Die Kuh ist immer die Dumme

Irland: Massenschlachtungen im Namen des Klimaschutzes?

Milchkühe führen in zahlreichen Ställen ein tristes Dasein, und in der Politik gelten sie als Verschiebemasse, wenn es um die Reduzierung der Klimagase geht. Dies gilt für Deutschland, wo die Kühe zumeist ganzjährig in Ställen gehalten werden, aber auch für ihre irischen Artgenossinnen, die zwar mehr frische Luft schnuppern dürfen, doch jetzt droht ihnen eine Massenschlachtung. Nach der Aufhebung der EU-Milchquoten zum 1. April 2015 nahm die Zahl der Milchkühe bis 2021 um 22,6 % zu und die Milchproduktion sogar um 36,9 %, so die irische Environmental Protection Agency. Und manches verwilderte Grünland wurde, um auch die vollen EU-Flächensubventionen kassieren zu können, wieder auf ‚Vordermann‘ gebracht – zu Lasten der Natur. Den irischen Regierungen kam dies zu pass, denn Butter und Käse sind wichtige Exportartikel. Doch seit einem Jahr schwebt das Fallbeil über den Kuhherden, denn die irische Regierung scheint das Massentöten von Milchkühen ernsthaft in Erwägung zu ziehen, um die Klimaziele eher erreichen zu können. Ganz übersehen wird bei dieser Milchmädchenrechnung, dass es für die Klimabilanz einen gewaltigen Unterschied macht, ob die Rinder rund ums Jahr im Stall leben oder in extensiver Weidewirtschaft gehalten werden.

Neugierig betrachten Jungrinder den Fotografen. Die Rinder sind schwarz und tragen gelbe Ohrmarken.
Rinder sind neugierig und gehören nicht in Massenställe. Diese Rinder liefen über die ganze Weide, um unsere Wandergruppe zu beäugen. (Bild: Ulsamer)

Weiderinder als Klimaschützer?

Für mich ist eine Neuorientierung der Agrarpolitik in der EU und den Mitgliedsstaaten von größter Bedeutung, darauf bin ich verschiedentlich in meinen Blog-Beiträgen eingegangen, denn die Flächensubventionen und andere Maßnahmen haben nicht nur zu einem verzerrten Markt beigetragen, sondern sie schaden den kleineren Bauern ebenso wie den Nutztieren und der Natur insgesamt. Die hohe Zahl an Rindern oder Schweinen und Hühnern, die in der EU nicht selten vor sich hinvegetieren, ist eine Belastung für Umwelt und Klima, und in gleichem Maße auch unter ethischen Gesichtspunkten fragwürdig: Tiere sind Lebewesen und müssen als solche geachtet werden. Nicht jede Kuh, die ins Freie darf, lebt nun allerdings im Paradies, das kann ich aus 25jähriger Beobachtung auf irischen Weiden leider nur bestätigen. So manches Rind stapft im Winter bis zum Knie durch den Matsch oder steht während einer andauernden Regenperiode auf einer engen Betonplatte vor dem Melkstand. ‘Rindvieh’ trifft dann begrifflich eher den verantwortlichen Zweibeiner. Durchschnittlich haben es Kühe im ländlichen Raum, die auf der Weide stehen, besser als ihre Leidensgenossinnen in Massenställen.

Eine braun-weiße und eine schwarze Kuh stehen auf einer braunen Matschfläche. Im Hintergrund das Meer und ein Berg.
Da nutzt die beste Aussicht nichts, wenn die Rinder im Matsch stehen müssen. Weide ist nicht gleich Weide, was diese Aufnahme eindrücklich zeigt. So sollten Rinder nicht gehalten werden. (Bild: Ulsamer)

Rinder geben im Stall und auf der Weide beständig Methan ab, doch bei einem geringen Besatz tragen sie auf der Weide zur Humusbildung bei. So schreibt der Tierfilmer und Buchautor Jan Haft völlig zu recht: „Von Natur aus haben Rinder eine neutrale bzw. positive Klimabilanz. Stehen Rinder nämlich auf extensiven Weiden und haben plusminus zwei Hektar Platz je Tier, tragen sie aktiv zum Klimaschutz bei, indem durch ihre Fraßtätigkeit und die Abgabe von Dung über Umlagerungsvorgänge (“Bioturbation”) im Boden viel Kohlenstoff in den Bodenhumus eingebracht wird, wo er verbleibt. In der Summe steht beweidetes Grünland als Kohlenstoffsenke dem Wald in nichts nach, schon weil der Kohlenstoff aus den Bäumen nach deren Ableben weitestgehend wieder frei wird und im Kreislauf wirksam bleibt. Immer mehr Wissenschaftler, etwa vom “WildSoil Projekt” der Universität Kopenhagen, vertreten sogar die Ansicht, dass die (extensive) Weide dem Klimaschutz dienlicher ist als der Wald.“ Rind ist eben nicht gleich Rind, wenn es um Klimagase geht, doch dies scheint weder in Irland noch in Deutschland den Politikern wirklich klar zu sein. Somit geht es bei der wünschenswerten Reduzierung von Rindern, Schweinen oder Hühnern nicht in erster Linie um deren Zahl, sondern weit mehr um deren Lebensumstände. Dürfen die Nutztiere – ein wirklich unschöner Begriff – wieder auf die Weide, dann wird ihre Zahl bei einer extensiven Haltung ganz zwangsläufig abnehmen. Mehr Informationen zu diesem Themenkomplex finden Sie in meinem Blog-Beitrag ‚Klimaschutz: Kühe zwischen Milch und Methan. Weidetiere tragen zur Humusbildung bei‘.

