Freizeitvehikel verschandeln die Innenstädte
Bei den E-Scootern lässt sich die häufig beklagte Diskrepanz zwischen politischen Sonntagsreden und der kommunalen Realität besonders gut erkennen: Zuerst wurden die elektrischen Gefährte als Klimaretter in den Städten gefeiert, weil sie Autofahrten erübrigen würden. Das stellte sich als Wunschdenken heraus, denn im Grunde sind die E-Scooter meist ein zusätzliches Freizeitvehikel oder ihre Fahrer bewegen sich in den Innenstädten parallel zu Bussen und Straßenbahnen und verbrauchen so zusätzlich Strom und Straßenraum. Viel zu viele Kommunalpolitiker sind bis heute nicht bereit, der Realität ins Auge zu schauen, sondern verharren in einer grünlackierten Scheinliberalität: Man könne doch den E-Scooter-Nutzern nicht ihr Spielzeug wegnehmen! Aber auch die zweite Runde geht an E-Scooter-Rabauken, die ihre Roller abstellen, wo sie wollen, obwohl Stadtverwaltungen behaupten, sie würden gegen die gefährlichen Stolperfallen auf Gehwegen vorgehen und geeignete ‚Parkplätze‘ definieren, die eine gewisse Ordnung ins System bringen. Neuerliche Fehlanzeige! E-Scooter waren und sind gerade für sehbehinderte Menschen eine Gefahrenquelle, da sie nicht selten kreuz und quer auf Gehwegen oder vor Hauseingängen herumstehen. Für einen Kinderwagen oder einen Rollstuhl bleibt häufig kein Platz. Nun bin ich seit 2019 mehrfach auf das Unwesen der E-Scooter eingegangen und habe Erfahrungen aus verschiedenen Städten, z. B. aus Dresden, Berlin, Tübingen oder Stuttgart eingebracht, daher wollte ich mich nicht erneut mit diesem Thema befassen. Doch eine kleine historische Wanderung durch unsere Geburtsstadt Stuttgart machte überdeutlich, dass E-Scooter von den Städten schärfer reguliert werden müssen. Neben interessanten geschichtlichen Eindrücken im früheren ‚Postdörfle‘ oder in der ehemaligen ‚Tunzhofer Arbeitersiedlung‘ gab es massenhaft E-Scooter auf all unseren Wegen. Da erhebt sich doch ernsthaft die Frage, ob es auf Dauer ein Geschäftsmodell sein kann, wenn die E-Scooter stundenlang herumstehen, was natürlich die Verleihfirmen wissen müssen. Eines allerdings ist sicher: sie verschandeln das Stadtbild!
Ohne Nutzen für die Umwelt
E-Scooter verbessern nicht die Umweltbilanz, zumindest nicht die von Leihunternehmen bereitgestellten Roller. „Unsere Studie zeigt aber, dass geteilte E-Scooter momentan hauptsächlich den Öffentlichen Nahverkehr, das Fahrrad und das Zu-Fuß-Gehen ersetzen“, so Daniel Reck von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. Etwas besser scheint die Situation bei E-Scootern zu sein, die sich im eigenen Besitz befinden, weil sie eher Fahrten mit einem Auto ersetzen – und generell auch länger halten. Leih-Scooter bringen für das Klima nichts, ganz im Gegenteil, was zusätzlich am schnellen Verschleiß liegt. Die Erkenntnisse aus der Schweiz zum ‚E-Trotti‘ unterstützen die Skepsis des deutschen Umweltbundesamts: „Als Leihfahrzeug in Innenstädten, wo ÖPNV-Netze gut ausgebaut und die kurzen Wege gut per Fuß und Fahrrad zurückzulegen sind, bringen die Roller eher Nachteile für die Umwelt – und drohen als zusätzlicher Nutzer der bereits unzureichend ausgebauten Infrastruktur das Zufußgehen und Fahrradfahren unattraktiver zu machen.“ Und wenn E-Scooter in Fußgängerzonen herumsausen oder gar zwei oder drei Personen auf einem Roller unterwegs sind, dann werden sie zur Gefahr für Fußgänger oder die Passagiere selbst, ganz besonders bei alkoholisierten Fahrern oder Beifahrern. In einer Studie des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) heißt es: „Alkoholkonsum spielt beim Unfallgeschehen von E-Scootern eine vergleichsweise große Rolle. Das Fahren unter Alkoholeinfluss war gemeinsam mit der falschen Straßenbenutzung der mit Abstand häufigste Vorwurf gegen E-Scooter-Fahrerinnen und -Fahrer.“ Wie bei Fahrrädern, normalen Pedelecs oder E-Bikes bis zu einer Beschleunigung auf 20 km/h gilt auch bei E-Scootern keine Helmpflicht: das verpflichtende Tragen eines Helms könnte jedoch bei so manchem schweren Sturz die Verletzungsgefahr zumindest verkleinern. Aber die Politik kann sich hier seit Jahren nicht zu einer breiten Helmpflicht aufraffen.
