Zur Geschichte der Gewinnung von weißer Tonerde
Die Zeiten liegen zwar schon etwas zurück, als in Europa Porzellangeschirr nur auf den Tafeln erlauchter Kreise stand, doch Kaolin als notwendiger Grundstoff ist bis heute von Bedeutung und dies weit über die Herstellung von Tellern und Tassen hinaus. Bereits Marco Polo (1254-1324) brachte Porzellan von einer seiner Reisen aus China mit, allerdings dauerte es noch rd. 500 Jahre bis in Europa experimentierfreudige Zeitgenossen die Rezeptur herausfanden und an Königshöfen Porzellan aus dem eigenen Land für Ansehen und Aufsehen sorgte. Einer der Tüftler, der eher durch Zufall mit dem Grundstoff für Porzellan – Kaolin – in Berührung kam, war der englische Apotheker William Cookworthy (1705-1780). Auf einer seiner Touren durch Cornwall, wo er seine Arzneimittel vertrieb, lernte der Quäker weiße Tonerde kennen und machte sich nach seiner Rückkehr an deren Erforschung, die ihn letztendlich zur Herstellung von Porzellan führte. Seine Entwicklungsarbeit wurde 1768 durch die Erteilung eines Patents gekrönt. In Cornwall, das zuvor eher für seine Kupfer- und Zinnbergwerke bekannt war, kam nun den Abbaustätten für Kaolin eine wachsende Bedeutung zu.
Wasser als zentrales Arbeitsmittel
Noch immer fallen die ‚weißen Pyramiden‘ ins Auge, auf denen der nicht benötigte Abraum des Kaolinabbaus aufgeschüttet wurde. Zumeist sind sie inzwischen begrünt, doch trotzdem gut in der Landschaft zu erkennen, ähnlich den ‚schwarzen Pyramiden‘ als Überbleibsel der Kohlebergwerke in Nordfrankreich. Neu war die Nutzung von Kaolin in Cornwall nicht, denn es wurde als Baumaterial und zur Reparatur von Schmelzöfen schon früher benutzt, doch erst Cookworthy gelang es, in England aus Kaolin Porzellangefäße herzustellen. In Plymouth gründete Cookworthy zusammen mit seinem Partner Richard Champion einen Betrieb zur Fertigung von Porzellangefäßen, doch Josiah Wedgwood und andere Hersteller verhinderten eine Verlängerung des Patents. Bereits 1858 produzierten in Cornwall 42 Unternehmen über 65 000 Tonnen ‚China clay‘. Die Grundstoffe wurden in englischen Fabriken zu Porzellan verarbeitet bzw. exportiert. In Cornwall selbst entstanden keine Porzellanhersteller, und dies ist auch heute noch ein Problem: Kaolin wird zwar gefördert, doch die Weiterverarbeitung zu Porzellan oder die Nutzung in der Papierindustrie, für Farben und Kosmetika, in Reifen und als Trennmittel in Lebensmitteln erfolgt andernorts.
Einen umfassenden Einblick in die Geschichte der Kaolinförderung gibt das Museum Wheal Martyn bei St. Austell. Es ist als Glücksfall zu bezeichnen, dass weite Teile der historischen Kaolinwerke Gomm und Wheal Martyn erhalten geblieben sind und durch Maschinen aus anderen Produktionsstätten ergänzt wurden. Wer das ganze Gelände erkundet, der kann einen Blick in den heutigen Tagebau werfen, der – wie alle Kaolinwerke in Cornwall – von Imerys Minerals betrieben wird, einem weltweit tätigen Unternehmen mit 14 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Im Laufe der letzten 250 Jahre wurden die Prozesse zur Gewinnung von Kaolin zwar weiter durchtechnisiert, doch im Grunde ist die Vorgehensweise gleichgeblieben. Kaolin, benannt nach dem chinesischen Gaoling, wo die ‚weiße Erde‘ erstmals gefunden wurde, ist ein Zerfallsprodukt des weißen Feldspats, einem Bestandteil von Granit. Ursprünglich wurde das ‚weiche‘ Material mit über die Fundstelle fließendem Wasser ausgeschwemmt, später setzten die Hersteller auf den starken Druck von inzwischen ferngesteuerten Wasserkanonen. Der Verfügbarkeit von Wasser kam nicht nur bei der Kaolingewinnung eine große Bedeutung zu, sondern auch im Kupfer- und Zinnbergbau, wo das Erz mittels Wasser von anderen Bestandteilen getrennt wurde. Auf die Geschichte des Abbaus von Kupfer und Zinn bin ich in meinem Blog-Beitrag ‚Cornwall: Die Burgen des Zinnzeitalters. Vom Industriestandort zum Eldorado für Touristen‘ bereits eingegangen. Und der zunehmende Einsatz von Dampfmaschinen setzte natürlich auch eine ausreichende Wasserversorgung und die Bereitstellung von Kohle voraus.
