Den Vögeln fehlen Insekten und Regenwürmer
In Dürrezeiten suchen Vögel oft vergeblich nach Wasser, und seit Jahrzehnten werden sie bereits weniger, weil sich Insekten und Regenwürmer rargemacht haben. Immer häufiger bleibt daher der Schnabel leer. In einer ausgeräumten Agrarlandschaft, aber auch in urbanen Betonwüsten fehlt den gefiederten Freunden nicht nur die Nahrung, sondern es mangelt gleichfalls an Nistplätzen. Es ist nicht sonderlich verwunderlich, dass Singvögel heute viel seltener ihre Stimmen erklingen lassen. Wir müssen bei Insekten von einem Rückgang um die 75 % ausgehen. So mancher Altvogel mag sich mit Sämereien, wenn er sie denn findet, oder einem Meisenknödel durchschlagen, doch der Hunger der Küken kann im Regelfall nur mit Insekten, Spinnen, Raupen oder einem Würmchen gestillt werden. Und an all diesen Futtertieren fehlt es zunehmend in Stadt und Land. Fast zwangsläufig werden daher frühere Allerweltsvögel wie der Star oder der Spatz seltener, wobei es nur ein kleiner Trost ist, wenn dank intensiver Schutzmaßnahmen Seeadler oder Kranich zugenommen haben. In der Agrarlandschaft haben die Vögel seit 1980 um 34 % abgenommen, allein diese Zahl müsste die Alarmglocken zum Klingen bringen.
Es wird leise in der Natur
Das Insektensterben, aber auch der Rückgang an Regenwürmern und das Dahinsiechen der Vögel hat mit unserer Landnutzung zu tun, das steht nach zahllosen Studien außer Frage. Trotzdem fordert der Deutsche Bauernverband aus taktischen Gründen immer noch eine weitere Untersuchung, obwohl sich längst nicht mehr leugnen lässt, dass die intensive Landwirtschaft Insekten und Vögeln den Garaus macht. Schuld daran trägt nicht der einzelne Bauer, sondern eine völlig falsche Agrarpolitik der Europäischen Union. Ständig höhere Erträge lassen sich aus den Acker- und Grünlandflächen nur herauspressen, wenn mit Pestiziden und Düngemitteln die Produktion gesteigert wird, selbst wenn dies den Böden und der Natur insgesamt schwere Schäden zufügt. Die Massentierhaltung ist der nächste Sargnagel für die Umwelt, denn zum Leid der so gehaltenen Rinder, Schweine und Hühner kommt die Gülleflut, die die Artenvielfalt killt und das Trinkwasser mit Nitrat verseucht. Wo einst der Star und andere Vögel an einem Kuhfladen die Mücken wegfingen und an ihre Jungen verfüttern konnten, da schwemmt heute die Gülle die letzten Insekten in den Tod.
„Der Anteil von Vogelarten mit abnehmenden Bestandstrends beträgt während des Zeitraumes von 36 Jahren 16 %, und liegt über den Zeitraum von 12 Jahren mit 33 % auch bei den überwinternden Vogelarten deutlich höher“, so der Vogelschutzbericht 2019, den die Bundesregierung an die EU übermittelte. Nicht nur den bei uns überwinternden Vogelarten geht es schlecht, sondern ebenfalls den Zugvögeln. Beispielsweise verzeichneten von 1980 bis 2016 die Rauchschwalben ein Minus von 26 %, die Mehlschwaben sogar von 44 %. Die Uferschwalben haben um 18 % abgenommen, die Mauersegler um 30 bis 40 %. Dies ist ein erschreckender Trend. Den Schwalben fehlen nicht nur die Fluginsekten als Nahrung, sondern hermetisch verschlossene Massenställe bieten vor allem den Rauchschwalben keine Möglichkeit mehr zum Nestbau im Gebäude. Und wer als Vogel ein Nest aus Lehm bauen möchte, der muss oft weit – zu weit – fliegen, denn selbst landwirtschaftlich genutzte Wege sind asphaltiert, lehmige Pfützen Mangelware. Auch die Stare, ehemalige ‚Allerweltsvögel‘, haben zwischen 1980 und 2016 um rd. 55 % abgenommen! Als Zugvögel setzen ihnen die Gefahren auf dem Flug in den Süden und zurück zu, wo noch immer Jäger mit Schrotgewehren, Netzen oder Leimruten auf sie lauern. Es ist kein Wunder, dass zahllose Vogelstimmen verstummt sind.
Verarmung in der Feldflur
Die im Juni 2021 veröffentlichte ‚Rote Liste der Brutvögel Deutschlands‘ zeigt gleichfalls ein düsteres Bild: „Rund 43 Prozent der 259 regelmäßig in Deutschland brütenden einheimischen Vogelarten wurden in eine der Gefährdungskategorien der neuen Roten Liste eingestuft, inklusive der in Deutschland ausgestorbenen Brutvogelarten. Somit gilt fast jede zweite Brutvogelart als bedroht. Besonders in der höchsten Gefährdungskategorie ‚Vom Aussterben bedroht‘ kam es zu einem deutlichen Anstieg.“ Den Vögeln nutzt es wenig, wenn sie in die Rote Liste aufgenommen werden, Politik und Gesellschaft aber nichts unternehmen, um deren Lage zu verbessern. Allgemeines Palaver und Sonntagsreden schaffen weder Futter für die Vögel noch Nistplätze.
