Die Vermüllung der Weltmeere und die Wattestäbchen
Nun sind wir wieder an Stränden entlanggewandert und haben Hafenbecken ‚inspiziert‘, doch die so häufig in den Medien genannten Umweltsünder Trinkhalm und Wattestäbchen sind uns weder in Belgien noch in Frankreich, Großbritannien oder in Irland begegnet. Doch wenn wir den Medien glauben, die über die neue EU-Kunststoffstrategie berichten, dann zielen die europäischen Anstrengungen auf den Ersatz von Trinkhalmen und Wattestäbchen aus Plastik durch andere Materialien.
Nun bin ich von der EU-Bürokratie ja einiges gewohnt – und sicherlich geht es Ihnen ähnlich -, aber ganz so dusselig können auch die Strategen im Brüsseler Wolkenkuckucksheim nicht sein, dass sie leere Kunststoffflaschen und Einwegverpackungen übersehen und bei ihrem letzten Strandurlaub ausgerechnet von einem Trinkhalm aufgespießt worden sind. Und siehe da, Trinkhalme und Wattestäbchen werden in der Kunststoffstrategie zwar erwähnt, die die EU-Kommission erarbeiten ließ, doch sie stehen nicht alleine: selbstredend geht es auch um besagte Plastikflaschen oder allseits ‚beliebte‘ Fastfood-Verpackungen. Allerdings bleibt die Strategie der EU – so befürchte ich – recht zahnlos, denn statt zuzubeißen werden Prüfaufträge verteilt und allgemeine Aufgabenstellungen definiert, die andere in Angriff nehmen sollen.
Europaweites und hohes Flaschenpfand
Wer ärgert sich nicht über leere Plastikflaschen, die im Meer treiben, an den Lieblingsstrand gespült werden, in Hafenbecken oder vor Schleusen dümpeln? Doch irgendwer muss sie auch weggeworfen haben! Wer ist nicht schon auf einer einsamen Klippe – oder im Wald – über eine leere Bierdose oder eine zerbrochene Glasflasche gestolpert? Aber sie ist sicherlich nicht vom Himmel gefallen! Ärger über die Umweltsünder auf der einen Seite und echte Faulpelze auf der anderen, die zwar Flaschen, Dosen und Essen in Einwegverpackungen mitschleppen, dann jedoch die Überbleibsel in die Natur ‚entsorgen‘. Vor diesem Hintergrund ist es sicherlich angebracht, die Umweltprobleme zu minimieren, die durch sorglose Zeitgenossen hervorgerufen werden, doch frage ich mich schon, ob nicht auch Aufklärung und drakonisches Durchgreifen gefragt sind?
So hat eine Kunststoffstrategie der EU, die auf Recycling, Ersatzstoffe und Kreislaufwirtschaft setzt, durchaus ihre Bedeutung, doch jede Vermeidungsstrategie wird erfolglos bleiben, wenn nicht auch finanzielle Anreize gesetzt werden, die deutlich unterstreichen, dass z.B. leere Plastikflaschen und Dosen nicht in die Natur gehören. Dabei denke ich an die europaweite Ausdehnung und die Erhöhung des Flaschenpfands und deutlich höhere Strafen für jede Umweltsau. Eigentlich dürfte man dies so nicht sagen: Nicht weil der Ausdruck vielleicht etwas zu drastisch ausfällt, nein, weil Schweine sehr reinliche Tiere sind. Leider kann man das nicht von allen menschlichen Zweibeinern auch sagen. Pfandsysteme werden in der Kunststoffstrategie zwar auch erwähnt, jedoch in sehr allgemeiner Form.
Trinkhalme sind in der Plastikflut bedeutungslos
Die EU-Kunststoffstrategie bringt von allem ein Bisschen, doch bleibt vieles sehr allgemein und erinnert mich an die „Wir schaffen das“-Aufrufe von Angela Merkel. Wenn es die EU jedoch nicht schafft, klare Rahmensetzungen und Umsetzungsschritte zu vereinbaren, dann wird sich nicht viel ändern. Mögen Trinkhalme – die einstmaligen Strohhalme – auch aus Papier hergestellt werden, Wattestäbchen aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen und die Verschlusskappen aus Kunststoff mit der Flasche verbunden sein, die Frage bleibt, ob es dann in unseren Flüssen und Meeren, aber auch in Wald und Flur wirklich sauberer wird?