In Paris zeigte sich ebenfalls, ehe die Leih-Scooter aus der Innenstadt verbannt wurden, dass 47 % der befragten Nutzer ohne verfügbare E-Scooter zu Fuß gegangen wären, 29 % hätten den ÖPNV genutzt und neun Prozent die Strecke mit dem Fahrrad zurückgelegt. Lediglich acht Prozent der Befragten ersetzten mit dem E-Scooter eine Auto- oder Taxifahrt. Drei Prozent der Nutzer wären ohne E-Roller gar nicht unterwegs gewesen. Mehr Informationen dazu finden Sie in meinem Blog-Beitrag ‚E-Scooter: Geliebt, gehasst, geschasst. Warum wirft nur Paris die Miet-E-Scooter raus?‘ Im Grunde deckt sich dieses Ergebnis mit einer Studie der GDV-Unfallforscher „Es werden überwiegend zusätzliche Fahrten durchgeführt oder es werden Fußwege oder die Nutzung des ÖPNV ersetzt.“ 75 % der Fahrerinnen und Fahrer der E-Scooter gaben bei der Studie der Unfallforscher des GDV an, den E-Scooter für die Freizeit zu nutzen, nur 3 % waren in Sachen ‚Arbeit‘ unterwegs. Ohne Verfügbarkeit eines E-Scooters hätten über 53 % der Befragten den Weg zu Fuß zurückgelegt, 26,7 wären aufs Rad gestiegen und lediglich 4,4 % hätten den eigenen Pkw genutzt. Wie so oft lassen sich die Gemeinderäte und die Verwaltung in den deutschen Rathäusern durch wissenschaftlich fundierte Untersuchungen nicht irritieren, sondern setzen auf E-Scooter und verkaufen diese noch fälschlicherweise als umweltfreundlich, um nur besonders ‚modern‘ zu erscheinen.
E-Scooter als Schandfleck und Stolperfalle
Als ich vor einigen Jahren im Gespräch mit der Stadt Stuttgart war, ging es um Ladesäulen für E-Fahrzeuge, die in einem Carsharing-Projekt eingesetzt werden sollten. Vom damaligen Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Gemeinderat bekam ich den nicht gänzlich unberechtigten Einwand zu hören, man müsse doch an die Übermöblierung der Stadt denken. Nun frage ich mich schon, wie sich dieser Hinweis mit Hunderten von E-Scootern verträgt, die heute in Stuttgart herumstehen und manchmal auch fahren – gerne auf Gehwegen, durch Fußgängerzonen und Parkanlagen. Peter Pätzold ist inzwischen Bürgermeister für Städtebau, Wohnen und Umwelt in Stuttgart, und eingeführt wurden die E-Scooter, die zur Plage werden, unter dem grünen Oberbürgermeister Fritz Kuhn, und sein CDU-Nachfolger Frank Nopper duldet die E-Scooter-Schwemme ebenfalls. Eine echte Bereicherung des Stadtbilds! Gerne werden diese Vehikel mitten auf dem Gehweg abgestellt oder achtlos in eine Grünfläche gekippt. Sie finden sich auch verlassen an mehrspurigen Bundesstraßen oder in Parks, wo sie nun wirklich nicht hingehören. So stellt sich vernehmlich die Frage: Wer trägt hier zur Verschandelung des Stadtbilds bei? Der ohnehin knappe städtische Raum sollte nicht Leih-E-Scootern überlassen werden.
Nun möchte ich niemandem sein Freizeitvergnügen vermiesen, doch es muss die Frage gestellt werden, ob Ökologie und die Sicherheit der anderen Bürger nicht höher im Entscheidungsprozess gewichtet werden müssen. „Kreuz und quer stehende E-Roller sind mittlerweile leider ein gewohnter Anblick in unseren Städten: Sie stehen und liegen mitten auf dem Gehweg und blockieren Eingänge von Geschäften, U-Bahn-Zugänge oder Straßenüberquerungen“, schildert der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) zutreffend die Situation. „Rücksichtslos abgestellte E-Scooter sind nicht nur für blinde und sehbehinderte Menschen ein gefährliches Hindernis und erhebliches Unfallrisiko, sie sind auch für Rollstuhlfahrende, Eltern mit Kinderwagen und ältere Menschen mehr als ein Ärgernis.“ Und der DBSV fordert zurecht: „Wir brauchen Gehwege ohne Stolpergefahr und genügend Platz, damit Fußgängerinnen und Fußgänger nicht auf die Straße ausweichen müssen.“ Den zitierten Aussagen des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbands kann ich mich nur anschließen. Wer verantwortungsvoll mit seinem E-Scooter unterwegs ist und ihn sachgerecht abstellt, der muss sich durch meine Kritik nicht angesprochen fühlen, allerdings bleibt bei diesem Nutzerkreis der ökologische Aspekt trotzdem bestehen: E-Scooter, die gewissermaßen parallel zu Linien des ÖPNV unterwegs sind, schaden der Umwelt!
Es ist längst überfällig, dass in den Kommunen der Einsatz von Miet-E-Scootern nochmals überdacht wird. Ökologie und die Sicherheit aller Menschen, gerade auch der sehbehinderten Fußgänger, müssen Priorität gegenüber den Freizeitvergnügungen einer Minderheit haben. Völlig indiskutabel ist es, dass ganze Gehwegbereiche mit E-Scootern zugestellt werden und so zusätzlich das Stadtbild verschandeln. E-Scooter sind leider Stolperfallen und keine ökologischen Helferlein gegen den Klimawandel!
Zum Beitragsbild
Rücksichtslose E-Scooter-Rowdys gibt’s wohl jede Menge, denn so sollte man sein Gefährt nicht abstellen. Kein Wunder, dass sich die Verbände sehbehinderter Mitbürger beschweren, denn E-Scooter werden immer häufiger zu Stolperfallen. Aber auch mit einem Kinderwagen, Rollator oder Rollstuhl ist hier das Durchkommen schwierig. Und mal ganz ehrlich: Eine Minderheit, die ihre Füße schonen möchte, terrorisiert die Mehrheit! (Bild: Ulsamer)