Lebensraum der flinken Kletterer schützen
Eichhörnchen sind Sympathieträger, wenn sie flink von Ast zu Ast springen oder mit einer Walnuss im kleinen Maul blitzschnell davonhuschen. Sie lassen sich häufig in Gärten, Parks und auf Friedhöfen blicken, doch in Nadel- und Mischwald bekommen wir sie eher seltener zu sehen, und dies gilt noch mehr für trostlose Forstplantagen. In so manchem Garten oder Park und gerade auch auf Friedhöfen mit altem Baumbestand finden die Eichhörnchen heute mehr und kontinuierlich Nahrung als in ihrer angestammten Heimat, den Wäldern. Apropos Heimat: Tiere mit fuchsrotem, mit dunkelbraunem oder mit braunschwarzem Fell sind Spielarten des Eurasischen Eichhörnchens. Die Befürchtungen mancher Mitbürger, die rotbraunen Eichhörnchen würden durch die dunkleren Hörnchen verdrängt, stimmt somit nicht. Gefährlich könnte es für die einheimischen Eichhörnchen allerdings werden, wenn die von Menschen aus Nordamerika nach Europa eingeführten Grauhörnchen (squirrels) nach Deutschland vordringen. Bisher haben die Eurasischen Eichhörnchen eher mit dem Lebensraumverlust durch Veränderungen in Wäldern und Gärten oder zunehmend dem Klimawandel zu kämpfen, denn in Dürreperioden fehlt der Zugang zu Wasser.
Muntere Sprünge kosten Energie
Wer wie die Eichhörnchen eilig durch das Geäst turnt und auch mal mehrere Meter mit einem Sprung von Baum zu Baum überbrückt, der erfreut zwar die menschlichen Zuschauer, doch es knurrt oft genug der Magen des behänden Nagers: Und darum ist es von großer Bedeutung, im Umfeld genügend Haselnüsse, Walnüsse, Bucheckern oder Eicheln zu finden. Die Eichhörnchen mögen die Samen aus Kiefern-, Fichten und Tannenzapfen oder von Ahornbäumen besonders gerne, und manche Knospen oder Pilze verschmähen sie ebenfalls nicht. Wenn die Natur reichlich Nahrung anbietet, stärkt dies die Überlebenschancen der Eichhörnchen, denn von ihren Jungen erreichen meist nur ein Fünftel das erste Lebensjahr. Das Nahrungsangebot ist heute in Parks und Gärten vielseitiger als im Wirtschaftswald, wo – im relativ jungen Baumbestand – die Baumhöhlen fehlen, die von Eichhörnchen gerne genutzt werden. Zwar bauen sich die Eichhörnchen am liebsten hoch oben in den Baumkronen ihren Kobel, denn „selbst gebaute Kugelnester auf dünnem Gezweig in Baumkronen sind sicherer. Marder können sie meistens nicht erklettern, weil sie zu schwer dafür sind“, so der Evolutionsbiologe und Ökologe Josef H. Reichholf.
Eichhörnchen plündern schon mal Vogelnester, doch wird ihnen dies zumeist eher verziehen als den Krähen. Wenn der Lebensraum für Insekten, Vögel und Eichhörnchen stimmt, und Füchse schon mal den Mardern nachstellen, dann ergibt sich ein natürliches Gleichgewicht. In Großbritannien hat es sich gezeigt, dass dieses Gleichgewicht schnell durcheinandergeraten kann, wenn die stärkeren und widerstandsfähigeren Grauhörnchen in die Natur entlassen werden. Seit 1876 machen sich die grauen Squirrels aus den USA auf Kosten der braunen Eurasischen Hörnchen breit, und ihrem Vormarsch kam es auch zugute, dass Nadelwälder fehlten, in denen sich die Eichhörnchen eher wohl fühlen, die Grauhörnchen jedoch nicht. In Regionen mit überhandnehmenden Grauhörnchen wird in England, Wales und Schottland versucht, die Marderpopulation zu stärken, die dann Jagd auf die dominierenden Grauhörnchen machen. In Norditalien wurden gleichfalls Grauhörnchen freigelassen, die beim Überwinden der Alpen zu einer Bedrohung für die Eichhörnchen werden könnten. In aller Deutlichkeit zeigt sich auch hier, dass menschliche Handlungen zur Verbreitung nicht heimischer Arten führen, die anschließend lauthals beklagt werden. Eine Eindämmung ist dann nahezu unmöglich und aus meiner Sicht auch ethisch fragwürdig, dies zeigt sich in gleichem Maße bei Waschbären oder Nilgänsen. Die Zuwanderung von Grauhörnchen ist durchaus bedrohlich, weil sie einen Pockenvirus aus ihrer nordamerikanischen Heimat übertragen, der für sie selbst ungefährlich, für Eichhörnchen jedoch zumeist tödlich ist. Und mit Viren ist – wie wir spätestens seit der Coronapandemie wissen – nicht zu spaßen.
