Die Kurden als Spielball der Weltmächte

Wo ist die Würde des freien Westens geblieben?

Und wieder schlagen die Geschosse in den kurdischen Dörfern ein und töten unschuldige Menschen. Der türkische Präsident Erdogan setzt sich erneut über das Völkerrecht hinweg, nachdem ihm US-Präsident Trump das Tor für diesen Angriffskrieg geöffnet hat. Aber auch Deutschland trägt durch eine fragwürdige Türkei-Politik zu diesem politischen Trauerspiel bei: Erst jetzt, als die türkischen Truppen mal wieder im benachbarten Syrien eingefallen sind, wird ein Ausfuhrstopp für Kriegswaffen verhängt. Bundeskanzlerin Merkel und ihre Regierung haben Angst, dass Erdogan die Grenzen für Migranten wieder öffnen könnte, und dann hätten wir das gleiche Desaster wie 2015. Wer sich mit fragwürdigen Partnern wie Recep Tayyip Erdogan ins Bett legt, der wacht in einem Alptraum auf! Die Kurden durften für den Westen den Islamischen Staat (IS) am Boden niederringen, doch nun opfert sie Donald Trump in seiner grenzenlosen Kurzsichtigkeit innenpolitischen Überlegungen: Wenn schon die Truppen nicht so schnell wie gewünscht aus Afghanistan abgezogen werden können, dann ruft er eben die Soldaten aus Syrien zurück. Donald Trump denkt nicht an die Welt, sondern an seine Wählerschaft im ‚Rust Belt‘.

Ein Facebook-Post mit vier Fotos. Schwarze Qualmwolken nach einem türkischen Angriff. Verletzte.
Der völkerrechtswidrige Angriff türkischer Truppen auf kurdische Dörfer in Syrien fordert neue Opfer. Und der Westen lässt die Kurden im Stich. (Bild: Screenshot, Facebook, 10.10.19)

Trump macht den Weg frei für Erdogans Panzer

In seiner ‚grenzenlosen Weisheit‘ – „great and unmatched wisdom“ – hat Donald Trump eine geradezu unglaublich irre Begründung für den Truppenabzug gefunden: Die Kurden hätten doch im Zweiten Weltkrieg nicht auf Seiten der USA gekämpft, und man habe sie auch bei der Landung in der Normandie vermisst – wie bitte? Je länger dieser Präsident im Weißen Haus sitzt, desto mehr mache ich mir Sorgen, denn wer solch wirre Aussagen von sich gibt, der gehört gewiss nicht in den Amtssitz des US-Präsidenten. Trump gab am Telefon Erdogan grünes Licht für den Einmarsch ins Nachbarland, andererseits warnte er per Twitter den türkischen Präsidenten, nicht zu überziehen. Doch sein aberwitziges Wortgeklingel hat Erdogan nicht beeindruckt, denn dieser ließ sofort die Panzer rollen, als die US-Soldaten den Abzug einleiteten. Zwar hatte Trump der Türkei mit totaler Auslöschung und Zerstörung der Wirtschaft – „I will totally destroy and obliterate the Economy of Turkey“ – gedroht, wenn Erdogan & Co. nicht nach seiner Pfeife tanzen. Aber mal ganz ehrlich: Autokratische Typen wie Erdogan lassen sich nur durch konkrete Tatsachen beeindrucken! Und damit war auch klar, sind die US-Truppen weg, dann schlägt der späte Sultan zu.

Das Auswärtige Amt kritisiert den türkischen Angriff in einem Post.
„Wir verurteilen die türkische Offensive im Nordosten Syriens auf das Schärfste. Wir rufen die Türkei dazu auf, ihre Offensive zu beenden und ihre Sicherheitsinteressen auf friedlichem Weg zu verfolgen”, betonte der deutsche Außenminister Heiko Maas. Zum Zeitpunkt dieser Aussage hatte die Bundesregierung noch nicht einmal die deutschen Waffenexporte in die Türkei gestoppt. Deutschland steht am Spielfeldrand und die hineingerufenen Parolen interessieren leider keinen der Spieler! Wir haben unseren politischen Einfluss im Nahen Osten verloren. (Bild: Screenshot, Facebook, 10.10.19)

Von Deutschland und anderen NATO-Partnern lässt sich Erdogan nicht bremsen, denn bei seinen vorhergehenden Vorstößen nach Syrien blieb die entsprechende Antwort des Westens aus. Erdogan hat längst erkannt, dass gerade auch Deutschland alles tun wird, um ihn nicht über Gebühr zu reizen: Denn die Migrationsfrage ist nicht wirklich gelöst, sondern wir haben uns mit Geld nur auf Zeit freigekauft. Erdogan klappert mit den Schlüsseln, und droht unverhohlen damit, das Tor wieder ganz aufzuschließen, wenn wir nicht spuren. In der Hinterhand hat er einige Millionen Flüchtlinge, die er dann in Richtung EU schicken kann, wann immer es ihm politisch sinnvoll erscheint. Die Annahme, die bei uns häufig verbreitet ist, Erdogan werde die wirtschaftlichen Beziehungen zu Deutschland und der EU insgesamt nicht aufs Spiel setzen, ist ein Irrglaube. Autokraten neigen dazu, den eigenen Machterhalt über alles zu setzen – auch über den gesunden Menschenverstand. Und da liegt er ja auf einer Linie mit Trump.

