Polit-Zocker gefährden das eigene Land

Besser mal Winston Churchill lesen

Die Begeisterung für die Europäische Union war in Großbritannien noch nie sonderlich ausgeprägt, dies erlebte ich bereits Mitte der 1970er Jahre bei einer kleinen Diskussionsrunde. Gerade einige ältere Damen aus der oberen Mittelschicht und der Conservative Party nahestehend waren mehr als skeptisch und zogen den 1972 erfolgten Beitritt ihres Landes zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) in Zweifel. Meine Frau und ich, damals Studenten, versuchten sie von der Bedeutung eines gemeinsamen Europas zu überzeugen. Und wohlgemerkt, damals standen wirtschaftliche Fragen im Zentrum, und nicht die inzwischen erfolgte inhaltliche Ausdehnung der Europäischen Union (EU) auf zahlreiche Politik- und Lebensbereiche.

Gemeinsam mit dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland traten auch Dänemark und Norwegen sowie die Republik Irland bei. Dies möchte ich an dieser Stelle besonders anmerken, denn die „irische Frage“ bekommt durch den Brexit wieder eine neue Dimension.

Politik der kleinen Schritte

Die Europaskeptiker waren aber in der Conservative Party nicht immer in der Mehrheit, dies belegen weitsichtige Ausführungen von Winston Churchill, die er in seinem Buch „Der Zweite Weltkrieg“ niederlegte. Für dieses und andere Werke erhielt der zweimalige britische Premierminister den Literaturnobelpreis. Damals konnten auch führende Politiker noch selbst zur Feder greifen!

So schreibt Churchill im 1957 entstandenen Epilog über die „Europabewegung“: „Sie sollte für die Verbreitung des Europagedankens sorgen und Mittel und Wege prüfen, wie dieser schrittweise zu verwirklichen wäre. Ich sage schrittweise.“ Vielleicht hat die Schrittfolge und das Tempo nicht nur Bürgerinnen und Bürger in England überfordert. In Schottland und Nordirland war bei der Brexit-Abstimmung die Pro-EU-Fraktion im Übrigen in der Mehrheit.

„Unter den daran Interessierten herrschten viele Meinungen, und manch einer wollte eine raschere Gangart anschlagen als die anderen. Bei Unternehmungen großen Ausmaßes ist es jedoch ein Fehler, alles auf einmal machen zu wollen.“ Viele EU-Befürworter werden sagen, die Gangart war doch nun wirklich in den letzten 50 Jahren nicht schnell und längst ist eine gemeinsame Politik in der EU nicht erreicht, aber die Einschätzung über Tempo und Ziele treffen nun einmal alle Bürgerinnen und Bürger für sich selbst. (siehe: Zerbricht das Vereinigte Königreich? Brexit zwingt Schotten und Nordiren aus derEU)

 Der eigene Machterhalt an erster Stelle

Und wenn man dies nicht berücksichtigt, dann ergeht es einem wie dem Polit-Zocker David Cameron, der seinen Machterhalt als Premierminister in den Mittelpunkt rückte, in dem er einen Volksentscheid über die EU-Mitgliedschaft zusagte, ohne darüber nachzudenken, wie er eine Mehrheit für die weitere Mitgliedschaft erreichen kann. Theresa May, seine Nachfolgerin, bekannte sich vor dem Volksentscheid zur EU, doch nach einer Rolle rückwärts will sie nun den harten Ausstieg. Das Schiff soll nun in Richtung „globales Großbritannien“ Fahrt aufnehmen. Daran wurden die Briten auch während ihrer EU-Mitgliedschaft nicht gehindert. Mal sehen, ob Premierministerin May außer Sprechblasen zu äußern auch klare politische und wirtschaftliche Entscheidungen umsetzen kann. Den “Scheidungsantrag” hat sie an die EU geschickt, mal sehen ob es am Ende nicht auf allen Seiten nur Verlierer geben wird.

Aber nicht nur bei Cameron oder May, sondern auch bei vielen EU-Politikern – wie Jean-Claude Juncker – habe ich den Eindruck, daß sie – trotz anderslautender Beteuerungen – kaum noch Berührungspunkte zu den Bürgerinnen und Bürgern in wichtigen Fragen haben. Sie spielen ihr Spiel, werden von Ihresgleichen beklatscht, wundern sich aber, wenn das größere Publikum, die Wählerschaft, ihr Interesse an der Europäischen Union verliert und auch vor dem einen oder anderen Irrweg in der Wahlkabine nicht zurückschrecken.

