Philisterhaftes Palaver ersetzt keine zukunftsorientierte Politik
Die SPD setzt sich für eine 28. Armee in der EU ein, also eine Truppe unter Ursula von der Leyen, die nicht mal als deutsche Verteidigungsministerin für warme Unterwäsche für alle Soldatinnen sorgen konnte. Die Jungen Liberalen kämpfen für die Aufhebung des Inzestverbots, das Geschlechtsverkehr zwischen engsten Verwandten verbietet, und die Katholische Studierende Jugend hat die Antwort auf den Schwund bei den Katholiken parat: Gott bekommt ein Gendersternchen! Während die gerade aus der Europäischen Union desertierten Briten schon mal nach Hunderttausenden impfen, philosophieren deutsche Politiker über Impftourismus oder wollen Impfprivilegien per Gesetz verhindern. Wenn Feldwebel knapp werden, dann sollten es eben Feldwebelinnen richten, und die Personalnot bei der Bundeswehr mildern, die statt in Afghanistan jetzt verstärkt an der Corona-Front kämpft. Mal ganz ehrlich: wen in aller Welt sollen solche philisterhaften Streitereien voranbringen? Da kommt mir der frühere FDP-Vorsitzende in den Sinn: Guido Westerwelle bezog ordentlich Prügel, als er in Deutschland und darum herum „spätrömische Dekadenz“ erblickte und unser Land mit der Endzeit des Römischen Reichs verglich. Aber ist da nicht was dran, wenn ein Land selbst in Krisenzeiten in abwegigste Diskussionen abgleitet, anstatt die Debatte über das katastrophale Krisenmanagement in der Corona-Pandemie sachgerecht zu führen?

Gendersternchen und Feldwebelinnen retten die Welt nicht
Den christlichen Kirchen laufen die steuerzahlenden Gläubigen davon, doch die katholische Studentenorganisation hat nichts Besseres zu tun, als sich Gott mal ordentlich vorzuknöpfen und den zentralen religiösen Begriff mit einem Gendersternchen zu versehen. Es scheint auch niemandem aufzufallen, dass in den Regionen, in denen solche Vorschläge höchstens ein Kopfschütteln auslösen, der Zustrom zur Kirche anhält. „Wir als KSJ fordern ein neues Gottes*bild, das mit den Vorstellungen vom alten, weißen, strafenden Mann aufräumt und Platz schafft für eine Gottes*vielfalt“, so die Katholische Studierende Jugend (KJS) auf ihrer Internetseite. Vielleicht habe ich etwas verpasst, aber Gott sehe ich nun wirklich nicht als „alten, strafenden Mann“, und so frage ich mich schon, aus welcher Epoche diese „Katholische Studierende Jugend“ entsprungen ist. Mit solchen Nachhutgefechten, um zur nächsten Gender-Truppe überzuleiten, lassen sich wohl kaum neue Gläubige für eine recht schwindsüchtige Kirche gewinnen.

Auch der Bundeswehr gehen die Mannen, Entschuldigung, die Damen und Herren Soldaten aus, und Annegret Kramp-Karrenbauer wusste Rat. Als CDU-Vorsitzende im Eilzugtempo gescheitert, eifert sie nun als überforderte Verteidigungsministerin ihrer zur EU geflüchteten Amtsvorgängerin Ursula von der Leyen nach. Und statt für gute Aufstiegschancen und einen verlockenden Sold oder gar funktionierendes Gerät zu sorgen, hatte die Annegret aus dem Saarland einen Rat: Die Titel müssen verweiblicht werden! Der Feldwebel sollte auch noch eine Feldwebelin zur Seite haben, und – zack-zack – wären alle Personalprobleme gelöst. So einfach kann im Grunde nur eine Politikerin oder ein Politiker denken, der seinem Amt nicht gerecht zu werden vermag und doch besser wieder ins Glied zurücktreten sollte. Aber welcher Politiker oder Bundestrainer – man denke nur an Joachim Löw, den Bundes-Jogi, – tritt heute schon noch freiwillig ab? Und es kam wie es kommen musste, Kramp-Karrenbauer blies nicht zum Sturm auf die anvisierten männlichen Trutzburgen, sondern ließ das Vorhaben über ihren Staatssekretär Peter Tauber wieder kassieren und im Arsenal ihrer politischen Fehlschläge einlagern.

