Haben die Wasserfrösche bald ausgequakt?

Ein grüner Frosch schaut aus dem Wasser in Richtung Betrachters.

Mehr Tümpel braucht’s im Land der Frösche

Amphibien haben es nicht leicht in Deutschland, denn ihr Lebensraum wird weiterhin und anwachsend bedroht. Da nutzen politische Absichtserklärungen wie eine Moorschutzstrategie oder das neue EU-Gesetz zur Renaturierung erstmal wenig. Seit Jahrzehnten wird die Zahl der Tümpel in unserem Land immer kleiner, Weiher, Teiche und kleine Seen werden von zahllosen Fischen bevölkert, die sich über den Nachwuchs von Fröschen und Kröten hermachen. In den zurückliegenden 50 Jahren sind 75 % der Kleingewässer in Deutschland verschwunden und mit ihnen viele Tiere und Pflanzen. Auf land- und forstwirtschaftlichen Flächen galten Tümpel und Vernässungen oder mäandrierende Bäche viel zu lange als ein Übel, das beseitigt werden musste. Bei so mancher Flurbereinigung verschwanden neben den kleinen Gewässern auch schützende Hecken oder Lesesteinriegel, insgesamt verarmte unsere Landschaft, sie wurde zunehmend konturloser. Und im urbanen Bereich galten künstlerisch gestaltete Wasserspiele als chic, selbst wenn sie für Wildtiere keinen Lebensraum boten und noch nicht einmal für durstige Vögel, Wildbienen oder Igel erreichbar waren. So war es für mich ein wahrer Glücksmoment, als ich bei einer Wanderung an einem Tümpel vorbeikam, aus dem ein lautes Froschkonzert ertönte: Wasserfrösche warben mit Hilfe ihrer Schallblasen lautstark um die Damenwelt in ihrem besonnten Paradies.

Ein grüner Frosch in einem Tümpel mit leicht braunem Wasser. Links und rechts sind seine hellen Schallblasen zu sehen, die sich im Wasser spiegeln.
Teichfrösche werben stimmgewaltig um die Weibchen, indem sie ihre Schallblasen einsetzen. (Bild: Ulsamer)

Ausgesetzte Fische zerstören Amphibienpopulationen

Die Wasserfrösche bevorzugen kleinere und nährstoffarme Gewässer, wobei sie sich mit Tümpeln genauso anfreunden können wie mit Moorweihern im Wald oder einem mit ausreichend Wasser gefüllten Graben. Der Kleine Wasserfrosch findet sich in der ‚Roten Liste‘ mit dem Zusatz einer „Gefährdung unbekannten Ausmaßes“, er gilt als selten und erlebt einen „Rückgang“, wobei das „Ausmaß unbekannt“ sei. Nicht nur der Kleine Wasserfrosch ist nach meiner Meinung bedroht, sondern auch der Teichfrosch, der immerhin noch als „ungefährdet“ in den Roten Listen geführt wird, doch es gebe eine „mäßige Abnahme“. Der Seefrosch, der ebenfalls zu den Wasserfröschen gehört, wurde in den Roten Listen (2009) noch als „ungefährdet“ geführt, in der aktuellen Fassung allerdings heißt es, dass die Datenlage ungenügend sei, und so findet er sich gewissermaßen in einer Grauzone. Der Leser der Roten Liste erfährt zwar nichts Konkretes über die Gefährdungslage, gleichwohl aber, dass man sich über seinen Namen und die Zuordnung zur entsprechenden Froschfamilie Gedanken gemacht habe. Sehr schön, ob allerdings diese wissenschaftlichen Details den Wasserfröschen die Existenz sichern? Wohl kaum! Nicht nur bei den Wasserfröschen, sondern desgleichen bei anderen Amphibien habe ich den Eindruck, dass sie längst als gefährdet gelten müssten, insbesondere dann, wenn sich eine Abnahme erkennen lässt. Trotz dieser kritischen Anmerkung kommt den Roten Listen im gesellschaftlichen Diskurs und in politischen Debatten eine wichtige Bedeutung zu, weil sie die Gefährdung einheimischer Tier-, Pflanzen- und Pilzarten erkennen lassen und den vordringlichen Handlungsbedarf darstellen. Wenn immer mehr Arten als gefährdet auf den Roten Listen genannt werden, dann darf uns das nicht ruhen lassen. Mehr zu diesem Thema finden Sie in meinem Beitrag ‘Tieren und Pflanzen beim Aussterben zusehen? Rote Listen: Die Biodiversität schmilzt dahin‘.

Ein großer Fisch schwimmt mit geöffnetem Maul direkt unter der Wasseroberfläche.
Manche Mitmenschen setzen ihre zu groß oder zu zahlreich gewordenen Fische in Tümpeln, Weihern und kleinen Seen aus, worauf zumeist die Amphibienpopulationen zusammenbrechen, denn die geschuppten Mitbewohner fressen Laich und Kaulquappen. (Bild: Ulsamer)

Neben der abnehmenden Zahl von Tümpeln und Vernässungen stellen Fische, die sich über den Laich und die Kaulquappen von Fröschen und Kröten hermachen, in den verbliebenen Stillgewässern eine ernste Gefahr dar. Tümpel, Weiher und kleine Seen, in denen früher keine oder wenige Fische anzutreffen waren, gleichen verstärkt einer Fischzucht. So ist es kein Wunder, dass die Amphibienpopulationen selbst dort unter Druck geraten, wo ein Laichgewässer vorhanden wäre. Den Ursprung haben diese Fische nicht selten in heimischen Aquarien oder Zierteichen: Werden die Tiere zu groß oder die Halter verlieren den Spaß an ihren geschuppten Mitbewohnern, dann ‚entsorgen‘ sie manche Zeitgenossen im nächstgelegenen Gewässer, was ebenso etliche Schildkröten betrifft, die in Tümpeln auftauchen. Diese sind leider keine äußerst seltenen Europäischen Sumpfschildkröten, die vom Aussterben bedroht sind, sondern ausgesetztes ‚Spielzeug‘. Anmerken möchte ich, dass seit Jahrhunderten behauptet wird, Wasservögel würden Fischeier in Gewässer eintragen, wofür es aber nach einer Untersuchung der Universität Basel, auf die in der Zeitschrift Natur hingewiesen wurde, keine wissenschaftlichen Belege gibt. Bei entsprechender Gestaltung der Gewässer kann es zwar eine Koexistenz von Fischen und Amphibien geben, doch dies setzt Flachwasserzonen voraus, in denen die Fische nicht nach Beute jagen können. Generell gilt, so die im Auftrag des NABU erstellte Literaturstudie ‚Der Einfluss von Fischen auf Amphibienpopulationen – eine Literaturstudie‘: „Für viele Amphibienarten konnte belegt werden, dass sie signifikant seltener in Gewässern vorkommen, in denen es Fische gibt. Beispiele hierfür sind das Vorkommen des Springfroschs in Baden-Württemberg, des Laubfroschs in Auengewässern an der österreichischen Donau, des Teichmolchs in der Lombardei in Italien, des Fadenmolchs in Südfrankreich und das Vorkommen von Teich- und Fadenmolch in vielen untersuchten Populationen, die über ganz Mitteleuropa verteilt sind.“ Wer Lebensräume für Amphibien schützen möchte, der muss gegebenenfalls Fische abfangen, die vom Menschen in das jeweilige Gewässer eingetragen wurden.

Ein kleiner Tümpel mit relativ braunem Wasser. Er ist umgeben von Schilf und Büschen.
Selbst kleine Tümpel bieten Lebensraum für Wasserfrösche und andere Amphibien, wenn sie nicht durch Pestizide und Kunstdünger verunreinigt werden. Mehr zum traurigen Schicksal vieler Kleingewässer finden Sie in meinem Beitrag ‘Von Pfützen, Tümpeln, Weihern und Seen. Die kleinen Paradiese sind bedroht‘. (Bild: Ulsamer)

Lebensraum der Amphibien besser schützen!

Die Schaffung neuer oder die Renaturierung früherer Tümpel, Weiher oder Seen hilft nicht nur den bedrängten Amphibien – wie z. B. den Wasserfröschen -, sondern in Dürrezeiten bieten sie Wasser für durstige Wildtiere und bei Starkregen dürfen selbst kleinere Stillgewässer, Flussauen oder Moore, Vernässungen und mäandrierende Bäche nicht unterschätzt werden, da sie Regenwasser aufnehmen oder seinen Abfluss verlangsamen können. Mehr Natur in unserer Landschaft, besonders angesichts der jüngsten Starkregenereignisse, und sicherlich auch in Bezug auf zukünftig zu erwartende Niederschlagsmengen, ist somit nicht nur wichtig für Naturfreunde, sondern für alle Bürger. So können wir nur hoffen, dass das neue EU-Gesetz zur Wiederherstellung von 20 % der geschädigten Landflächen und Meeresgebiete bis 2030 kein leeres Versprechen bleibt, sondern umgesetzt wird. Der holprige Start und die bereits auf Druck von Bauernverbänden erfolgte Abschwächung der Ziele und ihrer Umsetzung lässt allerdings wenig Gutes erwarten. Hoffentlich geht es nicht wie bei der Renaturierung von Fließgewässern, denn lediglich 8 % der deutschen Fließgewässer sind nach Angaben des Umweltbundesamts in einem ‚guten‘ oder ‚sehr guten‘ ökologischen Zustand. Für das Jahr 2021 war vorgesehen, dass alle Bäche und Flüsse in einem guten oder sehr guten Zustand sein sollten oder – bei künstlichen oder stark veränderten Gewässern – ein gutes oder sehr gutes ökologisches Potenzial erlangen. Davon sind wir Lichtjahre entfernt, und die Latte liegt jetzt auf dem Jahr 2027 und wird gleichfalls gerissen werden! In Deutschland und in der EU wird in Sachen Umwelt viel geredet, doch es fehlt an konsequentem Handeln.

Drei grüne Frösche mit dunklen Punkten auf dem Rücken im Wasser eines Tümpels.
Ein sonniger Tümpel im Wald – hier im Schönbuch in Baden-Württemberg – kann zu einem Paradies für Wasserfrösche werden. (Bild: Ulsamer)

Zur Verarmung der Landschaft trägt maßgeblich die Landwirtschaft bei, und wenn die Traktoren gen Berlin rollen oder die Innenstädte verstopfen, dann weicht die Politik zurück, und die Leidtragenden sind mal wieder die Wildtiere. So heißt es in den Roten Listen zum Kleinen Wasserfrosch: „In intensiv landwirtschaftlich genutzten Gebieten dürfte der regelmäßige Einsatz von Pestiziden und synthetischen Düngemitteln nicht unerheblich zum Rückgang der Art beitragen. Negative Effekte hat zudem die Umwandlung von artenreichen Wiesen in strukturarmes Grün- oder Ackerland.“ Die Schuld tragen dafür nicht einzelne Landwirte, sondern eine fehlgeleitete EU-Agrarpolitik, die weiter überwiegend auf Flächensubventionen ohne ökologische Komponente setzt. Bei langanhaltenden Dürreperioden wird der Lebensraum für Wasserfrösche und andere Amphibien weiter schrumpfen, wenn nicht gegen ein längerfristiges Austrocknen der Laichgewässer vorgegangen wird. Bei etlichen Tümpeln würde es bereits genügen, mehr Wasser aufzustauen, ohne natürlich dort Raum für Fische zu schaffen. Sind noch Tümpel vorhanden, dann fehlt es häufig an Wanderkorridoren für die Amphibien: Gräben mit Wasser, Hecken, Ackersäume, die nicht bearbeitet werden und Streifen mit Brachflächen oder mehrjährige Blühstreifen an Wegen sollten die Tümpel untereinander oder auch mit Waldgebieten verbinden. Wo Verkehrswege die Wanderrouten der Amphibien zerschneiden, müssen Querungshilfen vorgesehen werden! Im städtischen Bereich sollte auf naturnahe Gewässer geachtet werden, statt auf architektonische oder künstlerische Wasserbecken zu setzen, an denen weder Insekten noch Vögel trinken oder gar ein Wasserfrosch leben kann.

Ein grüner Frosch mit dunklen Punkten auf dem Rücken sitzt auf dem Blatt einer Seerose.
Amphibien haben es nicht leicht in unserer verarmten Landschaft, wo Tümpel, Weiher ohne menschliche Nutzung oder kleine Moorseen zur Seltenheit geworden sind. Es fehlt aber auch an Laubmischwäldern in den Mittelgebirgen mit sauberen, mäandrierenden Quellbächen und mit Quellwasser gespeisten Kleingewässern. Feuersalamander benötigen Stillwasserzonen, da sie darin ihre voll entwickelten Larven absetzen, die über Kiemen verfügen. Am Feuersalamander lässt sich auch erkennen, wie schnell eine Krankheit wie die Salamanderpest den Bestand bedrohen kann, der bereits durch die Begradigung von Bächen, die Gewässerverschmutzung oder den Straßenverkehr gefährdet ist. Weitere Informationen hierzu finden Sie in meinem Artikel ‚Lebensraumverluste und ein Hautpilz bedrohen die Feuersalamander. Die Politik muss mehr für den Artenschutz tun‘. (Bild: Ulsamer)

Den Wasserfröschen bei ihrem Konzert zuzuhören, ist für mich eine Bereicherung meines Lebens. Ich würde mir wünschen, dass die Politik deutlich mehr für den Schutz von Amphibien tut, ansonsten haben die Frösche bald ausgequakt! Wasserfrösche sind nur ein Beispiel für Wildtiere, die durch menschliches Handeln immer stärker unter Druck geraten sind. Die politisch Verantwortlichen in Deutschland und der EU sollten sich nicht durch lautstarke Traktorkolonnen beeindrucken lassen, sondern besser mal auf das Froschorchester hören. Mehr Tümpel braucht’s im ‚Land der Frösche‘, ja in ganz Deutschland!

