Des Landrats Bimmelbahn – zweiter Akt

Steuerbürger und Fledermäuse zahlen die Zeche

Glauben wir manchen Planern, Politikern oder Medienvertretern, dann sind Fledermäuse und Eidechsen schuld, wenn es mit Infrastrukturprojekten in unserem Land nicht vorangeht. Diese Meinung halte ich – auch aus eigener Erfahrung – für völlig absurd! Der Fehler liegt nicht bei nächtlichen Flattertieren oder tagsüber krabbelnden Miniechsen, sondern bei der Hybris politischer Entscheider. Ja, Hochmut kommt vor dem Fall, doch das Dumme ist nur, dass wir Steuerbürger und die Natur die Zeche bezahlen und nicht die Amtsträger auf Abwegen. Ein Musterbeispiel ist die Hermann-Hesse-Bahn, die in Baden-Württemberg sage und schreibe siebzehn Buskilometer durch eine Bimmelbahn ersetzen soll, und die Kosten liegen bereits jetzt bei 160 Mio. Euro. Während es bei den wichtigen Zulaufstrecken zum Gotthardt-Basistunnel auf deutscher Seite nicht richtig vorangeht, haben Landes- und Regionalpolitiker ihr Herz für die Reaktivierung aufgelassener Bahnstrecken entdeckt, und dabei übersehen sie gerne, dass sich nach vier Jahrzehnten die Natur die Bahntrassen zurückerobert hat. Genau das ist in besonderer Weise bei den Tunneln der früheren Württembergischen Schwarzwaldbahn passiert, durch die seit 1988 kein Güterzug mehr rollte. Der letzte Personenzug befuhr die Gleise zwischen Calw und Weil der Stadt sogar schon 1983. Die alten Tunnel sind heute ein Überwinterungs- und Schwärmquartier von rd. 1 000 Fledermäusen. 18 der 23 in Baden-Württemberg vorkommenden Fledermausarten haben in den Tunneln eine Heimat gefunden und machen diese zu einem der bedeutendsten Quartiere in Süddeutschland. Das war beim Projektstart bekannt, doch weder der Calwer CDU-Landrat Helmut Riegger noch der baden-württembergische grüne Verkehrsminister Winfried Hermann waren bereit, der Natur den Vorrang zuzubilligen oder Alternativen sachgerecht in den Blick zu nehmen. So fließen unsere Steuergelder in ein fragwürdiges Bimmelbahn-Projekt, obwohl sich ein innovatives Busnetz kostengünstiger und schneller hätte realisieren lassen.

Eine breite Betonwand mit einer kleinen Tür und Einflugloch. Dahinter Waldbäume mit herbstlichen Blättern, davor liegen gefällte Baumstämme.
Dieses ‚schmucke‘ Ausweichquartier soll die Fledermäuse mit dazu anregen, den Hirsauer Tunnel zu verlassen und sich in diesem Betonkeller häuslich niederzulassen. „Klein- und mittelräumig ist ein gutes Raumgedächtnis für Flugrouten wichtig, welches sich Fledermäuse über wiederkehrende Flüge einprägen“, schreibt Dr. Christian Dietz in seinem Gutachten zur Bedrohung der Fledermäuse durch die Nutzung der Tunnel. „Daneben spielen beim Fledermauszug die Orientierung an Landmarken, der Horizontlinie und anhand von Magnetfeldern eine Rolle“. Ein lichter Wald ist für Fledermäuse attraktiv, doch ob man gleichzeitig Bäume fällen und Fledermäuse zum Umzug drängen sollte, das wage ich dann doch zu bezweifeln. (Bild: Ulsamer)

