Der Choreograph und sein Hundekot

Marco Goeckes Attacke auf eine Ballettkritikerin ist entwürdigend

So manche Kritik zu meinen Büchern oder Beiträgen in Zeitungen haben mich nicht erfreut, nicht selten fühlte ich mich auch ungerecht behandelt. Aber so ist das Leben, wenn man sich mit einem Werk in die Öffentlichkeit begibt. Dies scheint der Choreograph Marco Goecke allerdings anders zu sehen, der sich nicht verbal oder publizistisch wehrte, sondern der FAZ-Ballettkritikerin Wiebke Hüster den Kot seines Dackels ins Gesicht schmierte. Zwischen Künstler und Kritikerin mag sich über die Jahre ein Spannungsfeld aufgebaut haben, doch wer wie Marco Goecke handelt, begibt sich selbst ins gesellschaftliche Abseits. Die mühsamen Versuche mancher Zeitgenossen, ‚feinsinnig‘ zwischen Goeckes üblem Angriff auf eine Journalistin und seinem künstlerischen Schaffen zu unterscheiden, führen in die Irre. Wer Hundekot für ein Argument hält, der verlässt den Diskurs in einer freiheitlichen Gesellschaft und diskreditiert sein choreographisches Wirken. Es kann und darf nicht sein, dass Goecke weiter in Institutionen arbeitet, die mit Steuergeldern bezuschusst werden. Hundekot ins Gesicht einer Kritikerin oder jedes anderen Menschen zu schmieren – das geht gar nicht und die Reaktion muss über die Entlassung als Ballettdirektor der Staatsoper Hannover hinausgehen.

Grüner Behälter für Hundekotbeutel mit einem schwarzen Hundegesicht auf gelbem Untergrund. Aufschrift "belloo".
Wer bringt eigentlich den Kot seines Hundes mit ins Theater, wenn, ja wenn er nicht bestimmte Absichten verfolgt? In Hannover dürfte es auch entsprechende Abfalleimer geben. (Bild: Ulsamer)

Ungeliebte Kulturkritik

“Wir hätten Dir Hausverbot erteilen lassen sollen, weil Du immer so schlimme, persönliche Dinge über mich schreibst“, schleuderte Marco Goecke wohl der FAZ-Kulturkritikerin Wiebke Hüster entgegen, ehe er einen Beutel mit dem Kot seines Dackels aus der Tasche zog, um diesen mit der offenen Seite der Journalistin ins Gesicht zu drücken und den Inhalt zu verschmieren. Wer so handelt, kann nicht mit Nachsicht rechnen, und eine laue Entschuldigung schafft die indiskutable Aktion auch nicht aus der Welt. Im Grunde hat Goecke nur das handgreiflich vollzogen, was die Intendantin des Hamburger Schauspielhauses über die Kulturkritik sagte, die sie für überflüssig hält. Für Karin Baier ist die Kulturkritik „Scheiße am Ärmel der Kunst“ – wie sie im Deutschlandradio betonte. Ein Teil der sogenannten Kulturschaffenden scheint sich als Herrscherinnen und Herrscher in einer Feudalgesellschaft zu fühlen, in der sie tun und lassen können, was ihnen vorschwebt, und wer Kritik äußert, der bekommt seine Portion Hundekot ab oder wird schon mal von einem Bierglas getroffen. Letzteres berichtete Christine Dössel in der Süddeutschen Zeitung über ihre Erlebnisse als Theaterkritikerin. „Zwar bin ich, wie es einem Kollegen schon passiert ist, noch nie geschlagen worden. Aber als sich bei einer öffentlichen Premierenfeier im Schmuckhof des Münchner Residenztheaters der Intendant Martin Kušej schrankbreit vor mir aufpflanzte, um mich als ‚nicht erwünscht‘ des Ortes zu verweisen, da fühlte es sich fast so an. Jahre zuvor, noch unter Dieter Dorn, war am gleichen Ort ein Weißbierglas von der Terrasse auf mich heruntergefallen, verletzte mich gottlob aber nur am Arm. Als ich später erfuhr, dass ein Schauspieler das Glas mit Absicht auf mich geschmissen hatte, habe ich kurz mal geweint.“

Schwarzer zugeknoteter Hundekotbeutel am Scheibenwischer des rückwärtigen Fenster eines weißen Pkw.
Hundekotbeutel am Scheibenwischer: Der üble Scherz eines unfreundlichen Zeitgenossen oder ein Wurfgeschoss für die nächste Attacke? (Bild: Ulsamer)