 

Ein grünlicher Frosch schwimmt in einem Tümpel. Seine Hinterbeine sind abgewinkelt.
Auf den hier gezeigten Fotos dürften sich Teichfrösche tummeln, aber so ganz sicher sind sich auch Fachkenner bei der Zuordnung nicht immer. Teichfrösche sind eine Hybridform, die ursprünglich aus Kreuzungen von Kleinem Wasserfrosch und Seefrosch hervorgegangen ist. Teichfrösche müssen sich nicht durch erneute Kreuzung der Elternarten fortpflanzen, sondern der Teichfrosch kann dies mit dem Kleinen Wasserfrosch bzw. dem Seefrosch erfolgreich tun. „Darüber hinaus ist der Teichfrosch in der Lage, reine Hybridpopulationen zu bilden, in denen triploide Individuen (Tiere mit drei Chromosomensätzen) die Elternarten funktionell-genetisch ersetzen“, so die Roten Listen. Ich halte mich lieber bei der Zuordnung nicht auf und habe mich gewissermaßen auf den Familiennamen ‚Wasserfrosch‘ zurückgezogen. Den Amphibien nutzen wissenschaftliche Definitionswettkämpfe ohnehin nichts, sie brauchen einen besseren Schutz ihres Lebensraums! (Bild: Ulsamer)

 

Ein Teichfrosch - grün mit dunklen Punkten - sitzt auf grünen Blättern.
Bewuchs am Rande des Gewässers bietet Schutz, und gut getarnt sind die Teichfrösche allemal. Einen besseren Schutz verdienen Amphibien auch in unserer Landschaft. Bei Baumaßnahmen sind Amphibien häufig die Leidtragenden. Auf ein trauriges Beispiel bin ich in meinem Blog-Beitrag eingegangen: ‚Hat die Deutsche Bahn kein Herz für Frösche und Molche? Arbeiten an der Dreiseenbahn als Todesfalle für Amphibien‘. (Bild: Ulsamer)

 

Ein grüner Frosch mit bräunlichen Hinterbeinen sitzt auf einem im Wasser schwimmenden Ast.
Kein Wunder, dass es Amphibien in Deutschland schwer haben, denn über Jahrzehnte wurden Tümpel zugeschüttet und Moore trockengelegt. Mehr dazu in: ‚Feuchtgebiete müssen geschützt und renaturiert werden. UNESCO World Wetlands Day‘. Wir müssen diese Negativentwicklung umkehren! Dafür sind ökologisch wertvolle Tümpel und andere Stillgewässer unerlässlich. (Bild: Ulsamer)

6. Juni 1944: D-Day in der Normandie

Bei dieser Skulptur stürmen drei ganz in Schwarz gehaltene US-Soldaten aus einem dunkelgrauen Landungsboot dessen Klappe geöffnet ist. Hinter ihnen die Düne des Omaha Beach. Doort kaum noch zu erkennen ein weiteres Denkmal.

Die Invasion zur Befreiung Europas von der NS-Diktatur

Am D-Day, dem Tag der Entscheidung, ging es bei der Invasion in der Normandie nicht nur um einen heldenhaften Ansturm alliierter Soldaten gegen die vom deutschen Militär zum Atlantikwall ausgebaute Küstenlinie, sondern in gleichem Maße um eine logistische Meisterleistung. 4 500 alliierte Soldaten ließen am ersten Tag der Invasion ihr Leben, aber innerhalb von 24 Stunden gelang es den USA, Großbritannien, Kanada und weiteren Staaten 150 000 Soldaten an der normannischen Küste zu landen und Brückenköpfe zu sichern. Das Ende der nationalsozialistischen Diktatur wurde durch die Invasion der Alliierten am 6. Juni 1944 eingeläutet, obschon der Weg bis nach Berlin und zum Kriegsende noch weit und blutig sein würde. Wenn sich ein Ereignis zum 80. Mal jährt, dann fehlen zumeist Zeitzeugen und häufig scheint die Bedeutung der Vorgänge zu schwinden, doch dies ist zum Glück bei der Invasion bis heute nicht der Fall: Die alliierten Truppen brachten die Freiheit zurück nach Europa, auf einen Kontinent, den das verbrecherische Regime der Nationalsozialisten weitgehend unter seine Knute gezwungen hatte. Adolf Hitler und seine kriminellen Mittäter hatten nicht nur die Welt in einen Krieg mit Millionen von Opfern gestürzt und millionenfach Menschen als Zwangsarbeiter versklavt, sondern mit der systematischen Ermordung von sechs Millionen Juden ein bis zu diesem Zeitpunkt kaum vorstellbares Menschheitsverbrechen begangen. Dem deutschen Widerstand war es nicht gelungen, dem mörderischen Treiben der NS-Schergen ein Ende zu bereiten, so blieb im Grunde nur der Anstoß von außen, um das Herrschaftssystem der Nationalsozialisten zu zerschlagen. Die Weltherrschaftsfantasien Hitlers wurden – auch zum Glück für uns Deutsche – durch die Landung an der französischen Küste erschüttert und letztendlich zertrümmert. Einer internationalen Koalition gelang es, die größte Landungsoperation der Geschichte erfolgreich durchzuführen, obgleich mit großem Blutzoll. Tausende von französischen Zivilisten ließen in Nordfrankreich ebenfalls ihr Leben und zehntausende von deutschen Soldaten, die Hitler in einen sinnlosen und verbrecherischen Krieg geschickt hatte. Die Freiheit siegte, und dafür dürfen wir bis heute dankbar sein! Die Invasion der alliierten Truppen am           6. Juni 1944 in der Normandie ist ein wichtiger Teil unserer Erinnerungskultur.

Zahllose weiße Kreuze auf dem Normandy American Semetry. Im Hintergrund eine größere Besuchergruppe vor Bäumen, danach das Meer.
Der Normandy American Cemetry liegt bei Colleville-sur-Mer in der Nähe von Bayeux auf einer Klippe über dem Omaha Beach, einer der Landungszonen bei der Invasion der Alliierten am 6. Juni 1944. Allein hier fanden fast 10 000 gefallene US-Soldaten ihre letzte Ruhestätte. Ein Mahnmal erinnert auch an 1557 Vermisste. Selbst Jahrzehnte nach meinem ersten Besuch dieses Friedhofs empfinde ich die langen Gräberreihen als bedrückend. Die hier begrabenen Soldaten starben für Freiheit und Frieden, der gegen die verbrecherische NS-Diktatur erkämpft werden musste. (Bild: Ulsamer)

Friedhöfe als Mahnung

Ich erinnere mich noch gut an meinen ersten Besuch auf dem Normandy American Cemetry, der oberhalb des Omaha Beach liegt. Es wäre ein malerischer Ort, wenn dort nicht 9 387 US-Soldaten ihre letzte Ruhestätte gefunden hätten. Gedacht wird auf diesem bewegenden Friedhof mit seinen schier unendlich scheinenden Reihen weißer Kreuze auch 1 557 vermissten Soldaten. 50 Jahre liegt nun mein erster Besuch zurück, und ich weiß noch wie heute, dass meine drei Schulkameraden und ich daran dachten, dass viele der hier beerdigten Soldaten am Tag ihres Todes in unserem Alter gewesen waren. Ein halbes Jahrhundert später rief dieser historische Ort für meine Frau und mich ähnliche Gefühle hervor, wenn wir nun allerdings an Kinder und Enkelkinder dachten, besonders vor dem Hintergrund, dass der russische Präsident Wladimir Putin in Europa einen Angriffskrieg gegen das Nachbarland Ukraine führt, der durch nichts gerechtfertigt werden kann. Wieder geht es nicht nur um die Integrität eines Landes, sondern um die Freiheit der Ukrainer und letztendlich unser aller Freiheit. Leider haben nicht alle politischen Potentaten aus den vergangenen beiden Weltkriegen oder anderen militärischen Auseinandersetzungen etwas gelernt. Die Dichte an Soldatenfriedhöfen ist in der Normandie oder an der Somme, wenn wir an den Ersten Weltkrieg denken, erschreckend und im Grunde zum Weinen. Mehr zu diesem traurigen Kapitel unserer europäischen Geschichte finden Sie in meinem Artikel ‚Soldatenfriedhöfe als Mahnung zur Völkerverständigung. Freiheit und Frieden gehören zusammen‘.

Fahne mit einer weißen Friedentaube mit einem Zweig im Schnabel.
Die Invasion alliierter Truppen in der Normandie jährt sich zum 80. Mal. Dieses historische Datum gehört zu unserer Erinnerungskultur: Die Befreiung Deutschlands und Europas vom Nationalsozialismus rückte durch die Landung am 6. Juni 1944 näher. (Bild: Ulsamer)

In einem Beitrag zur Invasion am 6. Juni 1944 macht es durchaus Sinn, zuerst noch kurz das Jahr 1940 zu betrachten. Deutsche Truppen hatten durch ihren schnellen Vorstoß über Belgien und durch die Ardennen französische und britische Truppen in Flandern und entlang der belgisch-französischen Kanalküste abgeschnitten. Am 26. Mai 1940 begann über den französischen Hafen Dünkirchen eine breit angelegte Rettungsaktion mit Schiffen aller Art: 370 000 alliierte Soldaten, unter ihnen 139 000 Franzosen, konnten sich nach England retten. Sie mussten zwar mangels Transportkapazität ihre schweren Waffen zurücklassen, doch die evakuierten Soldaten waren von zentraler Bedeutung für die neu aufgestellten britischen Verbände und der französischen Exilarmee. Hitler hatte selbst die Panzertruppen in ihrem Vormarsch stoppen lassen und geglaubt, die eingeschlossenen alliierten Verbände würden durch die deutsche Luftwaffe unter Hermann Göring aufgerieben. Hier zeigte sich, dass der NS-Diktator alles andere war als „der größte Feldherr aller Zeiten“, wie ihn Wilhelm Keitel, Chef des Oberkommandos der Wehrmacht von 1938 bis 1945, betitelt hatte. Wir alle können froh sein, dass der ‚Gröfaz‘ zwar beklagenswerter weise Abermillionen Menschen ins Unglück reißen konnte, doch in militärischen Fragen war er – wie im persönlichen Leben – ein Versager. So lag Hitler bis 11 Uhr im Bett, als die alliierte Invasion in der Nacht vom 5. auf den 6. Juni 1944 begonnen hatte, und wieder wurden die deutschen Panzer verspätet eingesetzt. Adolf Hitler konnte sich eine Invasion nur an der engsten Stelle des Kanals – also zwischen Dover und Calais – vorstellen, und hatte dort den Atlantikwall besonders stark ausbauen lassen. Wer jedenfalls mehrere Hunderttausend Soldaten 1940 in wenigen Tagen nach England ausschiffen konnte, der war 1944 auch in der Lage, eine gewaltige Streitmacht binnen Stunden und Tagen an der französischen Küste zwischen Ouistreham und der Pointe du Hoc bzw. Sainte-Mère-Église auf 90 km Breite an Land zu setzen.

Ein weißer Stein ragt in die Höhe, im Hintergrund das blaue Meer - der Ärmelkanal.
Die Hälfte der 250 U.S. Army Ranger, die am 6. Juni 1944 bei Grandcamp-Maisy in der Normandie gelandet waren, um die Pointe du Hoc zu erobern, ließen bei diesem Unterfangen ihr Leben. Letztendlich gelang es den US-Soldaten, die deutsche Stellung auszuschalten. Die 155-Millimeter-Geschütze, die den Landungsbereich am Omaha Beach hätten beschießen können, waren von der Wehrmacht bereits ins Hinterland verlegt worden, sie konnten dort unbrauchbar gemacht werden. Ein Denkmal erinnert heute auf der Klippe an ihren Kampf. (Bild: Ulsamer)

Zumindest erwähnen möchte ich noch die Landung alliierter Truppen, in erster Linie kanadischer Soldaten, am 19. August 1942 in Dieppe, im von deutschen Truppen besetzten Nordfrankreich. Das eigentliche Ziel der 8 500 Soldaten war es, die Hafenstadt für 24 Stunden zu besetzen, doch dies misslang und die Operation ‚Jubilee‘ wurde nach enormen Verlusten abgebrochen. Die Westalliierten hatten erkannt, dass die von Josef Stalin, Generalsekretär der KPdSU und kommunistischer Diktator der Sowjetunion, geforderte zweite Front noch nicht aufgebaut werden konnte. Die verbleibende Zeit bis zur Invasion am 6. Juni 1944 wurde intensiv genutzt, um insbesondere in den US-Rüstungsfabriken die notwendigen militärischen Geräte zu produzieren und die alliierten Truppen weiter auszubauen. Die deutsche Seite feierte das Zurückschlagen der ‚Dieppe Raid‘ als großen Erfolg, ohne zu erkennen, dass die alliierten Truppen zwar rd. 70 % der Soldaten und zahlreiche Flugzeuge verloren hatten, aber wichtige Erkenntnisse über das deutsche Verhalten bei einer Landung gewinnen konnten, die in die Invasionsvorbereitungen einflossen.

