Das Kyffhäuser-Denkmal als Spielball der Politik
Mit Gedanken an die eigene Nation tun sich viele Menschen nicht nur im wiedervereinigten Deutschland häufig schwer. Auch die DDR-Führung stolperte über ihre eigene Hymne – dies lässt sich noch heute im Denkmal für Kaiser Wilhelm I. auf dem Kyffhäuser in Thüringen erkennen: Die Geschichte geht zwar über kleingeistiges Denken hinweg, aber sie verwischt nicht alle Spuren. Und obwohl ich nicht gerade auf monumentale Denkmäler und Skulpturen stehe, so ist dennoch das Kyffhäuser-Denkmal bis heute interessant.
Schillernder Ruf
Doch ehe wir auf den Seitensprung der damaligen DDR-Führung in Sachen „einig Vaterland“ eingehen, zuerst ein Blick auf die Entstehung des Denkmals. Etwas vorschnell wird das Denkmal auf dem Kyffhäuser immer wieder zu einer „Ikone nationalistischen Deutschtums“ erklärt, so z.B. von „Zeit online“ (9.7.1993), und als Gedenkstätte für Kaiser Wilhelm I. angesehen. Da mag zwar Wilhelm I. hoch oben auf seinem Ross in Sachen deutscher Einigung unterwegs sein, aber gleichgewichtig ist sicherlich Barbarossa zu sehen (Kaiser Friedrich I.), der gewissermaßen das ganze Denkmal auf seinen Schultern trägt. Vielleicht klingt es banal, doch der guten Ordnung halber möchte ich schon darauf hinweisen, dass Wilhelm I. die Vereinigung einzelner Staaten zu einem deutschen Kaiserreich zwar ermöglichte, dies politisch aber eher von Reichskanzler Otto von Bismarck vorangetrieben worden war, und sein schrecklicher Enkel Wilhelm II. Deutschland in den mörderischen und sinnlosen Ersten Weltkrieg führte. Aber da war Bismarck längst von Bord gegangen worden. Mit den zahllosen Wilhelms und Friedrichs verliert man ja in der deutschen Geschichte leicht den Überblick.
Der doch immer etwas schillernde Ruf des Denkmals auf dem Kyffhäuser hat sicherlich seinen Ursprung beim Deutschen Kriegerbund, denn solch ein Vereinsname lässt heute so manchen erzittern. Vielleicht haben die Beteiligten dies geahnt und sich alsbald zum Kyffhäuserbund umbenannt. Das monumentale Kyffhäuser- oder auch Barbarossadenkmal diente sicherlich auch der Selbstversicherung, denn die 1871 gewonnene deutsche Einheit wurde auch von den Initiatoren nicht als gegeben betrachtet. Der damals 32jährige Architekt Bruno Schmitz, der den Zuschlag für den Bau des Denkmals erhielt, hatte im Übrigen zu diesem Zeitpunkt bereits das Soldiers‘ and Sailors‘ Monument in Indianapolis entworfen.
Nationalstaat soll Kleinstaaterei überwinden
Bereits im 12. Jahrhundert war auf dem Höhenzug Kyffhäuser südlich des Harz in der Regierungszeit von Staufer-Kaiser Friedrich I. eine Burg entstanden, die für das Kyffhäuser-Denkmal teilweise überbaut wurde. Heutige Vertreter des Denkmalschutzes hätten sicherlich jeden Stein der alten Burg verteidigt. Zumindest der Barbarossaturm hat die Jahrhunderte und die Bauwut der Denkmalgestalter bis heute überstanden. Wenn auch das Relikt der ehemaligen Oberburg nur noch 17 Meter Höhe erreicht, so hat der Bergfried immerhin drei Meter dicke Mauern.
Ohne das erstarkende Nationalbewusstsein im 19. Jahrhundert ist die Verbindung eines Gedenkorts für Kaiser Wilhelm I. und die Darstellung der Barbarossasage kaum verständlich. Mag es heute auch manchmal anders klingen, gerade die fortschrittlichen Kräfte wollten damals die Kleinstaaterei überwinden und so Deutschland nicht länger zum Spielball anderer Mächte, z.B. Frankreichs unter Napoleon, werden lassen. Erinnert sei nur an die Nationalversammlung 1848 in Frankfurt oder an Giuseppe Garibaldi in Italien. Die Bildung von Nationalstaaten war gewissermaßen en vogue und nur in den seltensten Fällen im Sinne der Herrschenden.