Wir sind ja ach so liberal
Die Jungen Liberalen machen Furore, und das könnte eigentlich nichts schaden, denn die Zustimmungswerte für Christian Lindner und seine FDP sind nicht wirklich überwältigend. Ob es da allerdings hilft, den Inzest-Paragraphen zu attackieren, das wage ich doch zu bezweifeln. Die Liberalen waren schon lange für die Ehe für alle, bis ihnen dieses Thema Bundeskanzlerin Angela Merkel wegschnappte, der zur Machterhaltung nun wirklich jeder politische Schwenk recht ist. Aber ob nun auch Bruder und Schwester Sex haben sollen und dies rechtlich legitimiert werden soll, das wage nicht nur ich zu bezweifeln. Debatten sind gut und richtig, doch wer glaubt, mit einem solchen Vorstoß die Liberalen im Bund wieder in die Regierung zu führen, der hat ein Brett vor dem Kopf. „Der Inzest-Paragraf ist angesichts niedriger zweistelliger Verfahren pro Jahr ein Nischenproblem und der letzte Überrest eines moralisierenden Sexualstrafrechts, welches dem Verpönten und Unanständigen galt“, schreibt Cevin-Key Coste, Arbeitskreisleiter Innen und Recht der Jungen Liberalen. Recht hat für mich nichts damit zu tun, ob es ein „Nischenproblem“ ist oder nicht, sondern es geht um die gesellschaftlichen Folgen. Wenn die Jungen Liberalen dies nicht so sehen, werden sie sicherlich auch bald die Sodomie straffrei stellen: Wenn jeder sich frei ausleben können soll, könnte folgerichtig der sexuelle Zugriff des Menschen auf Tiere straffrei werden. Und wenn es nur darum geht, dass beide Partner einwilligen, wie steht es dann bei Kinderehen? Liberal bekommt einen fragwürdigen Beigeschmack, wenn ich die Aussagen der Jungen Liberalen lese.

Liberal scheint für viele Zeitgenossen zu heißen, jeder kann tun und lassen was er will. Aber Achtung: Das gilt nicht bei Krippenfiguren. In Ulm im Münster wird ein Melchior enttarnt, der nun nicht mehr dem heutigen Weltbild entspräche! Nicht nur, dass er schwarz ist, sondern die Körperhaltung sei nicht zeitgemäß. Da habe ich sofort unsere Krippenfiguren betrachtet und sie dann doch wieder unter den Weihnachtsbaum gestellt. Völlig vergessen wird bei dieser Diskussion, die an die Bilderstürmer früherer Zeiten erinnert, dass die Ulmer Figuren schon ein Jahrhundert auf dem Buckel haben und expressionistisch überzeichnet sind. Außerdem kommen da keine Wegelagerer, so habe ich zumindest die christliche Überlieferung verstanden, sondern drei Weise, Magier, Sterndeuter oder Könige aus dem Morgenland. Diese Herren mit Weihrauch, Myrrhe und Gold suchen Jesus im Stall in Betlehem auf, und ihnen gebührt ein hoher Rang. Daher ist es doch so außergewöhnlich, dass sie Jesus in Windeln in der Krippe besuchen, ja ihre Aufwartung machen. Wer hier anfängt, die einzelnen Holzfiguren unter der heutigen Political Correctness zu betrachten, der hat die biblische Geschichte nicht ganz verstanden. Und hier hört die Liberalität mancher Bürger auf, die gewissermaßen rückwirkend künstlerische Darstellungen verwerfen! Man darf gespannt sein, wann die ersten Glasfenster aus Kirchen herausgebrochen oder Steinfiguren abgeschlagen werden, die nicht mehr dem Zeitgeist entsprechen.

In Reih und Glied: Die 28. Armee
Die SPD dümpelt bundesweit bei Zustimmungswerten von 15 oder 16 % herum und liegt damit bei Umfragen noch hinter den Grünen und abgeschlagen hinter der Union. Nun ist die nächste Bundestagswahl erst im Herbst 2021, und da kann sich nicht zuletzt wegen der Corona-Pandemie noch viel verschieben. Wenn die SPD-Verteidigungspolitiker aber glauben, eine 28. Armee in der EU, die gewissermaßen direkt der EU-Kommission unterstünde, könnte einen Umschwung bringen, der hat die Stimmungslage im Land und in der EU nicht erkannt. Wer käme denn auf die Idee, eine neue EU-Streitmacht zu schaffen, die dann im Krisenfall einer Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen unterstünde, die noch nicht einmal als deutsche Verteidigungsministerin für ausreichende warme Winterunterwäsche für die Truppe Sorge tragen konnte. U-Boote wollten nicht tauchen, Flugzeuge nicht starten und Panzer nicht rollen, und dies alles unter Ministerin von der Leyen. Die kommunistische Führung in China oder Wladimir Putin im Kreml würden sich wohl kaum von zwei- oder dreitausend EU-Kriegern beeindrucken lassen!