Drei Gruppen von Metallstelen mit unterschiedlichen Formen auf dem Sandstrand, dahinter die auflaufenden Meereswellen.
Im Zentrum des Omaha Beach erinnert eine moderne Skulptur von Anilore Banon an die Landung der Alliierten am 6. Juni 1944. Dieser Küstenabschnitt war zwar heftig bombardiert worden, doch die Bomben trafen das Hinterland und nicht die Bunker der deutschen Besatzer. Daher erwartete die landenden Truppen heftiger Beschuss, dem 3 000 US-Soldaten zum Opfer fielen. Die aus Anlass des 60. Jahrestags der Invasion errichtete Skulptur ‚The Braves‘ von Anilore Banon, die 1957 in Casablanca geboren wurde, ist dreigeteilt: ‚The Wings of Hope‘, ‚Rise, Freedom!‘ and ‚The Wings of Fraternity‘. Mit den Flügeln der Hoffnung möchte die Künstlerin daran erinnern, dass die Zukunft veränderbar ist, wie das auch die Invasion mutiger Soldaten gezeigt hat. Das Beispiel der Soldaten, die sich gegen die Barbarei stellten, soll Ansporn sein, sich gegen jede Inhumanität zu wenden. Die Flügel der Brüderlichkeit sollen uns an unsere Verantwortung gegenüber anderen und uns selbst erinnern, so der Wunsch von Anilore Banon. Die eindrucksvolle Skulptur wurde bei Saint-Laurent-sur-Mer direkt am Strand errichtet und lohnt einen Besuch für historisch und künstlerisch Interessierte. (Bild: Ulsamer)

Der Anfang vom Ende des NS-Regimes

Für die größte Landung militärischer Verbände der Geschichte hatten die westlichen Alliierten alle industriellen und militärischen Möglichkeiten genutzt, und wie beim Ersten Weltkrieg zeigte es sich, dass der US-Wirtschaft dabei eine zentrale Rolle zukam. „Mit über 3.100 Landungsbooten setzte in der Nacht zum 6. Juni 1944 die erste Welle der Invasionsarmee von Großbritannien nach Frankreich über. Unter dem Feuerschutz von 1.200 Kriegsschiffen und 7.500 Flugzeugen landeten im Morgengrauen rund 150.000 Amerikaner, Briten, Franzosen, Polen sowie Kanadier und weitere Commonwealth-Angehörige an fünf verschiedenen Stränden der Normandie. Gleichzeitig brachten Fallschirmjäger und Luftlandetruppen wichtige strategische Punkte im Hinterland unter ihre Kontrolle. Am 12. Juni gelang es rund 330.000 alliierten Soldaten mit 54.000 Fahrzeugen, die fünf Landungsköpfe zu einer zusammenhängenden Front von 100 Kilometern Länge und 30 Kilometern Tiefe zu verbinden“, so Arnulf Scriba vom Deutschen Historischen Museum in ‚LEMO Lebendiges Museum Online‘. Die ursprünglich für den 5. Mai vorgesehene Landung wurde wegen des stürmischen Wetters um einen Tag verschoben. „Das Wetter war schlecht, typischer für Dezember als für Juni; doch bestand nach den Meteorologen einige Aussicht auf eine vorübergehende Besserung in der Frühe des 6. Dann dürfte es wieder auf unbestimmte Zeit rauh und stürmisch sein“, so Winston Churchill, damals Premierminister des Vereinigten Königreichs, in seinem mit dem Nobel-Preis ausgezeichneten Werk ‚Der Zweite Weltkrieg‘, das 1948 erschienen ist. Die Meteorologen auf deutscher Seite schätzten die Wetterlage anders ein und bestärkten damit die deutschen Militärs, die in diesen Tagen keine Invasion erwarteten. Wichtige Hinweise zur Einschätzung des sich abzeichnenden Wetters und zur Verschiebung der Invasion um einen Tag hatte die irische Postbotin Maureen Sweeney gegeben, die im westirischen Blacksod (County Mayo) am 3. Juni 1944 den sich abzeichnenden Sturm über dem Atlantik, der in westliche Richtung zog, am Druckabfall erkannt hatte. Die 21-Jährige rettete vermutlich mit ihren meteorologischen Daten vielen Soldaten das Leben und wurde dafür 2021 vom US-Repräsentantenhaus geehrt.

Bunkeranlage, aus der vorderen Öffnung ragt ein Kanonenrohr. Eine kleine Besuchergruppe vor dem Bunker, dahinter ein weiterer Betonbunker.
Die deutsche Geschützbatterie bei Longues-sur-Mer ist die einzige als historisches Monument gelistete Stellung dieser Art. Die Bunker liegen auf einer Klippe, von der aus man einen weiten Blick hat über den Ärmelkanal, auf den Omaha Beach, an dem US-Truppen landeten, und ‚Juno Beach‘, dem britischen Angriffssektor. Durch Bombenangriffe und Beschuss durch Schiffsartillerie konnte die Geschützstellung nicht voll in das Geschehen eingreifen. Am 7. Juni 1944 nahmen britische Soldaten das Areal ein. (Bild: Ulsamer)

Bei der Festlegung des Angriffstermins spielten zahlreiche Faktoren eine Rolle. Beim Absetzen von Fallschirmjägern und Gleitern, die von Motormaschinen zur normannischen Küste geschleppt und dann ausgeklinkt wurden, durfte es nicht zu windig sein, aber sie sollten auch in einer hellen Mondnacht landen, um sich eine bessere Orientierung zu ermöglichen. „Und schließlich waren die Gezeiten zu berücksichtigen. Landeten wir bei Flutwasser, würden die Unterwasserhindernisse die Annäherung erschweren, landeten wir bei Ebbe, mussten die Truppen eine weite Strecke über den ungeschützten Strand zurücklegen“, berichtete Winston Churchill. War der Weg von den Booten bis zu den Klippen oder Dünen sehr weit, boten die ankommenden Soldaten zu lange ein Ziel für die deutschen Verteidiger in den Bunkeranlagen. Nimmt man diese Anforderungen zusammen, dann hätte die Invasion bei einer weiteren Terminveränderung um 14 Tage – eher vier Wochen – verschoben werden müssen, wenn man die Mondphase einbezieht. Über einen solch langen Zeitraum hätte die Geheimhaltung niemals aufrechterhalten werden können. Bei jeder kurzen Verschiebung – wie vom 5. auf den 6. Juni – musste die militärische Führung unter dem späterem US-Präsidenten General Dwight D. Eisenhower, sowie seinem britischen Kollegen Bernard Montgomery, an die Soldaten denken: „Es war ein schwerer Tag für die vielen Tausende, die sich längs der ganzen Küste in der drangvollen Enge der Landungsschiffe befanden“, so Churchill.

Farbiges Glasfenster in der Kirche mit einem runden Bogen am oberen Ende. Deutlich erkennbar: Maria mit Jesuskind, links und rechts von ihr etwas weiter unten Fallschirmjäger.
Die Kirche in Sainte-Mère-Église wurde im 11. Jahrhundert im romanischen Stil gebaut und bis ins 16. Jahrhundert im gotischen Stil überformt. Im Innern findet sich ein modernes Fenster, das Maria mit dem Jesuskind zeigt, umgeben von niedergehenden Fallschirmjägern. Diese werden als die schützenden Engel der Stadt angesehen. (Bild: Ulsamer)

Nicht unterschätzt werden darf die Rolle der Fallschirmjäger und weiterer Soldaten, die mit Lastenseglern hinter den deutschen Linien landeten, wichtige Brücken besetzten und auf diese Weise vor der Zerstörung durch deutsche Truppen bewahrten. Sie eroberten und befreiten als erste Gemeinde in der Normandie Sainte-Mère Église im Hinterland des ‚Utah-Beach‘ genannten Strandabschnitts. Utah- bzw. Omaha-Beach wurden die Küstenabschnitte genannt, an denen die US-Streitkräfte landeten, an ‚Gold‘ und ‚Sword‘ kämpften die Briten und dazwischen an ‚Juno‘ die Kanadier. Anhaltendes Bombardement und Beschuss durch die alliierten Schiffskanonen hatte in den genannten Sektoren des Atlantikwalls Wirkung gezeigt, mit Ausnahme des Omaha-Beach. Historiker streiten darüber, ob ein kleiner Rechenfehler oder die Wolkendecke dazu geführt hatte, dass die anfliegenden alliierten Flugzeuge ihre Bomben nicht auf die Befestigungen auf den Klippen, sondern auf das Hinterland abgeworfen hatten. Die Folge war für die landenden US-Soldaten furchtbar: Sie trafen auf eine nicht beeinträchtigte Gegenwehr der deutschen Einheiten, so dass General Omar Bradly gegen neun Uhr am Morgen auf dem Flaggschiff der Armada USS Augusta überlegte, den Omaha-Beach aufzugeben. Trotz der enormen Verluste in der Anfangsphase gelang es den US-Kräften den Strand zu verlassen und die Stellungen der deutschen Soldaten zu stürmen. Die alliierten Streitkräfte konnten ihre Brückenköpfe in den nächsten Tagen zu einer einheitlichen Front verbinden und weiter vorrücken, während man sich im Oberkommando der Wehrmacht weder über die Bedeutung des Vorstoßes im Klaren noch über die Heranführung weiterer Kräfte einig war. „Daß es sich tatsächlich um den lang erwarteten D-Tag handelte, zeigte ein in den Morgenstunden verbreiteter Befehl Eisenhowers, an den sich Ansprachen der feindlichen Ministerpräsidenten anschlossen“, so der Eintrag im ‚Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht‘, herausgegeben von Percy E. Schramm, der selbst einer der damaligen Autoren war. „Jedoch war noch nicht klar, ob es sich um einen ersten Vorstoß, um eigene Kräfte zu binden, oder wirklich schon um die Hauptaktion handelt.“ Bis sich Adolf Hitler und das Oberkommando der Wehrmacht zu einer geschlossenen Reaktion durchgerungen hatten, war es den Alliierten gelungen, an der normannischen Küste Fuß zu fassen und dank ihrer Luftüberlegenheit konnten sie verspätete deutsche Vorstöße mit Panzern weitgehend unterbinden. Der Anfang vom Ende der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft in Europa und in Deutschland wurde durch die gelungene Invasion in der Normandie endgültig eingeleitet.

Klippen an der normannischen Küste beim Pointe du Hoc. Davor rostiger Stacheldraht.
Blick von der Pointe du Hoc auf die Küste, die die alliierten Truppen bei ihrer Invasion vor gewaltige Herausforderungen stellte. (Bild: Ulsamer)

Opfer für die Freiheit

Allein in den ersten 24 Stunden der Invasion starben 4 500 alliierte Soldaten bei dem letztendlich erfolgreichen Bemühen, die Freiheit wieder in weite Regionen Europas zu bringen, die die NS-Diktatur mit brutaler Gewalt unterworfen hatte. Eine erschreckende Zahl an Toten, nicht zu vergessen die zivilen Opfer und die Toten auf deutscher Seite, die Adolf Hitler allerdings kalt ließen – ebenso wie alle Menschen, die wegen seiner kruden und verbrecherischen Ideologie und dem daraus resultierenden Handeln ihr Leben lassen mussten. „Wir sind mit geringen Verlusten hinübergekommen“ schrieb Churchill in einem Telegramm an Stalin. „Mit einem Verlust von rund 10 000 Mann hatten wir gerechnet“. Die Friedhöfe in der Normandie füllten sich, mit denen, die für die Freiheit kämpften, und denen, die weiter für das NS-Regime stritten, obwohl nicht wenige erkannt hatten, dass das Ende des Nationalsozialismus längst eingeläutet worden war. In den Tagen der Invasion befreiten alliierte Truppen Rom, bereits im Winter 1942/43 hatte sich in Stalingrad gezeigt, dass der Krieg auch im Osten verloren war. Einsichtsfähigkeit fehlte Adolf Hitler, der sich in eine verbrecherische Rassenideologie verstrickt hatte, und Menschenleben zählten für den NS-Diktator nicht.

Ein Ständer gefüllt mit unterschiedlichen Prospekten für Museen und andere Gedenkorte zur Invasion in der Normandie.
Das Angebot an Museen und Gedenkorten, die sich der Invasion der Alliierten in der Normandie widmen, ist vielfältig und füllt ganze Prospektständer. Vielen anderen historischen Orten ist es nicht gelungen, sich so breit im Bewusstsein zu halten. Einen guten Überblick über die historischen Orte und die Öffnungszeiten der Museen usw. vermittelt eine Broschüre mit dem Titel ‚Visitors‘ Guide of the D-Day Landing Beaches and the Battle Normandy‘, die vom Normandie Tourism herausgegeben wurde. (Bild: Ulsamer)

Nach 80 Jahren behält die Invasion vom 6. Juni 1944 ihre historische Bedeutung und sie gehört zur Erinnerungskultur in den beteiligten Staaten – gleich ob Sieger oder Verlierer. Die alliierte Landung in der Normandie läutete den Untergang der NS-Diktatur endgültig ein, und die Opfer der zumeist jungen Soldaten aus weiten Teilen der Welt waren somit nicht vergeblich. Wenn wir in Deutschland und Europa Jahrzehnte in Frieden und Freiheit leben konnten, dann verdanken wir dies auch den alliierten Truppen, die für die damals Lebenden und die nachfolgenden Generationen gegen das diktatorische NS-Regime kämpften. Besonders bitter ist es für mich, wenn ich auf einem Soldatenfriedhof in der Normandie stehe, und gleichzeitig Menschen in der Ukraine ihre Freiheit gegen russische Truppen verteidigen müssen, die Wladimir Putin in einen – durch nichts zu rechtfertigenden – Angriffskrieg geschickt hat.

