Wundersame Vermehrung von Biotopbäumen?
Biotopbäume sind wichtig für den Schutz der Artenvielfalt im Wald und ebenso in Forstplantagen, wenn sich dort solche finden lassen. Als wir eine kleine Wanderung durch den Wald bei Esslingen am Neckar unternahmen, fanden wir mehrere Plaketten mit der Bezeichnung „Biotopbaum“ und dem Zusatz „PEFC“. Nur merkwürdig, dass sich nicht eines der Schildchen an einem stehenden Baum finden ließ! Zersägt lagen die Baumstämme am Boden, und ihr Schicksal hatte sie wohl mit der Säge und nicht durch Windbruch oder ihr schieres Alter ereilt. Die Stammabschnitte sahen noch so gut aus, dass sie kaum den Kriterien für Biotopbäume entsprechen: Faulstellen, Mulm- oder Spechthöhlen, sich lösende Rinde, tiefe Stammrisse oder Narben eines Blitzeinschlags – Fehlanzeige! Uraltbäume waren sie allemal nicht. Diese Kriterien nennt u. a. die Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft für Biotopbäume. Nun bin ich kein Förster, aber an den Baumresten konnte ich keine der genannten Merkmale finden.
Last Tree Falling
In den Vorgaben der Landesanstalt aus Bayern steht: „Es werden ausschließlich lebende Bäume als Biotopbäume erfasst.“ Ganz ohne forstliche Fachkenntnisse kann ich sagen: Abgesägte und in Abschnitte zerteilte Bäume leben nicht mehr! Ich habe den Eindruck, dass mit der Säge aus einem Biotopbaum gleich mehrere werden: eine wundersame ‚Zellteilung‘, eine Vermehrung, die der Statistik dienen könnte! Und so trägt ein am Boden liegender Stamm nicht nur die Plakette „Biotopbaum“, sondern an der Schnittstelle noch ein Schildchen „Totholz“. Das klingt ja noch besser: Biotopbaum und Totholz, da muss ein einziger Stamm gleich mehrfach in Sachen Ökologie herhalten. Natürlich ist der Übergang vom Baum zum Totholz immer fließend, doch wenn ein Baumstamm, der am Wegesrand liegt, gleich beides ist, dann liegt – im wahrsten Sinne des Wortes – der Verdacht nahe, dass der frühere Baum gleich zweimal zählt.
In der PEFC-Internet-Präsentation wird gerade die Biotopbaum-Plakette an die Borke gehämmert, und dieser Baum steht noch. Wir „Verbraucher“ werden aufgefordert: „Mache Dich auf die Suche nach unserer grünen Plakette mit einem Specht drauf!“ Ganz ohne eine solche Aufforderung, die ich erst nach der Rückkehr gelesen habe, fielen uns die Plaketten auf. Aber unser Eindruck war ernüchternd bis erschreckend. „Ein Baum mit dieser PEFC-Markierung weist auf einen für die tierischen und pflanzlichen Waldbewohner besonders wertvollen Baum hin.“ Das wäre mir jetzt bei den Stammteilen nicht so direkt in den Sinn gekommen! Und die niedergestreckten Bäume sind sicherlich tot, doch sie werden mangels Höhlen, tiefen ‚Schürfwunden‘ usw. noch lange Jahre brauchen, ehe sie für tierische Waldbewohner interessant sind. Asseln oder Ameisen haben z. B. durchaus andere Vorstelllungen von vermoderndem Totholz. Und bei PEFC heißt es weiter: „Wir machen so darauf aufmerksam, dass dieser Baum ein unverzichtbarer Teil des Ökosystems Wald ist.“ Leicht skurril, so ein Satz, wenn ich einen sauber abgesägten Stamm unmittelbar am Wegesrand liegen sehe. Da liegt er nun „Mein Freund der Baum“, den Alexandra 1968 besang: „Mein Freund der Baum ist tot / Er fiel im frühen Morgenrot“.
Nachhaltigkeit wurde im Wald erfunden
„Alt- und Totholz lassen wir mit Absicht liegen oder stehen. Hohltaube, Fledermaus und Kauz sind auf alte Höhlenbäume angewiesen, ebenso wie Flechten, Moose, Pilze und Farne“, so nochmals PEFC. Da kann ich nur zustimmen. Aber die Stammreste mit den Biotopbaum-Plaketten, die wir im Esslinger Wald gesehen haben, passen nicht so ganz zu dieser Aufzählung tierischer Mietinteressenten. „Im PEFC-Wald unterstützen wir einen natürlichen Ausgleich von Werden und Vergehen.“ Ein hehrer Anspruch und eine richtige Zielvorgabe, doch wenn ich durch so manchen Wald gehe, der durch entsprechende Schilder gekennzeichnet ist, kommen mir erhebliche Zweifel. Ich halte Zertifizierungsprogramme wie das „Programme for the Endorsement of Forest Certification Schemes“, so PEFC in Langfassung, für wichtig, gerade für uns Verbraucher und Waldbesucher. Die Realität in Wald und Forst muss sich aber auch an den Vorgaben messen lassen.
