Wie das Brandenburger Tor verschandelt wurde
Wenn der Ball rollt – bei der Fußball-Weltmeisterschaft, dann zieht dies viele Menschen in seinen Bann. Das gilt selbst nach dem trostlosen Auftritt der deutschen Nationalmannschaft unter Coach Joachim Löw in Russland. Viele begeistern sich für die Spiele lieber in Gesellschaft und schauen sie sich in einer Fanmeile gemeinsam an. So ist das eben, die einen rennen auf dem Rasen und schwitzen, die anderen stehen auf dem Asphalt beim Public Viewing und bei sommerlichen Temperaturen rinnt auch bei ihnen der Schweiß. So gut oder auch so schlecht, wenn ich mir die Fanmeile in Berlin anschaue: Eine neue Berliner Mauer aus Bauzäunen, Sichtschutzfolien, Bühne, Werbung und Klohäuschen verunziert das Brandenburger Tor.
Berliner Senat: Geschichtsbewusstsein fehlt
Für mich war das Brandenburger Tor in den Jahren der Teilung ein Sinnbild für den Wunsch nach Wiedervereinigung, und heute gehört es für mich bei einem Besuch in Berlin dazu, durch das Brandenburger Tor zu gehen. Menschen aus aller Welt tun dies, und viele von ihnen haben genau das gleiche Empfinden: Die Freiheit ist 1989/90 auch in den Ostteil Berlins und in die östlichen Bundesländer zurückgekehrt. Doch dem Berliner Senat aus SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen scheint die Bedeutung des Brandenburger Tors gänzlich egal zu sein: Vor und hinter dem Brandenburger Tor riegelt eine neue ‚Mauer‘ den Durchgang ab. Es ist gewissermaßen die eigentliche vom damaligen Westen aus sichtbare Mauer und eine sogenannte Hinterland-Mauer wieder erstanden. Von Geschichtsbewusstsein keine Spur, und daran ändert auch das nur wenige Meter entfernte Willy Brandt Forum nichts. Was würde wohl der ehemalige Regierende Bürgermeister der Stadt und SPD-Bundeskanzler zu einem solch blamablen Erscheinungsbild des Brandenburger Tors sagen?
Selbstredend habe ich nichts gegen eine Fanmeile in Berlin, doch müsste diese in gebührendem Abstand zum Brandenburger Tor enden, denn dann könnten Besucher einen unverstellten Blick auf dieses Symbol der Wiedervereinigung werfen. Generell würde ich mir aber nicht nur mehr historisches Bewusstsein beim Brandenburger Tor, sondern auch bei anderen in Mitleidenschaft gezogenen Erinnerungsstätten wünschen. Beim Denkmal für die ermordeten Juden Europas muss man einen Durchschlupf suchen, um die Absperrgitter zu überwinden, und das sowjetische Ehrenmal in Tiergarten dient als „Notausgang“ beim Public Viewing. Ob die jubelnden Fans auch nur einen Augenblick darauf verschwenden, dass sie auf der Straße des 17. Junis stehen und sich dann an den Volksaufstand in der damaligen DDR erinnern? Wohl kaum.
Nachhilfeunterricht für Berliner Senat!
Aber selbst um 23.15 Uhr versperrte an einem Tag mit Public Viewing, aber lange nach Ende des Spiels, der ‚Sicherheitsdienst‘ den Weg zum Brandenburger Tor. Sehr freundlich war dabei ein relativ neu Zugewanderter, doch die auf meine Bitte hin zugezogenen ‚Vorgesetzten‘ antworteten barsch ‚Gehen Sie doch an den Zäunen entlang‘ um das Brandenburger Tor herum oder kommen sie ein andermal wieder. Auch der Hinweis, die Fanmeile sei offensichtlich leer, fruchtete nichts bei den Mitarbeitern mit guten Deutsch-, aber sicherlich sehr bescheidenen Geschichtskenntnissen. Sie erinnerten mich an Security-Mitarbeiter, die ich bei Flüchtlingseinrichtungen erleben durfte. Bei Nacht alleine würde ich ihnen ungern begegnen. Doch auch solche Erlebnisse sind dem rot-rot-grünen Senat vermutlich gleichgültig.
An jenem Abend hatten wir zuerst die eindrucksvolle und emotionale Licht-Show an der Fassade des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses, das zum XXL-Bundestag gehört, gesehen. Mit Hilfe zahlreicher Projektoren wird die deutsche Geschichte in Fotos, Filmen und Texten dargestellt. Eine wichtige Rolle spielen darin auch die Teilung Deutschlands und die Wiedervereinigung. Vielleicht sollten sich die Senatsmitglieder mal zum Reichstag bequemen und sich über unsere deutsche Geschichte informieren. Wenn bei dieser ‚Geschichtsstunde‘ immer wieder betont wird, das Volk sei der Souverän, dann sollte dies aber auch heißen, dass die Menschen einen Zugang zum Brandenburger Tor haben – und selbstverständlich auch in Fußball-bewegten Wochen.
Die deutsche Geschichte darf auch in Tagen des Fußballs nicht zum Spielball in den Händen eines Senats werden, der zwar in Berlin sich selbst und leere Kassen verwaltet, dem jedoch jegliches Gespür für die Geschichte fehlt. Dies zeigt sich auch an anderen Stellen, so z.B. an der East Side Gallery, wo für Bauprojekte die verbliebenen Mauerteile mit samt den Gemälden brutal herausgerissen worden waren. Dazu demnächst mehr in meinem Blog.