Aktion Eichhörnchen
Wer in der kalten Jahreszeit kein langes (Winter-)Schläfchen macht, der muss rechtzeitig Vorräte anlegen. So lässt sich auch das emsige Treiben der Eichhörnchen erklären, die im Herbst Nüsse und andere haltbare Samen für den Winter in unterschiedlichen Verstecken bunkern. Kein Wunder, dass das Bundesernährungsministerium 1961 das Anlegen von Nahrungsvorräten in den menschlichen Haushalten mit dem Titel „Aktion Eichhörnchen“ schmückte. In Zeiten der Coronapandemie bekam dieser Grundgedanke wieder neuen Auftrieb. Manches Futterdepot benötigen die Eichhörnchen besonders in milden Wintern nicht oder sie finden sie unterhalb des Schnees nicht wieder, und sie tragen damit – wie die Eichelhäher – zur Verbreitung von unterschiedlichen Bäumen und Sträuchern bei. Wer vielfältige Pflanzen im Wald möchte, der sollte daher stärker auf Eichhörnchen und Eichelhäher und weniger auf Aufforstung setzen. Dies setzt voraus, dass die Wälder die Ruhe zugebilligt bekommen, die sie zur Entwicklung aus sich heraus benötigen. Sukzession sorgt für vielfältigeren Aufwuchs, und die Chance ist dann größer, dass Bäume dabei sind, die mit der Erderwärmung zurechtkommen. Parks und Gärten bekommen so ohne menschliches Zutun neue Bäume, wenn die kleinen Pflänzchen nicht gleich einem übereifrigen Gärtner zum Opfer fallen.
Wenn wir Forstareale durchwandern, werden wir kaum Eichhörnchen zu Gesicht bekommen, denn sie sind dort selten geworden und weit scheuer. Der wahre Grund dafür ist die einseitige Ausrichtung weiter Flächen, „weil die Wirtschaftswälder, die Forste, den Eichhörnchen unter heutigen Verhältnissen weit weniger Nahrung und Sicherheit bieten als der Siedlungsraum der Menschen. Wir sehen dies an der Häufigkeit der Eichhörnchen. In Städten mit großen Parkanlagen kann sie um ein Mehrfaches höher liegen als in Laubwäldern und bis zum Zehnfachen über das Niveau einförmiger Nadelwälder steigen“, schreibt Reichholf. Essen und Wohnen ist eben nicht nur bei uns Menschen von hoher Priorität, sondern auch bei den Eichhörnchen, die sich – anders als die Murmeltiere – für den Winter kaum Speck anfuttern. Mag es im Wirtschaftswald genügend Bäume geben, so erkennen wir schnell, dass sie häufig noch keine Samen tragen, die Eichhörnchen ernähren könnten. Eichen entwickeln meist erst nach 60 bis 80 Jahren Eicheln, Buchen blühen nicht selten mit 20 Jahren, doch essbare Bucheckern lassen 40 bis 80 Jahre auf sich warten. In einem Mischwald sind Eichhörnchen eher in der Lage, das schwankende Nahrungsangebot einzelner Baumarten auszugleichen. Bei Eichen, Fichten oder Buchen kommt ein Mastjahr mit besonders üppigem Segen an Samen nur alle fünf oder sechs Jahre vor, da ist es natürlich vorteilhaft, jeweils auf ein breites Nahrungsspektrum zurückgreifen zu können.
Tiere haben einen Eigenwert
Mit den Eichhörnchen und anderen Nagern verbindet uns Menschen die Fähigkeit, mit den Händen geschickt unterschiedliche Materialien zu greifen, zu drehen, zu verarbeiten – z.B. zu einem Nest. Oft endet die freundliche Zuwendung aber sehr schnell, wenn Nager – wie der Biber – beginnen Bäume zu fällen. Das tut das Eichhörnchen zwar nicht, es vergreift sich höchstens an frischen Fichtentrieben, und wird daraufhin schnell als ‚Schädling‘ abgestempelt. Den typischen Stadtbewohner ärgert dies nun weniger als den ‚Forstmann‘, doch wenn es den Wäldern schlecht geht und noch mehr den Forstplantagen, dann liegt das am Menschen und seinen Eingriffen und gewiss nicht an den tierischen Bewohnern. Wir sollten nicht vergessen, dass Tiere einen Eigenwert besitzen und wir nicht nur an deren Nutzen denken dürfen. Wohin es führt, wenn der Nutzungsgedanke dominant wird, sehen wir an der Massentierhaltung, denn dort sind Rinder, Schweine oder Hühner nur noch Produktionsfaktoren, und das Lebensrecht der Tiere einer möglichst billigen Erzeugung untergeordnet. Das Tierwohl wird viel zu oft vernachlässigt.