Auf dem Sandstrand liegt ein gewaltiger Ponton.
Zu Beginn der Invasion waren alle französischen Häfen in deutscher Hand, weswegen es von größter Bedeutung war, den Nachschub über die eroberten Strandabschnitte abzuwickeln. Die Alliierten bauten innerhalb weniger Tage zwei künstliche Häfen aus in Großbritannien vorgefertigten Teilen. Der im Aufbau befindliche Hafen im amerikanischen Landungsbereich des Omaha Beach – vor Vierville-sur-Mer – wurde durch einen heftigen Sturm am 19. Juni 1944 zerstört, daher kam dem sogenannten ‚Mulberry B – so sein Codename ‚Maulbeere‘ – vor Arromanches umso größere Bedeutung zu. Innerhalb von 100 Tagen wurden ab dem 7. Juni 1944 über den schnell errichteten Hafen, auch als ‚Port Wilson‘ bezeichnet, 220 000 Soldaten und 530 000 Tonnen an Material sowie 39 000 Fahrzeuge an Land gebracht. Verschiedene Elemente der Kais usw. sind noch bei Arromanches im Meer zu sehen. Im Bild einer der Pontons, der bei Ebbe am Strand zu erreichen ist. (Bild: Ulsamer)

Die Invasion der Alliierten in der Normandie ist und bleibt ein wichtiges historisches Ereignis, dessen Bedeutung bis in unsere Zeit und in die Zukunft reicht. Die alliierten Truppen führten einen Kampf gegen die NS-Diktatur und für die Freiheit! Sie kämpften für unsere Freiheit! Ihr Opfer darf nicht in Vergessenheit geraten.

 

Gedenktafel in grauem Beton "1944 - 2004 Port-en-Bessin". Gezeigt werden auch die Fahnen der USA und des Vereinigten Königreichs.
Port-en-Bessin, einen heute sehr geschäftigen Fischereihafen, befreite ein britisches Marinekommando in der Nacht vom 7. auf den 8. Juni 1944 von der deutschen Besatzung. Auf einer Gedenktafel heißt es im englischen Text: „Following the invasion of France, the town was occupied by German troops for four difficult years.“ In der französischen Fassung fehlt sogar der Zusatz ‚schwierig‘. Wir dürfen dankbar sein, wenn uns heute nicht alle Abscheulichkeiten vorgehalten werden, die unter der NS-Besatzung geschahen. Dies sollte uns Mahnung sein, immer und überall für die Freiheit und die Menschenrechte einzutreten. In Port-en-Bessin wurden täglich 1 000 Tonnen Treibstoff von größeren Schiffen mittels einer Leitung entlang des Kais an Land gebracht. Ersetzt wurde diese Lieferung u. a. durch eine durch das Meer verlegte Pipeline von der britischen Isle of Wight nach Cherbourg: ‚PLUTO – Pipe-Line Under The Ocean‘. (Bild: Ulsamer)

 

Blick auf das heutige Cherbourg. Im Hintergrund der Hafen und das Meer.
Dem Hafen in Cherbourg kam große strategische Bedeutung zu, da über ihn Truppen- und Materialtransporte direkt aus den USA abgewickelt werden sollten. Am 26. Juni 1944 hatten US-Truppen die Hafenstadt eingenommen und General Bradley betonte gegenüber den Einwohnern, die ihn willkommen hießen: “It is a pleasure to be able to say to the French people: here is the first large town that is returned to you.” Die deutschen Truppen hatten Teile der Hafenanlagen zerstört, doch ab Mitte Juli konnten Versorgungslieferungen bereits wieder abgewickelt werden. (Bild: Ulsamer)

 

Eine Brücke über einen Fluss. Links eine Konstruktion wie ein zweistöckiges Haus, die die Brücke hochheben kann.
Mit Lastenseglern landeten britische Soldaten in der Nacht vom 5. auf den 6. Juni 1944 an der Brücke über den Bénouville-Kanal, die seit der Invasion den Namen Pegasus Brücke trägt. Diese wichtige Verkehrsverbindung liegt am östlichen Ende der Landungsstrände. Die Originalbrücke kann in einem nahegelegenen Museum besichtigt werden, die heutige Brücke für den Autoverkehr ist der historischen Vorgängerin nachempfunden. (Bild: Ulsamer)

 

An einem Kirchturm hängt eine Puppe in der Uniform eines US-Fallschirmjägers.
In der Nacht vor dem Sturm alliierter Truppen auf die Strände der Calvados-Küste landeten Fallschirmjäger im Hinterland, um wichtige Brücken und Verkehrsknotenpunkte zu sichern. US-Fallschirmjäger wurden vom Wind über das malerische Dorf Sainte-Mère-Église getrieben, wo sie von den deutschen Besatzern heftig beschossen wurden. John Steele von der 82. US-Luftlandedivision blieb am Kirchturm mit seinem Fallschirm hängen und wurde nach längerer Zeit gefangen genommen. Steele gelang jedoch die Flucht. Im US-Film ‚Der längste Tag‘, der 1962 in die Kinos kam, wurde sein Schicksal aufgegriffen, und dies machte Steele zu einer populären Person. „Auf dem Dach der Kirche hängt eine uniformierte Fallschirmjägerpuppe, zwar nicht mit einem grünen, sondern weißen Fallschirm, denn den sieht man besser; und nicht originalgetreu auf der Rückseite der Kirche, sondern Richtung Kirchplatz, wo die meisten Leute sind. Aber niemanden stört’s“, schrieb der deutsche Historiker und Journalist Guido Knopp in einem Beitrag für ‚normandie-tourisme‘. (Bild: Ulsamer)

 

Die Skulptur zeigt einen Seemann, der auf einem Sockel aus Stein steht. Links und rechts Fahnenstangen, jedoch ohne Flagge.
Über die großen an der Invasion beteiligten Truppenkontingente aus den USA, dem Vereinigten Königreich oder Kanada dürfen wir die Soldaten und Seeleute aus anderen Nationen nicht vergessen, die sich dem Kampf für die Freiheit angeschlossen hatten. Stellvertretend zeige ich hier ein Denkmal, das in der Normandie an die 800 dänischen Seeleute erinnert, die bei der Invasion mitwirkten. Über 30 Schiffe aus Dänemark, das am 9. April 1940 von deutschen Truppen besetzt worden war, gehörten zur Invasionsflotte. 24 von ihnen fuhren unter der dänischen Nationalflagge, dem Dannebrog. Insgesamt beteiligten sich 6 000 dänische Seeleute an alliierten Aktivitäten während des Zweiten Weltkriegs: Jeder Sechste sah seine Heimat nicht wieder. (Bild: Ulsamer)

 

Steinplatte mit Metallschildchen, die die Namen von Soldaten tragen. Ein kleiner weißer Gedenkkranz ist befestigt.
Nicht nur in der Normandie sind die zahlreichen Soldatenfriedhöfe unübersehbar, die an das Grauen des Kriegs erinnern. Aus dem üblichen Rahmen fällt der Friedhof bei der kleinen Gemeinde Huisnes-sur-Mer: „Die Ruhestätte ist das einzige deutsche Mausoleum in Frankreich“, so der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. Die Informationstafel zitiert den Friedensnobelpreisträger Albert Schweitzer: „Die Soldatengräber sind die größten Prediger des Friedens.“ 11 956 Tote haben hier ihre letzte Ruhestätte gefunden, darunter auch 20 Kinder. Adolf Hitler ließ eigene Soldaten und die der Gegenseite, aber auch Zivilisten ohne jede Rührung sterben. Vom Hügel dieser Kriegsgräberstätte haben die Besucher einen Blick auf den Mont-Saint-Michel. (Bild: Ulsamer)

 

Skulptur einer symbolhaften Frauenfigur.
Der chinesische Künstler Yao Yuan wurde während der Kulturrevolution gezwungen, in einer Fabrik zu arbeiten. Im kommunistischen China schuf er bereits verschiedene Großplastiken, die er dem Thema ‚Frieden‘ widmete. Zehn Meter hoch und acht Tonnen schwer ist seine World Peace Statue im französischen Grandcamp-Maisy, rund vier Kilometer entfernt von der Pointe du Hoc und dem Omaha Beach. Die Friedenstaube ist der jungen Frau aus Edelstahl inzwischen ‚entflogen‘, fast ein Sinnbild für die Situation in Europa nach dem Angriffskrieg Putins auf die Ukraine. Enthüllt wurde die Statue zum 60. Jahrestag der alliierten Landung an der normannischen Küste. Chinesische Künstler scheinen einen Hang zu monumentalen Skulpturen zu haben, denn auch die Bronzefigur von Karl Marx in Trier, entworfen vom chinesischen Staatskünstler Wu Weishan, ist etwas zu groß geraten. (Bild: Ulsamer)

 

Flaschen stehen in einem Supermarktregal. Sie tragen Bilder, die an die Invasionsstrände bzw. beteiligte Personen erinnern.
Getränke und Kekse als Teil der Erinnerungskultur in Supermärkten? Daran werden sich die Geister scheiden. (Bild: Ulsamer)

 

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Bei dieser Skulptur stürmen drei ganz in Schwarz gehaltene US-Soldaten aus einem dunkelgrauen Landungsboot dessen Klappe geöffnet ist. Hinter ihnen die Düne des Omaha Beach. Doort kaum noch zu erkennen ein weiteres Denkmal.Als die alliierten Truppen am 6. Juni 1944 ab 6.30 Uhr an den Stränden der Normandie an Land gingen, veränderten sie die politische Welt: Sie läuteten mit ihrem Mut das Ende der nationalsozialistischen Terrorherrschaft ein. Hinter dem Denkmal und der Düne liegt der Omaha Beach, an dem viele US-Soldaten ihr Leben verloren. (Bild: Ulsamer)

 

 

Feldhasen im Visier

Ein Feldhase mit langen Ohren und hellbraunem Felll springt durch eine Wiese.

Rote-Liste-Status nutzt nichts bei Verlust des Lebensraums

Feldhasen werden auf den deutschen ‚Roten Listen‘ als ‚gefährdet‘ geführt und gleichzeitig dürfen sie weiter geschossen werden! Für das Jagdjahr 2022/23 nennt der Deutsche Jagdverband in seiner Statistik 238 148 getötete Feldhasen. Das ist ein Skandal! Der Feldhase kann auf kurzen Strecken bis zu 80 km/h schnell rennen, doch den Marathonlauf gegen eine intensive Landwirtschaft, die Zerschneidung der Landschaft und eine nimmermüde Jägerschaft droht er zu verlieren. Auf Felder und Wiesen schwappt die Gülleflut, mal wird mit der chemischen Keule zugeschlagen, Monokulturen und Einheitsgrün setzen sich durch, Brachflächen, blühende Ackersäume, Hecken und Feldgehölze sind zur Seltenheit geworden. Wo sollen Feldhasen da ihre Jungen bekommen und für sich selbst ein sicheres Plätzchen oder Nahrung finden? Zwar sind wir begeisterte Wanderer, auch in landwirtschaftlichen Regionen, inzwischen habe ich allerdings mehr Feldhasen in städtischen Parkanlagen als auf den namensgebenden Feldern gesehen. Den Feldhasen nützt es nichts, wenn sie auf der Roten Liste stehen und an Ostern gewissermaßen ein Festtag für Meister Lampe begangen wird – sie brauchen effektiven Schutz gegen Beschuss und die Sicherung ihres Lebensraums.

Ein brauner Acker mit einem grasbewachsenen Randstreifen von 20 bis 30 Zentimetern. Daneben ist der asphaltierte Weg zu sehen.
Eine immer intensivere Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen hat vielerorts den Lebensraum der Feldhasen zerstört. Wo Brachflächen und überjährige Blühstreifen fehlen oder Ackersäume verlorengegangen sind, haben Feldhasen keine Überlebenschance. Mehr dazu in: ‚Agrarbereich muss naturnäher arbeiten. Ökologie und Nachhaltigkeit als Basis für die Landwirtschaft‘. (Bild: Ulsamer)

Verarmung der Landschaft

Die Landwirtschaftspolitik in der Europäischen Union setzt seit Jahrzehnten auf eine ständige Intensivierung und bietet mit Flächenprämien bis heute zu wenig Anreize, um eine strukturreiche Landschaft zu erhalten bzw. wieder herzustellen. Bei Flurbereinigungen galten Hecken oder Inseln mit Gebüsch und Bäumen oder Trockensteinmauern als Hindernisse für die immer gewaltigeren Landmaschinen und wurden beseitigt. Wo fünf Mal pro Jahr das Gras gemäht und die Felder bis zum nächsten asphaltierten oder geschotterten Weg beackert werden, findet der Feldhase keine ruhige Stelle für seine Jungen. Fehlt es an Deckung, haben Wildschweine oder Greifvögel, Füchse oder Rabenvögel als natürliche Feinde leichtes Spiel. Mit seinen tierischen Gegenspielern kam der Feldhase über lange Zeiträume zurecht, doch seine Existenz wird heute vom Menschen bedroht. Ackerflächen werden bei der Ernte so umfassend abgeräumt, dass im Herbst und Winter kaum Pflanzen oder deren Samen übrigbleiben. Nicht nur der Feldhase hat auf solchen braunen Flächen das Nachsehen, sondern Regenwürmer ebenfalls.

