Komplexe Systeme brauchen mehr Sicherheit gegen Eingriffe
Die Deutsche Bahn hat es wirklich nicht leicht: Schienennetz und rollendes Material verlangen dringend nach einem Facelift, die Verspätungen sind ein Riesenproblem, und dann streikt auch noch die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG. Ach? Diesmal nicht die Lokführer der GDL? Nun gehören in einer sozialen Marktwirtschaft Tarifverhandlungen und notfalls auch Streiks oder Aussperrungen dazu, aber auf den ersten Blick scheint mir die EVG wirklich zu überziehen. Und wenn man die Facebook-Seite der EVG besucht, dann finden sich unzählige fröhliche Streik-Gesichter: Ob die im Kalten stehenden potentiellen Fahrgäste dies auch so lustig finden, wage ich zu bezweifeln.
‚Wenn dein starker Arm es will‘
Jahrzehnte war ich in der Industrie tätig, und selbstredend kommt es dort bei Tarifauseinandersetzungen hin und wieder zu Kampfmaßnahmen, und ebenso selbstverständlich dürfen auch Bahnmitarbeiter streiken. Doch wie steht es mit der Verhältnismäßigkeit, wenn mit einem minimalen Einsatz an Streikenden bei sogenannten Warnstreiks der gesamte Fernverkehr in Deutschland zum Erliegen gebracht werden kann? Auch auf den zweiten Blick betrachte ich diesen Streik mit Unverständnis, da sich die Tarifpartner weitestgehend angenähert hatten. Wollten da einige Gewerkschaftsführer mal die Muskeln spielen lassen, nach dem Gedicht von Georg Herwegh aus dem Jahre 1863:
Mann der Arbeit, aufgewacht!
Und erkenne deine Macht!
Alle Räder stehen still,
Wenn dein starker Arm es will.
Das Bundeslied des Deutschen Allgemeinen Arbeitervereins von Ferdinand Lassalle war natürlich noch nicht auf die Deutsche Bahn gemünzt, wo die Streikenden bundesweit alle Fernzüge stillstehen lassen konnten. Dazu braucht es nicht einmal mehr einen starken Arm – das System kommt auf Knopfdruck zum Stehen.
Die Pendler waren die Dummen
Bei einer vernünftigen Diskussion hätte sich doch ein Kompromiss finden lassen – und dies ohne zehntausende von Leidtragenden in Nahverkehrs- und Fernzügen. Und dazuhin vielen Pendlern, die alleine in Nordrhein-Westfalen auf das Auto umstiegen und in insgesamt 500 Kilometern Stau landeten.
Irgendwie fühle ich mich an den Streik der Lokführer vor dreieinhalb Jahren erinnert, der ebenfalls seltsame Blüten trieb. Sollten diese tarifpolitischen Prügeleien daran liegen, dass die Bahn zwar als Privatunternehmen gilt, doch der Bund letztendlich das Sagen hat? Denken manche Gewerkschaften, in einem solchen Unternehmen gehe es ja nicht um Wettbewerbsfähigkeit oder Kundenfreundlichkeit und letztendlich könnten die Kunden sowieso nicht abwandern? Denn wenn plötzlich alle vergraulten Fahrgäste bei FlixBus anstünden, wäre das Mehraufkommen an Fahrgästen dort ohnehin nicht zu bewältigen.
Bahn und Flughäfen gehören nicht den Gewerkschaften
Eigentlich würde es nur noch fehlen, dass die EVG-Aktivisten mit dem requirierten Zug direkt zur Streikdemo anrücken. Frank Bsirske, der Anführer von ver.di, hatte es ja schon vorgemacht: Als ich im April 2018 den Verdi-Chef Frank Bsirske über die „Mauertaktik und Blockadepolitik“ der Arbeitgeber herziehen hörte, da waren das gewohnte Töne dieses Gewerkschaftsvorsitzenden, der für mich immer den Eindruck erweckt, als sei er aus der Zeit gefallen. Und auch der lautstarke Ruf nach sechs Prozent mehr Lohn, untermalt mit Trillerpfeifen, gehört ja leider zum ‚guten‘, eher schlechten Ton mancher Tarifauseinandersetzungen. Was mich nun aber wirklich irritierte, waren nicht die Bsirske-Sprüche, sondern zwei Fahrzeuge, die gewissermaßen triumphierend im Demonstrationszug mitgeführt wurden: Ein Feuerwehrfahrzeug und ein Spezialfahrzeug für das Bugsieren von Flugzeugen. Was sich doch ver.di alles so leistet? Hat Bsirske vielleicht ein eigenes Feuerwehrfahrzeug für seine Gewerkschaft angeschafft? Nein, Verdi hatte seinen Fuhrpark nicht erweitert, sondern seine streikaffinen Mitglieder hatten sich kurzerhand für die Streik-Demo in ihre Dienstfahrzeuge geschwungen – und sie auch gleich noch ‚nett‘ mit Verdi-Fahnen dekoriert. Ich halte dies für einen klaren Rechtsbruch. Fraport als Träger des Flughafens in Frankfurt ist zwar börsennotiert, aber mehrheitlich im öffentlichen Besitz. Sowohl private als auch öffentliche Unternehmen müssen solchen Umtrieben Einhalt gebieten!