Rezeptur für Porzellan entschlüsselt
Wenn man heute im Internet Billigangebote für Porzellan sieht, wo ein Teller gerade noch einen Euro kostet, dann kann man sich kaum vorstellen, dass im 17. oder 18. Jahrhundert eine festliche Tafel mit Porzellangeschirr nur in Fürstenhäusern oder in den Haushalten besonders wohlhabender Bürgerlicher zu finden war. Verfolgt man den Gewinnungsprozess des Kaolins und die nachfolgenden Herstellungsschritte, wird verständlich, warum Porzellan vor wenigen Jahrhunderten noch eine Kostbarkeit, das sogenannte ‚weiße Gold‘ war. Nicht nur in England und Frankreich, sondern auch in Sachsen setzte der Landesherr oder einzelne Unternehmer auf die Produktion von Porzellan in der heimatlichen Region. August der Starke von Sachsen (1670-1733) war ein Freund edlen Porzellans. Nachdem die Versuche des Alchimisten Johann Friedrich Böttger scheiterten, im Auftrag des Kurfürsten Gold herzustellen, gelang es ihm nach Zuspruch des Gelehrten Ehrenfried Walther von Tschirnhaus, die Rezeptur von Porzellan zu entschlüsseln und erste Objekte herzustellen. Wenn schon kein gelblich schimmerndes Gold, so doch das weiße Gold konnte nun in Sachsen produziert werden, wo entsprechende Kaolinvorkommen entdeckt worden waren. Im Gegensatz zu Cornwall, wo nur der Grundstoff gewonnen wurde, etablierten sich mehrere sächsische Porzellanhersteller im eigenen Land.
Das mit Wasserkraft ausgewaschene Gemenge wurde in Wheal Martyn – benannt nach der ursprünglichen Besitzerfamilie – aus dem Abbaugebiet hochgepumpt und dann durch verschiedene Absetzbecken geleitet, um Fremdstoffe und Wasser zu reduzieren. In der Frühphase wurden Sand oder Glimmer in Wheal Martyn in den Bach abgeleitet, der sich wegen der mitgeführten Schwebstoffe aus Tonerde weiß färbte. Heute werden Sand und Gestein, das früher zu pyramidenförmigen Abraumhalden aufgeschüttet wurde, an Baustoffproduzenten abgegeben. Von zehn abgebauten Tonnen Gesteinsmaterial ist lediglich eine Tonne als Kaolin verkäuflich, daher ist es natürlich von grundsätzlicher Bedeutung, den bisherigen Abraum möglichst umfassend zu nutzen. Manche Tagebaue wurden wieder verfüllt, doch einige dienen auch als Speicherseen für das Brauchwasser, das so mehrmals genutzt werden kann. Ein schönes Beispiel dafür ist der unterhalb des Parkplatzes von Wheal Martyn gelegene Lansalson See, der umgeben ist von Rhododendron. Platz gefunden in einem ehemaligen Kaolin-Tagebau hat als Zweitnutzer das ‚Eden Project‘, das in zwei gewaltigen Domen einen Regenwald bzw. eine mediterrane Landschaft nachgebildet hat und jährlich eine Million Besucher anzieht.
Nach drei bis vier Monaten in Absetzbecken wurde das eingedickte Kaolin in ein Gebäude transportiert, um dort mit Hilfe von Kohleöfen die Tonerde in einer Art Pfanne zu erhitzen und den Feuchtigkeitsgehalt so weiter zu reduzieren. Pro Woche konnten in Wheal Martyn 150 Tonnen trockenes Kaolin produziert werden, wobei für die Trocknung von zehn Tonnen Kaolin eine Tonne Kohle benötigt wurde. Das Erhitzen des Kaolins wird in modernen Verfahren durch mit hohem Druck arbeitende Pressen ersetzt.
