städtische Hospital verkauft, diente später aber auch als Magazin und wurde im 17. und 18. Jahrhundert abgerissen. So blieben von der weitläufigen Klosteranlage nur Grundmauern, die dann eben beim erwähnten Neubau der Hochschule ans Tageslicht gehoben wurden.

Zwei behauene Steine hinter einem Gitter, auf dem Boden welke Blätter und Papiermüll.
So sollte man nicht mit der eigenen Geschichte umgehen: Die Fundstücke sind im Schummerlicht kaum zu sehen, dagegen umso mehr Staub, Blätter und allerlei Abfall. Nur dank des Blitzgeräts an meiner Kamera erkannte ich, dass sich auch in der ‚zweiten Reihe’ noch Ausstellungsstücke befinden. (Bild: Ulsamer)

Licht ins Dunkel bringen

Jetzt sind die Fundstücke wieder im Schummerlicht in einen Dornröschenschlaf versunken. Manchmal frage ich mich, ob Vertreter der Stadtverwaltung oder des Gemeinderats viel zu wenig zu Fuß in ihrer ‚eigenen‘ Stadt unterwegs sind? Zumindest sollte die Stadtverwaltung hin und wieder einen fleißigen Mitarbeiter mit Laubrechen, Sauger, Besen und Staublappen vorbeischicken. Die welken Blätter auf dem Boden stammen im Übrigen mindestens vom Vorjahr, da trotz der heißen Sommertage die Bäume auf der Maille bei meinem Stadtspaziergang noch nicht herbstelten, was an den Altarmen des Neckars liegen dürfte, der ihren Wurzeln erquickendes Nass spendet. Und ein wenig Beleuchtung könnte auch nichts schaden, um die Geschichte des Karmeliterklosters wieder ins gebührende Licht zu setzen! Mir hat der Blitz meiner Kamera geholfen, aber das ist ja wohl kaum die richtige Lösung. Eine solch lieblose Präsentation ist wirklich erschreckend.

 

Gebäude in verschiedenen Farben oberhalb der Torbogen der Inneren Brücke.
Eine schmucke Umgebung für das Lapidarium – eigentlich! Die derzeitige Präsentation der Funde aus dem Karmeliterkloster (unter den Brückenbögen) ist jedoch eine Schande für eine auch touristisch interessante Stadt wie Esslingen. In der nahegelegenen baden-württembergischen Landeshauptstadt, mit der Esslingen vor Zeiten gerne mal Krieg führte, gibt es auch ein Lapidarium. Vielleicht sollte die Stadtverwaltung unter Oberbürgermeister Jürgen Zieger mal den Neckar entlang nach Stuttgart pilgern, um sich einige Impulse vermitteln zu lassen. (Bild: Ulsamer)
Dunkler Raum unter einem Torbogen mit zwei erkennbaren Teilen des früheren Klosters.
Wer lässt die Geschichte wieder leuchten? Verborgen unter drei Bögen der Inneren Brücke versteckt sich das Lapidarium der Stadt Esslingen am Neckar. Das Umfeld wurde ansprechend gestaltet, da würde auch das Lapidarium eine Aufwertung vertragen. (Bild: Ulsamer)

4 Antworten auf „Eine dicke Staubschicht bedeckt die Geschichte“

  1. Sehr geehrter Herr Dr. Ulsamer,
    ich fürchte, Sie werden noch viele Beispiele finden, die uns zeigen wie rücksichtslos wir mit unserer Geschichte, Natur und Umwelt umgehen.
    Vielleicht stimmt ja das Sprichwort, “steter Tropfen höhlt den Stein”.
    Ihr Vorschlag an die Gemeinderäte, öfters durch den eigenen Ort zu gehen, wird hoffentlich umgesetzt werden. Die Kenntnis führt ja auch zur Erkenntnis.
    Bleiben Sie bitte hartnäckig.
    Mit freundlichen Grüßen aus Immendingen
    Gerhard Walter

    1. Sehr geehrter Herr Walter,
      herzlichen Dank für Ihre ermutigenden Worte. Ich werde auf jeden Fall hartnäckig bleiben. Gerade in Großstädten habe ich den Eindruck, dass Oberbürgermeister, Bürgermeister und Gemeinderäte sowie die Verwaltung manchmal die Bodenhaftung verloren haben. In Immendingen und vergleichbaren Kommunen sind Bürgermeister, Gemeinderäte und Verwaltung viel näher an der Realität in ihrem Ort dran – und das schärft auch das Problembewusstsein. Ich erinnere mich gerne an die konstruktive Zusammenarbeit bei der Realisierung des Prüf- und Technologiezentrums. Mit besten Grüßen Lothar Ulsamer

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert