Eichhörnchen: Futterverstecke mit Strategie gewählt

Dezentrale Vorratshaltung hilft Eichhörnchen über den Winter

Eichhörnchen und Igel haben auf den ersten Blick wenig gemeinsam: Das Eichhörnchen ist ein flinker Kletterer und der Igel setzt eher auf seine schützenden Stacheln, wenn sich ein Feind nähert. Doch Eichhörnchen und Igel ist gemeinsam, dass wir sie heute statt in der Feldflur bzw. im Wald eher in Parkanlagen oder Gärten zu Gesicht bekommen. Die intensive Nutzung der Agrarlandschaft hat den Igel zur Flucht in die Städte veranlasst, und dem Eichhörnchen ging in forstlichen Monokulturen der Lebensraum verloren. Igel und Eichhörnchen gelten zwar nicht als bedroht im Sinne der Roten Listen, im Grunde allerdings ist wenig über ihren Bestand bekannt. Die Flucht von Igel und Eichhörnchen und so manchen Feldhasen in urbane Bezirke ist ein deutlicher Beleg dafür, dass es in industriell genutzten Forsten und auf intensiv bearbeiteten Ackerflächen zu wenig Lebensraum für Wildtiere gibt. Nun aber zu den bei uns heimischen Eurasischen Eichhörnchen (Sciurus vulgaris), über die ich in meinem Blog bereits berichtet habe, so z. B. in ‚Eichhörnchen: Von fuchsrot bis braunschwarz. Lebensräume für die flinken Kletterer schützen‘. An dieser Stelle möchte ich schwerpunktmäßig auf die ‚Vorratshaltung‘ der Eichhörnchen eingehen. Zwar sehen wir hin und wieder ein Eichhörnchen mit einer Walnuss oder einer Eichel durch die Äste turnen oder über den Boden flitzen, doch zumeist erkennen wir nicht, wo und wie das Futter für den Winter deponiert wird. Und ob das gleiche Eichhörnchen die versteckten Nüsse auch wieder ausbuddelt, das können wir im Regelfall nicht wissen. Es gibt in der Tat aber zahlreiche Studien, die belegen, dass Eichhörnchen eine Strategie verfolgen, wenn sie ihre Schätze für die karge Jahreszeit verstecken.

Ein dunkelbraunes Eichhörnchen steckt seinem kleinen Maul im Bewuchs und versteckt dort gerade eine Nuss.
Schon ist die Nuss verschwunden. Dieser Platz scheint in das Depotsystem des Eichhörnchens zu passen. Im Herbst werden Nüsse, Eicheln oder Bucheckern gesammelt und an dezentralen Plätzen für den Winter versteckt. Dabei gehen Eichhörnchen nicht planlos vor, sondern folgen einer Strategie, die ihnen das Auffinden der Nahrung bei Bedarf erleichtert. (Bild: Ulsamer)

Nahrungsverstecke mit System

Ein Eichhörnchen versteckt im Herbst mehrere tausend Nüsse und andere Samen, und manche findet es nicht wieder oder benötigt das Futter nicht, um über den Winter zu kommen. Auf diese Weise tragen nicht nur die Eichhörnchen, sondern auch Eichelhäher dazu bei, dass sich der Wald aus sich heraus verjüngen kann. In Gebieten, wo der Mensch eifrig aufforstet und Monokulturen schafft, ist die Zuarbeit der Eichhörnchen nicht gefragt, und in solchen Forstanlagen finden Eichhörnchen weder Nahrung noch ein Plätzchen für den Nestbau. Eichhörnchen sorgen natürlich für sich selbst vor, und daher ist es wichtig, die gehorteten Nüsse oder Eicheln wiederzufinden und so zu verstecken, dass möglichst keine anderen Tiere sie finden. Wer in der kalten und nahrungsarmen Jahreszeit einen Winterschlaf hält – wie der Igel -, der muss sich vorher das nötige Gewicht anfuttern, aber keine Vorräte anhäufen. Zwar legt das Eichhörnchen im Winter mehr Ruhepausen ein, doch es muss mit Futterdepots vorsorgen: Es gilt, den Überfluss an Nahrung im Herbst durch rechtzeitiges Sammeln und Verstecken für einen längeren Zeitraum nutzbar zu machen. So hieß das 1961 von der Bundesregierung initiierte Anlegen von Vorräten für Krisensituationen in Privathaushalten ganz richtig ‚Aktion Eichhörnchen‘. Angesichts vielfältiger Krisen und Katastrophen kommt dieser Gedanke langsam wieder in Mode.