Bei den Sozialdemokraten frage ich mich schon, wer auf den abwegigen Gedanken kommen konnte, eine EU-Armee zu fordern, obwohl alle Ansätze zur konkreten Zusammenarbeit in der EU auf dem militärischen Sektor bisher im Sande verlaufen sind. Da liebäugelte Emmanuel Macron als französischer Präsident mit einer „wahren europäischen Armee“, wo doch Frankreich nicht gerade vor Begeisterung übersprudelt, wenn es um die Weiterentwicklung der Deutsch-Französischen Brigade geht! „Wir sollten an der Vision arbeiten, eines Tages auch eine echte europäische Armee zu schaffen. Eine gemeinsame europäische Armee würde der Welt zeigen, dass es zwischen den europäischen Ländern nie wieder Krieg gibt“, betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Na denn: Wir werden den Frieden auch ohne eine europäische Armee sichern müssen und können! Und darauf kommt es an! Die EU konnte noch nicht einmal einen sachgerechten Vorschlag für die versprochene Abschaffung der Zeitumstellung von Sommer- und Winterzeit vorlegen, da wäre sie mit einer eigenen Armee mehr als überfordert.

Die anderen impfen, wir streiten über Privilegien
Das Vereinigte Königreich verließ nach der einjährigen Übergangsfrist die Europäische Union, und so mancher Kommentator sieht die Briten schon ins Nach-Brexit-Chaos abgleiten, doch was machen sie? Sie impfen gegen Corona was das Zeug hält, und als die EU noch über die Zulassung des ersten Impfstoffs von Biontech/Pfizer nachdachte, hatte der marode National Health Service schon die Spritzen gezückt. Hundertausende waren in England, Wales, Schottland und Nordirland schon gegen das Coronavirus geimpft, da begann in Deutschland der Streit über Impftourismus und mögliche Privilegien der Geimpften. Ich sah schon die Bewohner von Pflegeheimen in Scharen über Ländergrenzen fluten oder sich vor geschlossenen Restaurants und Diskotheken versammeln, um ihre Privilegien einzufordern! Manchmal frage ich mich schon, wes Geistes Kind manche Politiker sind, die solche hirnrissigen Fragen aufwerfen, obwohl es hinten und vorne an Impfstoff fehlt. Wenn genügend Impfdosen vorhanden sind und jeder, der dies möchte, geimpft werden kann, dann macht es allerdings Sinn, den Geimpften den Zugang zu Veranstaltungen oder Restaurants zu ermöglichen.
Frappierend ist es für mich, mit welcher Nonchalance es der Bundesregierung und den Länderchefs – und Chefinnen selbstredend – bisher gelungen ist, vom eigenen Unvermögen abzulenken. Wissenschaftliche Warnungen vom Robert-Koch-Institut und der Fraunhofer Gesellschaft aus dem Jahre 2013 wurden geflissentlich überhört, obwohl diese die Corona-Pandemie sogar auf das Jahr genau vorhersagten. Die Vorbereitung unterblieb, und so schlitterten wir in eine Seuche, losgetreten im chinesischen Wuhan, die zehntausende von Menschenleben kostet und hunderttausende erkranken lässt. Selbst die Bestellung des Impfstoffes scheint nicht optimal gelaufen zu sein. Kein Wunder, wenn Jens Spahn als Minister fürs Händewaschen dafür zuständig ist! Und noch immer glaubt Olaf Scholz, mit der Kredit-„Bazooka“ schon alles richten zu können. Diese hilflosen Politiker hätten sich besser mal über die Maßnahmen in Taiwan oder Südkorea informiert, die gegen das Coronavirus deutlich stärker griffen. Aber jene Staaten haben eben auch vorgesorgt in Sachen Seuchen und nicht geschlafen.