Ein Mann im hellen Hemd steht mit dem Rücken zum Fotografen und beaufsichtigt Milchkühe, die über die Straße gehen.
Auch in Irland ein zunehmend ungewohntes Bild: Milchkühe auf dem Weg zur Weide. (Bild: Ulsamer)

Milchwirtschaft reformieren!

Wie hilflos Regierungen einmal mehr im Kampf gegen Treibhausgase unterwegs sind, zeigt sich bei der gegenwärtigen Diskussion in Irland, denn es wird nicht die Frage aufgeworfen, wie die Milchkühe – oder andere Rinder – leben, sondern es geht um eine Massenschlachtung von 200 000 Milchkühen, um im Agrarbereich die Klimaziele besser erreichen zu können. Diese Diskussion ist nicht wirklich neu, doch bekam sie im Jahr 2023 durch einen Bericht des Landwirtschaftsministeriums neuen Auftrieb. Mag sich die irische Regierung unter Ministerpräsident Leo Varadkar (Fine Gael) und Micheal Martin (Fianna Fail), die 2022 wie geplant im Amt des Taoiseach rotierten, auch herausreden, die Massenschlachtung sei nur ein Vorschlag unter mehreren, so gilt trotzdem das alte Sprichwort ‚There’s no smoke without a fire‘. In der Republik Irland drängeln sich bei 5 Mio. Einwohnern rd. 7 Millionen Rinder, unter ihnen 1,5 Mio. Milchkühe. Eine Verkleinerung der Rinderherden ist damit sicherlich richtig, doch muss es ohne Massenschlachtungen gehen, die an das Keulen von Tieren bei Epidemien erinnern. Längst gibt es dank der Milchviehbestände in Irland oder auch in Deutschland überzählige männliche Kälber, die schwer absetzbar sind. Dies zeigt bereits die Fragwürdigkeit des Systems der Milcherzeugung. Eine Kuh gibt eben nur Milch, wenn sie regelmäßig ein Jungtier zur Welt bringt, was man häufig bei der Diskussion über die Milchindustrie vergisst. Und das Kalb bekommt zumeist von der Milch seiner Mutter wenig ab.

Kühe mit verschiedenen Farben gehen in einer breiten Reihe über einen hellen Sandstrand. Dahinter ein helles Fahrzeug, in dem der Bauer sitzt.
Strandbesuch: Man kann ja auch mal eine Abkürzung nehmen. (Bild: Ulsamer)

Dem irischen Landwirtschaftsministerium schwebt eine Summe von 600 Mio. Euro vor, um daraus eine Schlachtprämie für überzählige Milchkühe zu finanzieren. Irgendwie ist es pervers, wenn in den letzten Jahren in einer übersubventionierten EU-Agrarwelt mehr Milchkühe gehalten und naturnahe Wiesen in Dauergrünland umgewidmet wurden, um nun nach Massenschlachtungen zu rufen. Milchkühe scheinen nicht mehr als Lebewesen wahrgenommen zu werden, sondern als Verschiebemasse, über die man je nach politischer Ausrichtung nach Gutdünken entscheiden kann. Was nicht nur der Agrarpolitik in Irland, sondern auch in Deutschland und der ganzen EU zu fehlen scheint, ist eine Prioritätensetzung, die sich am Tierwohl, an Ökologie und Nachhaltigkeit orientiert. In einem Land werden zu viele Rinder in Massenställe gezwängt, im anderen wachsende Herden auf zu kleinen Weideflächen gehalten. Dann reicht selbst bei einer Weidetierhaltung das Futter auf den eigenen Flächen längst nicht mehr aus, sondern Heu oder Grasschnitt für Silage sowie Kraftfutter werden über immer größere Distanzen transportiert. Eine langfristige und ökologische Agrarpolitik lässt sich nicht durch Massenschlachtungen ersetzen! Das gesamte System der Milchwirtschaft muss reformiert werden.