Ein irischer Mountain Hare mit langen Ohren und bräunlichem Fell an der Oberseite und weißem am Bauch schaut aus einer Hecke mit Stechginster.
Dieser Mountain Hare hat in einer Stechginsterhecke ein sicheres Plätzchen gefunden, wo er sogar etwas Sonne abbekommt. Leider sind in Deutschland zahlreiche Hecken verschwunden, was besonders in Zeiten des Klimawandels nicht nur ein Nachteil für die Tierwelt ist, sondern für die Bauern gleichermaßen. Sturm und Starkregen setzen den Böden zu. Weitere Informationen hierzu finden Sie in meinem Artikel ‚Mehr Hecken gegen den Klimawandel. Die Artenvielfalt braucht Hecken, Gebüsch und Bauminseln‘. (Bild: Ulsamer)

„Die Verarmung an Landschaftsstruktur wirkt sich dabei gleich mehrfach negativ aus. Durch das Fehlen an Deckung sind Hasen nicht nur den Witterungsbedingungen stärker ausgesetzt, sondern sind auch für Beutegreifer leichter zu entdecken. Darüber hinaus hat der Verlust an Strukturreichtum in der Landschaft auch zu einer Abnahme der Pflanzenbiodiversität geführt. Da Hasen sich hauptsächlich von Gräsern und Kräutern ernähren, führt die intensive Landwirtschaft womöglich auch zu einem Mangel an Nahrungsqualität oder -quantität. Um den negativen Folgen der Landschaftsveränderung entgegenzuwirken, wird das Stilllegen von Ackerland und das Anlegen von Ackerrandstreifen empfohlen“, so Dr. Klaus Hackländer in seiner Veröffentlichung ‚Feldhasen in der Kulturlandschaft: Die Bedeutung von Brachen für Nahrungsökologie, Energiehaushalt und Populationsdynamik‘, die er mit Förderung der Deutschen Wildtier Stiftung erstellt hat. Der am Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie (FIWI) der Veterinärmedizinischen Universität Wien tätige Klaus Hackländer hat es auf den Punkt gebracht: Es fehlt an Nahrung und Versteckmöglichkeiten für den Feldhasen.

Ein Feldhase - lange Ohren und braunes Fell - liegt im Gras.
Pflanzen bieten Nahrung und Sichtschutz für die Feldhasen, so auch im Rosensteinpark in Stuttgart. (Bild: Ulsamer)

Flucht in die Stadt

Und daher hat sich so mancher Feldhase gezwungenermaßen schon mal zum ‚Stadthasen‘ gewandelt, der auf der Flucht vor Monokulturen und allerlei chemischen Helferlein in großflächige städtische Grünanlagen abgewandert ist. Auf diese Weise bekommt ‚Landflucht‘ eine neue inhaltliche Auslegung! Sein gutes Gehör und der ausgeprägte Geruchssinn schützten den Feldhasen und seine Kollegen – wie den Mountain Hare in Irland – lange vor ihren Feinden, aber Gülle aus der Massentierhaltung und Gärreste aus Biogasanlagen, das Totalherbizid Glyphosat, das Wildkräuter killt, oder der geballte Chemiebaukasten, der in der Intensivlandwirtschaft zum Zuge kommt, all das macht den Feldhasen zu schaffen. Ihre Populationen können sich nicht dauerhaft erholen, schon gar nicht, wenn obendrein noch die Büchse knallt.

Ein Feldhase rennt über eine Wiese. Seine langen Hinterbeine sind gut zu erkennen.
Ein Feldhase kann auf 70 bis 80 km/h beschleunigen, wenn er sich bedroht fühlt. Hilfe gegen Fressfeinde bieten auch seine abrupten Richtungswechsel. Sofern es sein muss, kann der Feldhase sogar bis zu drei Meter weit und zwei Meter hoch springen. (Bild: Ulsamer)

Geradezu skurril ist es, wenn immer wieder behauptet wird, man müsse die Füchse dezimieren, um die Feldhasen zu schützen, doch flugs legen die gleichen Jäger auf Fuchs und Feldhase, und gerne auch mal auf ein Rebhuhn an. „Füchse sterben zum Wohl des Feldhasen“, so lautete die Überschrift in der ‚Stuttgarter Zeitung‘: Wenn schon zum großen Halali geblasen werden soll, dann aber bitte nicht mit solch fadenscheinigen Parolen! Feldhase und Fuchs kommen in einer halbwegs intakten Natur sowieso miteinander zurecht, wenn nicht beide Tierarten fleißig bejagt würden. Und noch abstruser ist es – am Rande bemerkt – wenn zuerst die Füchse massenhaft abgeschossen werden, um anschließend über die Mäuseplage zu jammern! Viele Zeitgenossen scheinen sich von der Natur immer weiter zu entfernen, und so fällt ihnen gar nicht mehr auf, dass Tiere und Pflanzen aus unserer Landschaft verschwinden. Dabei geht es nicht nur um den Feldhasen oder den Feldhamster, den Großen Brachvogel oder Stare und Schwalben, sondern auch um Insekten, die um      75 % in drei Jahrzehnten abgenommen haben. Axel Hochkirch und seine Mitautorinnen und -autoren belegen mit ihrer im Internet-Fachmagazin PLOS One veröffentlichten Studie ‚A multi-taxon analysis of European Red Lists reveals major threats to biodiversity‘, dass fast ein Fünftel der in den Roten Listen erfassten Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht sind! Weitere Hinweise zu dieser Studie finden Sie in meinem Beitrag ‚Tieren und Pflanzen beim Aussterben zusehen? Rote Listen: Die Biodiversität schmilzt dahin‘. Wir müssen die Politik dazu drängen, diesem traurigen Trend nicht länger weitgehend tatenlos zuzusehen. Der Feldhase gilt bisher bereits als gefährdet, doch um schlimmeres zu verhindern, muss der zahlenmäßige Niedergang sofort gestoppt werden!

Ein hellbrauner Feldhase mit langen Ohren sitzt auf einer Wiese vor höheren Gräsern.
Feldhasen haben städtische Parkanlagen besiedelt, weil ihre alte Heimat ausgedehnten Monokulturen, häufiger Mahd und Herbiziden zum Opfer gefallen ist. Ackersäume wurden immer schmaler und Brachflächen kamen unter den Pflug. So bietet ein naturnaher Park tatsächlich mehr Futterpflanzen und Versteckmöglichkeiten. (Bild: Ulsamer)

Feldhasen ganzjährig schützen

Wer den Lebensraum der Feldhasen sichern und wieder ausweiten möchte, der muss sich für eine Extensivierung der Landwirtschaft einsetzen. Derzeit dagegen wird von der EU-Kommission, der Mehrheit des EU-Parlaments und der Bundesregierung mit dem grünen Landwirtschaftsminister Cem Özdemir genau das Gegenteil betrieben. Wenn wir unsere Natur schützen wollen, brauchen wir eine Agrarrevolution! Vor den Wahlen zum Europaparlament im Juni 2024 findet jedoch exakt das Gegenteil statt: Plötzlich scheinen Brachflächen, Blühstreifen und eine sachgerechte Fruchtfolge nicht mehr wichtig und entsprechende Vorgaben werden gekippt. Das passt auf erschreckende Weise zur Verlängerung der Zulassung von Glyphosat für ein weiteres Jahrzehnt! Und dies unter der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die lange über einen ‚Green Deal‘ palaverte, der sich in der Tagespolitik indessen längst in Luft aufgelöst hat. Mehr dazu in: ‚EU: Green Deal im Glyphosatnebel verschollen. EU-Kommission hat kein Herz für Insekten und Wildkräuter‘. Die EU-Agrarsubventionen, die noch immer überwiegend an der Fläche und weniger an Ökologie und Nachhaltigkeit orientiert sind, bedeuten den Untergang für Feldhasen und Rebhühner. Und ganz nebenbei: Die kleinbäuerlichen Familienbetriebe werden durch die desaströse EU-Agrarpolitik ebenso vernichtet wie Insekten und Vögel, was allerdings manchen Traktor-Rabauken wohl nicht aufgefallen war, die sich gegen ökologisch sinnvolle Vorgaben wenden und nicht bemerken, dass sie sich mit ihrem Widerstand das eigene Grab schaufeln. Erschreckend ist der Kniefall der Bundesregierung vor den Traktorkolonnen. Auf diesen traurigen Aspekt einer Politik, die der Natur und den Bauern schadet, bin ich in meinem Blog-Beitrag ‚Ampelregierung von Traktoren überrollt. Scholz & Co in Agrardiesellache ausgerutscht‘ eingegangen.

Ein Mann mit kurzärmligem Shirt läuft einen asphaltierten Weg entlang. Auf der Wiese daneben sitzt ein Feldhase und beobachtet die Person.
In Parkanlagen treffen Feldhasen zwar hin und wieder auf Spaziergänger, doch die Flächen sind häufig naturnäher als im landwirtschaftlichen Bereich. Im Grunde waren Feldhasen ohnehin Kulturfolger, doch die Intensivierung der Landwirtschaft raubt ihnen den Lebensraum. (Bild: Ulsamer)

Zwar soll es noch rd. zwei Millionen Feldhasen in Deutschland geben, doch es ist längst überfällig, den Negativtrend in den Bestandszahlen umzukehren: „Im NABU-Positionspapier zur Jagd werden sowohl Feldhase als auch Wildkaninchen grundsätzlich als jagdbare Arten aufgeführt“, so der NABU in Nordrhein-Westfalen, worüber man natürlich streiten könnte. Den weiteren Ausführungen kann ich gleichwohl zustimmen. „Es ist aus Sicht des Naturschutzes aber völlig unverständlich, wenn Rote-Liste-Arten ins Jagdrecht aufgenommen werden bzw. dort verbleiben und sogar eine Jagdzeit erhalten. Vielmehr sind gefährdete Arten, die in den Roten Listen der Bundesländer geführt werden oder deren Bestände eine nachhaltige Nutzung nicht ermöglichen, in diesen Ländern ganzjährig zu schonen. Da die Population der Feldhasen – insbesondere durch die intensive Landwirtschaft – in den vergangenen zehn Jahren dramatisch gesunken ist, dieser Trend vermutlich weiter bestehen bleibt und der Feldhase deshalb bundes- wie landesweit auf der Roten Liste steht, fordert der NABU NRW eine ganzjährige Schonzeit für den Feldhasen – zumindest bis die frühere Populationsstärke und Verbreitung wieder erreicht ist.“ Dieser Forderung kann ich mich nur anschließen!

Zwei Mountain Hare - irische Hasen - auf einer Steinmauer. Sie sind weitgehend braun.
Zwei Mountain Hare haben es sich im irischen Kerry auf einer Steinmauer in der Sonne bequem gemacht. Auch sie werden durch eine intensivierte Landwirtschaft und die Kultivierung von Brachflächen bedroht. Gerade auf deutschen landwirtschaftlich genutzten Flächen sind Steinmauern, Hecken, Gebüsch oder Tümpel selten geworden. (Bild: Ulsamer)

Vielfalt statt Einfalt

Bis zu einer wirklichen Erholung der Bestände an Feldhasen muss in Deutschland ein ganzjähriges Bejagungsverbot gelten – ausgedehnt des Weiteren auf Rebhühner! Es reicht nicht, wenn Politiker in Sonntagsreden einige Sätze über die Natur verlieren, an Werktagen ist es gleichfalls unabdingbar, den Naturschutz zu stärken. Die Feldhasen brauchen mehr Lebensraum und umfassende Sicherheit vor der nächsten todbringenden Schrotladung. Die Existenz von Feldhasen, Wildkaninchen oder Rebhühnern lässt sich nur sichern, wenn die EU-Agrarpolitik eine tiefgreifende Neuorientierung erlebt: Mehr Hecken, Steinriegel, Tümpel und Feldgehölze müssen wieder zu einer strukturreichen Landschaft beitragen, Brachflächen, überjährige Blühstreifen und breite Ackersäume sind unerlässlich, und dazu gehört eine deutliche Reduktion aller Herbizide, Insektizide und Fungizide in der Landwirtschaft sowie in Gärten, Grünanlagen oder Parks. Rinder gehören nicht in Massenställe, sondern zurück auf die Weide, und dabei kommt es auf einen niedrigen Besatz an, so bleibt Platz für einen Feldhasen auf Futtersuche oder in einer geschützten Ecke auch für die Aufzucht der Jungen. Und Insekten freuen sich über Kuhfladen, die Vögel über die fliegende Nahrung. Dieses Beispiel zeigt, dass eine naturnahe Landwirtschaft vielen Tier- und Pflanzenarten erneut Auftrieb geben würde. Das Denken und Handeln in Kreisläufen wäre dafür ein entscheidendes Prinzip, denn „Alles hängt mit allem zusammen“, eine Erkenntnis, zu der Alexander von Humboldt bereits um 1800 aus intensiven Naturbeobachtungen gelangte.

Im Hintergrund ein bläulicher Pkw, davor rot-weiße Flatterbänder über einer Wiese. Schwer erkennbar liegt dort ein Feldhase mit erhobenen Ohren.
Feldhasen kommen mit uns Menschen zurecht. Das bewies der im unteren Bildbereich erkennbare Meister Lampe. Er ließ sich weder durch Flatterbänder noch wartende Autoschlangen an einer Corona-Teststation irritieren. Wichtig ist es, dass der Feldhase rund ums Jahr genügend Nahrung findet. (Bild: Ulsamer)

Der Lebensraum der Feldhasen auf landwirtschaftlichen Flächen muss unbedingt vergrößert werden, ansonsten gehen die Bestandszahlen weiter zurück. Feldhasen in städtischen Parkanlagen sind ein positives Zeichen, doch sie müssen auch im ländlichen Raum wieder eine Lebenschance erhalten. Wer die Feldhasen unterstützen möchte, der muss die Jagd auf Meister Lampe einstellen! Wir brauchen einfach mehr Vielfalt in unserer Landschaft, und das heißt mehr Strukturreichtum und weniger Äcker bis zum Horizont, weniger Chemie und mehr Natur!