Die größte Bedrohung für die Vögel ist der Insektenschwund und der daraus resultierende Nahrungsmangel, und dies ist eine Folge der Verarmung der Feldflur: Flurbereinigungen haben über Jahrzehnte für größere in sich geschlossene Anbauflächen gesorgt, in denen Hecken, Steinmauern, Tümpel und Gebüschinseln oder Altholzbestände beseitigt wurden. Was im Weg lag, das walzten die Planierraupen nieder, und Pflüge greifen bis heute zu tief in die Böden ein. Wo finden hier Vögel noch Deckung oder einen Nistplatz? Die Intensivierung der Landwirtschaft hat zum Einsatz eines breiten Arsenals an Insektiziden und Herbiziden geführt, der nicht nur zu einer dramatischen Verringerung der Insekten, sondern auch der Ackerkräuter geführt hat. Folglich fehlen nicht nur Kerbtiere, sondern in gleichem Maße Sämereien als Nahrung für die Vögel. „Die Lage in der Agrarlandschaft bleibt alarmierend“, schreibt das Bundesamt für Naturschutz. „So nahmen die Bestände von Rebhuhn und Kiebitz über 24 Jahre um fast 90 % ab. Ähnlich dramatisch ist die Entwicklung bei den Feuchtwiesenarten Uferschnepfe und Bekassine sowie dem Braunkehlchen. Einige Arten der Agrarlandschaft sind mittlerweile so selten, dass sie in immer größeren Bereichen unserer Landschaft fehlen, wie z.B. die Turteltaube. Selbst die Feldlerche zeigt inzwischen größere Verbreitungslücken.“ Nicht nur manche Vögel haben sich zur Landflucht entschlossen, sondern auch Igel, Eichhörnchen und Feldhasen sind in städtische Gebiete gezogen. Schottergärten und vom Mähroboter kurzgeschnittener Rasen, Asphalt- und Betonflächen, die Zerstörung von Alleen und jährliche Massaker an Büschen haben im urbanen Raum die Lebensgrundlage für viele Vogelarten ebenfalls verschlechtert.
Sogar Regenwürmer fehlen
Hunger, Durst und Wohnungsnot, so lässt sich das Schicksal vieler Vögel charakterisieren, worauf ich in meinem Blog bereits mehrfach eingegangen bin. Kein Wunder, dass die gefiederten Sänger weniger werden. Darüber kann auch nicht hinwegtäuschen, dass bei einzelnen Vogelarten – wie Fischadler, Kranich oder Uhu – eine Zunahme der Bestände zu verzeichnen ist, doch dies gelang nur durch besondere regional greifende Schutzmaßnahmen, die sich für Vögel wie Blaumeisen, Sperling, Wintergoldhähnchen, Grünfink oder Kleiber natürlich nicht realisieren lassen. Über einen Rückgang der Vogelpopulation in der EU und des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland um 600 Millionen Exemplare berichten die Autoren einer Studie im Auftrag von BirdLife International, deren deutscher Partner der NABU ist, der britischen Vogelschutzorganisation Royal Society for the Protection of Birds (RSPB) und der Tschechischen Gesellschaft für Ornithologie, die den Zeitraum von 1980 bis 2017 abdeckt. Diese Zahl entspricht einer Abnahme der Vogelpopulation um 17 bis 19 %. Rund jeder sechste Vogel fehlt daher in Europa! Einzelne Arten hat es besonders hart getroffen: Der Haussperling hat 247 Millionen Tiere verloren, und vom Star sind 75 Millionen Individuen weniger in den europäischen Landschaften unterwegs. Sperlinge haben nicht nur auf Agrarflächen stark abgenommen, sondern sie verlieren auch im urbanen Umfeld an Boden.
Der Regenwurm ist im Grunde ein Tausendsassa, denn er lockert nicht nur den Boden auf, sondern sorgt mit seinen Ausscheidungen für Dünger und seine Gänge tragen dazu bei, dass das Regenwasser besser gebunden werden kann. Dies hilft den Böden, den darauf wachsenden Pflanzen und dem Hochwasserschutz. Rd. 120 Regenwürmer kriechen – so der WWF – pro Quadratmeter durch einen intakten Ackerboden und verspeisen „im Laufe eines Winterhalbjahres von einer Fläche von 100×100 Metern (also einem Hektar) die gewaltige Menge von 6 Tonnen Stroh. Und in derselben Zeit bedecken sie den Boden einen Zentimeter dick mit frischen und stabilen Krümeln.“ Fehlen die Regenwürmer als Helfer in Landwirtschaft und Gärten, dann muss zusätzlich vermehrt Kunstdünger oder Gülle eingesetzt werden, und damit dreht sich der Kreislauf des Würmer-Schwunds noch schneller, verbunden mit all den anderen Problemen, die der Einsatz von Pestiziden und Überdüngung mit sich bringt. Und werden Pilzkrankheiten nicht durch das Wirken des Regenwurms zurückgedrängt, kommen vermehrt Fungizide zum Einsatz, die wiederum der Natur schaden.