Schwester und Bruder Leichtfuß
Bruder und Schwester Leichtfuß machen sich in Politik, Gesellschaft und Kirche breit, und meinen, mit einem Gendersternchen könnten sie die Welt retten. Aber verwaiste Kirchenbänke werden sich auch nach den Corona-Restriktionen nicht füllen, nur weil Gott ein Sternchen verpasst bekommt. Und Schwester und Bruder stimmt LBGTQ-Aktivisten noch lange nicht positiv: ob ihnen ein Sternchen genügt, das bezweifle ich. Wer darüber hinaus kulturelle Artefakte kurzerhand verbannt, weil sie nicht mehr dem Zeitgeist entsprechen, der drückt sich nur um eine intensive Debatte. Krippenfiguren in den Schrank zu verbannen oder ein Denkmal wie in Bristol ins Hafenbecken zu werfen, das bringt uns alle inhaltlich nicht weiter. Banksy hatte vorgeschlagen, die Statue von Edward Colston, Sklavenhändler und Wohltäter seiner Heimatstadt, zugleich in die aktuellen Bezüge einzubeziehen. Dies könnte ich mir durchaus auch in einer erklärenden Tafel bei Krippenfiguren vorstellen. ‚Aus den Augen, aus dem Sinn‘ hilft nicht weiter!

„Die Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich“, unterstrich Max Weber in seiner 1919 erschienenen Schrift ‚Politik als Beruf‘. Leider scheinen dies viele Politiker und Interessenvertreter nicht zu berücksichtigen, die sich in Scheindiskussionen flüchten, so z.B. über vermeintliche Impfprivilegien, oder eine Armee für die EU fordern, weil ihnen der Weg zu einer verbesserten Kooperation der europäischen Streitkräfte zu mühsam ist. Die Bande zwischen unseren europäischen Staaten werden nicht durch Palaver und eine Kakophonie an Vorschlägen, sondern durch mehr Gemeinsamkeit zwischen den Bürgern gestärkt. Je mehr sich die EU zum Bürokratiemonster entwickelt, desto weniger Begeisterung löst die Europäische Union aus.
Die Welt scheint nicht nur wegen der Corona-Pandemie aus den Fugen geraten zu sein, denn auch im Klima-, Umwelt- und Naturschutz gibt es genügend offene Fragen, die auf sachgerechte Antworten warten. Doch während in Asien der größte Wirtschaftsraum der Welt entsteht palavern manche Zeitgenossen gerne über Toiletten für das dritte Geschlecht, verdammen 100 Jahre alte Krippenfiguren oder rufen nach der Abschaffung des Inzest-Tabus. Liebe Leute, möchte ich diesen Mitmenschen zurufen, sollten wir nicht zuerst mal die großen Herausforderungen unserer Tage aufgreifen und lösen? Schwester und Bruder Leichtfuß mögen über die Themen tänzeln, doch nur wer die zentralen Probleme mit Leidenschaft und Augenmaß bearbeitet, der trägt wirklich zum gesellschaftlichen Fortschritt bei. Die Prioritätensetzungen in Politik, Gesellschaft und Kirche sollten an der einen oder anderen Stelle überdacht werden, ansonsten fährt der weltweite Zug ohne uns weiter.
Sehr geehrter Herr Dr. Ulsamer,
natürlich haben Sie recht und lenken unseren Blick, hoffentlich in die richtige Richtung. Leider ist es völlig üblich Schwierigkeiten dadurch zu umgehen, dass Ablenkungen in den Vordergrund gestellt werden. Das Bemühen, mit dem Sternchen Geschlechtsneutralität auch bei Gott herzustellen, muss nicht falsch sein, trägt aber nichts dazu bei, ein Problem zu lösen.
Die Diskussion bezüglich möglicher Privilegien von geimpften Personen, überrascht mich immer aufs Neue. Sie folgt aber dem üblichen Muster. Warum nach Lösungen suchen, wie besser und mehr geimpft werden kann, beschäftigt sich die Politik mit einem Scheinproblem und dies auch noch als Geisterfahrer. Der sachgerechte Ansatz muss aus der anderen Richtung kommen. Sollte von geimpften Personen kein Risiko mehr ausgehen, verbietet es sich die Geimpften in ihren Rechten, mit Hinweis auf Corona, weiter einzuschränken.
Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Walter, Immendingen