Fledermäuse vergrämen und Steuerbürger schröpfen

Über lange Jahre wurden Schienen demontiert und Bahnhöfe verhökert, doch immer mehr Rathauschefs und Landräte wollen wieder ihre Eisenbahn. Und zwar nicht in der Spielzeugvariante von Märklin für ihr trautes Heim, sondern leider in Originalgröße und auf Kosten der Steuerzahler. Als ich im Juni 2017 in einem Blog-Beitrag kritisch auf die Hermann-Hesse-Bahn eingegangen bin, sollten die Baukosten noch bei 50 Mio. Euro liegen, jetzt haben sie sich bereits auf 160 Mio. Euro mehr als verdreifacht, obwohl kein einziger Zug die Strecke befahren hat. Aber die Zweifel an diesem „Jahrhundertprojekt“ – wie es die Befürworter hochtrabend nennen – kommen in der Politik weiterhin zu kurz. Allenfalls wird in den Medien über die Mehrkosten berichtet, die vorschnell den Fledermäusen zugerechnet werden. In der Stuttgarter Zeitung betitelte Andreas Geldner seinen Beitrag „Triumph der Fledermäuse“, obwohl diese derzeit mit Vergrämungsaktionen dazu gebracht werden sollen, den ursprünglichen Tunneleingang nicht mehr zu benutzen, sondern durch ein kleines Loch in die angedachte doppelte Decke zu fliegen. Nach meiner Meinung müsste ein solcher Artikel eher mit ‚Triumph der Ignoranz‘ überschrieben werden, denn die Befürworter der Hermann-Hesse-Bahn sind sehenden Auges in ein finanzielles Fiasko gedampft. In einem ganzseitigen Zeitungsbeitrag hätte ich erwartet, dass zumindest die Sinnhaftigkeit des Vorhabens hinterfragt wird. Fehlanzeige. Zumindest wird von Andreas Geldner die Frage aufgeworfen, ob man nicht besser neue Tunnel gebuddelt hätte. Sicherlich richtig, doch auf einer völlig neuen Trasse wäre dieses ‚Bahn-Projektle‘ vermutlich kritischer betrachtet worden und hätte sich schon ohne die jetzigen Mehrkosten nicht mehr gerechnet. Auf meine kritischen Anmerkungen schrieb Andreas Geldner: „Wissen Sie: Das Ergebnis ist, dass man andernorts jetzt schaut, dass solche Biotope auf außer Betrieb befindlichen Bahnstrecken erst gar nicht mehr entstehen. Ob das im Sinne der Natur ist, weiß ich nicht.“ Das wäre selbstredend nicht im Sinne der Natur, doch die Grundfrage bleibt, ob einige Eisenbahnfans jede aus guten Gründen längst stillgelegte Nebenstrecke wieder reaktivieren und uns Steuerzahler dann die Zeche bezahlen lassen dürfen. Die Änderungen am Allgemeinen Eisenbahngesetz, die im Bundestag eine Mehrheit gefunden hatten und im Bundesrat durchgewunken wurden, zielen darauf ab, dass stillgelegte Bahnanlagen nur im Ausnahmefall anderweitig genutzt werden können. Mehr zu diesem Schildbürgerstreich finden Sie in meinem Beitrag ‚Bahngesetz: Kein Wohnungsbau auf Ex-Bahngelände? Trickser und Schlafmützen als Gesetzgeber‘.  Ausdrücklich möchte ich darauf hinweisen, dass ich für die Ertüchtigung des Schienennetzes eintrete, allerdings müssen klare Prioritäten gesetzt werden, und dann haben sich solche Bimmelbahnen auf reaktivierten Kurzstrecken für mich erledigt.

Ein neu verlegtes Bahngleis auf hellem Schotter. Dahinter Bäume und Gebäude.
Die Reaktivierung der Bahnstrecke zwischen Weil der Stadt und Calw kostet inzwischen statt knapp 50 Mio. über 160 Mio. Euro. Da wäre es günstiger gewesen, die Busverbindung zu verbessern, denn ab Weil der Stadt fährt ohnehin die S-Bahn. Mit niedrigen Kosten in die politische Diskussion einsteigen und dann die explodierenden Mehrkosten dem Steuerzahler aufbürden, das scheint bei zahlreichen Vorhaben der öffentlichen Hand der Grundsatz zu sein. In der baden-württembergischen Landeshauptstadt haben die Sanierung und Erweiterung des Opernhauses noch gar nicht begonnen, doch die Fertigstellung soll jetzt bereits auf 2044 verschoben werden, und die Kosten gehen nach einem neuen Bericht der Stuttgarter Zeitung in Richtung 1,5 Mrd. Euro. Mehr zu diesem leidigen Thema finden Sie in: ‚Stuttgart: Keine Mehrheit für milliardenteure Opernsanierung. Volksabstimmung sollte Klarheit bringen‘. Eine repräsentative Umfrage im Auftrag des Bunds der Steuerzahler hatte gezeigt, dass in Stuttgart und in Baden-Württemberg insgesamt eine Mehrheit der Befragten angesichts der Kosten für eine Neuplanung eintraten. (Bild: Ulsamer)

