Die Selbstentmachtung des Europaparlaments
Nun wurde die glücklose deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen vom Europaparlament mit knapper Mehrheit zur EU-Kommissionspräsidentin gewählt, obwohl sie bei der Europawahl nicht angetreten war. Nichts Neues mögen viele sagen, denn auch in der Vergangenheit wurden EU-Spitzenämter im Hinterzimmer von den mächtigen Staats- und Regierungschefs verschachert. Doch als überzeugter Europäer hatte ich sehr gehofft, dass mit dem Spitzenkandidatenprinzip die Demokratisierung der Europäischen Union eingeleitet wird. Wieder mal: Fehlanzeige! Ist es da wirklich verwunderlich, wenn in manchen Regionen die Abneigung gegen diese Art der Politik zunimmt und diese Aversionen leider auch auf unser gemeinsames Europa abfärben? Emmanuel Macron, der als französischer Präsident gerne über Europa schwadroniert als wäre dies sein Vorgarten, hat mit napoleonischem Gestus der europäischen Idee einen Bärendienst geleistet, als er den Gedanken sabotierte, dass einer der Spitzenkandidaten eine reelle Chance haben sollte, Kommissionspräsident zu werden.

Von Drahtziehern und Demokraten
Nun bin ich mir durchaus bewusst, dass Politik immer auch das Eingehen von Kompromissen einschließt. Und dies gilt in ganz besonderer Weise in einem Gebilde, das sich – noch – aus 28 Partnern zusammensetzt. Doch als ich zur Europawahl ging, da bin ich davon ausgegangen, dass einer der Spitzenkandidaten auch EU-Kommissionspräsident wird. Im Regelfall müsste es der Kandidat sein, der die größte Fraktion vertritt. Selbstredend müsste sich dieser um eine Mehrheit bemühen, denn ansonsten machen Wahlen keinen Sinn. Doch Manfred Weber hatte dazu im eigentlichen Sinne gar keine Chance, da sich die Mitglieder des Europäischen Rats vom Prinzip der Spitzenkandidaten abwandten und ihren ‚Personalvorschlag‘ ausklüngelten. Eingeleitet hatte dies der Blender aus dem Elysée-Palast, der gerne von einem „neuen Europa“ spricht, obwohl mir das jetzige bei allen Mängeln besser gefällt als die Utopien Macrons. Dem französischen Präsidenten geht es in Wahrheit nicht um ein Europa der Einheit, sondern um seine persönliche Machtentfaltung. So konnten auch Frans Timmermans und Margrethe Vestager oder Ska Keller nicht reüssieren, da es Macron & Konsorten nicht in den Sinn kam, zuerst einmal an die Parlamentarier als Basis für Personalentscheidungen zu denken. Das Parlament hat durch seine Uneinigkeit den Mächtigen im Darkroom ihr Spiel erleichtert.
Viele Wähler werden durch die jetzige Vorgehensweise verprellt. Auch ich werde mir überlegen, ob ich bei der nächsten Wahl nicht gleich zu Hause bleibe. Mit solchen Entscheidungen wie sie die Staats- und Regierungschefs getroffen haben, wird unser gemeinsames Europa ruiniert. Die Europäische Union ist doch nicht Macrons und Merkels Resterampe. Und Macron bekommt natürlich auch sein Zuckerl: Die französische Politikerin Christine Lagarde soll dem Schrecken aller Sparer, Mario Draghi, bei der Europäischen Zentralbank (EZB) folgen! Da bekommt wohl der Spruch ‚Hast Du einen Opa, schick ihn nach Europa‘ seine feministische Version! Und damit mich niemand bewusst falsch versteht: Als Vater dreier Töchter bin ich sehr dafür, dass Frauen gerade auch in politischen Spitzenpositionen stärker als bisher vertreten sind! Aber es gibt ja bekanntlich auch im Europaparlament Politikerinnen mit Format. Bei den jetzigen Entscheidungen zeigt es sich erneut, dass die Begriffe Drahtzieher und Demokrat zwar jeweils mit dem gleichen Buchstanden beginnen, doch ihre Haltungen können weit auseinander gehen.

Die Irrwege der ‚Staatenlenker‘
Es geht mir aber auch um die Qualität bei der Besetzung des Chefsessels in der EZB, die die Sparer durch die Nullzinspolitik um ihr Vermögen bringt und Spekulanten und reformunwillige Staaten mit Billionen an billigem Geld überschwemmt. Auf den Italiener Mario Draghi, der mit stoischem Gesicht auf kaltem Weg das Sparvermögen enteignet, soll nun eine französische Juristin und Politikerin folgen, die Macrons Staatsgläubigkeit vertritt. Solides Finanzgebaren ist weder von dem Ex-Investmentbanker Macron noch von der bisherigen Präsidentin des Internationalen Währungsfonds zu erwarten. Sie haben beide deutlich mehr Erfahrung im Ausgeben des Geldes anderer Leute gesammelt, als mit einer marktwirtschaftlichen, innovativen und soliden Finanzpolitik.
Am Tag der Europawahl konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sich im Europäischen Parlament eine Mehrheit findet, die den Irrweg der Staats- und Regierungschefs mitgeht. Ohne zu übertreiben kann man von einer Selbstentmachtung des Parlaments sprechen. Eilfertig wird bereits auf die nächste Wahlperiode verwiesen, denn dann würde alles demokratischer verlaufen. Das wäre sicherlich positiv, doch mir fehlt inzwischen der Glaube daran.
Genährt wird mein Misstrauen auch durch die Neubesetzung des Verteidigungsressorts in Deutschland. Angela Merkel hat Ursula von der Leyen in Brüssel platziert, die als Verteidigungsministerin fünf lange Jahre ständig am Desaster entlang taumelte, und obwohl sie nicht gerade durch europapolitische Initiativen aufgefallen wäre. Flugs wird so am Kabinettstisch auch ein Stühlchen frei für die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer: Verteidigungspolitik war gewiss nicht ihr Spezialgebiet, aber so scheint Politik bei Bundeskanzlerin Merkel ohnehin zu funktionieren. Gefolgschaft zählt mehr als Fachkompetenz.

Für ein Europa der Bürger
Die Europäische Union hat maßgeblich zu mehr Zusammenarbeit auf unserem Kontinent beigetragen und Frieden und Freiheit gesichert. Eine Weiterentwicklung der EU ist jedoch nur möglich, wenn breite Mehrheiten den europäischen Gedanken auch in schwierigen Zeiten tragen und leben. Dies bedeutet aber auch, dass die Bürgerschaft sich in die Entscheidungen einbezogen fühlen muss. Wer aber spürt denn diese Einbindung, wenn die Staats- und Regierungschefs im Hinterzimmer der EU die Posten schon mal vergeben und viele Abgeordnete das Personaltableau nur absegnen, um eine Periode der Unsicherheit zu vermeiden?
Macht endlich Schluss mit der Politik im Hinterzimmer, denn ansonsten werden die antieuropäischen Kräfte nur noch stärker!
6 Antworten auf „Die EU als Hinterzimmer der Mächtigen“