Ökologische Neuorientierung ist zwingend
Der ‚rege Wurm‘ ist immer seltener in den Böden unterwegs, und die Schuld trägt der Mensch mit seinen Handlungen. Abgeräumte Gemüsebeete und Ackerflächen, deren braune Erde vielleicht das Herz mancher Landwirte und Kleingärtner im Winterhalbjahr erfreut, bedeuten den Tod vieler Regenwürmer, weil sie keine Nahrung finden. Wenn jedem Unkräutlein, das sich zeigt, mit Glyphosat der Garaus gemacht wird, wenn Zwischenfrüchte auf dem Acker fehlen, und der letzte Halm in die Biogasanlage wandert, dann ist der Tisch für den Regenwurm nicht mehr reichlich gedeckt und es droht ihm der Hungertod. Auch in einer Fichtenkultur, die keinen grünen Unterwuchs zulässt, ist für den Regenwurm Schmalhans Küchenmeister. Manche schön gefegte Parkanlage oder gar noch Schottergärten machen dem Regenwurm das Leben schwer oder gar unmöglich. Der zunehmende herbstliche Einsatz des Laubsaugers, nicht nur an innerstädtischen Straßen oder auf Fahrradwegen, sondern selbst im kleinen Privatgarten vernichtet eine wichtige Nahrungsgrundlage des Regenwurms: Laub. Die Gülleflut verunreinigt unser Trinkwasser und sie schadet den Regenwürmern erheblich: Die Gülle setzt Ammoniak frei, der den Würmern die Haut verätzt.
Eine Amsel mit einem Regenwurm im Schnabel auf dem Weg zu ihrem Nest oder ihren Ästlingen, eine Meise mit einer kleinen Raupe oder eine Bachstelze mit einem Insekt sind schöne Augenblicke, denn sie machen Hoffnung, dass die Küken durchkommen und eine neue Generation gefiederter Mitbewohner zumindest über die Runden kommt. Aber diese kurzen Augenblicke müssen Ansporn sein, politische Veränderungen durchzusetzen. Wenn wir einen weiteren Vogelschwund verhindern wollen, müssen wir die Nutzung unserer Landschaft umfassend verändern. Ständige Intensivierung und immer größere Flächen und Stallungen müssen durch Nachhaltigkeit ersetzt werden. Die von der EU weiter mit Subventionen geförderte großflächige Agrarproduktion muss in eine ökologische Landwirtschaft übergeführt werden, wo Wildbienen und Schmetterlinge, aber auch Käfer, Spinnen, Gliederfüßler und Raupen ihren Platz haben. Wer bis zum Feldweg pflügt, mit Herbiziden Ackerkräuter vernichtet und die Gülle zur Flutwelle anwachsen lässt, der muss sich nicht wundern, wenn Insekten und Vögel keine Heimat mehr finden. Die zaghaften Versuche der EU, in Bund und Land den Einsatz der chemischen Keule zu reduzieren, konnten die negative Entwicklung bei der Artenvielfalt bisher nicht stoppen.
Völlig abwegig ist es, wenn nun der Ukrainekrieg genutzt wird, um ökologische Verbesserungen wieder einmal zu verschieben. So will die EU-Kommission die Vorgaben zur Fruchtfolge und zu Flächenstilllegungen aussetzen – womöglich auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben. Es wird sich natürlich fortwährend eine Krise finden lassen, um die Ökologie zur Seite zu schieben und Blühstreifen umzupflügen. Vögel und Insekten können nicht länger warten, sie brauchen unsere Hilfe – jetzt! Wenn die Schnäbel der Vögel nicht immer häufiger leer bleiben sollen, dann müssen wir die Landnutzung ändern. In Stadt und Land muss mehr Rücksicht auf die Natur genommen werden, ansonsten sterben Vögel und Insekten und das Artensterben setzt sich in dramatischer Weise fort. Die EU und die Mitgliedsstaaten dürfen nicht länger über einen ‚Green Deal‘ palavern, der sich bisher als Flop zeigt, sondern müssen im Interesse aller Menschen die Natur und damit auch die Vögel schützen.
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Wann haben Sie zuletzt eine Goldammer gesehen? Ich finde, sie ist immer seltener an Feldrändern, auf Waldlichtungen oder auf Obstwiesen zu sehen. Kein Wunder, denn der Bestandstrend der Goldammer ist laut des neuesten Vogelschutzberichts der Bundesregierung aus dem Jahr 2019 abnehmend, von 2004 bis 2016 um ca. 18 %. Im Grunde ist dies keine unerwartete Entwicklung, denn wo gibt es noch Feldraine, die Futter und einen Nistplatz bieten? (Bild: Ulsamer)