Tweet von Donald Trump. Text im Bildtext.
George Washington dreht sich sicherlich im Grab herum, wenn er die aberwitzigen Sprüche seines Nachfolgers im Weißen Haus hört. Donald Trump lobt die eigene Weisheit, und politisch denkende Menschen können nur den Kopf schütteln. (Bild: Screenshot, Twitter, 7.10.19)

Und wieder werden die Kurden geopfert

Es ist eine Schande, dass wir die Kurden wieder im Stich lassen, die an vorderster Front im Irak und in Syrien erfolgreich gegen den terroristischen Islamischen Staat kämpften. Sie haben ein Recht auf regionale Selbstbestimmung, wenn ihnen schon seit einem Jahrhundert ein eigener Staat verweigert wird. Wenn wir nicht zu den Kurden stehen, dann müssen wir uns auch nicht wundern, wenn diese und andere Kräfte den Glauben an den freiheitlichen und demokratischen Westen verlieren.

Die Kurden wurden bereits vom Staatsgründer Atatürk verschaukelt, der ihnen mehr regionale Selbstbestimmung versprach, wenn sie die Gründung der modernen Türkei mittragen. Aber auch das Vereinigte Königreich, Frankreich und die USA hatten bei willkürlichen Grenzziehungen nach dem Ersten Weltkrieg die Interessen der Kurden nicht im Blick. Und den Russen geht es heute ebenfalls nur um die Sicherung von Militärstützpunkten in Syrien, einen Zugang zum Mittelmeer und die Ausweitung ihres Einflusses auf dieses Land und die umliegenden Regionen. Wir allerdings sollten nicht vergessen, dass es die Kurden waren, die mit Unterstützung der USA das Terrorregime des Islamischen Staats beendeten. Und zum Dank dafür werden sie jetzt wieder einmal vergessen!

Es ist schon reichlich pervers, dass Trump mit seinem Truppenabzug nicht nur Erdogan die Schaffung einer besetzten Zone in Syrien ermöglicht, sondern er stärkt damit Baschar al-Assad und dessen großen Bruder Wladimir Putin. Letztendlich wird den Kurden wenig übrigbleiben, als sich an Assad anzunähern, der mit russischer Hilfe sein Land wieder unter die Herrschaft des Familienclans gezwungen hat. Erdogan will die Kurden aus der Nachbarschaft vertreiben und dort Flüchtlinge aus Syrien ansiedeln. Ethnische Säuberung! Und der Westen schaut zu.

Tweet mit Fotos von der Grenze zwischen Türkei und Syrien.
Es ist eine Schande, dass wir die Kurden im Stich lassen, die auch für uns den Islamischen Staat niederrangen. Natalie Amiri, die Leitern des ARD-Büros im Iran und Moderatorin des Weltspiegels spricht die absurde Situation deutlich an. (Bild: Screenshot, 12.10.19)

Hilflose deutsche Außenpolitik

Wenn man sich dieses politische Trauerspiel von den Zuschauerrängen aus anschauen muss, denn ist es zum Verzweifeln! Deutschland hat seinen Einfluss im Nahen Osten in weiten Bereichen völlig verspielt. Die traditionelle Freundschaft zwischen der Türkei und Deutschland hat unter Erdogans Präsidentschaft gelitten. Zu lange hatte sich die Bundesregierung auch die präsidialen Watschen abgeholt, und zum ‚Dank‘ weiter Waffen in die Türkei liefern lassen. Viel zu lange haben wir uns darauf verlassen, dass die USA bei internationalen Konflikten schon die Kohlen aus dem Feuer holen würden. Und niemand konnte sich vorstellen, dass George Washington einmal einen solchen Nachfolger im Weißen Haus haben würde. Aber alles Klagen nutzt nichts: Wir haben uns zu lange herum schubsen lassen: Es ist allemal besser, das Wort früh zu erheben, wenn die Politik – wo auch immer – in eine Schieflage gerät. Konfliktfelder früh zu erkennen, rechtzeitig Kontakte zu verstärken, Netzwerke zu flechten und Vertrauen zu schaffen, dies scheint nicht mehr die Stärke der deutschen Außenpolitik zu sein.

Präsident Erdogan umgeben von Özil, Gündogan und Tosun in einem Londoner Restaurant.
Erdogan-Fans unter sich: Was Erdogans eifrige Wahlhelfer Mesut Özil, Ilkay Gündogan und Cenk Tosun wohl zum Angriffsbefehl des türkischen Präsidenten sagen? Skurril ist es ohnehin, dass die Zustimmungswerte für Erdogan unter in Deutschland lebenden Türken höher sind als in Istanbul, Izmir oder Ankara! (Bild: Screenshot, Twitter, 15.5.18)

Die Kurden gehören seit Jahrzehnten, ja seit Jahrhunderten, zu den Verlierern der Weltpolitik. Nun werden sie wieder mit Panzern und Artillerie bedroht – und dies auch noch durch den NATO-Partner Türkei. Die Kurden haben an vorderster Front gegen den IS gekämpft und diesen zumindest in ihrem Einflussgebiet besiegt. Wir waren noch nicht einmal in der Lage, die von den kurdischen Kämpfern inhaftierten deutschen IS-Kämpfer und deren Unterstützer vor deutsche Gerichte zu stellen. So werden sich manche von ihnen aus den Lagern davon machen und den Terror aufflammen lassen. Assad hat in Syrien die Oberhand gewonnen, wenn auch als Marionette der Russen. Deutschland spielt nur noch als Aufnahmeland für Migranten eine Rolle, aber politisch stehen wir am Rand des Spielfelds. Diesen Verlust an Einfluss haben wir selbst verschuldet. Und nicht nur wir, nein, der ganze freie Westen verliert seine Würde, wenn wir zusehen, wie die Kurden von der Türkei attackiert werden.

 

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