Ein nahezu kreisrunder und aufgewölbter brauner Kuhfladen, auf dem zahllose hellbraune Fliegen sitzen.
Rinder auf der Weide tragen mit ihren Kuhfladen zur Artenvielfalt bei, denn die dort landenden Insekten dienen vielen Vögeln als Futter. (Bild: Ulsamer)

Ein Kuhfladen hilft der Natur

Nicht unerwähnt bleiben darf, dass Kühe auf der Weide mit ihren Hinterlassenschaften eine Ernährungsbasis für manche Insekten schaffen, die wiederum Vögeln ein Überleben ermöglichen. Wer etwas gegen das Insekten- und Vogelsterben tun möchte, und dies nicht nur in folgenlosen Sonntagsreden, der muss Rinder und Schweine zurück auf die Weiden schicken. Ein Kuhfladen hilft der Natur, die Gülleflut, die sich zwangsläufig aus den Massenställen über Äcker und Wiesen ergießt, vernichtet dagegen die Reste der Natur und gefährdet unser Trinkwasser. Bei einer Gesamtbetrachtung der Klimabilanz schlagen weitere Faktoren zu Buche: Für die Massentierhaltung wird das Futter häufig von anderen Kontinenten herbeigeschippert, und Kunstdünger soll dafür sorgen, dass das Grünland fünf- oder sechsmal im Jahr gemäht werden kann. Wer sich mit Rindern und dem Ausstoß von Methan oder CO² befasst, der erkennt schnell, dass eine notwendige Verringerung der Zahl an Rindern einhergehen muss mit einer verstärkten Haltung auf der Weide. Wer das Gras ganzjährig in die Ställe karrt, der gibt eine Chance aus der Hand, die Rinder auf der Weide bieten: sie tragen – wie ausgeführt – dort zur Humusbildung bei. Und Humus ist nicht nur für die langfristige Fruchtbarkeit des Bodens wichtig, sondern bindet eben auch das klimaschädliche Kohlendioxid, allerdings nur dann, wenn das einzelne Rind ausreichend Platz hat und sich nicht immer kopfstärkere Herden auf den Weiden ballen.

Ein Kälbchen trinkt am Euter seiner Mutter. Die schwarze Kuh und ihr Kalb stehen auf Grünland.
Kälber sollten nicht nur in der Mutterkuhhaltung länger bei ihren Müttern bleiben können, auch wenn dies den Milchertrag mindert. (Bild: Ulsamer)

Die Reduzierung der Milchkühe und der Rinder insgesamt ist sicherlich nicht nur in Irland richtig, sondern auch in Deutschland. Bei aller Eilbedürftigkeit in Sachen Klimaschutz kann es nicht sein, dass dieser zu Lasten von derzeit lebenden Milchkühen geht. Massenschlachtungen sind der falsche Weg! Es stellt sich ansonsten auch die Frage, wer das anfallende Fleisch nutzen soll, denn die Lust auf Fleisch geht ohnehin merklich zurück. Eine schrittweise Verkleinerung des Bestands ist der richtige Weg, und er muss Teil einer Neuorientierung der EU-Agrarpolitik sein, die nicht länger eine grünlackierte Subventionsmaschine sein darf, sondern Klima-, Umwelt-, Natur- und Tierschutz ebenso dienen muss wie der Ernährung der Menschen. Milchkühe sind im Stall und in der Politik dem Menschen ausgeliefert, doch dies gibt niemandem das Recht, sie zum Opfer willkürlicher Entscheidungen zu machen!

 

 

Schwarze und braun-weiß gefleckte Rinder stehen auf einer Weide, die von Hecken umgeben ist. Diese blühen zum Teil gelb: Stechginster.
Neben der Anzahl kommt‘s gerade auch auf die Haltungsform an, denn diese entscheidet über die Auswirkungen auf das Klima. Werden Rinder extensiv auf der Weide gehalten, dann tragen sie zur Bildung von Humus und damit zur Bindung des klimaschädlichen CO² bei. Zahlreiche Hecken unterbrechen auf obigem, im irischen Kerry aufgenommenen Foto die Weiden und bieten Lebensraum für Vögel und Insekten – und sie speichern ebenfalls Kohlendioxid.. (Bild: Ulsamer)

 

 

Eine schwarze Kuh mit einem weißen Ring steht in einem Bach und trinkt.
Hier können sich Rinder auf einer weiten Fläche bewegen und auch mal zum nächsten Bach laufen. Mehr zu diesem Themenbereich lesen Sie in meinem Blog-Beitrag ‘ Schickt Rinder, Schweine und Hühner wieder auf die ‚Weide‘! Die EU-Agrarpolitik muss neu ausgerichtet werden’. (Bild: Ulsamer)

 

Dunkle Rinder stehen auf einer grünen Weide. Dahinter das Meer und ein Berg.
Milchkühe gehören auf die Weide und nicht ganzjährig in Massenställe, was gleichermaßen für alle Rinder, Schweine und Hühner richtig ist. Bei einer extensiven Haltung reduziert sich zwangsläufig die Anzahl der gehaltenen Tiere. Wird es auf der Weide zu eng, dann gehen die Vorteile der Weidetierhaltung für die Bodenbildung verloren. (Bild: Ulsamer)

 

 

 

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