Ein dunkelbraunes Eichhörnchen mit weißem Bauch steht auf den Hinterbeinen und macht gewissermaßen Männchen. Es hat eine Hickorynuss im Maul.
Das hier abgebildete Eichhörnchen hat eine Hickorynuss gefunden, die es nun an einen sicheren Ort bringen wird. Es mustert nochmals die Umgebung, ehe es sich auf den Weg zu einem potenziellen Versteck macht. Hickorybäume wurden um 1880 aus Nordamerika nach Deutschland eingeführt, so findet sich einer im Arboretum der Universität Hohenheim in Stuttgart. Man kann nur hoffen, dass die gleichfalls aus den USA in Großbritannien und Italien ausgewilderten Grauhörnchen ihren Weg nicht nach Deutschland finden, denn die kräftigeren ‚squirrels‘ haben in England die eurasischen Eichhörnchen nahezu ausgerottet. Die Zuwanderung von Grauhörnchen nach Deutschland wäre überaus bedrohlich, da sie einen Pockenvirus aus ihrer nordamerikanischen Heimat mitgebracht haben, der für sie selbst ungefährlich, für unsere Eurasischen Eichhörnchen jedoch zumeist tödlich ist. (Bild: Ulsamer)

Studien belegen, dass die Eichhörnchen aufgefundene Nüsse, Eicheln oder Bucheckern zwar über eine bestimmte Fläche verteilen, doch das geschieht nicht willkürlich. Sie deponieren gerne Walnüsse in einem anderen Sektor als  z. B. Haselnüsse oder Eicheln. Die Forscherinnen und Forscher gehen davon aus, dass es diese Systematik den Eichhörnchen erleichtert, das Futter erneut aufzufinden, was an einen wohlsortierten Küchenschrank erinnert, in dem Gewürze, Tee oder Backzutaten gleichfalls nicht willkürlich verteilt werden. Und wer in seiner Bibliothek schnell wieder auf bestimmte Bücher zugreifen möchte, der wird diese auch nach Themen oder einem anderen Kriterium einsortieren. Eichhörnchen setzen daher nicht nur auf ihren ausgezeichneten Geruchssinn, sondern auf landschaftliche Merkmale und die räumliche Bündelung der Nahrung nach Nussarten etc. Amanda N Robin und Lucia F Jacobs sprechen in ihrem Beitrag ‚The socioeconomics of food hoarding in wild squirrels‘ von „mnemonic strategy of spatial chunking“. Eichhörnchen graben methodisch immer wieder Nüsse aus, die sie selbst verbuddelt haben, um sie an gleicher Stelle oder in der Nähe erneut zu verstecken, womit sie diesen Teil ihrer ‚gehorteten‘ Nahrung zurück ins Bewusstsein heben. Danach können sie sich den Ort besser merken – einer Eselsbrücke (‚mnemonic‘) vergleichbar, auf die Robin und Jacobs hinweisen, und die es dem Eichhörnchen erleichtert, die einzelnen Depots nicht zu vergessen. Versuche mit gefangenen Eichhörnchen und Studien in Freiheit legen nahe, dass Eichhörnchen häufiger ihre selbst versteckten Nüsse wieder finden, als die von Artgenossen oder vom Menschen deponierte Nahrung. Marcin Brzeziński und Andrzej Zalewski kamen bei einer Studie ‚The retrieval of food hoarded by red squirrels inhabiting an urban park‘ im über 50 Hektar großen Skaryszewski Park in Warschau zu dem Schluss, dass die Mehrheit, der von Eichhörnchen versteckten Nüsse von ihnen selbst aufgefunden und gefressen wurden. Von den Wissenschaftlern versteckte Nahrung wurde deutlich seltener ausgebuddelt. In dieser Parkanlage bekommen Eichhörnchen im Herbst und Winter reichlich Nüsse von den Besuchern, dennoch legen die eifrigen Sammlerinnen weiter ihre Depots an, so dass davon ausgegangen werden kann, dass das Horten von Nüssen genetisch angelegt ist. Im Grunde ist das auch besser so, denn eine Beschränkung auf menschliche Gaben könnte die gesamte Population gefährden, wenn die Nüsse aus freundlichen Händen ausbleiben.