Gemeinsame Überzeugungen statt Verteilungskämpfen

Hätten doch viele Politiker, wenn sie schon keine eigenen Bücher schreiben, mal bei Churchill nachgelesen: „Die Aufgabe war, in ganz Europa geistige, kulturelle, gefühlsmäßige und soziale Übereinstimmungen und Beziehungen auszubauen.“

Winston S. Churchill setzte auf engere Beziehungen in Europa. (Bild: Ulsamer)

Wenn es um Europa geht, stehen und standen über Jahre nicht nur in Großbritannien oder Deutschland, sondern in der ganzen EU Verteilungskämpfe um Subventionen für die Landwirtschaft und Fischereiquoten oder die Verteilung von Flüchtlingen im Zentrum. Ganz zu schweigen von einer Definition für die Krümmung der Salatgurke, der rechtlichen Fixierung des optimalen Traktorsitzes, einer Besteuerung von Robotern oder der Beschränkung von Bargeldzahlungen. Ist es da ein Wunder, wenn die Briten mehrheitlich für den Brexit stimmten, allerdings nicht – wie gesagt – in Schottland und Nordirland.

Aber nochmals zurück zu Winston Churchill.

„Wohl ist manch einer enttäuscht, daß es nicht rasch zu einer Föderation der europäischen Staaten kam; doch das langsame, auf Erfahrungen gegründete Vorgehen ist in jeder Hinsicht gerechtfertigt. Derart gewichtige Dinge kann man den Menschen nicht von oben her aufzwingen, wie hervorragend die Planung auch sein mag. Sie müssen vielmehr nach und nach aus echten, von vielen geteilten Überzeugungen erwachsen.“ Zwar bezog sich Churchill, als er sein Buch schrieb, verständlicherweise auf den Europarat, aber letztendlich trifft jede seiner Aussagen auch auf EWG, EU oder EURO-Zone in gleicher Weise zu.

Europa kann nur weiter zusammenwachsen, die Europäische Union dem Zerfall entgegenwirken, die EURO-Zone den Kollaps vermeiden, wenn die Bürgerinnen und Bürger wieder das Gefühl bekommen, dass ihre Anliegen ernstgenommen werden, dass Europa eine Gemeinschaft der Herzen und nicht nur des Geldbeutels ist.

60 Jahre Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG)

Erfolgs- oder Auslaufmodell?

„Euroskeptiker aller Länder vereinigt euch“, so scheint eine Parole dieser Tage zu lauten: Aber hat sich wirklich seit den Römischen Verträgen* nur ein Monstrum entwickelt, das die Europäer in ein Zwangskorsett gesteckt hat? In manchen Politikbereichen entfernte sich die Europäische Union (EU) mit Sicherheit zu weit von den Wünschen der Menschen und den realen Möglichkeiten der beteiligten Staaten, aber ohne die vor 60 Jahren gegründete Vorgängerinstitution Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) hätte sich die Wirtschaftskraft nicht besser entwickelt. Für den einen oder anderen Teilnehmerstaat war aber mit Sicherheit das Tempo bei Freizügigkeit oder gar dem EURO deutlich zu schnell. Viel zu spät kommt bei manchen Politikern die Einsicht, dass nicht alle unter der EU-Fahne im Gleichschritt marschieren können oder wollen.

Große Symbolkraft der Römischen Verträge

Als sich am 25. März 1957 in Rom Präsidenten und Königliche Hoheiten aus Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und den Niederlanden versammelten, um den Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu unterzeichnen, da ging es ihnen darum „trennende Schranken (zu) beseitigen“, um so „den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt ihrer Länder zu sichern“. Gerade im Europa der Nachkriegszeit kam der Unterzeichnung dieses Vertrags eine große Bedeutung zu, die in ihrer Symbolkraft heute nur noch schwer nachzuvollziehen sein dürfte. Den Frieden zu sichern, dies war ein Jahrzehnt nach dem verheerenden Zweiten Weltkrieg allen ein Herzensanliegen.