Wenn im Jahr 2014 rd. 26 Mio. Tonnen Kunststoffabfälle alleine in der EU angefallen sind, und davon nur 30 % recycelt wurden, ist dies ein Armutszeugnis. Und wenn in der Europäischen Union jährlich 150 000 bis 500 000 Tonnen Kunststoffe in die Meere gelangen, dann muss selbstverständlich gehandelt werden. Schnell! Aber die Politik hechelt nicht nur hier hinter dieser Entwicklung her, sondern auch beim Thema Mikroplastik: Erschreckende 75 000 bis 300 000 Tonnen Mikroplastik gelangen pro Jahr in die EU-Umwelt.
Bereits die weit auseinanderliegenden Mengenangaben machen deutlich, dass bei Müll und Recycling auf unsicherer Datenbasis argumentiert wird. Nicht nur bei den Wattestäbchen-Meldungen mancher Journalisten frage ich mich, ob sie niemals aus ihren digitalisierten Redaktionsstuben herauskommen: Da entsteht plötzlich laut Zeitungsmeldung pro Kopf mehr Müll in Deutschland als in Italien, doch dort werden fröhlich Hausmüll und anderer Hausrat in der freien Natur entsorgt, von mafiösen Organisationen verbrannt und finden so niemals Eingang in eine amtliche Statistik. Dies soll keineswegs von unserer Pflicht ablenken, zuerst vor der eigenen Haustür zu kehren. Wer wüsste dies besser, als ein schreibender und hin und wieder kehrender Schwabe! Es ist jedoch wichtig, die Relationen bei politischen Problemen nicht aus den Augen zu verlieren. Weltweit landen rd. 5 bis 13 Mio. Tonnen Kunststoffe jedes Jahr im Meer, und bei diesen Mengen erscheinen Wattestäbchen und Trinkhalme doch eher bedeutungslos. Wir müssen uns daher auch fragen, was sich Medienvertreter dabei gedacht haben, ausgerechnet diese beiden Produkte in die Titel ihrer Beiträge zu befördern?
Konkrete Schritte fehlen
Doch auch die EU-Bürokratie scheint nicht zu bemerken, dass man sich dem Gespött ausliefert, wenn plötzlich der Ersatz von Trinkhalmen und Wattestäbchen aus Kunststoff zum neuen Heilsversprechen der EU-Umweltpolitik wird. Das erinnert schon an die ins Komödiantische abstürzende Aussage des EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, der dem Zoll-Gepolter des US-Präsidenten Donald Trump entgegen brabbelte: „Wir werden Zölle legen auf Harley-Davidson, Bourbon und Blue Jeans, Levi‘s“. Zwar sind unter den 20 für die EU wichtigsten Lieferländern für Jeans die USA nicht zu finden, aber das scheint in Brüssel keinen zu stören. Was aber sollen wir Bürger von einer Institution halten, die sich selbst gerne in ein schräges Licht setzt – obwohl die aufgeworfenen Fragen Anspruch auf sinnvolle Antworten haben. Nicht nur bei Jean-Claude Juncker ist längst das politische Verfallsdatum abgelaufen! Und wer zuerst Jagd auf Trinkhalme und Wattestäbchen macht, der hat den Ernst der Lage nicht begriffen. Wer wie die EU-Kommission solche Vorlagen liefert, der muss sich auch nicht wundern, wenn die abstrusesten Beispiele medial hochgezogen werden.
„Mit der vorliegenden Strategie wird die Grundlage für eine neue Kunststoffwirtschaft geschaffen, in der bei der Gestaltung und Herstellung von Kunststoffen und Kunststoffprodukten den Erfordernissen in Bezug auf Wiederverwendung, Reparatur und Recycling in vollem Umfang Rechnung getragen wird und nachhaltigere Materialien entwickelt und gefördert werden.“ Gut gebrüllt, Löwe, kann ich da nur ausrufen, aber jetzt braucht es konkrete Umsetzungsschritte, an die sich auch alle halten, ansonsten ruft die EU mal wieder nur ein müdes Gähnen hervor. Und nicht nur ich sehe das Problem der konkreten weiteren Schritte, so betont Maria Krautzberger, die Präsidentin des deutschen Umweltbundesamtes: „Das Ziel der EU-Kommission, dass bis zum Jahr 2030 weniger Kunststoffe in der Umwelt landen, ist zu begrüßen – ob es auch Realität wird, hängt aber sehr stark von der praktischen Umsetzung der Plastikstrategie ab. Und hier fehlen leider an vielen Stellen griffige Vorschläge.“ Natürlich kann am Start einer neuen Strategie nicht schon alles bis ins Detail ausdifferenziert sein, doch wer die EU-Prozesse kennt, der weiß, dass in den weiteren Diskussionen selten mehr Gehalt hineingepackt wird, sondern durch fadenscheinige ‚Kompromisse‘ auch der letzte brauchbare Kern dahinschmilzt.