 

Ein Feldhase sitzt in hochgewachsenem Grün. Sein Kopf und die langen Ohren sind zu sehen.
Soll der Feldhase überleben, braucht er als Vegetarier ganzjährig ausreichende Pflanzen als Futter. (Bild: Ulsamer)

 

Ein Schaf mit hellem Fell schaut auf ein Wildkaninchen, das gerade vorbeiläuft.
Extensiv genutzte Weiden sind als Lebensraum für Wildkaninchen (im Bild) und Feldhasen gleichermaßen interessant. Es werden jedoch immer mehr Rinder in Massenställen gehalten oder sie finden Auslauf auf einer zu kleinen Fläche. Weitere Ausführungen zu diesem Thema finden Sie in meinem Beitrag ‚Schickt Rinder, Schweine und Hühner wieder auf die ‚Weide‘! (Bild: Ulsamer)

 

Irland: Flaschen- und Dosenpfand eingeführt

Eine grüne recht zernitterte Plastikflasche mit Löchern liegt am Sansstrand zwischen einigen rundlichen Steinen und angeschwemmtem Seetang.

Hoffentlich weniger Plastikmüll an den Stränden

Es geschehen noch Zeichen und Wunder: Die Republik Irland hat ein Dosen- und Flaschenpfand eingeführt! Besser spät als nie, kann ich da nur sagen, denn bisher landen viel zu viele Dosen und Kunststoffflaschen in der Landschaft oder gerade auch im Meer. In Deutschland ticken die Uhren in der Politik zwar viel zu langsam, doch ein Pfand für Dosen und Flaschen wurde bereits 2003 eingeführt, Mehrwegsysteme sind deutlich älter. Ein Mehrwegsystem für Glasflaschen, das in Irland weiter fehlt, geht in deutschen Landen sogar auf das Jahr 1903 zurück, als Frankfurter Bierhändler Pfand auf Glasflaschen erhoben. Ganz nebenbei: In Schweden wurde ein Pfand auf Mehrwegflaschen schon 1885 eingeführt! Für die irische Politik ist die Einführung eines Pfandsystems ein positives Zeichen, das ich erhofft, aber zu diesem Zeitpunkt kaum erwartet hatte. Natur- und Umweltschutz spielen in der irischen Politik eine untergeordnete Rolle, was sich auch bei so manchem Straßenbauprojekt leicht erkennen lässt. Der irischen Regierung war es zuvor noch nicht einmal gelungen, Gebühren für Trinkwasser einzuführen, das weiterhin – mangels Investitionen – aus maroden Leitungen versickert. In der Europäischen Union wird immerhin viel über den ‚Green Deal‘ philosophiert, doch einige Mitgliedsstaaten hinken bei der Eindämmung der Plastikflut hinterher. Auf die Bedeutung eines Pfandsystems im Kampf gegen die Vermüllung der Meere bin ich bereits wiederholt eingegangen, so z. B. in ‚Am Meer: Ein Spülsaum voller Plastikteilchen. EU-weites Pfandsystem für Plastikflaschen erforderlich‘. Die irischen Strände sind in den letzten Jahren dank Putzaktionen sauberer geworden, und wir werden nicht länger argwöhnisch beäugt, wenn wir bei Wanderungen am Strand nicht nur Muscheln sammeln, sondern auch allerlei Plastikmüll mitnehmen und in unserer Mülltonne entsorgen. Zwar haben sich die gewaltigen Müllstrudel in den Ozeanen nicht vor Europa gebildet, doch jede Plastikflasche, die nicht mehr ins Meer gelangt, ist ein Fortschritt.

Eine Frau mit braunen Haaren und Pullover steht vor einem blauen Automaten für die Rückgabe von PET-Flaschen und Getränkedosen.
Die Automaten für die Rückgabe von PET-Flaschen und Getränkedosen haben in irischen Läden – wie hier in Dingle – noch Neuigkeitswert, da das Pfandsystem zum 1. Februar 2024 gestartet ist. (Bild: Ulsamer)

Ein deutlicher Schritt nach vorne

Die irische Politik steht der deutschen in Mittelmäßigkeit in nichts nach, und dazuhin verhaken sich die führenden Parteien Fine Gael, Fianna Fail und Sinn Fein lieber im geschichtlichen Rückblick auf die gemeinsame Herkunft aus dem irischen Freiheitskampf 1919/21 gegen die britischen Besatzer und dem Bürgerkrieg 1922/23, als sich auf die innovative Lösung der anstehenden Probleme zu konzentrieren. So ist es wirklich bemerkenswert, dass zum 1. Februar 2024 in Irland ein Recyclingsystem für Einwegflaschen und -dosen angelaufen ist. Da können wir nur hoffen, dass das Pfand einen echten Anreiz schafft, Kunststoffflaschen und Dosen in die Geschäfte zurückzubringen und sie nicht in der Landschaft, in Flüssen und im Meer zu entsorgen. Leider wird auf Glasflaschen kein Pfand erhoben, so dass weiterhin mit Scherben am Strand zu rechnen sein dürfte. Das Umfeld von Containern für Altglas, Getränkedosen und Konservenbüchsen in Irland gleicht häufig der Szenerie in Deutschland, wo mancher Zeitgenosse gleichfalls seinen Restmüll ablädt. Allerdings wird in Irland stärker als in deutschen Kommunen mit Videoüberwachung gegen Müllsünder vorgegangen, was aus meiner Sicht zu begrüßen ist. „Nach Angaben des Umweltministeriums werden in Irland pro Tag rund fünf Mio. Getränke in Einwegverpackungen konsumiert. Von diesen Behältern würden nur etwa 60 Prozent für das Recycling erfasst, berichtet Re-turn. Die Organisation weist darauf hin, dass Irland wie alle EU-Mitgliedstaaten ab 2025 mindestens 77 Prozent aller Einweg-Getränkeflaschen aus Kunststoff getrennt sammeln muss und ab 2029 mindestens 90 Prozent“, so die Internetseite ‚EUWID Recycling und Entsorgung‘. Im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland wird weiter über die Einführung eines Pfandsystems debattiert. Als Schottland vorpreschen wollte, wurde die Regionalregierung von London zurückgepfiffen.

Kunststoffflaschen, Glasflaschen und weiterer Müll zwischen grauen Steinen der Mole in Dingle.
Müll ist immer mehr zu einem Bestandteil der Landschaft geworden, und dies gilt für den Hafen im irischen Touristenstädtchen Dingle ebenso wie für deutsche oder andere Regionen. (Bild: Ulsamer)

Aus Sicht von Umwelt und Natur können wir nur hoffen, dass weitere Staaten in Europa ein Flaschenpfand flächendeckend einführen. Dies gilt z. B. auch für die Flächenstaaten Frankreich, Spanien oder Polen. Die baltischen Staaten haben neben den Skandinaviern bereits Pfandsysteme eingeführt. Österreich will 2025 mitziehen, in der Schweiz kümmert sich ein Verein um die Rücknahme von PET-Einwegflaschen. Es wäre wünschenswert, dass die EU, die unter der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gerne über einen ‚Green Deal‘ palavert, mit größerem Nachdruck auf die Mitgliedsstaaten einwirkt, die in Sachen Pfandsysteme noch zurückhaltend sind. Die Schonung der Umwelt und das Recycling von Kunststoffflaschen und Dosen muss eine höhere Priorität bekommen. Und überall sollte das Leitungswasser einen Standard erreichen, so dass es gefahrlos und mit Genuss getrunken werden kann, denn dies erspart zahllose PET-Flaschen. Eine hohe Mehrwegquote ist anzustreben, dabei müssen aber auch die Belastungen für die Umwelt durch den Transport und das Reinigen der Flaschen einbezogen werden.

Leere Bier und andere Getränkedosen in verschiedenen Farben auf angespültem Seetang.
Leere Getränkedosen versammeln sich scheinbar gerne an irischen Stränden und in Dünen. Strände haben es ohnehin schwer, weil sie in Irland zum Teil noch immer unzureichend geschützt werden. Hierzu mehr in meinem Blog-Beitrag ‚Irland: Der Strand wird zum Parkplatz degradiert. Die ‚Blue Flag‘ – von der Fahne zur Farce? (Bild: Ulsamer)

Die Republik Irland hat mit einem Pfandsystem für Kunststoffflaschen und Getränkedosen den richtigen Weg in die Zukunft eingeschlagen, der zu mehr Nachhaltigkeit und Umweltschutz führt. Hoffentlich werden nun die Kunststoffflaschen, Plastikreste und Getränkedosen an den Stränden seltener zu sehen sein.

 

Reste von Plastikflaschen in unterschiedlichen Farben auf braunem Tang.
So sollte ein Spülsaum nirgendwo aussehen: Gerade die Plastikreste sind gefährlich. Die Vermüllung der Ozeane muss gestoppt werden. Bei diesem Foto bin ich mir bewusst, dass es in außereuropäischen Weltgegenden deutlich schlimmer aussieht, denn von dort aus reißt auch der Strom an Kunststoffprodukten nicht ab, die die Müllstrudel ständig mit Nachschub versorgen. Mehr dazu in: ‚Plastikflaschen raus aus Flüssen, Seen und Meeren! Plastikmüll bedroht immer mehr Tiere – und uns Menschen‘. (Bild: Ulsamer)
Eine Getränkeflasche aus Kunststoff mit einem grünen Verschluss liegt plattgedrückt halb unter Sand verborgen. Rechts einige grüne Halme von Binsen.
PET-Flaschen verschandeln die Landschaft und tragen zur Verschmutzung der Meere bei. (Bild: Ulsamer)
Der oberste Teil einer blauen PET-Flasche liegt auf Sand und Seetang.
Zerfallende Kunststoffflaschen richten weiter Schaden im Ökosystem an, auch wenn ihre Teile immer kleiner werden und schließlich als Mikroplastik Tier und Mensch gefährden. Mehr dazu in meinem Blog-Beitrag ‚Der Riesenhai – ein friedlicher Koloss. Mikroplastik statt Plankton landet zwischen den Kiemen‘. (Bild: Ulsamer)
Wilde Müllhalde. Gefüllte Kartons und Säcke liegen zwischen Bäumen auf dem Gras.
Bei dieser wilden Müllhalde im irischen Südwesten an der Grenze der Countys Kerry und Cork nutzt auch das Pfandsystem nichts, da hilft nur härteres Durchgreifen der Behörden. (Bild: Ulsamer)

 

Zum Beitragsbild

Eine grüne recht zernitterte Plastikflasche mit Löchern liegt am Sansstrand zwischen einigen rundlichen Steinen und angeschwemmtem Seetang.Am Strand sollten Kunststoffflaschen – wie hier am Ventry Beach – nie enden, doch das zum 1. Februar 2024 eingeführte Pfandsystem dürfte zu einer Reduzierung des Plastikmülls an irischen Stränden beitragen. (Bild: Ulsamer)

 

EU: Im Jammertal der Zeitumstellung

Mehrere Kuckucksuhren aus Holz im historischen Stil hängen an einer Wand.

Die EU muss handlungsfähig und bürgernah werden

Alle halben Jahre wieder: die Zeitumstellung! Längst ist es in Vergessenheit geraten, dass die Sommerzeit eingeführt wurde, weil man 1980 in Deutschland und der DDR glaubte, man könne auf diese Weise Energie sparen. Das wäre in der damaligen Ölkrise ein nicht zu unterschätzender Vorteil gewesen, allerdings stellte sich im Laufe der Jahre heraus, dass der Energieverbrauch durch die Zeitumstellung nicht reduziert werden konnte. Doch was solls, dachten wohl die politischen Entscheider, und sie führten 1996 unverdrossen eine gemeinsame Regelung für die Zeitumstellung in der Europäischen Union ein. Die Zeitumstellung, die bei vielen Menschen zu einer Art Mini-Jetlag führt und nachweislich gesundheitliche Probleme hervorruft, löste ein so lautes Grummeln aus, dass die EU-Kommission in einem Anflug von Bürgernähe eine breitangelegte Umfrage durchführte, an der sich 4,6 Mio. Bürgerinnen und Bürger beteiligten und mehrheitlich gegen die Zeitumstellung votierten. Der damalige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker verkündete daher 2018: „Die Menschen wollen das, wir machen das“. Das ist nun sechs Jahre her, doch passiert ist nichts. Auch unter seiner Nachfolgerin Ursula von der Leyen stellen wir brav unsere Uhren um, weil sich die Entscheider in den EU-Gremien und den Mitgliedsstaaten nicht auf eine einheitliche Lösung einigen können. Die EU hat sich mehr und mehr von der Idee eines europäischen Problemlösers hin zu einem bürokratischen Moloch entwickelt, der selbst zum Problem geworden ist. Statt an Vereinfachungen zu arbeiten, wird die Diskussion um die Zeitumstellung mit der Frage der Zeitzonen überlagert und damit zu einem echten Streitthema. In Brüssel und Strasburg wird leider viel geredet und reichlich Steuergeld verschwendet, doch kleine und große Herausforderungen werden nicht bewältigt. Dies ist für mich als überzeugtem Europäer eine Schande! Die Debatten über die Zeitumstellung und die Versuche zahlreicher Politiker, das eigene Unvermögen zu kaschieren, bringen unser gemeinsames Europa nicht voran.