Warum wurde, so wird sich mancher Ortskenner fragen, nicht einfach die        S-Bahn von Weil der Stadt nach Calw verlängert? Die Antwort findet sich sogar auf der Internetseite der Befürworter des Bahnanschlusses: „Diese Variante hatte der Landkreis Calw bereits in den Jahren 2008 bis 2012 verfolgt. Damals konnte jedoch kein positiver Nutzen-Kosten-Faktor zur Wirtschaftlichkeit nachgewiesen werden, der eine Förderung gerechtfertigt hätte.“ Aber für die Fans von Nebenstrecken, die kaum rentabel sein dürften, findet sich immer ein Schlupfloch: Es wird so lange gerechnet, bis das Ergebnis passt. Das scheint im öffentlichen Bereich nicht nur für die Hermann-Hesse-Bahn zu gelten, sondern auch für das Landratsamt in Esslingen. Da wurde der sogenannte Altbau nach gerade mal vier Jahrzehnten abgerissen, denn allein das Konzept eines neuen Gebäudes sei zukunftsfähig. Mehr dazu in meinem Artikel ‚Landratsamt Esslingen: Abriss statt Sanierung. Würden Sie Ihr Haus nach 44 Jahren abreißen?‘ Der Steuerzahler lässt sich ja gerne schröpfen, um die finanziellen Höhenflüge mancher Bürokraten und ihrer regionalen Gefolgsleute in Gemeinde- oder Kreistagen, Landtagen oder im Bundestag zu begleichen.

Ein großer, dunkler Fledermauskasten mit der weißen Nummer 13 hängt an einer Kiefer.
Zahlreiche Fledermauskästen sollen Ersatzquartiere für die Flattertiere bieten, die an und in den Tunneln vergrämt werden. „Zusammenfassend ist für beide Bestandstunnel von einem deutlich höheren Überwinterungsbestand als bei den visuellen Kontrollen und der Lichtschrankenerfassung auszugehen. Der Überwinterungsbestand dürfte im Bereich des geschätzten Schwärmbestandes (Nagel 2014a) von minimal 2700 Tieren am Hirsauer und minimal 1000 Tieren am Forsttunnel liegen“, so das Gutachten von Dr. Dietz. „Ohne eine Vertreibung bzw. Vergrämung der derzeit in den Tunneln anwesenden Fledermäuse ist weder eine Besiedlung der neugeschaffenen Quartiere zu erwarten (die Tiere würden einfach weiter die Tunnel nutzen) noch eine Vermeidung oder zumindest Reduktion der Massentötung erreichbar.“ Ob die Vergrämung der streng geschützten Tiere für eine regionale Bimmelbahn angemessen ist, das wage ich zu bezweifeln. (Bild: Ulsamer)