Ein rotbraunes Eichhörnchen sitzt auf dem Ast einer Kiefer und hält eine braune Haselnuss in den Pfoten.
Nüsse werden mit den gelenkigen fingerähnlichen Zehen mehrfach gedreht und geprüft, ehe sie geöffnet oder in ein Versteck transportiert werden. Eine taube, sprich hohle, Nuss wird kein Eichhörnchen mitnehmen. (Bild: Ulsamer)

Komplexe Entscheidungsfindung

Eichhörnchen scheinen abzuwägen, ob sich das Verstecken an entfernteren Orten und für welche Nüsse sich ein Wagnis lohnt. Untersuchungen haben gezeigt, dass sich das Deponieren von Nüssen außerhalb des Schutzes von Bäumen und Sträuchern als Vorteil herausstellen kann, denn dort drohen seltener Diebe. Artgenossen oder Mäuse sind wegen drohender Greifvögel oder Katzen seltener auf Freiflächen unterwegs, um nach Nahrung zu suchen, und damit ist das Nussdepot dort weniger durch diebische Mitesser gefährdet. Viele Eichhörnchen wollen jedoch das Risiko auf einer Freifläche auch nicht eingehen, denn sie setzen sich ebenfalls Angriffen aus der Luft aus und erreichen bei Attacken am Boden nicht schnell genug einen Baum. Es scheint unter Eichhörnchen die eher zurückhaltenden und die wagemutigen Typen zu geben, wieder etwas, das die flinken Kletterer mit uns Menschen verbindet. Folgen wir der Studie von Mikel M. Delgado und Lucia F. Jacobs, die unter dem Titel ‚Caching for where and what: evidence for a mnemonic strategy in a scatter-hoarder‘, dann beziehen die Eichhörnchen auch die Qualität der Nüsse oder ihr Gewicht mit ein, wenn sie sich für das Verstecken entscheiden. Es handelt sich somit um komplexe Entscheidungen, die das Eichhörnchen trifft. Gehaltvollere Nahrung wird nicht selten über eine längere Distanz transportiert, ehe sie an einem möglichst sicheren Platz deponiert wird. Eichhörnchen geben immer wieder vor, eine Nuss einzugraben, doch wenn sie sich – von Artgenossen – beobachtet fühlen, verschließen sie das kleine Erdloch und tragen die ‚Beute‘ an eine Stelle, an der sich sicherer fühlen.

Ein rot-braunes Eichhörnchen sitzt auf dem Gartenboden und trinkt aus der roten Rinne einer Hühnertränke. Das Wasser kommt aus dem weißen Vorratsbehälter in der Mitte.
Der Zugang zu trinkbarem Wasser ist für Eichhörnchen schwieriger geworden, was auch für ihren ursprünglichen Lebensraum gilt, ebenso wie für ihre heutige Zuflucht, die urbanen Regionen. In Wald und Flur wurden Tümpel zugeschüttet, in den Städten fließen Bäche vielfach unerreichbar in Betonröhren. Schwimmbecken bzw. Wasserspiele sind Todesfallen und künstlerisch wertvolle Brunnen taugen nicht als sichere Wasserquelle für Vögel, Eichhörnchen oder Igel. Mehr dazu in meinem Blog-Beitrag ‚Unsere gefiederten Freunde leiden Durst. ‚Schöne‘ Brunnen nutzen Vögeln wenig‘. Dieses Eichhörnchen hat sich mit einer Hühnertränke angefreundet, die wir ergänzend zu einem Vogelbecken aufgestellt haben. Wenn wir einige Tage nicht da sind, kommt der Nachschub an lebensspendendem Nass aus dem Vorratsbehälter. (Bild: Ulsamer)

Eichhörnchen gehören zu den Sympathieträgern unter den heimischen Tieren, genauso wie die eingangs erwähnten Igel. Während der stachlige Geselle den nahrungsarmen Winter zumeist verschläft, muss das Eichhörnchen Vorräte anlegen. Dabei geht es strategischer vor, als in früheren Zeiten angenommen wurde. Durch die Bündelung einer bestimmten Nussart in einem Areal erleichtert es sich das Eichhörnchen, diese bei Nahrungsbedarf zu finden. Eine Rolle als Orientierungshilfe kann auch der Baum spielen, auf dem das Eichhörnchen seinen Kobel hat bzw. in dessen Umfeld die Nahrung gefunden wurde. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass Eichhörnchen markante Punkte in der Natur als Hilfestellung benutzen. Im näheren Umfeld des Depots trägt der ausgezeichnete Geruchssinn zur Lokalisierung der Nuss bei. Wer seine Vorräte nicht zentral hortet, sondern in kleinen Depots über eine größere Fläche verteilt, der muss Strategien verfolgen, um möglichst viele Nüsse wieder zu finden und gleichzeitig Orte aussuchen, an denen möglichst wenig Nahrung durch andere Tiere ‚gestohlen‘ wird. Eichhörnchen versuchen ihr eigenes Überleben dadurch zu sichern, dass sie möglichst viele Hasel- oder Walnüsse, Eicheln oder Bucheckern ‚bevorraten‘. Natürlich helfen auch Fichten- oder Kiefernzapfen, wenn dem Eichhörnchen der Magen knurrt. Voraussetzung dafür ist, dass die Bäume ein gewisses Alter erreichen dürfen, denn Fichten blühen meist erst nach 30 Jahren, manchmal deutlich später, und vorher gibt es selbstredend keine samenhaltigen Zapfen. Bucheckern lassen noch länger auf sich warten: erst nach 40 oder gar 80 Jahren bildet die Buche zum ersten Mal Samen aus. Eichhörnchen kommen daher in einem Mischwald mit einem größeren Anteil alter Bäume am besten zurecht. Wo es an solchen Wäldern mangelt, da bleibt den kleinen Akrobaten nur das Abwandern in urbane Parks oder Gärten. Und im Winter helfen dort Futterstellen für Vögel, denn auch Sonnenblumenkerne werden nicht verschmäht.