Selbstgefälligkeit und Selbstherrlichkeit haben sich bei einigen Kulturschaffenden wohl zu einer unguten Melange verbunden. Ganz zu vergessen scheinen manche Damen und Herren oder eines anderen Geschlechts der Kulturschickeria, dass sie in subventionierten Häusern arbeiten. Der Steuerzahler als Geldgeber sollte sich nicht ins künstlerische Schaffen einmischen, und die Kunstfreiheit ist grundgesetzlich geschützt, aber zivilisatorische Mindestmaßstäbe müssen gerade auch in den Theatern unseres Landes gelten. Wenig hilfreich waren Goeckes Versuche, seine nicht zu tolerierende Hundekot-Attacke zu rechtfertigen, denn Hüster habe „schlimme, persönliche“ Kritiken geschrieben. „Ich habe das noch einmal im Archiv recherchiert: In einem Zeitraum von 17 Jahren habe ich neun Mal in der ‚FAZ‘ über Stücke von Marco Goecke geschrieben“, so Wiebke Hüster. „Von diesen neun Kritiken waren zwei überschwänglich positiv. Da kann man nicht sagen, dass ich ihn in einem Zeitraum von 17 Jahren mit negativen Berichterstattungen verfolgen würde. Das ist eine Legende.“ Gewiss hat Hüsters jüngster Artikel über Goeckes Arbeit mit dem Nederlands Dans Theater dem Choreographen nicht gefallen, doch Kritik gehört zu einer freien Gesellschaft: „Bloß wirkt das Stück so, als wären dem hinter der Scheibe sitzenden Meeresbeobachter die Trolle durch seine Aufzeichnungen geritten und hätten Goecke die zerfetzten Fragmente hinterlassen mit der Drohung, sie ja nicht sinnvoll in eine Reihenfolge zu bringen. Man wird beim Zuschauen abwechselnd irre und von Langeweile umgebracht.“ Doch Hüster fand auch positive Ansätze: „Zugegeben, Marco Goeckes Bewegungssprache hat sich in den vergangenen Jahren erweitert, das krass getaktete, wie abgeklemmte Tanzen, die Gänge, bei denen die Arme an den Körper geklebt sind wie eingezogene Hundeschwänze, die sprechenden, fuchtelnden, aberwitzigen oder tragischen Soli, die zusammenklatschenden Bäuche der Duettierenden, all das ist toll.“ Und da taucht das Wort „Hundeschwänze“ auf: Hatte sich Goecke schon vorbeugend mal mit dem Hundekot bewaffnet? Denn wer nimmt schon Hundekot mit ins Theater? Kritik mag auch scharf sein, doch der Griff zum Hundekotbeutel geht allemal nicht. Oder fühlte er sich von Goethe angeregt, der 1774 in seinem Gedicht ‚Rezensent‘ schrieb: „Schlagt ihn tot, den Hund! Es ist ein Rezensent.“ Nun gut, Johann Wolfgang von Goethe hätte sicherlich nicht zugeschlagen und gewiss keinen Hundekot ins Theater mitgebracht. Marcel Reich-Ranicki schreibt dazu: „Der Dramatiker Heinrich Leopold Wagner, den vor allem die Tragödie ‚Die Kindermörderin‘ bekannt gemacht hat, publizierte ein Gegengedicht, das mit den Worten endet: ‚Schmeißt ihn todt, den Hund.‘“

Lila Beutel mit Hundekot am Sandstrand. Eine Neblkrähe steht daneben.
Hundekotbeutel am Strand! Da rümpft diese Krähe dann doch die Nase. Aber die volle Tüte auch noch ins Theater mitnehmen? (Bild: Ulsamer)

Angriff auf Pressefreiheit

Diese bedrückende und bewusst entwürdigende Attacke mit Hundekot auf Wiebke Hüster ist auch ein Angriff auf die Pressefreiheit. Die Intendantin Laura Berman versuchte in Hannover eher, sich in den Täter einzufühlen, als klare Worte zur Bedeutung der Tat zu finden. „Wer wie Laura Berman nicht fähig ist, in dem Angriff auf die FAZ-Kritikerin eine Attacke auf die Pressefreiheit zu sehen, hat offenbar nicht verstanden, was am Samstag in der Staatsoper passiert ist. Journalist*innen leben wie Künstler*innen von der Meinungsfreiheit, wer darauf mit Gewalt reagiert verlässt den demokratischen Konsens“, betont Dr. Frank Rieger, Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbands in Niedersachsen. Selbst die American Theatre Critics Association (ATCA) befasste sich mit dem Vorfall: „A critic should be able to do her job without the fear of physical altercation, and artists working at the highest levels of their profession should understand and respect the role of the critic within the ecosystem of the performing arts.“ Ja, jede Kritikerin und jeder Kritiker sollte seinen Beruf ohne Angst vor körperlichen Angriffen ausüben können. Dem ist im Grunde nichts hinzuzufügen, wären da nicht die Versuche, abzuwiegeln.