Explodierende Kosten

Immer wieder läuft es bei öffentlichen Projekten nach identischem Schema ab: Mit niedrigen Kosten in die politische Diskussion einsteigen und so die Zustimmung der entsprechenden Gremien erlangen, aber das bittere finanzielle Ende kommt nach, denn die Kosten explodieren. In der Internetpräsentation der Projektpartner heißt es auch im Oktober 2024 noch: „Das (Die – Anm. d. Autors) Wiederinbetriebnahme der Hermann-Hesse-Bahn kostet nach derzeitigem Stand rund 49 Millionen Euro.“ Nach Medienberichten belaufen sich die Kosten inzwischen auf 164 Mio. Euro. Der unter dem Begriff ‚Stuttgart 21‘ zusammengefasste Tiefbahnhof in Stuttgart und die Schnellbahntrasse von Stuttgart nach Ulm sollten 1995 noch 2,5 Mrd. Euro kosten, jetzt wird mit 11,5 Mrd. Euro gerechnet. Die Kosten sind das eine, weit schwerwiegender allerdings ist die Frage, ob man solche Projekte nicht anders hätte steuern können und müssen, denn es geht nicht nur um das Finanzielle, sondern um die Zeiträume zwischen Planung und Fertigstellung. Ausgerechnet Infrastrukturprojekte geraten in Deutschland häufig zur unendlichen Geschichte. Kurios ist es, dass die Hermann-Hesse-Bahn aus Calw kommend ab Weil der Stadt auf dem gleichen Gleiskörper wie die vorhandene S-Bahnlinie 6 fährt, daher war die Begeisterung der S-Bahn-Verantwortlichen wenig ausgeprägt, denn es drohen zusätzliche Nutzungskonflikte und Verspätungen. Der spätere Abmangel beim Zugverkehr und bei der Erhaltung der Infrastruktur dürfte bei der Hermann-Hesse-Bahn nicht gerade klein ausfallen. Sollte sich das nicht bewahrheiten, so würde ich mich als Steuerzahler freuen.

Eine schmale Straße führt unter einer Bahnbrücke hindurch. Ein Schild zeigt die Durchfahrtshöhe von 3,7 Metern an.
Es ist richtig, Verkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern, doch würde ich mir dabei mehr Sachverstand und eine Priorisierung wünschen. Die bundesweiten Trassen werden zu langsam ertüchtigt, so hinkt Deutschland z. B. bei den Zulaufstrecken zum Gotthard-Tunnel hinterher, dafür reaktivieren manche Politiker und Bürokraten Nebenstrecken für viel Steuergeld, die jedoch keinen oder kaum Nutzen bringen. Und versuchen sich Bahn und öffentliche Hand an einem Großprojekt wie dem neuen Tiefbahnhof in Stuttgart und der Schnellbahntrasse von Stuttgart nach Ulm, dann wird daraus eine unendliche Geschichte. Mehr zu dazu in ‘Stuttgart 21 hat endlich Fahrt aufgenommen. Infrastrukturprojekte: Wie wird man die rote Laterne los?‘ (Bild: Ulsamer)

Die Projektpartner haben für ihr Bähnle den Namen des Literaturnobelpreisträgers Hermann Hesse ausgewählt, der konnte sich bekanntlich nicht wehren. Gerne wird in diesem Zusammenhang ein Zitat aus seinem Roman ‚Unterm Rad‘ angeführt und der Württembergischen Schwarzwaldbahn zugeschrieben: „Die Eisenbahn lief vorüber — nicht im Sturm, denn die Linie steigt dort gewaltig, sondern schön behaglich, mit lauter offenen Fenstern und wenig Passagieren, eine lange, fröhliche Fahne von Rauch und Dampf hinter sich flattern lassend.“ Nun ‚Rauch und Dampf‘ wird es nicht mehr geben, denn es sollen auf der reaktivierten Trasse batterieelektrische Züge eingesetzt werden. Zumindest ein Lichtblick, denn anfänglich waren Diesellokomotiven vorgesehen. Warum dieses Zitat von Bahnbefürwortern verkündet wird, weiß ich nicht, denn Hermann Hesse spricht von „wenig Passagieren“. Hoffentlich ist das kein schlechtes Omen. „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, um nochmals Hermann Hesse, der in Calw geboren wurde, zu zitieren, dieses Mal aus seinem Gedicht ‘Stufen‘. Häufig hat der Autor damit sicherlich recht, doch ausgerechnet bei dem nach ihm benannten Bahnvorhaben konnte ich den ‚Zauber‘ noch nie erkennen.