Ein rötlich-braunes Eichhörnchen sitzt mit den Hinterbeinen noch an einer Kiefer, die Vorderpfoten sind nach vorne gereckt, da es sich im Absprung befindet.
Bereit zum Sprung. Der rd. 20 Zentimeter lange Schwanz wirkt bei den bis zu fünf Meter weiten Sprüngen wie eine Art Steuerruder, aber auch beim auf- und abwärts Klettern an Bäumen hilft er beim Halten der Balance. Je nachdem wie der Schwanz bewegt wird, wissen die Artgenossen über die Gefühlslage des Gegenübers Bescheid. Und zu guter Letzt dient der buschige Schwanz als ‚Zudecke‘, wenn das Eichhörnchen in der kalten Jahreszeit in seinem Kobel, dem kugelförmigen Nest, liegt. (Bild: Ulsamer)

Wenn man – wie das Eichhörnchen – für den Winter Vorräte anlegen möchte, diese an einem zentralen Ort jedoch nicht verteidigen kann, dann bleiben im Grunde nur viele verteilte Depots, wo mal eine Walnuss oder auch mehrere Nüsse bzw. andere Samen versteckt werden können, was die Gefahr minimiert, dass diebische Mitbewohner das Futter wegfressen. Um die Reserven in kalten Tagen nutzen zu können, haben die Eichhörnchen Strategien entwickelt, die es – wie bei der Bündelung nach Nussart – erleichtern, die Nahrung schnell wieder zu finden. Die Intelligenz der Eichhörnchen sollte nicht unterschätzt werden. Eichhörnchen kommen mit unterschiedlichen Lebensräumen zurecht, dies belegt ihre Besiedlung urbaner Räume. Es wäre jedoch schön, wenn die Eichhörnchen wieder verstärkt in ihrem angestammten Lebensraum – den Wäldern – auf Nahrungssuche gehen und einen Kobel bauen könnten. Mögen uns die Landflüchtlinge Eichhörnchen, Igel und Feldhase in Parks und Gärten erfreuen, so ist ihr Ausweichen in die städtischen Regionen lediglich ein trauriger Beweis dafür, dass ihnen die intensive Land- bzw. Forstwirtschaft ihren ursprünglichen Lebensraum geraubt hat.

 

Ein im Sonnenlicht rötlich schimmerndes Eichhörnchen hält sich mit den Hinterfüßen an Kiefernästen fest. Eine Vorderpfote umklammert einen Futterspender, in der anderen hält es den Rest eines Sonnenblumenkerns.
In unserem kleinen Garten finden Eichhörnchen Sonnenblumenkerne teilweise anziehender als die bereitgelegten Haselnüsse. Mehr zum Thema ‚Als die Eichhörnchen den Wald verließen. Letztes Refugium: Gärten, Parks und Friedhöfe‘. (Bild: Ulsamer)

 

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Ein rot-braunes Eichhörnchen hält sich am schrägen Holzfuß eines Vogelhäuschens mit seinen Zehen fest und hält eine Walnuss im kleinen Maul.Mit ihren je vier Greifzehen an den Vorder- bzw. fünf an den Hinterpfoten können Eichhörnchen nicht nur problemlos Bäume hinauf und hinunter klettern, sondern sich auch an relativ glatten Pfählen festhalten. Diese Walnuss scheint es dem Eichhörnchen wert zu sein, sie abzutransportieren und an anderer Stelle zu deponieren. (Bild: Ulsamer)

 

 

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