Der verzauberte Barbarossa
Kaiser Barbarossa, der von einem Kreuzzug in das Heilige Land nicht mehr zurückkehrte, wurde zur Sagengestalt: Er sei nicht tot, sondern warte verzaubert in einem Berg auf den Tag der Wiederkehr. Raben umkreisten den Berg, so die Sage, und wenn sie nicht mehr durch die Lüfte segelten, würde er wieder erwachen und „das Regiment verbessern und das gelobte Land mit dem heiligen Grabe den Türken abgewinnen“, so Ludwig Bechstein in seinem Thüringer Sagenbuch von 1836. Gerade auch durch ein Gedicht von Friedrich Rückert aus dem Jahre 1817 bekam „Der alte Barbarossa“ wieder Auftrieb: „Der alte Barbarossa / Der Kaiser Friederich, / Im unterirdischen Schlosse / hält er verzaubert sich.“
Da man sich nie so ganz einig wurde, wo Barbarossa denn nun sein müdes Haupt niedergelegt hatte, kam natürlich auch eine Höhle in Frage, die Bergleute vier Tage vor Weihnachten im Jahre 1865 entdeckten. Sie liegt im Norden Thüringens, im GeoPark Kyffhäuser in der Nähe des Soleheilbads Bad Frankenhausen. Die Bergleute waren zwar nicht auf der Suche nach Kaiser Barbarossa, sondern hofften Kupferschiefer zu finden, doch wenn schon kein abbauwürdiges Flöz zu entdecken gewesen war, dann doch ein Höhlensystem im Anhydritgestein. Eine echte Rarität ist diese Höhle in Europa. Bald strömten die Besucher herbei und waren von der Vielfalt der Formen und anthrazit-grau-weißen Töne beeindruckt, die sie zu Gesicht bekamen. Und dann war es nicht mehr weit zur Namensgebung „Barbarossahöhle“.
Die Staufer als Reichsgründer
Den Staufern war es sicherlich nicht in die Wiege gelegt worden, einmal ein Reich aufbauen zu können, welches nicht nur das heutige Deutschland, sondern auch Italien umfasste. Begonnen hatten sie als schwäbische Herzöge mit der Stammburg Hohenstaufen am Nordrand der Schwäbischen Alb in der Nähe von Göppingen im heutigen Baden-Württemberg. 1138 nahm der Aufstieg der Staufer an Fahrt auf, denn mit Konrad III. wurde erstmals einer der ihren zum römisch-deutschen König gewählt. Friedrich I. – genannt Barbarossa, ‚Rotbart‘ – gelang die Ausdehnung seines Herrschaftsbereichs, doch erst sein Sohn, Heinrich VI., schuf ein Reich, das sich von der Nord- und Ostsee bis nach Sizilien erstreckte. Nach seinem Tod und einem nachfolgenden Thronstreit wurde letztendlich dessen Sohn, Friedrich II., zum deutschen König und 1220 zum Kaiser des römisch-deutschen Reiches gewählt, doch legte er seinen Lebensmittelpunkt weitgehend nach Süditalien, wo er 1194 in Jesi geboren worden war. Von seinem Wirken gibt heute noch das imposante Castel del Monte beredtes Zeugnis.
Ursprünglich bezogen sich die Inhalte der Barbarossa-Sage mehr auf Friedrich II., dessen Rückkehr entweder zu besseren Zeiten oder gleich zum jüngsten Gericht überführen sollte, und letztendlich steckte in der dann Barbarossa-Sage genannten Überlieferung der Kern eines vereinigten deutschen Nationalstaats. Und da passt dann Friedrich I. doch besser ins Bild, der die deutschen Lande einigte und – von Kreuzzügen abgesehen – dort auch lebte. Sein Enkel, Friedrich II., mit seiner Liebe zu den süditalienischen Regionen, konnte schlecht als Symbol für einen deutschen Nationalstaat herhalten. Gerade im 19. Jahrhundert erlebte die Barbarossa-Sage eine Renaissance und stärkte die Erwartung, ein politischer Führer würde das zersplitterte Deutschland wieder einigen. So wurde Wilhelm I. mit dem weißen Bart gewissermaßen zum – wieder erwachten – Kaiser Barbarossa, dem mit dem roten Bart. Und so ist auch die Kombination von Kaiser Barbarossa im unteren Teil des Kyffhäuser-Denkmals und Wilhelm I. als stolzer Reiter darüber mehr als verständlich.
Kyffhäuser-Denkmal von Sowjet-Offizieren gerettet
Nun aber zurück in unsere neuere Geschichte. Es war für mich eher überraschend, dass das Kyffhäuser-Denkmal, das die Nationalsozialisten für ihre Zwecke nutzten, die sowjetische Besatzung und die Regierungszeit der SED nahezu unbeschadet überstanden hat. Nicht nur Kaiser Wilhelm I. passte nicht so richtig in das sozialistische Weltbild, sondern die Nationalsozialisten hatten auch alles getan, um das Bild von Friedrich I. zu verzerren: „Der Tiefpunkt ist mit der SS-Division ‚Hohenstaufen‘ erreicht und dem Überfall auf die Sowjetunion 1941 unter dem Namen ‚Barbarossa‘. Hitler hat ihn selbst ausgesucht.“ (Spiegel-Geschichte, 4/2010).