Mancher Begriff aus dem EWG-Vertrag hat seine Bedeutung bis heute nicht verloren, so z.B. „einverständliches Vorgehen“, auch wenn die heutige EU Donald Tusk erneut zum Präsidenten des Europäischen Rats berief, obwohl sein Heimat- und Mitgliedsland Polen dies ablehnte. Ist es dann verwunderlich, wenn die Verwerfungen zwischen einzelnen Staaten untereinander größer und die Gräben zu zentralen europäischen Institutionen wieder tiefer werden?

Regionale Unterschiede verringern

Die „harmonische Entwicklung“ der beteiligten Volkswirtschaften sollte gefördert werden, „indem sie den Abstand zwischen einzelnen Gebieten und den Rückstand weniger begünstigter Gebiete verringern.“ Ein löbliches Ziel, das gerade auch durch die Erweiterung der Gemeinschaft immer wieder in weite Ferne rückte. Aber selbst in den Gründerstaaten gibt es hier bis heute viel zu tun. Bei unserer letzten Reise nach Süditalien sind wir echt erschrocken: Hier scheint sich der Rückstand zum industrialisierten Norden eher noch zu vergrößern.

Die gewaltige Bedeutung dieser Aufforderung, die Unterschiede zwischen den Staaten und Regionen zu verringern, springt noch mehr ins Auge, wenn man einen weiteren Aspekt aus der Gründungsakte heranzieht: „Die Verbundenheit Europas mit den überseeischen Ländern“ sollte bekräftigt werden, und dies „in dem Wunsch, entsprechend den Grundsätzen der Satzung der Vereinten Nationen den Wohlstand der überseeischen Länder zu fördern“.

Hätten die Unterzeichnerstaaten und Länder, die sich später dazu gesellten, diesen Text öfter gelesen und insbesondere auch in die Tat umgesetzt, so wäre das Zurückfallen einzelner Regionen innerhalb der EWG/EU zu verhindern gewesen. Entsprechende Strukturreformen in den einzelnen Staaten wären ebenso notwendig gewesen wie die Stärkung der wirtschaftlichen und technischen Innovationskraft. Wanderungsbewegungen in unseren Tagen – gerade auch aus dem afrikanischen Raum – würden weniger dramatisch ausfallen, wenn man sich intensiver um den Aufbau staatlicher und wirtschaftlicher Strukturen in den sogenannten „überseeischen Ländern“ gekümmert hätte. Damals verspürten die Unterzeichner wohl auch noch eine gewisse Verantwortung für die ehemaligen Kolonien, die dann zum Teil auf der Strecke blieb.

Menschen mitnehmen

Die Römischen Verträge als Grundlage für die EWG sollten in ihrer Bedeutung nicht unterschätzt werden: Sie haben die Wirtschaftskraft gestärkt und die Mitgliedsstaaten näher zusammenrücken lassen. Die Aufbruchsstimmung hat auch die Bürgerinnen und Bürger mitgenommen, die noch ein zerrissenes, verfeindetes und vom Krieg zerstörtes Europa erlebt hatten. Mit größerer zeitlicher Distanz muss die EU jedoch zusätzliche Anforderungen erfüllen, wenn sie nicht scheitern soll: Neue Begeisterung kann nur entfacht werden, wenn die Menschen sich einbezogen fühlen, wenn die Politik der EU sie auch im Herzen anspricht, wenn regionale Unterschiede kleiner und das Auseinanderdriften der gesellschaftlichen Gruppen verhindert wird.

Der Start zur Bildung eines zusammenwachsenden Binnenmarktes in Europa erfolgte 1957 in Rom. Die EU muss sich heute wieder stärker auf zentrale gesamteuropäische Aufgaben konzentrieren. (Bild: Ulsamer)

Die Bürgerinnen und Bürger müssen erkennen können, dass sie auch direkt einen Vorteil davon haben, Mitglied einer größeren Gemeinschaft zu sein! In vielen Fällen ist die EU jedoch zu einer reinen Umverteilungsmaschine geworden, die Gelder für Infrastrukturprojekte oder gar für die Landwirtschaft nach Proporzgesichtspunkten verteilt. Zu retten ist die vom Mitgliederschwund – Brexit – gezeichnete Europäische Union nur, wenn sie sich wieder auf zentrale gesamteuropäische Themen konzentriert und nicht den Landes- und Regionalpolitikern ständig in die politische Suppe „spuckt“. Ansonsten wird der Spaltpilz weiterwachsen und die Union sprengen.

