Die Ödnis in der Stadt und das grüne Inselchen

Symbolpolitik bringt uns nicht voran

Häufig frage ich mich schon, ob Stadtpolitik noch irgendetwas mit der Realität zu tun hat. Und dies gilt nicht nur für die Stadt, in der ich schon über drei Jahrzehnten lebe, sondern für viele Kommunen, die ich privat und beruflich kennenlernen durfte. Heute stelle ich mal wieder einen Missstand vor, der zwar Esslingen am Neckar betrifft, aber leider viele andere Gemeinden in Baden-Württemberg und in anderen Bundesländern in gleicher Weise „auszeichnet“. Symbolpolitik hat die Realpolitik in den Hintergrund gedrängt. Ein „Grünes Zimmer für das Stadtklima“, so berichtet die Stuttgarter Zeitung (24.5.2017) verziere für zwei Wochen das Umfeld des Postmichelbrunnens. Ist ja ganz nett, wenn die Bürgerschaft ein schattiges Plätzchen findet und dann auch noch Anregungen für die Gestaltung der Wohnumwelt erhält. Aber zeigt sich da nicht in unmittelbarer Nähe seit Jahren der frühere Busbahnhof öd‘ und leer?

Vertane Chance beim ehemaligen Busbahnhof

„Das „Mobile Grüne Zimmer“ macht nach einer großen Tour durch Europa im vergangenen Jahr nun für zwei Wochen in Esslingen Station. Vom 26. Mai bis zum 9. Juni 2017 lassen sich die neuen Möglichkeiten des urbanen Grüns am Postmichelbrunnen erleben“, so vermeldet eine Pressemitteilung der Stadt Esslingen. Für sage und schreibe zwei Wochen etwas Grün in die Stadt zu setzen, das halte ich für ein Ablenkungsmanöver, wenn seit drei Jahren der ehemalige Busbahnhof leer steht: Eine riesige ungenutzte Asphalt- und Betonwüste umgeben von einem Bauzaun!

Drei Jahre fristet der ehemalige Esslinger Busbahnhof schon ein trauriges Dasein: Eine ökologisch sinnvolle Zwischennutzung wäre möglich gewesen. (Bild: Ulsamer)

Städtische Entscheidungswege sind lang, und so lässt sich auf der Homepage der Stadt Esslingen noch der Hinweis aus der Einweihungszeit des neuen Busbahnhofs finden: „Der neue ZOB wurde am Samstag, den 15.11.2014 feierlich eröffnet und am Sonntag, den 16.11.2014 in Betrieb genommen. Was passiert nun auf der Fläche des alten ZOB? Dieser wird zunächst einmal abgesperrt, bis die möglichen Szenarien zur weiteren Nutzung der Flächen entwickelt und im Gemeinderat 2015 beraten sind.“

Früher nachdenken

Wenn ich nun bedenke, dass die Umgestaltung des Bahnhofsbereichs, in den der neue Busbahnhof integriert wurde, ebenfalls Jahre in Anspruch genommen hat, dann ist die Frage sicherlich erlaubt, ob Oberbürgermeister, Gemeinderat und Stadtverwaltung nicht Zeit genug gehabt hätten, die Szenarien schon mal vorab zu entwickeln oder für eine Zwischennutzung des früheren Busbahnhofs zu sorgen. An was liegt es wohl, dass Bauvorhaben im öffentlichen Bereich meist in Stolperschritten vorankommen – man denke an die Elbphilharmonie oder den Großflughafen Berlin-Brandenburg? Nun ist der ehemalige Busbahnhof und seine Bebauung natürlich eine andere Dimension, aber auch im Kleinen hapert es, wenn die öffentlichen Institutionen die Federführung haben.