Eine schmuckvoll gestaltete Uhr auf einem Pfahl. Sie ähnelt einem Stern.
Uhren – wie hier im französischen Amiens – sind ein Sinnbild für die Strukturierung unseres Alltags. Brauchen wir künstliche Eingriffe wie die Zeitumstellung, obwohl diese im Grunde keinen wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Vorteil bringt? (Bild: Ulsamer)

Gesundheit leidet

Um ehrlich zu sein, die Zeitumstellung an sich ärgert mich weniger, als die Unfähigkeit der EU-Bürokraten, einen Vorschlag zu erarbeiten, um die versprochene Abschaffung der Zeitumstellung zu realisieren. Es scheint in der EU-Kommission jedoch niemanden zu grämen, wenn die Bürgerschaft zunehmend das Vertrauen in die europäischen Institutionen verliert. Dabei geht es nicht nur um die Zeitumstellung, denn das wäre zu verschmerzen, sondern auch um den von Ursula von der Leyen vielgepriesenen ‚Green Deal‘, der zur Lachnummer wurde, als Atomkraft und Gaskraftwerke plötzlich in der Taxonomie zu ‚grünen‘ Energieträgern wurden, und wer den Einsatz von Glyphosat um zehn Jahre verlängert, der hat nicht gehört, was die Uhr geschlagen hat. Damit wären wir wieder bei der Zeitumstellung. Laut einer von der DAK 2024 in Auftrag gegebenen Umfrage klagten 30 % der Befragten – bei Frauen sind es 39 % – nach der Umstellung der Uhren über gesundheitliche Probleme. Dies sind fünf Prozentpunkte mehr als im Vorjahr. Es scheint kein Prozess der Gewöhnung an die Zeitumstellung stattzufinden, denn ähnliche Werte ergaben sich auch in vorhergehenden Befragungen, eher im Gegenteil. Bei 49 % der Betroffenen hielten die Beschwerden über eine Woche, bei jedem Vierten gar einen ganzen Monat an. „Rund 79 Prozent der Betroffenen fühlen sich müde und schlapp, während 63 Prozent über Einschlafprobleme und Schlafstörungen klagen. Weitere häufig genannte Beschwerden sind Konzentrationsschwierigkeiten (39 Prozent) und Gereiztheit (32 Prozent). Zudem berichten zehn Prozent der Befragten über depressive Verstimmungen. Fast ein Fünftel der Berufstätigen (19 Prozent) gibt an, aufgrund der Zeitumstellung nicht pünktlich zur Arbeit gekommen zu sein“, so die DAK. Die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger scheint die EU-Kommission zumindest bei der Zeitumstellung nicht zu beschäftigen, da basteln die EU-Gremien doch lieber an immer neuen Grenzwerten z. B. für Feinstaub, die irgendwann wirtschaftliche Aktivitäten in weiten Bereichen unmöglich oder nicht mehr wettbewerbsfähig machen werden.

Eine elektronische Informationstafel in weißen und blauen Farben, die auf einem Bahnhof die Züge anzeigt. Links oben eine Uhr.
Alle sechs Monate müssen bei Bussen und Bahnen die Zeitumstellungen berücksichtigt werden, obwohl diese in ökologischer Hinsicht keinen Vorteil bringen. (Bild: Ulsamer)

Umfragen sind so eine Sache, denn man muss im Auge behalten, wie hoch der Prozentsatz der Beteiligung ist. Das gilt auch für die eingangs erwähnte Bürgerbefragung der EU, bei der sich 84 % für die Abschaffung der halbjährlichen Zeitumstellung aussprachen. 2018 hatten sich 4,6 Mio. EU-Bürger beteiligt. Bei damals 500 Mio. EU-Bürgern ist dies natürlich ein relativ kleiner Prozentsatz, darauf bin ich bereits kritisch in meinem Blog-Beitrag ‚Zeitumstellung: Die Uhr tickt – die EU bleibt stehen‘ eingegangen, doch andererseits hatten sich an keiner anderen Befragung der EU-Kommission mehr Menschen beteiligt. Weitere Umfragen zeigen ein ähnliches Bild, so befürworteten 76 % der Teilnehmer an der DAK-Umfrage die Abschaffung der Zeitumstellung. Es ist also längst überfällig, den vollmundigen Ankündigungen von Junkers Taten folgen zu lassen und das Ende der Zeitumstellung einzuläuten.

Zahlreiche Uhren hängen an einer Wand mit ergänzenden Hinweisen.
Im Uhrenmuseum in Schramberg kann man die Entwicklung der Uhrenindustrie im Schwarzwald auf sehr anschauliche Weise nachvollziehen: Es ist zu befürchten, dass die Geschichte der Zeitumstellung eines Tages ebenfalls Bücher füllt. (Bild: Ulsamer)

Hilflose EU-Kommission

Ich bin mir bewusst, dass sich bei einem Ende der Zeitumstellung die Frage aufdrängt, ob denn eine Rückkehr zur früheren Normalzeit, der jetzigen Winterzeit, oder eine ewige Sommerzeit das richtige wäre. Eine ewige Sommerzeit, die bei Umfragen gut abschneidet, hätte den Nachteil, dass es im Winter erst gegen neun Uhr hell wird. Und damit wären Schülerinnen und Schüler noch länger im Dunkeln unterwegs bzw. würden – bei Kunstlicht – in den Klassenzimmern sitzen. Eines sollten wir aus den Schulschließungen während der Coronapandemie gelernt haben: Die jungen Menschen dürfen nicht die Leidtragenden egal welcher Lösung sein. Feststellen lässt sich, dass bei Umfragen die Zustimmung für die Zeitumstellung bei Rentnern größer ist als bei Arbeitnehmern, denn diese können sich ihren Tagesablauf weitgehend selbst einteilen.

Dreieckiges Schild - weiß mit rotem Rand. Ein springender Hirsch wird gezeigt. Darunter ein weiteres Schild mit dem Text "Wildtierkorridor". Dahinter Bäume. Links die Seite eines Lkw.
Die Zeitumstellung erhöht sogar die Gefahr von Wildunfällen. „Ab April sind viele Wildtiere auf der Suche nach geeigneten Lebensräumen und Partnern. Dann überqueren sie Straßen häufiger als sonst. Das passiert meist in der Dunkelheit oder Dämmerung. Verschiebt sich plötzlich die Rush Hour im Berufsverkehr, sind die Tiere nicht darauf eingestellt”, erklärt Dr. Falko Brieger, Experte für Wildunfälle an der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA). Im SWR berichtete Axel Wagner: „Es ist eigentlich verrückt. Man kann sich vorstellen, wenn wir morgens unterwegs sind, sind auch die Wildtiere unterwegs und sind aktiv. Das bedeutet, wir haben da einen gewissen Konflikt. Wenn die Zeitumstellung da ist, sind die Tiere plötzlich überrascht, weil sie sich tatsächlich auch ein bisschen nach dem Verkehr richten. Und das bedeutet, dass in dieser Zeit mehr Tiere totgefahren werden, wie wir zusammen mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern herausgefunden haben. Das sind ungefähr zehn Prozent mehr tote Wildtiere an den Tagen der Zeitumstellung.“ Die wissenschaftlichen Grundlagen lieferte das Fraunhofer-Institut für Verkehrsforschung in Dresden, wobei deutlich wurde, dass die Zahl der Wildunfälle bisher unterschätzt wird. Leider fehlt es in Deutschland an Wildbrücken und Schutzzäunen, denn die zuständigen Stellen belassen es lieber beim Aufstellen von Schildern. (Bild: Ulsamer)

Statt auf möglichst einfach umsetzbare Lösungen zu setzen, überlagert die EU die Zeitumstellung mit Kontroversen über die Einteilung der Zeitzonen innerhalb der EU. Selbst die abwegige Idee wurde ins Spiel gebracht, die bisherigen drei Zeitzonen zusammenzuführen, was natürlich kaum vorstellbar ist, betrachtet man die Unterschiede beim Auf- bzw. Untergang der Sonne zwischen Polen und Portugal mal realistisch. Die EU-Kommission macht es sich bei der Zeitumstellung zu einfach, indem sie diese Frage an die Mitgliedsstaaten delegiert. „Nach einer Bewertung der bestehenden Regelung kam die Kommission zu folgendem Schluss: Die Mitgliedstaaten sind am besten in der Lage, selbst zu entscheiden, ob sie die Sommerzeit oder die Standardzeit („Winterzeit“) dauerhaft beibehalten wollen. Dabei gilt es, eine Fragmentierung zu vermeiden.“ Wenn ein Thema politisch unangenehm und für Luftnummern nicht geeignet ist, dann wird es kurzerhand an die Mitgliedsstaaten zurückverwiesen, ansonsten jedoch okkupiert die EU-Kommission gerne mehr Aufgabenfelder, die effektiver in den einzelnen Staaten oder Regionen abgearbeitet würden.

Nebenbei bemerkt: Im Europäischen Rat sind die Verkehrsminister für die Frage der Zeitumstellung zuständig, doch dieses erlauchte Gremium ist kaum zu sachorientierten und innovativen Vorschlägen befähigt. Das hat sich gezeigt, als die Verkehrsminister ein Verbot für Lkw-Fahrer aussprachen, an Wochenenden in ihrem Fahrzeug zu übernachten. Haben Sie, liebe Leserinnen und Leser, inzwischen neue Unterkünfte an Autobahnparkplätzen aus dem Boden sprießen sehen? Ich nicht. Selbst die Parkplätze sind weiterhin zu klein. So viel zur Fachkompetenz der EU-Verkehrsminister. Mehr dazu in meinem Blog-Beitrag: „EU: Wie viele Lkw-Fahrer können bei den Verkehrsministern pennen?  Weltfremde Politiker sollten ein Praktikum als Brummi-Fahrer machen“.

Den oberen Teil des Gebäudes zieren eine astronomische und eine herkömmliche Uhr.
Das Alte Rathaus wurde um 1422 als städtisches Kauf- und Steuerhaus in Esslingen am Neckar errichtet. Die astronomische Uhr – vom Tübinger Meister Jacob Diem gebaut – ziert seit dem Ende des 16. Jahrhunderts die Nordfassade. (Bild: Ulsamer)

Die EU-Kommission hat in Sachen Zeitumstellung versagt. Es kann nicht sein, dass 2018 der damalige EU-Kommissionspräsident Juncker großspurig verkündet, man werde dem ‚Bürgerwillen‘ folgen und die Zeitumstellung abschaffen und dann passiert nichts, obwohl 2019 auch das Europarlament das Ende der Zeitumstellung beschloss. Leider ist das kein Einzelfall. Die EU wird nur überleben und im Konzert der politischen Mächte mitspielen können, wenn sie weniger bürokratisch und dafür bürgerfreundlicher handelt. Die EU muss aufhören mehr Themenfelder zu besetzen und zuerst einmal die bestehenden Herausforderungen meistern. Die EU ist im Jammertal nicht nur der Zeitumstellung gefangen, sondern irrt auch bei anderen Fragen ohne Kompass durch die Welt, und dies lässt für die anstehenden Wahlen zum Europarlament nichts Gutes ahnen.

E-Scooter: Stolperfallen statt Öko-Roller

Grün-weiße E-Scooter, eine Art Tretroller mit Elektroantrieb, stehen kreuz und quer auf einem Gehweg.

Freizeitvehikel verschandeln die Innenstädte

Bei den E-Scootern lässt sich die häufig beklagte Diskrepanz zwischen politischen Sonntagsreden und der kommunalen Realität besonders gut erkennen: Zuerst wurden die elektrischen Gefährte als Klimaretter in den Städten gefeiert, weil sie Autofahrten erübrigen würden. Das stellte sich als Wunschdenken heraus, denn im Grunde sind die E-Scooter meist ein zusätzliches Freizeitvehikel oder ihre Fahrer bewegen sich in den Innenstädten parallel zu Bussen und Straßenbahnen und verbrauchen so zusätzlich Strom und Straßenraum. Viel zu viele Kommunalpolitiker sind bis heute nicht bereit, der Realität ins Auge zu schauen, sondern verharren in einer grünlackierten Scheinliberalität: Man könne doch den E-Scooter-Nutzern nicht ihr Spielzeug wegnehmen! Aber auch die zweite Runde geht an E-Scooter-Rabauken, die ihre Roller abstellen, wo sie wollen, obwohl Stadtverwaltungen behaupten, sie würden gegen die gefährlichen Stolperfallen auf Gehwegen vorgehen und geeignete ‚Parkplätze‘ definieren, die eine gewisse Ordnung ins System bringen. Neuerliche Fehlanzeige! E-Scooter waren und sind gerade für sehbehinderte Menschen eine Gefahrenquelle, da sie nicht selten kreuz und quer auf Gehwegen oder vor Hauseingängen herumstehen. Für einen Kinderwagen oder einen Rollstuhl bleibt häufig kein Platz. Nun bin ich seit 2019 mehrfach auf das Unwesen der E-Scooter eingegangen und habe Erfahrungen aus verschiedenen Städten, z. B. aus Dresden, Berlin, Tübingen oder Stuttgart eingebracht, daher wollte ich mich nicht erneut mit diesem Thema befassen. Doch eine kleine historische Wanderung durch unsere Geburtsstadt Stuttgart machte überdeutlich, dass E-Scooter von den Städten schärfer reguliert werden müssen. Neben interessanten geschichtlichen Eindrücken im früheren ‚Postdörfle‘ oder in der ehemaligen ‚Tunzhofer Arbeitersiedlung‘ gab es massenhaft E-Scooter auf all unseren Wegen. Da erhebt sich doch ernsthaft die Frage, ob es auf Dauer ein Geschäftsmodell sein kann, wenn die E-Scooter stundenlang herumstehen, was natürlich die Verleihfirmen wissen müssen. Eines allerdings ist sicher: sie verschandeln das Stadtbild!