Geschwindigkeit anpassen

Die Vereinigung Europas ist ein Langstreckenlauf, dies kann sich jeder denken, doch zu früh wurde mit einem bunt zusammengewürfelten Haufen zum Endspurt angesetzt: Eine gemeinsame Währung und umfassende Freizügigkeit von Personen drückte die Spitzengruppe durch, ohne zu bemerken, dass die anderen Teilnehmer abgeschlagen und müde hinterherhinkten. So kam nun der Gedanke eines Europas der zwei Geschwindigkeiten auf. Sicherlich nicht falsch, aber reichlich spät. Und alles andere als neu: Wolfgang Schäuble und Karl Lamers skizzierten ein Kerneuropa, das die Zusammenarbeit schneller intensiviert, bereits 1994. Sogar auf die 1980er Jahre geht der Gedanke eines Europas der zwei Geschwindigkeiten zurück.

Hätte die Einsicht früher die Oberhand gewonnen, dass nicht alle Staaten und noch weniger deren Bürgerschaft in Sachen europäischer Einigung gehetzt werden wollten, teilweise auch über ihre Möglichkeiten gefordert wurden, dann hätte sich Europa manchen Irrweg ersparen können. Griechenland täte sich ohne die Überforderung durch die Integration in den EURO leichter, das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland hätte ohne den Zwang zur Freizügigkeit vermutlich auch nicht zum Brexit geblasen und populistische Politiker könnten nicht alle Missstände der EU anlasten. Und ganz ehrlich: Wie beim Hausbau kommt es auch beim Aufbau eines vereinigten Europas auf eine solide Bodenplatte an. Wer immer schneller auf eine wackelige Grundstruktur neue Stockwerke setzt, der muss sich auch nicht wundern, wenn das ganze Konstrukt kollabiert!

Gefragt sind jetzt eine Konzentration der EU auf zentrale gesamteuropäische Themen, eine Stärkung der Regionen und eine Anpassung des Marschtempos an die Fähigkeiten aller Mitstreiter. Sich über die „Fußlahmen“ zu empören, bringt im Mannschaftssport allemal nichts.

 

*In diesem Beitrag widme ich mich nur dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und nicht dem gleichzeitig unterzeichneten Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) bzw. dem Abkommen über gemeinsame Organe für die europäischen Gemeinschaften.

 

 

 

 

 

Martin McGuinness: Von der Gewalt zur Politik

Nordirland verliert zentrale Führungspersönlichkeit

Der am 21. März verstorbene nordirische Politiker Martin McGuinness vereinigt in seiner eigenen Biografie in ganz besonderer Weise die Geschichte dieser Region: Am 23. Mai 1950 wurde er in der Bogside in Derry geboren und somit in einem sozialen Brennpunkt. In diesem Viertel lebten dicht gedrängten die Katholiken, die politisch, sozial und wirtschaftlich unterdrückt wurden. Nicht nur die britischen Regierungen in London, sondern auch die protestantischen Gruppierungen verweigerten den Katholiken die Gleichberechtigung. Die nordirische Polizei bestand seinerzeit fast komplett aus Protestanten und war auch zu einem Instrument der Unterdrückung geworden. Und wie immer, wenn Bevölkerungsgruppen Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte als Menschen zweiter Klasse betrachtet werden, staut sich der Unmut auf und findet ein Ventil in der Gewalt. Martin McGuinness war es mit zu verdanken, daß der Teufelskreis der Gewalt durchbrochen werden konnte.