Per Schiff in die Welt
Die in Cornwall benötigte Kohle wurde in erheblichem Umfang aus Wales herangeschafft, im Gegenzug Kaolin dorthin transportiert. Die Transportwege spielten eine zentrale Rolle, wobei das Kaolin aus Wheal Martyn mit Pferdefuhrwerken zum Hafen nach Charlestown gekarrt wurde. Nach dem Ersten Weltkrieg kamen vermehrt benzinbetriebene Lkw zum Einsatz, die u. a. aus nicht mehr benötigten Beständen der US-Armee übernommen werden konnten. Wheal Martyn stellt dabei eher eine Ausnahme dar, da andere Kaolinwerke – wie auch Kupfer- und Zinnminen – früh an das expandierende Eisenbahnnetz angeschlossen wurden. Heute wird Kaolin über Fowey exportiert, doch ist ein Besuch des kleinen Hafens von Charlestown durchaus interessant, denn dort entspricht das Hafenbecken noch eher den damaligen Gegebenheiten. Selbst eine Rutsche hat die Zeit überdauert, über die das Kaolin auf Schiffe verladen wurde. Unterhalb des ‚Shipwreck Treasure Museums‘ verläuft ein gerade mal mannshoher gemauerter Tunnel, in dem noch die Schienen zu erkennen sind, über die Loren mit Kaolin bis zum Hafen rollten. Anfang der 1980er Jahre erreichte der Export von ‚China clay‘ über Charlestown Harbour seinen Höhepunkt, danach kamen Schiffe mit höherer Ladekapazität zum Einsatz, die den kleinen Hafen nicht mehr anlaufen konnten. Den Bau des Hafens hatte 1790 Charles Rashleigh in Auftrag gegeben, der den Ingenieur John Smeaton für das Projekt gewinnen konnte. Dieser hatte u. a. den Forth and Clyde Canal in Schottland entworfen. Am Rande sei vermerkt: Smeaton entwickelte gemeinsam mit Cookworthy einen wasserfesten Mörtel. Charlestown Harbour wechselte in seiner Geschichte so manches Mal den Besitzer, beherbergt heute historische Segelschiffe, die touristisch genutzt werden, und dient immer wieder als Filmkulisse, nicht zuletzt für vier Rosamunde-Pilcher-Verfilmungen.
Bei unserem Besuch bot eine Sonderausstellung, die auch den Tunnel im Shipwreck Treasure Museum einbezog, einen interessanten Einblick in die Expedition 1914/17 von Ernest Shackleton, die ihn in die Antarktis führte und bei der sein Schiff ‚Endurance‘ vom Eis zerdrückt wurde: Doch es gelang ihm, alle seine Crewmitglieder zu retten. Im Übrigen: Wenn Sie auf dem zentralen Parkplatz von Charlestown Harbour ihr Auto abstellen, kommen sie bloß pünktlich zurück! Hafenrundgang, Museumsbesuch und ein Snack hatten mehr als zwei Stunden in Anspruch genommen und bei der um 50 Minuten verspäteten Rückkehr prangte die unfreundliche Einladung an der Windschutzscheibe, 100 englische Pfund zu bezahlen. Im Kleingedruckten stand dann, der Parkplatzbetreiber sei auch mit 60 Pfund einverstanden, wenn man innerhalb von 28 Tagen bezahle. Wer zu spät kommt, der muss eben blechen, doch ein ‚Bußgeld‘ in solcher Höhe schreckt touristische Besucher eher ab, als sie in das Städtchen zu locken! Vielleicht ist es Absicht, denn Cornwall hat sich von einem industriellen Herzland zu einer touristischen Hochburg entwickelt, da könnte so mancher denken, weniger Besucher wären besser. Nicht nur im Hafen von Charlestown frage ich mich, ob vor Ort nicht etwas mehr Information zur Geschichte angeboten werden müsste, wenn man sich auf der Internetseite des privaten Besitzers eifrig mit dem Titel ‚UNESCO World Heritage Site‘ schmückt.