Eine Art Holzverschlag führt auf ein altes Tunnelportal aus Naturstein zu. Darüber aus Beton ein weiterer Tunnelabschluss. Ein rechteckiges Loch soll den Fledermäusen den neuen Weg weisen.
Die alten Tunnel, die nun für die Hermann-Hesse-Bahn wieder befahren werden sollen, werden von mindestens 1 000 Fledermäusen als Quartier genutzt. Darunter sind Abendsegler, Bartfledermaus, Bechsteinfledermaus, Braunes Langohr, Breitflügelfledermaus, Fransenfledermaus, Graues Langohr, Große Hufeisennase, Mausohr, Mopsfledermaus, Mückenfledermaus, Rauhhautfledermaus, Wasserfledermaus, Wimperfledermaus, Zwergfledermaus. Zur Partnersuche kommen Fledermäuse aus der weiteren Region hinzu, somit “ergeben sich Bestandschätzungen des Schwärmbestandes von 1022-2400, im Mittel 1675 Tieren für den Forsttunnel und 2777-8040, im Mittel 5021 Tieren für den Hirsauer Tunnel“, so Dr. Dietz in seinem bereits zitierten Gutachten. Der Calwer Landrat Riegger und seine Bahnfans hätten sich viel Ärger und uns Steuerzahlern stark steigende Kosten ersparen können, wenn sie auf die Reaktivierung der aufgelassenen Bahntrasse verzichtet und stattdessen auf ein innovatives Bussystem gesetzt hätten. (Bild: Ulsamer)

Fledermäuse brauchen Schutz

Für die Fledermäuse, die die seit fast vier Jahrzehnten ungenutzten Tunnel bevölkern, wurden Ausweichquartiere geschaffen, doch im Gegensatz zu Zauneidechsen können sie nicht eingefangen und in ein anderes Habitat verbracht werden. Zahlreiche Fledermauskästen hängen schön nummeriert an Bäumen, und ein Betonkeller mit Einflugloch sticht dem Wanderer ins Auge. Ob es wirklich glücklich ist, dass sich das Umfeld dieser neuen ‚Unterkunft‘ wegen umfassender Holzfällarbeiten ständig verändert, das wage ich zu bezweifeln. Ein langer Vorbau vor dem alten Portal des Welzbergtunnels, der auch als Hirsauer Tunnel bezeichnet wird, soll die Fledermäuse davon abhalten, in diesen hineinzufliegen. Mit weiteren Vergrämungsmaßnahmen – wie Schallwellen – sollen die Fledermäuse zukünftig über ein bescheidenes Einflugloch in das obere Segment des Tunnels gelangen. Eine Zwischendecke würde sie dann vom Zugverkehr trennen. Der Vorbau soll, wenn die Fledermäuse die Umleitung akzeptieren, in Beton ausgeführt werden. Sollten manche Nachtschwärmer partout direkt in die Tunnelöffnung einfliegen wollen, könnte man die jetzige Tür etwas solider ausführen. Landrat Riegger und der bald in Rente gehende Verkehrsminister Hermann könnten sich ja abwechseln, und das Tor alle 30 Minuten für die Bimmelbahn öffnen!

Schienen auf hellem Schotter führen in Richtung Wald. Rechts ein kleines technisches Gebäude.
Mehr als 160 Mio. Euro an Steuergeldern für die Hermann-Hesse-Bahn, um Busse auf 17 Straßenkilometern zu ersetzen, das ist ein Skandal. Bin mal gespannt, wie stark die Züge zwischen Calw und Weil der Stadt (in Baden-Württemberg) ausgelastet sein werden! Wenn Infrastrukturprojekte nicht richtig in die Gänge kommen, dann müssen häufig Zauneidechsen oder Fledermäuse als Begründung herhalten. Meine Erfahrungen aus einem technisch orientierten Projekt auf einer Fläche von 500 Hektar in Baden-Württemberg zeigen aber, dass sich Lösungen – Eingriffsminimierung und Ersatzhabitate – finden lassen, wenn man rechtzeitig die wichtigen naturschutzfachlichen Probleme angeht. (Bild: Ulsamer)