In der Bogside von Derry fand der Widerstand gegen die Unterdrückung der Katholiken eine wichtige Basis. (Bild: Ulsamer)

Britische Fallschirmjäger richten Blutbad an

Als britische Fallschirmjäger am 30. Januar 1972 das Feuer auf unbewaffnete und friedliche Demonstranten eröffneten, war McGuinness der zweite Mann in der Führung der IRA in Derry. Dieser Bloody Sunday kostete nicht nur 14 Zivilisten, darunter auch Kinder, das Leben, sondern auch der britischen Armee jegliche Glaubwürdigkeit. Das Militär war zunächst als Moderator, wenn nicht gar als Schutzmacht gegen die Drangsalierung durch die protestantische Polizei und zahllose paramilitärische Organisationen begrüßt worden, doch nun zu einem weiteren Knüppel der Unterdrückung verkommen. So hatte auch ich in meinem ersten kleinen Artikel, den ich 1969 (!) in einer Schülerzeitung veröffentlichte, noch die Hoffnung geäußert, dass die britischen Soldaten zur Rückgewinnung des Friedens beitragen könnten.

Über die Positionen, die McGuinness innerhalb der Provisional Irish Republican Army (IRA) inne hatte und wie lange er eine ihrer Führungspersonen war, gehen die Meinungen auseinander. Klar erkennen lässt sich jedoch in seiner weiteren Vita, dass er seinen Weg aus der Gewalt in die Politik fand. Und er öffnete damit auch das Tor für Verhandlungen zwischen der katholischen und protestantischen Seite in Nordirland in Verbindung mit den Regierungen in London und Dublin. So war er auch Unterhändler von Sinn Fein für das Karfreitagsabkommen. (siehe hierzu auch meinen Blog-Beitrag: „Zerbricht das Vereinigte Königreich“)

Frieden schaffen ohne Waffen

McGuinness wurde nach dem Karfreitagsabkommen des Jahres 1998 zu einer immer wichtigeren Führungspersönlichkeit nicht nur seiner eigenen Partei Sinn Fein, sondern auch als Deputy First Minister von Mai 2007 bis Januar 2017. Diese Position hat ihre ganz besondere Bedeutung dadurch erhalten, dass in der nordirischen Regierung Katholiken und Protestanten zusammenarbeiteten und neben einem früheren IRA-Strategen – McGuinness – der protestantische Intimfeind, Pfarrer Ian Paisly, zum First Minister berufen wurde. Paisly hatte sich über Jahrzehnte als Feind der Katholiken hervorgetan, der selbst im Europaparlament Papst Johannes Paul II attackierte: „Antichrist, I denounce you and your false teaching.“ Nicht nur im Papst sah er den Antichristen, dessen Lehre er verurteilte, sondern auch in den katholischen Bürgern. Als Gründer und Chef der Democratic Unionist Party – und seiner eigenen Glaubensgemeinschaft, der Freien Presbyterianischen Kirche – war Pfarrer Paisly jedes Mittel recht, um die Vorherrschaft der Protestanten zu sichern. Aber ausgerechnet diesen zwei so gegensätzlichen Politikern gelang es, die Grundlage für eine Annäherung der Konfliktparteien zu legen und die Gewalt auf der Straße einzudämmen.

Weg in friedliche Zukunft sichern

Erwartungsgemäss betonte Sinn Fein-Präsident Gerry Adams in seinem Nachruf: „He was a passionate republican who worked tireless for peace and reconciliation“. Aber auch Premierministerin Theresa May unterstrich „Martin McGuinness ultimately played a defining role in leading the republican movement away from violence“. Der britische Secretary of State für Nordirland, James Brokenshire unterstrich den Einfluss von McGuinness bei der Schaffung politischer Institutionen, die auf “exclusively peaceful and democratic means” beruhen.

Der Friedensprozess in Nordirland muss unbedingt fortgesetzt werden, auch wenn die ihn prägenden Personen zum Teil verstorben sind. Dies wird der neuen Generation von Politikern durch den Brexit-Beschluss der britischen Wähler und insbesondere durch die extreme Haltung der Regierung unter Theresa May erschwert: Eine neue harte Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland könnte alte Gegensätze wieder aufbrechen lassen. Die katholischen Nordiren dürfen nicht das Gefühl bekommen, dass sie wieder an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden.