Zwar gab es in der sowjetischen Besatzungszone Überlegungen regionaler Kommunisten, das Kyffhäuser-Denkmal zu sprengen, doch ausgerechnet ein Sowjet-Offizier rettete das Monument mit einem denkwürdigen Satz: „Ihr Deutschen müsst endlich lernen mit eurer Geschichte und euren Denkmälern zu leben.“ Aber auch die DDR-Führung stoppte alle Forderungen nach Abriss oder Umgestaltung. „Eine Verschrottung des Kyffhäuser-Denkmals kommt zur Zeit nicht in Betracht“, so der DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl 1951. Daher blieb es am Kyffhäuser bei kleineren Veränderungen, z.B. findet sich unter dem Reiterstandbild nur noch „Wilhelm I.“, der restliche Text „Dem Begründer des Reiches / Die deutschen Krieger“ wurde 1955 entfernt.
Als die DDR-Nationalhymne ihren Text verlor
In den 1960er Jahren sollte ein Bronzerelief des Hallenser Bildhauers Martin Wetzel zum Thema „Leben am Kyffhäuser“ in der Turmhalle neue Schwerpunkte setzen. Aus den dunklen Zeiten des Feudalismus hin zum strahlenden Sozialismus, so war der Inhalt der Auftragsarbeit zu gestalten, und ganz nebenbei schlich sich auch aus der Nationalhymne der DDR die Zeile „Deutschland einig Vaterland“ in das Wandbild ein. Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) und der Präsident der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), Wilhelm Pieck, hatten eine eigene Nationalhymne in Auftrag gegeben, wobei Hanns Eisler 1949 die Melodie und Johannes R. Becher den Text beisteuerten. Und der Text wurde von der sozialistischen Führung durchgewinkt, obwohl bereits in der ersten Strophe ein Stolperstein enthalten war: „Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt, laß uns dir zum Guten dienen, Deutschland, einig Vaterland.“
Doch die auf Abgrenzung zielende SED bekam zunehmend Probleme mit „Deutschland, einig Vaterland“, und so wurde von 1972 bis zum Ende der DDR die eigene Hymne nur noch in instrumentaler Fassung gespielt. Aber was dann tun mit dem Bronzerelief im Kyffhäuser-Denkmal? Die SED-Führung wusste Rat: Die Textzeile „Deutschland, einig Vaterland“ wurde mit einem Metallstreifen abgedeckt! Zwar ist dieser dem nächsten Schritt der deutschen Geschichte glücklicherweise zum Opfer gefallen, doch bis heute ist eine hellere Stelle zu erkennen, an der sich die Abdeckung befunden hatte. So ist das nun mal, „Deutschland, einig Vaterland“ wurde durch die Wiedervereinigung wahr, und die sozialistischen Abdeckungsspezialisten verloren sich im Orkus der Geschichte – wenn man von den Ewiggestrigen absieht.
Steingewordener Mythos
Im süd-thüringischen Gräfenroda wurde in zwei Unternehmen die Massenproduktion von Gartenzwergen gestartet, doch mit dem Kaiser Wilhelm I. gewidmeten Denkmal auf dem Kyffhäuser im Norden Thüringens wurde auch ein Monument erbaut, das an bedeutsame Persönlichkeiten wie Friedrich I. Barbarossa und Wilhelm I. erinnert. Beide Kaiser schufen Staaten, die die Kleinstaaterei beendeten. Und auf beide folgten später Staatslenker, die die Einheit wieder verspielten. So ist es auch mehr als verständlich, dass Barbarossa für lange Jahrhunderte zum Mythos wurde. Er wurde zum Sinnbild für den Wunsch vieler Menschen, in einem ‚deutschen‘ Staat zu leben.
Wer die politischen Entwicklungen näher betrachtet, der wird erkennen, dass wir alles daransetzen müssen, auch in unruhigen Zeiten und trotz mannigfaltiger Widrigkeiten die durch die Wiedervereinigung 1990 zurückgewonnene nationale Einheit zu schätzen und zu pflegen. Keine Region sollte zurückfallen oder gar vom allgemeinen Fortschritt abgekoppelt werden. Das Leben und Wirken von Friedrich II. unterstreicht aber auch, dass wir den Blick über die heutigen Landesgrenzen hinaus öffnen müssen, denn auch ohne das friedliche Zusammenleben mit unseren Nachbarn gibt es keine Zukunft.
2 Antworten auf „„Deutschland, einig Vaterland““