Ökologie und Nachhaltigkeit benötigen in all unseren Entscheidungen einen höheren Stellenwert, besonders beim Einkaufen von Produkten aus Holz, dazuhin natürlich in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt. Und die Nachhaltigkeit, die heute fast in aller Munde ist, wurde ganz passend vom sächsischen Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz in seinem 1713 veröffentlichten Buch „Sylvicultura oeconomica“ thematisiert. Der damalige Raubbau am Wald sollte durch ein „nachhaltendes“ Wirtschaften abgelöst werden. Er forderte dazu auf „eine sothane Conservation und Anbau des Holtzes anzustellen / daß es eine continuierliche beständige und nachhaltende Nutzung gebe“. Ein Grundgedanke, der bis heute seine Gültigkeit behalten hat. Auf die Situation des Waldes bin ich bereits mehrfach in meinem Blog eingegangen, so z. B. in: Ausverkauf im deutschen Wald? Wenn das Holz gen China und USA schippert. Daher an dieser Stelle nur einige kure Sätze. Die Ausverkaufsstimmung im deutschen Wald muss ein Ende haben! Die Wälder brauchen Zeit und Ruhe zur Regeneration, und der Forst mit Monokulturen muss sich wieder zum Mischwald wandeln. Eine Vorgabe, die auch PEFC vertritt. Sukzession, das natürliche Nachwachsen der Wälder, ist der richtige Weg und nicht die Aufforstung – gar noch mit regionsfremden Bäumen. Weniger Einschlag und eine Reduktion des Holzexports sind unerlässlich, denn unsere Wälder sind keine industrielle Forstfabrik: Welchen Sinn macht es, wenn Politiker die Bedeutung des Waldes u.a. als CO2-Senke in Sonntagsreden hervorheben, doch werktags machen Vollernter die Bäume platt? Der Schutz der Wälder muss in Deutschland – und weltweit – eine deutlich höhere Priorität als bisher bekommen. Auch beim notwendigen Ausbau der Windenergie müssen die Wälder – wo immer möglich – geschützt werden!
Vorgaben überprüfen
Zertifizierungen, die eine nachhaltige Forstwirtschaft garantieren und den Erhalt echter Wälder fördern, sind wichtig. Wenn ich mir dagegen den Zustand vieler Wälder – oder doch eher Forstplantagen – anschaue, scheint es mir an der konsequenten Umsetzung der Vorgaben zu mangeln. Dies sieht auch Greenpeace so: „Von dem weit verbreiteten PEFC-Siegel raten alle großen Umweltverbände ab: Hier hat sich die Wirtschaft im Wesentlichen selbst ein Gütesiegel verpasst, unabhängige Kontrollen zum Waldschutz gibt es nicht. Solche Industriezertifikate garantieren keine nachhaltige Waldwirtschaft“, betonte Christoph Thies. Der NABU stellt fest: Neben „den sehr anspruchsvollen Standards von Naturland und FSC (Forest Stewardship Council) gibt es auch das, aus Sicht des NABU, weniger anspruchsvolle Zertifikat von PEFC“. Wenn ich den Zustand des Waldes in Esslingen betrachte, in dem wir geradezu zwangsläufig über die am Boden liegenden Biotopbaumreste ‚stolpern‘ mussten, habe ich den Eindruck, dass beim PEFC-Siegel nachgeschärft werden sollte, ansonsten kann es nicht für eine nachhaltige Waldwirtschaft bürgen. Sehr zutreffend schreibt das Umweltbundesamt: „Bei Holzprodukten ist das PEFC-Siegel empfehlenswert, da es zu ökologischen Verbesserungen beim Anbau und beim Handel von Holz beiträgt. Das Umweltbundesamt kritisiert allerdings die nicht ausreichende Kontrolle der Einhaltung der Kriterien. Die Siegelvergabe erfolgt nur auf Basis einer Selbstauskunft, teilweise für ganze Waldregionen. Kontrollen erfolgen nur stichprobenartig.“
Es ist höchste Zeit, dass gerade auch die öffentlichen Waldbesitzer – Kommunen, Länder, Bund – stärker auf Ökologie und Nachhaltigkeit achten und den Forst nicht nur als Einnahmequelle sehen. Dies gilt gleichermaßen für private Waldbesitzer, denn Besitz fordert auch Verantwortung. Zerstückelte Baumstämme mit reichlich Biotopbaum-Plaketten sind nicht die Lösung des Problems, sondern nur ein Symbol für die Krise der Waldbewirtschaftung.
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Der Schutz der Wälder benötigt mehr politische und gesellschaftliche Unterstützung. Hier und da eine Plakette mit dem Hinweis „Biotopbaum“ reicht nicht aus. Und schon gar nicht, wenn der Baum zersägt am Wegesrand liegt. (Bild: Ulsamer)
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