DDR: Zerschnittene Gemeinschaften

Die Fake News des Jahres 1961

Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!” Diesen Satz sagte der damalige DDR-Staats- und Parteichef Walter Ulbricht am 15. Juni 1961 in einer Pressekonferenz. Leider handelte es sich dabei auch um eine Fake News, denn bereits am 13. August – also nur zwei Monate später – war es soweit: Das sozialistische Regime riegelte den Ostteil Berlins hermetisch ab und errichtete in den folgenden Wochen eine Mauer. Berlin und ganz Deutschland wurden nun noch brutaler geteilt!

Nicht nur ein Land wurde geteilt, sondern Städte und Gemeinden zerschnitten, Familien zerrissen. Und wer sich durch Mauern und Zäune auf fast 1400 km, durch über 250 Beobachtungstürme, 144 Bunker und 260 Hundelaufanlagen nicht stoppen ließ, der wurde unter Beschuß genommen. 150 bis 250 Menschen haben – je nach Quelle – an dieser Grenze den Tod gefunden, Tausende wurden abgefangen und wanderten ins Gefängnis.

Als am 9. November 1989 die Mauer fiel, war die sozialistische DDR wirtschaftlich und politisch am Ende – die Umwelt zerstört.

Eine Wahrheitskommission fehlte

Die politische und juristische Aufarbeitung kam zu kurz, dies empfinden gerade die Mitbürgerinnen und Mitbürger in besonderer Weise, die zu Opfern des sozialistischen Unrechtsstaats wurden. Damit stehen auch unsere Forderungen an andere Staaten auf wackligen Beinen, denen die deutsche Politik immer mal wieder eine systematische Aufarbeitung und Bestrafung des Unrechts ans Herz legt. Eine Wahrheitskommission hätte auch uns gut zu Gesicht gestanden!

Aber noch immer gibt es Orte, in denen die deutsch-deutsche Trennung bis heute deutlich spürbar ist. In Berlin haben sich die meisten Narben im Stadtbild geschlossen,  Mauerreste erheben sich nur noch an wenigen Stellen aus dem Alltagsleben, ganz anders in Mödlareuth. Der Westteil lag in Bayern, der Ostteil in Thüringen und zwischen den Ortsteilen verlief nicht nur der schmale Tannbach, sondern urplötzlich auch eine Mauer. „Little Berlin“, tauften es die US-Amerikaner.

Wenn neben dem Bächlein eine Mauer wächst: Mödlareuth als Symbol für Trennung und Unterdrückung in DDR-Zeiten. (Bild: Ulsamer)

Die Unterdrückung nicht vergessen

Wer diese Gemeinde und ihr Deutsch-Deutsches Museum heute besucht, der spürt die Bedrückung in den Jahren der Trennung und freut sich umso mehr, dass Deutschland wieder zusammengewachsen ist und auch die Teilung Europas überwunden werden konnte. Ein historischer Fortschritt, den es zu erhalten gilt.

Ohne diese historischen Plätze mit Symbolcharakter oder auch die Arbeit der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur würden die Menschenrechtsverletzungen in der DDR noch schneller vergessen, als es ohnehin geschehen ist. Wer die Stimme gegen Unrecht heute und morgen erheben soll, der muß auch wissen, was sich in der DDR abgespielt hat.

 

 

 

 


 


Der erste Eisenbahntunnel in Deutschland

“Buddeln” für die Industrielle Revolution

Die erste deutsche Eisenbahnlinie zwischen Nürnberg und Fürth war 1835 kaum eröffnet, da rollte in Bad Dürrenberg (Sachsen-Anhalt) ab Herbst 1836 eine Kohlebahn unter der Stadt durch einen Tunnel. Zuerst halfen Pferde bei der Arbeit, dann wurde auf Benzol als Treibstoff umgerüstet.

Eingang zum ersten deutschen Eisenbahntunnel in Bad Dürrenberg. (Bild: Ulsamer)

Leider findet man heute nur noch unter Mühe einen der Tunneleingänge.

Mag der Tunnel auch nur 133 Meter lang sein, so ist er doch ein Beispiel für die Innovationskraft während der Industriellen Revolution. Würden wir uns heute nicht auch die gleiche Zielstrebigkeit bei der Realisierung von Infrastrukturprojekten wünschen? So bauen zwar die Schweizer in 17 Jahren den Gotthard-Basistunnel mit einer Länge von 57 km, doch die Ertüchtigung der Zulaufstrecken in Deutschland schaffen wir nicht.