Hier noch die “hübsche” Perspektive, die der Fußgänger zu sehen bekommt. Und das sieht nun schon einige Jahre so aus! Echt traurig!!! (Bild: Ulsamer)

Urban Gardening ausgesperrt

Aber ist es nicht geradezu lachhaft, wenn man für zwei Wochen eine „Grüne Insel“, so die Pressemitteilung, in die Stadt setzt und an anderer Stelle gewissermaßen ein ganzer Kontinent ungenutzt vor sich hindämmert. Hier wäre über Jahre eine grüne Insel auf Zeit möglich gewesen. Auch die Ausflucht, die Stadt habe für so etwas kein Geld, kann man entgegenhalten: Sicherlich hätten sich zahlreiche Bürgerinnen und Bürger, Vereine und Naturschutzgruppen hier eingebracht, wenn die Stadt ein solches Projekt angestoßen oder den Freiraum geöffnet hätte.

Grünes Inselchen für zwei Wochen am Postmichelbrunnen in Esslingen – aber die x-fache Fläche des ehemaligen Busbahnhofs steht jahrelang leer. (Bild: Ulsamer)

Dauerhaft mehr Natur erhalten

Wenn ich über das Thema Busbahnhof hinausblicke, dann kann ich dem Esslinger Oberbürgermeister, Dr. Jürgen Zieger, nur zustimmen: „Esslingen sieht sich wie die meisten Städte und Kommunen angesichts des Klimawandels neuen Herausforderungen gegenüber. Das Mobile Grüne Zimmer ist eine effektive, multifunktionale und dabei alle Sinne ansprechende Option, diesen Herausforderungen mit lokalen und attraktiven Anpassungsmaßnahmen zu begegnen.“ Aber müssen diese Erkenntnisse dann nicht auch in die Planung neuer Baugebiete einbezogen werden? Oder sind die auf der „grünen Insel“ zu findenden Weisheiten nur für die Bürgerinnen und Bürger bestimmt?

Leider waren bei unserem Besuch des grünen Inselchens bereits am ersten Tag beide Boxen für Informationsmaterial leer. (Bild: Ulsamer)

Und weiter heißt es in der Pressemitteilung: „Bepflanzte Wände und eine grüne Dachstruktur reduzieren Lärm, spenden Schatten, dienen als lokale Staubfilter und erhöhen an heißen Tagen durch Kühlung und Verdunstung die Aufenthaltsqualität. Die Vielfalt der verwendeten Blattschmuck-, Blüh- und Naschpflanzen bietet Insekten einen zusätzlichen Lebensraum und erhöhen die Attraktivität dieser urbanen grünen Insel auch für den Menschen.“ Genau! Aber wie passen dann die Begriffe „reduzieren Lärm“, „lokale Staubfilter“, „Kühlung“ oder Lebensraum für Insekten zur beabsichtigten Überbauung des Greut?

Schluss mit Symbolpolitik

Grüne Inselchen für zwei Wochen ersetzen keinesfalls den dauerhaften Erhalt von Natur im städtischen Bereich! Wir brauchen eine Realpolitik, die die Bedeutung ökologischer Notwendigkeiten in städtische Entscheidungen einbringt. Symbolpolitik bringt unsere Kommunen nicht voran und schadet nicht nur der Natur, sondern lastet der Bürgerschaft nur neue Probleme für die Zukunft auf. Auch die Berichterstattung über das „Grüne Zimmer für das Stadtklima“ hätte ich mir etwas kritischer gewünscht!

Die Ankündigung war das Beste!? Hier hätte ich mir eine kritischere Berichterstattung gewünscht. (Ausriss aus der Stuttgarter Zeitung vom 24. Mai 2017)
Na, diese “Oase” ist wohl eher eine Fata Morgana – die “Asphaltwüste” liegt am ehemaligen Busbahnhof und nicht am Postmichelbrunnen. Dort gibt es immerhin noch Pflastersteine statt Asphalt. Wenn man ein Medium wie die Stuttgarter Zeitung als Berichterstatter hat, dann kann man auch die eigene Presseabteilung abschaffen. Aber vieleicht möchten es sich die Redakteure in Esslingen nicht mit dem Oberbürgermeister verscherzen?

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