Wegen Corona mit einem rot-weißen Band abgesperrter Sportplatz. Vorne im Bild ein roter Hundekotbeutel.
Hoffentlich macht Marco Goeckes Attacke nicht auch in anderen Lebensbereichen Schule! (Bild: Ulsamer)

Marco Goecke hat intensive Verbindungen nach Stuttgart, wo er lange Jahre für das Ballett am Staatstheater arbeitete. „Hier war er von 2005 bis 2017 Hauschoreograf. Seit 2018 arbeitet Goecke regelmäßig mit der Stuttgarter Tanzcompagnie von Eric Gauthier zusammen.“ Laut SWR betonte Gauthier Dance zum Angriff auf die Kulturkritikerin: „Die Tat steht allerdings aus jetziger Sicht nicht im Zusammenhang mit Marco Goeckes Arbeit als ‘artist in residence’ im Theaterhaus Stuttgart.” Da mag ich nun wirklich nicht folgen, schon gar nicht, wenn diese Balletttruppe jährlich vier Millionen Euro an öffentlichen Geldern von Stadt und Land vereinnahmt. Wo Goecke die FAZ-Ballettkritikerin attackierte, das ist ja wohl gleichgültig: Selbstverständlich muss die Zusammenarbeit beendet werden! Später wurde nachgeschoben, der Vertrag ende ohnehin in diesem Sommer. Es wäre Gauthier Dance gut angestanden, die Kooperation sofort zu beenden! Auch im Stuttgarter Kunstministerium drückte man sich um klare Aussagen: „Wir befürworten ausdrücklich, dass diese (Gauthier Dance, Anm. d. Red.) das Gespräch mit Marco Goecke suchen werden. Wir sind darüber hinaus der Auffassung, dass das bereits bestehende choreographische Werk von Marco Goecke aufgrund seiner Tat nicht zur Disposition gestellt werden sollte.“ Welche Art Gespräch soll mit Goecke wohl geführt werden? Solche Floskeln tun dem freien Diskurs in unserer Gesellschaft nicht gut. Wie wäre wohl die Antwort des baden-württembergischen Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst ausgefallen, wenn Goecke den Hundekot nicht im Gesicht von Wiebke Hüster, sondern im Gesicht der grünen Ministerin Petra Olschowski platziert hätte?

Zwei gelbe Hundekotbeutel liegen auf einer Düne zwischen grünen Gräsern.
Nach eigenen Angaben kamen Marco Goecke Inspirationen für seine Choreographie ‚In the Dutch Mountains‘ beim Blick aufs Meer. Ich schaue auch gerne aufs Meer, die auflaufenden Wellen, die Weite des Ozeans, doch mir kommen da durchaus andere Gedanken. Vielleicht hat der Choreograph auch zu viele Hundekotbeutel am Strand gesehen? Ein Interview mit Goecke und Tanzszenen aus ‚In the Dutch Mountains‘ finden Sie hier. (Bild: Ulsamer)

Selbstredend dürfen die an den einzelnen Produktionen beteiligten Tänzerinnen und Tänzer nicht durch eine Absetzung seiner Choreographien in Sippenhaftung genommen werden, wenn der Choreograph eine Kulturkritikerin mit Hundekot angreift. Doch die Zusammenarbeit mit Marco Goecke muss zumindest von allen Theatern oder anderen Institutionen beendet werden, die mit öffentlichen Mitteln gefördert werden. Eine entwürdigende Attacke mit Hundekot auf eine Kulturkritikerin ist ein Angriff auf die Pressefreiheit und auf die Umgangsregeln in unserer Gesellschaft.

 

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Rund um einen Holzmasten liegen zahlreiche Hundekotbeutel mit Inhalt. Schwarz, gelb, rot, grün sind die Farben.Nur gut, dass Marco Goecke nicht an diesem Depot von Hundekotbeuteln vorbeikam. Wer weiß, was dann passiert wäre! Der Choreograph hätte jeden ‚bedienen‘ können, der nicht artig Beifall klatscht. Diese merkwürdige Art der Entsorgung habe ich im Nationalpark Harz aufgenommen. (Bild: Ulsamer)

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