Die menschlichen Eingriffe in die Landschaft haben nicht nur zu deren Verödung geführt, sondern sie auch strukturärmer und damit anfälliger für Wind und Wetter gemacht. Wenn Baumplantagen von Stürmen wie Streichhölzer geknickt werden, wenn Hochwasser Gemeinden in Flusstälern zerstört und Insekten und Vögel sich rarmachen, dann ist nicht immer der Klimawandel ‚schuld‘, sondern eine falsche Land- und Forstwirtschaftspolitik und insgesamt mangelnde Rücksichtnahme auf die Natur z.B. beim Siedlungsbau oder bei Verkehrstrassen. Nicht nur Feldhasen oder Igel, sondern auch Eichhörnchen haben daher Wald und Flur verlassen und sich ein Plätzchen im urbanen Bereich gesucht. Wo Hecken und Bauminseln oder Tümpel fehlen, tun sich die Tiere schwer. Selbst Füchse und Wildschweine, Waschbären oder Marder durchstreifen immer häufiger die Städte, weil sie dort mehr Nahrung und – so paradox dies klingt – noch ein bisschen Natur finden.
Weniger Eichhörnchen
Zum Bestand an Eichhörnchen gibt es wenig Datenmaterial, und deswegen gelten sie in Deutschland als nicht gefährdet. Entsprechende Studien würden je nach Nahrungsangebot in den einzelnen Jahren unterschiedlich ausfallen, daher müssten sie eine längere Zeitperiode umfassen. „Bis in die 60er-Jahre gab es deutlich höhere Bestände als heute“, so Dr. Stefan Bosch vom NABU. „Schlechtere Waldqualität und die Landschaftsverinselung können zum Rückgang der Eichhörnchen beitragen.“ Wenn wir wollen, dass die Eichhörnchen bei uns auch zukünftig im Sommer ihre tägliche Siesta halten und entsprechende Depots mit Nüssen oder Eicheln für die karge Winterzeit anlegen können, dann müssen wir ihren Lebensraum schützen – und dies in Stadtquartieren mit Parks oder Gärten, genauso wie im ländlichen und forstlichen Bereich. Wir brauchen auch mehr Stadtbäume. Unser gerade mal 25 Quadratmeter kleines Gärtchen besuchen ganzjährig Eichhörnchen: Mal trinken sie am Vogelbecken, mal knabbern sie Sonnenblumenkerne auf oder tragen eine Walnuss ins Versteck. Wo sie ihren Kobel haben, wissen wir nicht, zumindest nicht in unseren beiden Eschen oder dem selbstgezogenen Kastanienbaum im noch schmäleren Vorgarten. Wir können nur hoffen, dass die wenigen Bäume in der Nähe Quartier für ein Schläfchen oder gar einen größeren Kobel für die Aufzucht von Jungen bieten. Schon das Wasser ist ein Anziehungspunkt für Vögel, Igel und Eichhörnchen, und in unseren Städten sollte es wieder mehr zugängliche Wasserstellen geben. Selbst im ländlichen Raum sind zahllose Tümpel oder Weiher verschwunden und Bäche im Betonkorsett helfen auch nicht weiter.
„Der Teufel ist ein Eichhörnchen“, heißt es im Volksmund, und damit ist selbstredend nicht gemeint der ‚Leibhaftige‘ nähere sich uns im Eichhörnchenkostüm, sondern man müsse überall mit Unvorhergesehenem rechnen. Wenn wir genau dieses vermeiden wollen, dann wäre es an der Zeit, dass sich die Naturschutzbehörden mehr für den schnellen Kletterer interessieren. Als ich den Begriff ‚Eichhörnchen‘ auf der Internetseite des Bundesamts für Naturschutz eingegeben habe, kam keine einzige Nennung. Immerhin gab es Verweise auf Ziesel und Baumschläfer. Der BUND Naturschutz in Bayern ist da allemal weiter: Man kann Sichtungen von Eichhörnchen melden, und so ergibt sich zumindest ein vages Bild, wo Eichhörnchen leben. Wer keine bitteren Erfahrungen machen möchte, der muss sich auch um die vorhandenen Tierarten kümmern, selbst wenn sie – noch nicht – als bedroht gelten, jedoch an Zahl abgenommen haben. Eichhörnchen können zwar ihren knapp körperlangen Schwanz wie eine wärmende Bettdecke im Winter nutzen, bei vielen politischen Entscheidungsträgern allerdings habe ich den Eindruck, dass sie sich die Bettdecke lieber über die Augen ziehen. Zumeist dient der buschige Eichhörnchen-Schwanz aber beim Sprung zum nächsten Baum als Steuer und auf Ästen als Balancierhilfe. Er erleichtert zusätzlich die Kommunikation mit Artgenossen.
Wasser, Sonnenblumenkerne oder Nüsse erleichtern den Eichhörnchen das Leben in unseren Städten und Gemeinden, und in einer verbauten und ausgeräumten Landschaft darf der Mensch den Tieren sicherlich helfen. Haselnusssträucher im naturnahen Garten oder Bäume für einen Kobel in luftiger Höhe schaffen Lebensraum für die agilen Kletterer.
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