Nachhaltigkeit und Ökologie stärken
Der Ansatz der EU-Kommission, bei Kunststoffen auf Vermeidung, Recycling und eine Kreislaufwirtschaft zu setzen ist richtig, aber die Abstimmung mit den Mitgliedsstaaten und deren Parlamenten darf nicht zu einer jahrelangen Prozedur werden. Wir Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch darauf, dass bei – reichlich spät – erkannten Problemen auch konkrete Handlungen folgen. Nachhaltigkeit und Ökologie müssen einen höheren Stellenwert bekommen – und dies auf allen Politikfeldern, so z.B. auch bei der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Auch wenn die Vermüllung der Weltmeere als auslösender Impuls genannt wird, leere Plastikflaschen und Einwegverpackungen entlang unserer Straßen und in der freien Natur sind nicht weniger störend und gefährlich.
Wichtig ist nun aber auch eine konsequente Umsetzung innerhalb der EU und eine Unterstützung anderer Weltregionen bei der Reduzierung des Plastikmülls in Flüssen, Seen und Meeren. „Mit neuen Vorschriften über Hafenauffangeinrichtungen werden Meeresabfälle aus Quellen auf See bekämpft. Maßnahmen sollen sicherstellen, dass auf Schiffen anfallende oder auf See gesammelte Abfälle nicht zurückgelassen, sondern an Land zurückgebracht und dort ordnungsgemäß bewirtschaftet werden“, verlautbart die EU. Eigentlich frage ich mich schon, warum dies nicht längst in Angriff genommen wurde. Mit der Kunststoffstrategie versucht die EU-Kommission den Eindruck zu erwecken, sie sei an der Spitze der Entwicklung, doch in Wahrheit arbeitet sie nur Fragen auf, die sich seit Jahren stellen – und denen sich leider auch die Einzelstaaten nur unzureichend angenommen haben.
Information und Aufklärung über die Umweltprobleme müssen ebenfalls intensiviert werden, doch für die ganz verstockten Umweltsünder müssen auch drakonische (Geld-) Strafen als letztes Erziehungsmittel vorgesehen werden. Es ist ja keine Dauerlösung, dass freiwillige Helferinnen und Helfer den Müll anderer Menschen an Stränden oder in Wald und Flur aufsammeln und zusätzliche Müllsammlungen von der Allgemeinheit finanziert werden. Auch in diesen Aspekten ist die Kunststoffstrategie der EU eher zurückhaltend: Besteuerungsmöglichkeiten werden erwogen, um den Verbrauch an Plastikprodukten zu reduzieren bzw. deren Entsorgung finanzieren zu können. Umweltbewusstsein zu fördern, dies ist die eine Seite der Medaille, doch wir müssen auch die mit Strafen belegen, die sich völlig uneinsichtig zeigen.
Plastiktüten – wie dies bereits praktiziert wird – müssen etwas kosten, das Pfand auf Flaschen und Dosen muss erhöht werden, damit der Anreiz, sie zurückzubringen, steigt oder sich das Aufsammeln lohnt. Coffee-to-go-Becher und Fastfood-Verpackungen sind ebenfalls mit einem Pfand oder einem ‚Müll-Kostenbeitrag‘ zu belegen, denn manche Zeitgenossen werden bedauerlicherweise nur mit der Geld-Keule auf den Pfad der Tugend geführt. Wer die Kreislaufwirtschaft voranbringen möchte, der muss auch die Entwicklung und die breite Markteinführung neuer Werkstoffe und Technologien umfassender fördern – auch dies ist eine Aufgabe für EU und die Einzelstaaten.
Die Diskussion um Wattestäbchen und Trinkhalme darf nicht dazu führen, dass die wahre – erschreckende – Dimension der Vermüllung der Weltmeere verdeckt wird. Die Kunststoffstrategie der EU bietet Ansätze zur Reduktion von Einmal-Produkten aus Plastik, und die Hinwendung zur Kreislaufwirtschaft ist richtig, doch jetzt müssen schnell auch durchgreifende Maßnahmen folgen.
4 Antworten auf „Der Trinkhalm als letzter Strohhalm der EU-Umweltpolitik?“