Von Aufstieg und Niedergang
Der Transport von Gütern und die Zuleitung von Wasser spielten – wie bereits erwähnt – eine wichtige Rolle bei der Industrialisierung Cornwalls, die inzwischen weitgehend Geschichte ist. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel dafür ist das Treffry Viaduct, das mit einer Länge von fast 200 Metern und in einer Höhe von 30 Metern das Luxulyan Tal überspannt. Erbauen ließ diese Kombination aus Viadukt und Aquädukt von 1839 bis 1842 der innovative Ingenieur und waghalsige Unternehmer Joseph Thomas Treffry (1782-1850). Das Wasser nutzte er zunächst für die Energiegewinnung in der sogenannten ‚Carmera Incline Plane‘, wo beladene Wagen gegen die Schwerkraft hochgezogen wurden, und danach in seinem Bergwerk ‚Fowey Consols‘. Über die Brücke ließ er Schienen legen, um Wagen voller Kaolin mit Pferden leichter ziehen zu können. Treffry verbesserte die Verbindung zu seinen Hafenanlagen in Par und Newquay nicht nur mit seinem Viadukt, sondern auch mit Kanälen und Eisenbahnstrecken. Ohne solch komplexes unternehmerisches Denken wäre die Industrialisierung in Cornwall nicht so schnell und trotz aller Probleme vorangegangen.
Statt Bergbau und Fischerei steht in unseren Tagen der Tourismus in Cornwall im Mittelpunkt, ergänzt durch zugezogene betuchte Rentner aus den englischen Ballungszentren. Wie schnell eine ganze Region industriell abgehängt werden kann, ist in Cornwall gut zu erkennen: Industrie wurde in weiten Bereichen zur Geschichte. Wie nahe Aufstieg und Niedergang teilweise zusammenliegen, das lässt sich an zahllosen ‚engine houses‘ erkennen, in denen längst keine Dampfmaschinen oder stromgetriebene Antriebsaggregate für die Kraft sorgen, um Menschen, Material, Erz und Wasser bewegen zu können. So manches ehemalige Bergwerk erinnert auch an das Ruhrgebiet, wobei natürlich die Dimensionen nicht übersehen werden dürfen, denn in Cornwall leben noch nicht einmal 570 000 Menschen, im Ruhrgebiet dagegen 5 Mio. Einwohner. Da mag man sich in Cornwall mit Touristen und zugereisten Rentnern wirtschaftlich über Wasser halten können.
Den Niedergang des Kupfer- und Zinnbergbaus, der gerade auch eine Folge der hohen Produktionskosten wegen häufig dünner Erzflöze war, überlebten allerdings die Kaolinwerke, die in Cornwall pro Jahr 700 000 Tonnen des international gefragten Grundstoffs produzieren. Neue Chancen scheinen sich in Cornwall für bisherige Bergwerksregionen durch die Gewinnung von Lithium gerade auch für die Batterien von E-Fahrzeugen aufzutun. Die bereits erwähnte französische Unternehmensgruppe Imerys hat mit British Lithium ein Joint Venture gebildet, um auf eigenem Gelände nicht nur den Grundstoff aus Granit herauszulösen, sondern ortsnah hochreines Lithium zu produzieren. Imerys geht von einem Lithiumoxidgehalt von 0,54% aus, d. h., es müssen gewaltige Gesteinsmassen gefördert und zermahlen werden. Cornish Lithium ist ein weiteres Unternehmen, das in einem ehemaligen Tagebau bei St. Austell Lithium abbauen möchte und jüngst zusätzliche Finanzmittel eingeworben hat.
Zwar gehört das ehemalige Kaolinwerk Wheal Martyn nicht zu der von der UNESCO 2006 mit dem Welterbe-Siegel geadelten Bergwerkslandschaft in Cornwall und Devon, doch diese Anlage steht den historischen Orten des Kupfer- und Zinnbergbaus in nichts nach. Das Museum vermittelt einen hervorragenden Überblick über die Kaolingewinnung seit ihrem Beginn in Cornwall und geht dabei auch auf die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Kinder, Frauen und Männer ein, die in dieser Region lebten und mit ihren Händen das ‚weiße Gold‘ schürften, das damals als Porzellan auf den Tischen der Reichen stand und erst später zu einem Allgemeingut wurde.