Eine Minderheit randaliert, und die Mehrheit soll dienen
In Städten randalieren junge Männer mit Migrationshintergrund, in der Bundeswehr gibt es braune Flecken, unserer Armee gehen die Soldaten aus, und wie aus dem Nichts kommt der Ruf aus ganz unterschiedlichen Kehlen nach einer allgemeinen Dienstpflicht. In der Analyse gehe ich bei den Oberbürgermeistern Richard Arnold (CDU), Boris Palmer (Bündnis90 / Die Grünen) und Matthias Klopfer (SPD) mit, die von einem „unverschämten ‚Rotzbuben-Gehabe‘ und – in jüngster Zeit wachsend – auch von purer Gewaltbereitschaft“ bei Gruppen sprechen, die sich in den Innenstädten zusammenrotten, ach nein, die ‚feiern‘ ja, wie dies manche Medien uns vorgaukeln! Aber kann die Lösung eine allgemeine Dienstpflicht für junge Menschen sein, wenn einige Gleichaltrige als „Krawallbrüder“ – mit oder ohne deutsche Staatsangehörigkeit – prügelnd und plündernd durch die Stuttgarter Straßen oder andere Kommunen ziehen? Wenn die neue Wehrbeauftragte, Eva Högl von der SPD, statt rechtsradikale Zirkel in der Bundeswehr zu bekämpfen meint, da helfe am besten eine Rückkehr zur Wehrpflicht, dann frage ich mich schon, in welcher Welt sie lebt. Und die als CDU-Vorsitzende gescheiterte Annegret Kramp-Karrenbauer palavert beständig über eine allgemeine Dienstpflicht, um die Lücken in den Reihen der Bundeswehr zu füllen, als hätte nicht eine von Bundeskanzlerin Angela Merkel geführte Bundesregierung zum 1. Juli 2011 die Wehrpflicht ausgesetzt. Getragen wurde diese Entscheidung von den Bundestagsfraktionen der CDU/CSU, FDP und Bündnis90/Die Grünen. Manchmal habe ich den Eindruck, dass die Politiker am lautesten nach Pflichtdiensten rufen, die nicht in der Lage sind, Probleme sachgerecht und beherzt zu lösen! Was ist nur mit manchen Politikerinnen und Politikern los?

Ein abstruser Vorschlag: „Dienstpflicht“ für alle
Manche Politiker klammern sich an ihren Besitzstand, aber die Fähigkeit ist ihnen abhandengekommen, Probleme rational zu analysieren und dann auch zu lösen. Die Oberbürgermeister aus Schwäbisch Gmünd, Tübingen und Schorndorf mögen mir verzeihen, wenn ich sie hier mit einbeziehe, obwohl ich für die Analyse und die klaren Worte dankbar bin. Ich kenne alle drei persönlich und bin doch sehr verwundert, dass sie aus einer völlig zutreffenden Analyse der gegenwärtigen Probleme mit gewalttätigen jungen Menschen in immer mehr Kommunen einen für mich abwegigen Schluss ziehen: „Deshalb fordern wir, dass in Deutschland dringend ein verpflichtender gesellschaftlicher Grunddienst für alle jungen Menschen eingeführt wird, die in unserem Land leben – unabhängig von der jeweiligen Staatsbürgerschaft.“
Da randaliert eine Minderheit junger Männer in Stuttgart, oder Frankfurt, oder sonst wo mit einem Schwerpunkt in der Migrantenszene, aber auch in Berlin, Hamburg oder Leipzig rotten sich zumeist junge politische Extremisten – wohl eher mit deutschem Pass – zusammen, und statt entschieden durchzugreifen verfallen nicht nur die drei Oberbürgermeister auf die glorreiche Idee, eine Dienstpflicht für alle Gleichaltrigen zu fordern. Mit gleicher Berechtigung könnte man eine Nachschulung für alle Autofahrer fordern, wenn einige von ihnen beständig die Verkehrsvorschriften missachten. Wer würde bei einem solchen Vorschlag nicht den Kopf schütteln? Doch mit welcher Berechtigung soll ein Dienstjahr verpflichtend für alle jungen Männer und Frauen vorgeschrieben werden, nur weil eine kleine Gruppe sich nicht an die Gesetze hält? Völlig abwegig ist diese Forderung der Oberbürgermeister gerade für die jungen Frauen, denn die Randalierer und Schläger – politisch oder unpolitisch – sind überwiegend männlichen Geschlechts.

