Coronavirus 2: Zweibeinige Hamster sind unterwegs

Politikversagen im Bunde mit unsozialen Zeitgenossen

In Deutschland gibt es immer weniger vierbeinige Hamster, denn sie finden in unserer ausgeräumten Landschaft und auf intensiv genutzten Flächen mit Monokulturen kaum noch Lebensräume. Aber jetzt hat sich in unserem Land eine neue Spezies explosionsartig vermehrt: Der zweibeinige Hamster, der die Nahrung nicht für den nächsten Winter einträgt, sondern für die von ihm erwartete Katastrophe. Spezialisiert haben sich die menschlichen Hamsterkäufer in Corona-Tagen nicht nur auf Toilettenpapier und Küchenrollen, sondern jetzt auch auf Mehl, Tiefkühlkost, Gemüsekonserven und verpacktes Brot. Ich hoffe nur, dass die Hamsterkäufer alles brav aufessen, was sie nach Hause schleppen, befürchte aber, dass ein Gutteil der Lebensmittel irgendwann im Müll landet, wenn diese Zeitgenossen merken, es gibt ja doch noch frisches Brot und Gemüse. Andererseits haben politische Aussagen zu dieser Hamsterei  beigetragen: Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach im Fernsehen über die Lkw-Kolonnen, die sich an den teilweise geschlossenen Grenzen stauen, und schon am nächsten Morgen gingen viele Zeitgenossen wieder auf Hamsterfahrt.

Regal mit Schild "Küchentücher" ist leer.
Küchentücher und Toilettenpapier werden während der Corona-Pandemie zum Renner. Und manche Regale sehen aus wie in der sozialistischen DDR-Planwirtschaft oder in England während der 1970er Jahre, wenn mal wieder die Streikenden die Machtübernahme probten. (Bild: Ulsamer)

Aktion Eichhörnchen falsch verstanden

Gerade nach fünf Wochen wieder aus dem irischen Kerry in Deutschland eingetroffen, traute ich meinen Augen nicht: noch immer leere Regale in deutschen Supermärkten und in kleinen Lebensmittelgeschäften. Die Iren hatten sich zwar ebenfalls schon mal mit Tiefkühlkost eingedeckt, obwohl es in Kerry zum Glück noch keinen am Coronavirus Erkrankten gab. Aber als ich nach dem Besuch in einem großen Edeka-Center auch beim Bäcker in unserem Stadtteil um die Mittagszeit kein Brot mehr kaufen konnte, kamen mir doch Zweifel an so mancher politischen Aussage – und auch an vielen Mitbürgern. Leicht skurril: Minuten vorher hatte ich im Radio noch von einem Bitcom-Vertreter gehört, die Datennetze würden problemlos damit zurechtkommen, dass jetzt alle Schüler, Lehrer und die ins Homeoffice Verbannten am Vormittag die Netze ‚stürmen‘ – in der Bäckerei allerdings war es nicht mehr möglich mit der Kundenkarte zu bezahlen, denn der Server beim Dienstleister sei abgestürzt. So ist das mit Theorie und Praxis! Im irischen Südwesten in einer ländlichen Gegend konnte ich meinen Blog per Mobilfunkverbindung besser bearbeiten als heute in Esslingen per Festnetz.

Langes leeres Regal in einem E-Center.
Leere Regale als Folge der Corona-Hamsterkäufer. Vom Klopapier bis zu Gemüsedosen – alles weg. Ich dachte, die erste Welle der Hamsterkäufe wäre schon übers Land gerollt, doch Fehlanzeige. (Bild: Ulsamer)

Nun aber zurück zum gerade in Mode gekommenen Hamstern: Die Bundesregierung hatte ja auch nichts Besseres zu tun, als vor der Corona-Krise über das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe eine ‚Aktion Eichhörnchen‘ 4.0 anzuregen. Wenn eine Bundesbehörde dazu rät, sich mit dem Notwendigsten für zwei Wochen einzudecken, dann sollte die Bundesregierung nicht von Hamsterkäufen überrascht sein. Zu diesem Szenario passt hervorragend der vom gleichen Bundesamt ausgeschriebene Wettbewerb, bei dem Kochrezepte für Gerichte eingereicht werden können, die unseren Magen füllen, wenn Strom und Gas ausfallen! Sicherlich sind inzwischen auch die Gaskocher ausverkauft, denn der eine oder andere rechnet sicherlich damit, dass er bald in der eigenen Wohnung campieren muss. Eine gewisse Bevorratung macht immer Sinn, aber sicherlich sollte man nicht gleich Toilettenpapier für das nächste Jahrzehnt horten.