Nun zurück zur Deutschen Bahn: Hier finden sich dann die Streikplakate im Stellwerk auf der Anzeigetafel für die Züge, die nicht verkehrten. Ich vermisse schon ein wenig die Einsicht bei der EVG, dass ein Warnstreik auch ein solcher bleiben muss und nicht zur bundesweiten Einstellung des Fernverkehrs führen darf. Was passiert denn, wenn zur Untermalung der Forderungen dann richtig gestreikt wird? Wer so mit seinen Kundinnen und Kunden umspringt, der muss sich nicht wundern, wenn das Image von Bahnmitarbeitern nicht gerade das Beste ist. Und dies in Zeiten, in denen die Bahn händeringend qualifizierte MitarbeiterInnen sucht. Es ist geradezu ein schlechter Witz, wenn tagtäglich zum Umstieg auf die Bahn aufgefordert wird, und dann kommt es zu solch mutwilligen Unterbrechungen.
Mehr Service und Sicherheit sind gefordert
Die Deutsche Bahn muss sich im Eilzugtempo auf mehr Kundenfreundlichkeit umstellen: Eine Vielzahl von Verspätungen, nicht funktionierende Toiletten oder Klimaanlagen, überfüllte Wagen, teilweise veraltete Züge und Bahnanlagen sind kein guter Ausgangspunkt für Wachstum bei den Fahrgastzahlen in der Zukunft. Hier ist aber auch die Bundesregierung gefragt, die zusammen mit den Bundesländern die vorrangigen Aufgaben herausarbeiten und sachgerechte Problemlösungen erarbeiten und finanzieren muss. Ein ganz kleines Beispiel belegt den Nachholbedarf: Von Stuttgart in die Schweiz gibt es im Bereich von Rottweil in Baden-Württemberg noch eingleisige Strecken. Und warum fehlen die Gleise? Diese Schienen wanderten nach dem Zweiten Weltkrieg als Reparationen nach Frankreich – und wurden bis heute nicht ersetzt! Hätte hier nicht längst die Bundespolitik handeln müssen? Ich denke schon.
Besorgniserregend ist es für mich, dass mit einer Arbeitsniederlegung an wenigen Knotenpunkten der gesamte Fernverkehr der Bahn gestört werden kann. Passagiere und Fracht bleiben liegen. Auch aus übergeordneten Sicherheitsgesichtspunkten sollte alles getan werden, um die Anfälligkeit des Systems zu verringern. Könnte hier Automatisierung helfen? Nicht nur Gewerkschafter könnten auf die Idee kommen, solche Knotenpunkte auszuschalten. Selbstredend ist der Straßenverkehr stauanfällig, wer wüsste dies nicht als Auto- oder Lkw-Fahrer bzw. Buspassagier. Aber wer nicht direkt vor einem Unfall durch eine Vollsperrung oder von eisglatten Straßenabschnitten ausgebremst wird, der kann auf eine Umfahrungstrecke hoffen. Wenn jedoch die EVG – oder wer auch immer – aufs ‚richtige‘ Knöpfchen drückt, dann steht das gesamte Fernverkehrssystem der Deutschen Bahn still.
Sollte die Deutsche Bahn alsbald in Schienen und rollendes Material investieren, dann muss sie mit Unterstützung der Politik auch auf moderne Zug-Leittechniken setzen, die den Zugriff auf das Gesamtsystem deutlich erschweren. Die Deutsche Bahn muss dafür Sorge tragen, dass die Verlässlichkeit bei Schnee und Eis ebenso erhöht wird wie bei überzogenen Warnstreiks oder terroristischen Anschlägen. Und in allen Problemlagen sollte die Bahn kommunikativ in der Lage sein, die Kundschaft umfassend zu informieren!