„Dienstpflicht“ entwertet freiwilliges Engagement
Nun war ich selbst zehn Jahre aktiver Helfer beim Technischen Hilfswerk, und daher freue ich mich über jeden jungen – und natürlich auch älteren – Mitbürger, der sich dort oder bei Feuerwehr, Rotem Kreuz, im ökologischen oder sozialen Bereich freiwillig engagiert. Aber muss und darf es immer gleich die Pflicht-Keule sein, die jeden trifft? Was kann denn der Migrant, der sich bereits sozial engagiert, dafür, dass andere „Tunichtgute“ – so die Oberbürgermeister – Polizisten attackieren, Scheiben einschlagen und durch totale Respektlosigkeit auffallen? Nichts! Warum soll er dann einen Pflichtdienst leisten? Warum soll das Freiwillige Soziale oder Ökologische Jahr entwertet werden, indem alle jungen Frauen und Männer „ein Pflichtjahr für einen gesellschaftlichen Grunddienst“ leisten müssen?
Irgendwie erinnert mich dies an einen Fall, den ich als Schöffe erleben musste: Ein junger Mann aus dem Kreis der Zeugen Jehovas war bereits freiwillig in einem Krankenhaus tätig, doch er war nicht bereit, eine vorgegebene Ersatzdienststelle anzunehmen, da er sowohl den Wehr- als auch den Ersatzdienst ablehnte und sich dabei auf seine religiöse Überzeugung berief. Daraufhin sollte er zu einer Haftstrafe verurteilt werden: So absurd kann es enden, wenn man immer nur auf Pflichtdienste setzt! Lassen wir nochmals Arnold, Palmer und Klopfer zu Wort kommen: „Für die jungen Männer auf Abwegen wäre es auch zu ihrem Schutz extrem wichtig, dass unser Staat ihnen frühzeitig für sie verständlich zeigt, wo Schluss ist. Das tun wir nicht“, so die Oberbürgermeister in ihrem Schreiben an den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann von den Grünen und CDU-Innenminister Thomas Strobl. Da kann ich nur zustimmen, aber dies kann doch nicht bedeuten, dass die Lösung ein Pflichtdienst für alle ist. An welchen Bereich haben die drei Oberbürgermeister für die Randalierer und Plünderer eigentlich gedacht? Schießübungen bei der Bundeswehr als Fortbildung für den Bürgerkrieg? Grenzen aufzeigen und auch durchsetzen, das geht im jetzigen Rechtsrahmen, wenn der Wille vorhanden ist.

Wehrdienst löst die Probleme nicht
Eva Högl macht zurecht Jagd auf Extremisten von rechts und mit anderer Gesinnung in der Bundeswehr, aber muss man zu deren Ausschaltung sogleich nach dem Aufleben der Wehrpflicht rufen? Zwar war es Högl mit Unterstützung des SPD-Fraktionsvorsitzenden im Deutschen Bundestag, Rolf Mützenich, gelungen, ihren gerade auch bei der Truppe beliebten Vorgänger Hans-Peter Bartels aus dem Amt zu drängen, doch sie macht für mich vom ersten Tag an eine unglückliche Figur. Die Aussetzung der Wehrpflicht hält sie für einen „Riesenfehler“: „Es tut der Bundeswehr jedenfalls sehr gut, wenn ein großer Teil der Gesellschaft eine Zeit lang seinen Dienst leistet“, so Högl gegenüber der Funke Mediengruppe. „Das erschwert es auch, dass sich Rechtsextremismus in der Truppe breit macht.” Eine Rückkehr zur Wehrdienst-Armee als neue ‚Wunderwaffe‘ gegen Extremismus? Das halte ich für einen Witz. Es sollte doch möglich sein, rechtsextreme Personen zu identifizieren und aus der Bundeswehr zu entlassen! Ein Blick auf Zeiten mit Wehrdienst zeigt, dass sich zuletzt nur noch eine Minderheit der jungen Bürger bei der Bundeswehr einfand!