Ich kann dem baden-württembergischen NABU-Vorsitzenden Johannes Enssle nur zustimmen, der sich engagiert für die Fledermäuse einsetzt: „Für eine regionale Bahnstrecke untergeordneter Bedeutung können wir nicht das Überleben seltener Arten riskieren.“ Es gehe darum, dass die Population der Fledermäuse nicht beeinträchtigt werde. „Die Bahn fährt entweder mit Fledermäusen oder gar nicht.“ Der NABU hatte im Übrigen Klagen gegen das Projekt zurückgezogen, da die Projektträger entsprechende Schutzmaßnahmen zugesagt hatten. Diese müssen vollumfänglich greifen, ehe der erste Zug fahren kann, was für mich außer Frage steht. Sicherlich haben die Befürworter des Projekts artenschutzrechtliche Fragen unterschätzt oder gehofft, die Bimmelbahn würde trotz der Untermieter rollen. Fledermäuse sind – wie Eidechsen auch – nicht der Grund für Verzögerungen bei Infrastrukturprojekten, sondern Planungen und politische Entscheidungen, die zu spät realisieren, dass die Natur nicht als zweitrangig zu betrachten ist. Im ersten Akt dieses politischen Trauerspiels hatten sich die Projektträger der Hermann-Hesse-Bahn bereits verrannt, indem sie ein vermutlich unwirtschaftliches Vorhaben durchdrückten und die historische Trasse als gegeben ansahen. Im zweiten Akt, an dem wir jetzt alle teilhaben dürfen, zeigt sich, dass der Artenschutz und die Gesamtkosten des Projekts unterschätzt und alle Zeitpläne obsolet wurden. Sollten die Züge der Bimmelbahn von Calw nach Weil der Stadt und Renningen im Jahr 2025 wirklich fahren, dann hoffe ich nur, es finden sich so viele Passagiere ein, dass diese nicht mit batterieelektrischen oder Brennstoffzellenbussen hätten transportiert werden können. Ein dauerhaftes finanzielles Fiasko wäre der dritte Akt dieses politischen Trauerspiels.

Die Fledermäuse dürfen nicht die Leidtragenden einer Bimmelbahn sein, die ganz gewiss unsere verkehrspolitischen Probleme nicht lösen wird. Bedrohte Arten brauchen mehr Schutz, ansonsten siecht die Biodiversität weiter vor sich hin!

 

Zum Beitragsbild

Eine Art langgezogener Kasten aus Holz und Plastikfolie führt zum Portal eines Tunnels. Die Eisenbahnschienen liegen bereits.Dieser nicht ins Landschaftsbild passende Vorbau soll Fledermäusen den ‚richtigen‘ Weg in ihr beschnittenes Quartier zeigen. Zukünftig sollen die Flattertiere nicht mehr in den alten Hirsauer-Tunnel der früheren Württembergischen Schwarzwaldbahn einfliegen, denn dort sollen die Züge der Hermann-Hesse-Bahn nach vier Jahrzehnten wieder Passagiere transportieren. Die Fledermäuse werden genötigt, durch ein kleines Einflugloch zu ihren Schlaf- und Winterquartieren oberhalb einer Zwischendecke zu fliegen. Eines der wichtigsten Fledermausquartiere in Süddeutschland wird durch des Landrats Bimmelbahn gefährdet. In seinem Gutachten zur Reaktivierung der aufgelassenen Bahntrasse schrieb Dr. Christian Dietz bereits 2016 über die dadurch betroffenen Fledermäuse: „Mit dem hohen Lebensalter gehen eine konservative Lebensweise und eine ausgeprägte Traditionsbildung einher: sehr gut geeignete Quartiere und Lebensräume werden über Jahrzehnte genutzt und an nachfolgende Generationen weitervermittelt, so kann es zur Nutzung von Quartieren über viele Jahrhunderte kommen.“ Die Befürworter der Hermann-Hesse-Bahn scheinen im Übrigen auch andere Aussagen des Gutachters auf die leichte Schulter genommen zu haben. Hier der Link zum überaus lesenswerten Fachgutachten ‚Artenschutzrechtliches Konfliktpotential bei einer Wiederinbetriebnahme der Bahnstrecke Weil der Stadt – Calw als Hermann-Hesse-Bahn im Hinblick auf Fledermäuse in den Bestandstunneln‘. Wenn die Fledermäuse durch den Tunnelvorbau und weitere Vergrämungsmaßnahmen zum Einflugloch ‚umgeleitet‘ werden können, dann soll das Konstrukt aus Holz und Kunststofffolie durch ein Betongebilde ersetzt werden! (Bild: Ulsamer)

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