Von der Berliner Senatskanzlei erhielten wir folgende Mail zum Blog-Beitrag “Die neue Berliner Mauer zur Fuball-Weltmeisterschaft”.
Leider scheint das Verständnis für die Bedeutung des Brandenburger Tors beim rot-rot-grünen Senat nicht sehr ausgeprägt zu sein.
Sehr geehrte Frau Ulsamer,
Sehr geehrter Herr Dr. Ulsamer,
vielen Dank für Ihre E-Mail vom 20. Juli 2018 zum Betreff an den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Herrn Michael Müller. Angesichts der Menge, der täglich hier eingehenden Zuschriften, bitte ich um Verständnis, dass es dem Regierenden Bürgermeister aufgrund seiner umfangreichen Aufgaben terminlich nicht möglich ist, jede einzelne Anfrage persönlich zu beantworten. Daher hat er mich damit beauftragt.
Sie kritisieren die Ihrer Meinung nach zu weitläufigen Absperrungen um das Brandenburger Tor anlässlich des Public-Viewings zur diesjährigen Fußball-Weltmeisterschaft, weshalb Sie nicht dicht an das Brandenburger Tor heran- bzw. durch das Tor hindurchgehen konnten. Infolgedessen werfen Sie – wenn ich Ihre Internetseite richtig interpretiere – dem jetzigen Berliner Senat mangelndes Geschichtsbewusstsein vor. Selbstverständlich kann ich Ihre Kritik als Berlin-Tourist bezüglich der Absperrungen des Brandenburger Tores durchaus nachvollziehen; Ihre Kritik des fehlenden Geschichtsbewusstseins weise ich jedoch zurück.
Zu Ihrer geäußerten Kritik gestatte ich mir den Hinweis, dass die Straße des 17. Juni (in Richtung des Brandenburger Tores) in den letzten Jahren als Ort für Großveranstaltungen eine immer größere Bedeutung erlangt hat. Dabei spielen die zentrale Lage und die gute Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln, aber auch Sicherheitsaspekte wie Fluchtwege usw. eine große Rolle. Gleiches gilt für das Brandenburger Tor. Es ist Kulisse für große Sportveranstaltungen wie den Berlin-Marathon, für Filme, für die alljährliche Silvesterparty mit zigtausenden Besuchern sowie für die Fanmeilen bei großen Fußball-Events (z.B. Europa- und Weltmeisterschaft). Die jeweiligen Veranstaltungen sind von nationaler oder internationaler Bedeutung und stellen einen Imagegewinn für Berlin dar – gerade weil das Brandenburger Tor weltweit ein Symbol der Teilung und Wiedervereinigung Berlins ist. Daher ist auch nicht zu vergessen, dass zum Tag der Deutschen Einheit alljährlich Veranstaltungen rund um das Brandenburger Tor stattfinden.
Bei der diesjährigen Fanmeile handelte es sich um das größte Public-Viewing Deutschlands und ist eine Open-Air-Veranstaltung mit Showbühnen, TV-Wänden und Gastronomie. Je nach Abschneiden der deutschen Nationalmannschaft (in diesem Jahr verlief das Turnier bekanntermaßen ein wenig unglücklich) feiern dort Hunderttausende und genießen gemeinsam die Fußballspiele. Sie können sich sicher vorstellen, dass so viele Menschen und zusätzlich auch noch Bühnen, Stände für Gastronomie und anderes mit entsprechenden Sicherheitsabständen sowie WC’s unmittelbar am Brandenburger Tor gar nicht genügend Platz hätten, weshalb auch ein Teil der Straße des 17. Juni miteinbezogen ist und nur über Einlasskontrollen betreten werden kann.
Aus Sicherheitsgründen müssen zudem auch die angrenzenden Straßen sowie Teile des Tiergartens gesperrt werden (unterschiedlich lange). Sicherlich werden Sie auch verstehen, dass nach dem hinterhältigen und brutalen Terrorakt am Breitscheidplatz am 19. Dezember 2016 diese nochmals verstärkt wurden. Eine Umzäunung des Brandenburger Tores ist auch bereits deshalb erforderlich, damit nicht – wie in der Silvesternacht 1989/1990 geschehen – Zuschauer auf das Tor klettern und dort Schäden anrichten. Seinerzeit wurden beispielsweise diverse Anbauteile der Quadriga (z. B. das Zaumzeug) entwendet und führte zu einer umfangreichen Restaurierung.
Fehlendes Geschichtsbewusstsein oder mangelnde Weltoffenheit ist also nicht der Grund dafür, dass Sie nicht näher an das Brandenburger Tor herankamen, sondern Sicherheitsaspekte, die sowohl in Ihrem persönlichen Interesse als auch im Interesse der Zuschauerinnen und Zuschauer und vor allem aller Berlinerinnen und Berliner und den Gästen der Stadt liegen sollten. Und in diesem Zusammenhang von einer „Mauer“ zu reden, halte ich angesichts der zahlreichen Mauertoten für pietätlos und bedarf keiner weiteren Kommentierung.
Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag
Andreas Psiorz
Leiter der Bürgerberatung
Der Regierende Bürgermeister von Berlin
Senatskanzlei – III D/B
Jüdenstraße 1; 10178 Berlin
Tel +49 30 9026-2363; Fax +49 30 9026-2370
E-Mail: andreas.psiorz@senatskanzlei.berlin.de
Internet: http://www.berlin.de/senatskanzlei
Alle Informationen zum Tag der Deutschen Einheit 2018 in Berlin:
http://www.tag-der-deutschen-einheit.de