Der Wehrbeauftragten Högl sollte auch nicht entgangen sein, dass die Wehrpflicht nicht zuletzt vor dem Hintergrund ausgesetzt wurde, dass die technischen Systeme im militärischen Bereich hochqualifiziertes Personal benötigen. Von 2002 bis 2010 betrug die Länge des Grundwehrdienstes neun Monate, und dann bis zur Aussetzung nur noch ein halbes Jahr. In einer solch kurzen Zeit können keine vertiefenden Kenntnisse vermittelt werden, darüber waren sich alle Fachleute einig. Und welcher Politiker möchte junge Soldaten nach einer solchen Schnellbleiche gar in Auslandseinsätze schicken? Niemand! Eva Högl sollte sich lieber darum kümmern, die Bundeswehr so attraktiv zu gestalten, dass sich genügend Bürger finden, die sich für den Beruf des Soldaten entscheiden. Aber wenn bei der Truppe selbst passende Uniformen Mangelware sind und ein Gutteil der Schiffe, U-Boote, Helikopter, Flugzeuge oder Panzer weder rollen noch fliegen oder in See stechen können, dann nutzen auch wohlfeile Reden der Wehrbeauftragten Högl über eine Rückkehr zum Wehrdienst nichts!

Zwei Ex-CDU-Generalsekretäre auf Strategiesuche
Annegret Kramp-Karrenbauer als Verteidigungsministerin scheint mit Eva Högl eher auf einer Linie zu liegen als mit dem Vorgänger Bartels, denn dieser gab in Sachen Mangelwirtschaft bei der Bundeswehr keine Ruhe. Da ist es doch viel bequemer, wenn Annegret und Eva gemeinsam an einer neuen Dienstpflicht basteln, die Kramp-Karrenbauer schon seit einiger Zeit propagiert. Sie betrieb das Thema in ihrer Funktion als Bundesvorsitzende der CDU, obwohl ich es für einen echten Rohrkrepierer halte, um im Jargon des Geschäftsbereichs von Kramp-Karrenbauer zu bleiben. Inzwischen scheint sie auch ihren parlamentarischen Staatssekretär Peter Tauber für einen militärischen Kurzdienst im Rahmen von „Dein Jahr für Deutschland“ begeistert zu haben. Zwei ehemalige Generalsekretäre der CDU in einem Ministerium, da muss das langfristige Denken ja zu kurz kommen, denn beide konnten in ihrer Partei leider keine strategische Neuorientierung einleiten.

Und so irrt AKK von einem unausgegorenen Vorschlag zum nächsten: mal soll es ein Dienstjahr für alle sein, da würde sich Kramp-Karrenbauer mit den eingangs angesprochenen Oberbürgermeistern treffen, dann darf es ein Jahr im „Heimatschutz“ sein. Nun liegt mir der Begriff ‚Heimat‘ sehr am Herzen, daher sollte er auch nicht für das nächste Debakel herhalten müssen. Eine militärische Mini-Ausbildung preisen Kramp-Karrenbauer und Peter Tauber als neuen Hit an, und das eine Jahr soll natürlich möglichst in heimatlichen Gefilden absolviert werden. Auslandseinsätze verbieten sich von selbst, dafür sollen die Heimatschützer dann “bei Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen sowie Krisenlagen“ aushelfen, so ist einem Text der Bundeswehr zu entnehmen. Wäre es da nicht sinnvoller, das Technische Hilfswerk (THW) weiter zu stärken? „Dein Jahr für Deutschland“ besteht aus sieben Monaten Ausbildung, und die restlichen fünf Monate werden dann über die nächsten sechs Jahre abgestottert. Ich glaube kaum, dass ein solches Angebot die Bundeswehr wirklich voranbringt! Auch wenn ich mir viel Mühe gebe, bei Annegret Kramp-Karrenbauer und Peter Tauber kann ich keine konsequenten strategischen Überlegungen für die globalen militärischen Herausforderungen erkennen! Sie haben sich wohl eher in ihrem eigenen Märchenwald verirrt.