Leeres Regal für Milch in einem Supermarkt.
Ich wusste bisher nicht, dass Milch zu einem raren Artikel werden kann. Würde sich dies doch auch in besseren Preisen für die Landwirte niederschlagen! (Bild: Ulsamer)

Politik kam zu spät in die Gänge

Für wenig zielführend halte ich Aussagen von Ursula von der Leyen, die als EU-Kommissionspräsidentin über lange Schlangen mit Lkw berichtete, die sich an den teilweise geschlossenen Grenzen stauen würden. Viele Menschen, die dies in den Abendnachrichten zu hören bekamen, machten sich dann wieder zum Hamstern auf. Ursula von der Leyen konnte bereits als Verteidigungsministerin nicht für ausreichend warme Unterwäsche oder passende Klamotten für ihre Soldatinnen und Soldaten sorgen, da kommen natürlich Zweifel an ihrer Fähigkeit auf, in der EU zu einer guten Warenversorgung beizutragen. Wenig nützlich ist auch ein TV-Bericht – wie gerade in SWR aktuell gesehen –, in dem ein Journalist über einen Biosupermarkt berichtet, in dem die Regale noch voll seien, und in einem anderen Supermarkt entdeckte er nur Minilücken. Solche ‚Informationen‘ decken sich oft nicht mit den eigenen Erfahrungen vieler Einkäufer, und schon dreht sich das Hamsterrad weiter. Informationen müssen auch eine gewisse Verbindung zur täglichen Realität enthalten, ansonsten führen sie nur zur Verunsicherung.

Leeres Kühlregal in einem kleinerenLebensmittelgeschäft.
Selbst in einem kleinen ‚Bonus‘-Laden in Esslingen am Neckar: Leere Kühltheke. (Bild: Ulsamer)

Bundeskanzlerin Angela Merkel verkündete weitere gravierende Einschränkungen für alle Bürger und Unternehmen, für Glaubensgemeinschaften und Spielplätze, doch diese kommen reichlich spät. Ein deutlich früheres und umfassendes Eingreifen hätte – nach Auftreten der ersten Fälle – vielleicht noch eine Eindämmung des Coronavirus ermöglicht, jetzt geht es nur noch darum, das Schlimmste zu verhindern. Im Grunde soll die Krankenrate möglichst an die medizinischen Kapazitäten angepasst werden! So habe ich mir vorausschauende Politik während einer Pandemie nicht vorgestellt! Politikversagen paart sich zu sehr mit unsozialem Verhalten mancher Zeitgenossen. Andererseits ist sachliche und zielführende Kritik mal wieder nicht erwünscht, dies machte auch die ARD-Börsenexpertin Anja Kohl bei Frank Plasbergs ‚Hart aber fair‘ deutlich: Besserwisserei und Schuldzuweisungen seien nicht gefragt. So wird Kritik abgewürgt! Doch ohne kritische Anmerkungen und Analysen gibt es keine Verbesserungen! Aber vielleicht ist diese Zurückhaltung auch der Dank an die Politik für die Erhöhung der Rundfunkgebühren?

Schild bei Edeka "Sei fair zu deinen Mitmenschen. Abgabe unserer Ware nur in handelsüblichen Mengen".
Freundliche Denkanstöße, man möge beim Einkaufen auch an die Mitmenschen denken, scheinen häufig zu verhallen. (Bild: Ulsamer)

„Mehr Tempo in der deutschen Politik“ gefordert

CSU-Chef Markus Söder betonte im ZDF: “Ich glaube, wir brauchen auch ein Stück mehr Tempo in der deutschen Politik.“ Und er fuhr fort: “Die Herausforderung ist größer als gedacht. Wir können nicht endlos darüber debattieren, wir müssen entscheiden.” Da kann ich nur zustimmen, aber ich bleibe dabei, die politischen Entscheider haben über Wochen nicht konsequent genug gehandelt: schon im Dezember meldete die chinesische Regierung Corona-Krankheitsfälle an die Weltgesundheitsorganisation (WHO)! Die Phase des Eindämmens von Covid-19 wurde verpennt, und jetzt geht es nur noch um die zeitliche Gestaltung einer Durchseuchung der Bevölkerung von rd. 70 %, die Virologen erwarten.

Leere Kühltruhe im Vordergrund, zahlreiche aufgehängte Salamiwürste im Hintergrund.
Ausgerechnet die Kühltruhe mit Frischfleisch wurde ‚geplündert‘, dabei wären doch Salamiwürste geeigneter für den Hamsterkäufer. Zumindest würden diese länger halten – selbst bei Stromausfall. (Bild: Ulsamer)

Viele Beobachter wiegen sich in einer falschen Sicherheit, nicht in medizinischer, sondern politischer Hinsicht. So beendet Armin Käfer seinen Kommentar in der Stuttgarter Zeitung zum Corona-Thema mit dem Satz: „Immerhin zeigt sich in diesen schwierigen Tagen doch, das der Staat und die zuletzt von vielen verachtete Politik neues Vertrauen genießen.“ Da kann ich nicht folgen: Die nicht abflauenden Hamsterkäufe belegen das Gegenteil! Wer heute hamstert, der rechnet damit, dass die Versorgung morgen nicht mehr gewährleistet ist. Und dies ist ganz gewiss kein Beleg für „neues Vertrauen“ in die Politik.

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