Die Freiwilligendienste stärken
Bei aller Kritik würde ich den genannten Politikerinnen und Politikern zubilligen, dass sie einen Weg suchen, um besonders junge Menschen wieder stärker in unsere Gesellschaft einzubeziehen. Die Respektlosigkeit gegen Polizisten und vor allem die Angriffe auf Feuerwehrleute oder Sanitäter zeigen, dass die Bindungsfähigkeit unserer Gesellschaftsordnung nachgelassen hat. Warum aber Randalierer, Plünderer, Extremisten oder auch die Teilnehmer an innerstädtischen Saufgelagen oder Pöbler in Bussen und Bahnen durch ein verpflichtendes Dienstjahr zu ‚wohlgefälligen‘ Staatsbürgern werden sollen, das entzieht sich meiner Kenntnis. Nun war ich selbst nicht bei der Bundeswehr, sondern – wie erwähnt – beim Technischen Hilfswerk, doch meine von der Bundeswehr zurückkehrenden Altersgenossen berichteten weniger von einer vertieften Einbindung, stattdessen von feuchtfröhlichen Abenden und bohrender Langeweile. Und ich kenne nicht nur einen Zivildienstleistenden, der den Rasen mähte oder Botendienste für die kirchliche Einrichtung erledigte: ob ihn dies zu einem besser integrierten Bürger gemacht hat, das wage ich nicht zu beurteilen!
Das Gerede von einem verpflichtenden Dienstjahr sollte in eine Debatte über die Stärkung der Freiwilligendienste münden, denn dort sehe ich gute Chancen, junge und ältere Menschen in die Gesellschaft einzubinden. Wenn im Jahr Hunderttausende junger Menschen nach dem Wunsch mancher Politiker in ein verpflichtendes Dienstjahr gehen sollen, dann würde das erhebliche Kosten mit sich bringen. Wäre es da nicht einer demokratischen Gesellschaft entsprechender, diese Gelder für freiwillige Dienste einzusetzen? Denn trotz der Knausrigkeit der Politik gegenüber den freiwilligen Angeboten engagieren sich Zehntausende Frauen und Männer in Deutschland im Bundesfreiwilligendienst, im Freiwilliges Sozialen bzw. Ökologischen Jahr. Freiwilligkeit ist für mich ein hohes Gut, und daher sollten die Ressourcen so umgeschichtet werden, dass das Interesse an einem freiwilligen Jahr im ökologischen, sozialen oder kulturellen Bereich steigt.

Freiwilligkeit höherstehend als Dienstpflicht
Zwangsverpflichtung riecht für mich immer danach, dass junge Menschen in die Bereiche gelotst werden sollen, in denen Mitarbeiter schwer zu gewinnen sind, und dies reicht von der Pflege bis zur Bundeswehr. Junge Mitbürger sind aber keine Lückenfüller, die die politischen Entscheidungsträger nach Gutdünken einsetzen können. Peter Neher unterstrich als Präsident des Deutschen Caritasverbandes als Antwort auf die neue Heimatschutztruppe von Kramp-Karrenbauer: “Bei allem Respekt vor neuen Ideen und vor dem Schutz der Heimat sollten wir nicht vergessen, dass es bereits gute Angebote gibt, sich im Sinne des gesellschaftlichen Zusammenhalts einzubringen.“ Und genau darum geht es doch, dass sich Mitbürger freiwillig einbringen können und damit die Bindekraft der Gesellschaft wieder zunimmt.
Lange war in Deutschland auch in der Wirtschaft das Jammern zu hören, die Nachwuchsmitarbeiter kämen – im Vergleich zu anderen Staaten – zu alt in die Unternehmen, doch nach der Verkürzung der Gymnasialzeit und dem Wegfall von Wehr- und Ersatzdienst ist nicht selten das Gegenteil zu vernehmen: es fehle an sozialer Kompetenz bei den jungen Schulabgängern. Warum dann nicht eine Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium und eine Verlängerung der Schulzeit in anderen Bereichen, um die soziale Kompetenz (Stichwort „Gemeinschafts- oder Sozialkunde“) zu erweitern? Zusätzlich müssen die freiwilligen Dienste dringend ausgebaut werden.

Freiwilligkeit muss in einer Demokratie immer vor Pflichtdienst gehen! Und Plünderer und Pöbler werden wir nicht mit einem Dienstjahr zur Räson bringen, sondern nur durch das Setzen und Durchsetzen klarer Grenzen! Prävention ist für mich von besonderer Bedeutung, und dies setzt voraus, dass wir möglichst viel über die Täter und ihre sozialen Milieus wissen, denn nur dann können wir punktgenau – auch mit Sozialarbeit und Streetwork – ansetzen. Ein Dienstjahr für alle ist keine Lösung, sondern ein Irrweg!