Eine Frau mit einem weißen Anorak und ein Mann in einer dunklen Jacke stehen gemeinsam auf einem E-Scooter und fahren eine Straße entlang.
Zwei oder gar drei Personen gehören nicht auf einen E-Scooter, doch das scheint so manchem Zeitgenossen völlig gleichgültig zu sein. Rechtliche Vorgaben werden ganz einfach überrollt! (Bild: Ulsamer)

Ohne Nutzen für die Umwelt

E-Scooter verbessern nicht die Umweltbilanz, zumindest nicht die von Leihunternehmen bereitgestellten Roller. „Unsere Studie zeigt aber, dass geteilte E-Scooter momentan hauptsächlich den Öffentlichen Nahverkehr, das Fahrrad und das Zu-Fuß-Gehen ersetzen“, so Daniel Reck von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. Etwas besser scheint die Situation bei E-Scootern zu sein, die sich im eigenen Besitz befinden, weil sie eher Fahrten mit einem Auto ersetzen – und generell auch länger halten. Leih-Scooter bringen für das Klima nichts, ganz im Gegenteil, was zusätzlich am schnellen Verschleiß liegt. Die Erkenntnisse aus der Schweiz zum ‚E-Trotti‘ unterstützen die Skepsis des deutschen Umweltbundesamts: „Als Leihfahrzeug in Innenstädten, wo ÖPNV-Netze gut ausgebaut und die kurzen Wege gut per Fuß und Fahrrad zurückzulegen sind, bringen die Roller eher Nachteile für die Umwelt – und drohen als zusätzlicher Nutzer der bereits unzureichend ausgebauten Infrastruktur das Zufußgehen und Fahrradfahren unattraktiver zu machen.“ Und wenn E-Scooter in Fußgängerzonen herumsausen oder gar zwei oder drei Personen auf einem Roller unterwegs sind, dann werden sie zur Gefahr für Fußgänger oder die Passagiere selbst, ganz besonders bei alkoholisierten Fahrern oder Beifahrern. In einer Studie des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) heißt es: „Alkoholkonsum spielt beim Unfallgeschehen von E-Scootern eine vergleichsweise große Rolle. Das Fahren unter Alkoholeinfluss war gemeinsam mit der falschen Straßenbenutzung der mit Abstand häufigste Vorwurf gegen E-Scooter-Fahrerinnen und -Fahrer.“ Wie bei Fahrrädern, normalen Pedelecs oder E-Bikes bis zu einer Beschleunigung auf 20 km/h gilt auch bei E-Scootern keine Helmpflicht: das verpflichtende Tragen eines Helms könnte jedoch bei so manchem schweren Sturz die Verletzungsgefahr zumindest verkleinern. Aber die Politik kann sich hier seit Jahren nicht zu einer breiten Helmpflicht aufraffen.

Zwei weitgehend grüne E-Scooter stehen quer vor einem Fußgängerübergang.
Einen Depp findet man überall! Was hat ein E-Scooter quer auf dem Gehweg vor einem Fußgängerüberweg zu suchen? (Bild: Ulsamer)

In Paris zeigte sich ebenfalls, ehe die Leih-Scooter aus der Innenstadt verbannt wurden, dass 47 % der befragten Nutzer ohne verfügbare E-Scooter zu Fuß gegangen wären, 29 % hätten den ÖPNV genutzt und neun Prozent die Strecke mit dem Fahrrad zurückgelegt. Lediglich acht Prozent der Befragten ersetzten mit dem E-Scooter eine Auto- oder Taxifahrt. Drei Prozent der Nutzer wären ohne E-Roller gar nicht unterwegs gewesen. Mehr Informationen dazu finden Sie in meinem Blog-Beitrag ‚E-Scooter: Geliebt, gehasst, geschasst. Warum wirft nur Paris die Miet-E-Scooter raus?‘ Im Grunde deckt sich dieses Ergebnis mit einer Studie der GDV-Unfallforscher „Es werden überwiegend zusätzliche Fahrten durchgeführt oder es werden Fußwege oder die Nutzung des ÖPNV ersetzt.“ 75 % der Fahrerinnen und Fahrer der E-Scooter gaben bei der Studie der Unfallforscher des GDV an, den E-Scooter für die Freizeit zu nutzen, nur 3 % waren in Sachen ‚Arbeit‘ unterwegs. Ohne Verfügbarkeit eines E-Scooters hätten über 53 % der Befragten den Weg zu Fuß zurückgelegt, 26,7 wären aufs Rad gestiegen und lediglich 4,4 % hätten den eigenen Pkw genutzt. Wie so oft lassen sich die Gemeinderäte und die Verwaltung in den deutschen Rathäusern durch wissenschaftlich fundierte Untersuchungen nicht irritieren, sondern setzen auf E-Scooter und verkaufen diese noch fälschlicherweise als umweltfreundlich, um nur besonders ‚modern‘ zu erscheinen.

Mehrere E-Scooter stehen vor dem Zugang zu einem Hochhaus. Dort ist auf einem gedruckten Hinweis zu lesen, dass das Abstellen von E-Scootern verboten ist.
Vor einem Wohngebäude, das zum Klinikum Stuttgart gehört, stehen die E-Scooter kreuz und quer herum – trotz eines schriftlichen Verbotshinweises. Werden so neue Patienten rekrutiert? (Bild: Ulsamer)

E-Scooter als Schandfleck und Stolperfalle

Als ich vor einigen Jahren im Gespräch mit der Stadt Stuttgart war, ging es um Ladesäulen für E-Fahrzeuge, die in einem Carsharing-Projekt eingesetzt werden sollten. Vom damaligen Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Gemeinderat bekam ich den nicht gänzlich unberechtigten Einwand zu hören, man müsse doch an die Übermöblierung der Stadt denken. Nun frage ich mich schon, wie sich dieser Hinweis mit Hunderten von E-Scootern verträgt, die heute in Stuttgart herumstehen und manchmal auch fahren – gerne auf Gehwegen, durch Fußgängerzonen und Parkanlagen. Peter Pätzold ist inzwischen Bürgermeister für Städtebau, Wohnen und Umwelt in Stuttgart, und eingeführt wurden die E-Scooter, die zur Plage werden, unter dem grünen Oberbürgermeister Fritz Kuhn, und sein CDU-Nachfolger Frank Nopper duldet die E-Scooter-Schwemme ebenfalls. Eine echte Bereicherung des Stadtbilds! Gerne werden diese Vehikel mitten auf dem Gehweg abgestellt oder achtlos in eine Grünfläche gekippt. Sie finden sich auch verlassen an mehrspurigen Bundesstraßen oder in Parks, wo sie nun wirklich nicht hingehören. So stellt sich vernehmlich die Frage: Wer trägt hier zur Verschandelung des Stadtbilds bei? Der ohnehin knappe städtische Raum sollte nicht Leih-E-Scootern überlassen werden.

Ein grüner E-Scooter steht quer auf einem Gehweg. An der Hauswand dahinter sind weitere E-Scooter zu sehen.
Auf diese Weise werden E-Scooter gerade auch für sehbehinderte Menschen zur lebensgefährlichen Stolperfalle. (Bild: Ulsamer)

Nun möchte ich niemandem sein Freizeitvergnügen vermiesen, doch es muss die Frage gestellt werden, ob Ökologie und die Sicherheit der anderen Bürger nicht höher im Entscheidungsprozess gewichtet werden müssen. „Kreuz und quer stehende E-Roller sind mittlerweile leider ein gewohnter Anblick in unseren Städten: Sie stehen und liegen mitten auf dem Gehweg und blockieren Eingänge von Geschäften, U-Bahn-Zugänge oder Straßenüberquerungen“, schildert der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) zutreffend die Situation. „Rücksichtslos abgestellte E-Scooter sind nicht nur für blinde und sehbehinderte Menschen ein gefährliches Hindernis und erhebliches Unfallrisiko, sie sind auch für Rollstuhlfahrende, Eltern mit Kinderwagen und ältere Menschen mehr als ein Ärgernis.“ Und der DBSV fordert zurecht: „Wir brauchen Gehwege ohne Stolpergefahr und genügend Platz, damit Fußgängerinnen und Fußgänger nicht auf die Straße ausweichen müssen.“ Den zitierten Aussagen des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbands kann ich mich nur anschließen. Wer verantwortungsvoll mit seinem E-Scooter unterwegs ist und ihn sachgerecht abstellt, der muss sich durch meine Kritik nicht angesprochen fühlen, allerdings bleibt bei diesem Nutzerkreis der ökologische Aspekt trotzdem bestehen: E-Scooter, die gewissermaßen parallel zu Linien des ÖPNV unterwegs sind, schaden der Umwelt!

Roter E-Scooter lehnt im Rosensteinpark an einem Pfahl mit dem Schild "Hauptwege werden geräumt. Benutzung der Nebenwege auf eigene Gefahr".
Einsam und verlassen steht dieser E-Scooter im Stuttgarter Rosensteinpark. Ist der Saft ausgegangen? Wann kommt der meist schlecht bezahlte ‚Juicer‘? Und holt er den E-Scooter zu Fuß ab? Wohl kaum! (Bild: Ulsamer)

Es ist längst überfällig, dass in den Kommunen der Einsatz von Miet-E-Scootern nochmals überdacht wird. Ökologie und die Sicherheit aller Menschen, gerade auch der sehbehinderten Fußgänger, müssen Priorität gegenüber den Freizeitvergnügungen einer Minderheit haben. Völlig indiskutabel ist es, dass ganze Gehwegbereiche mit E-Scootern zugestellt werden und so zusätzlich das Stadtbild verschandeln. E-Scooter sind leider Stolperfallen und keine ökologischen Helferlein gegen den Klimawandel!

 

Zwei grüne E-Scooter stehen leicht versetzt hintereinander mitten auf dem Gehweg.
Auf diese Weise werden E-Scooter gerade auch für sehbehinderte Menschen zur lebensgefährlichen Stolperfalle und für alle Fußgänger zu einem unliebsamen und unnötigen Hindernis. (Bild: Ulsamer)

 

Fünf grüne und rote E-Scooter stehen an der Wand, die einen Gehweg gegen höheres Gelände absichert.
Hier stehen die E-Scooter zwar in Reih und Glied, aber sollen unsere Gehwege so aussehen? (Bild: Ulsamer)

 

Ein roter E-Scooter steht genau in der Mitte des Gehwegs.
Was denkt ein E-Scooter-Nutzer, wenn er sein Leihvehikel in die Mitte des Gehwegs stellt? Es kann sich ja nur um Absicht handeln! Eine unsoziale Verhaltensweise ist es allemal. (Bild: Ulsamer)

 

Zum Beitragsbild

Grün-weiße E-Scooter, eine Art Tretroller mit Elektroantrieb, stehen kreuz und quer auf einem Gehweg.Rücksichtslose E-Scooter-Rowdys gibt’s wohl jede Menge, denn so sollte man sein Gefährt nicht abstellen. Kein Wunder, dass sich die Verbände sehbehinderter Mitbürger beschweren, denn E-Scooter werden immer häufiger zu Stolperfallen. Aber auch mit einem Kinderwagen, Rollator oder Rollstuhl ist hier das Durchkommen schwierig. Und mal ganz ehrlich: Eine Minderheit, die ihre Füße schonen möchte, terrorisiert die Mehrheit! (Bild: Ulsamer)

 

Vögel: hungrig, durstig, wohnungslos

Links ein brauner Acker, rechts ein asphaltierter Wirtschaftsweg und dazwischen ein kaum 50 Zentimeter breiter Streifen mit etwas Gras.

Die industrielle Landwirtschaft befeuert den Vogelschwund

In einer immer stärker durch menschliche Einflüsse geprägten Welt tun sich Vögel schwer, das eigene Überleben zu sichern und mit erfolgreichen Bruten für Nachwuchs zu sorgen. Unzählige Studien belegen einen Zusammenhang zwischen dem Vogelschwund und der industriellen Landwirtschaft. Doch dies beeindruckt zahlreiche politische Entscheider weder in Brüssel und Berlin noch in den Bundesländern. Einzelne Maßnahmen zum Schutz von Vögeln und Insekten möchte ich keinesfalls kleinreden, allerdings fehlt es am Mut, die Landwirtschaft an ökologischen Kriterien auszurichten. Musterbeispiele für die Arroganz der Mächtigen in der EU-Kommission sind die Verlängerung der Zulassung von Glyphosat und die Rücknahme der Verpflichtung, vier Prozent der Fläche aus der landwirtschaftlichen Produktion zu nehmen. Die Pestizidverordnung, die den Einsatz von sogenannten Pflanzenschutzmitteln eindämmen sollte, verschwand sang- und klanglos in der Schublade. Auch der grüne Landwirtschaftsminister Cem Özdemir hatte die Vorgabe von Brachflächen und der Fruchtfolge bereits für 2023 und jetzt für 2024 zurückgestellt. Wo aber sollen Vögel leben, wenn Hecken und Bauminseln aus der Landschaft verschwunden und Wiesen zu Dauergrünland degeneriert sind? Wo sollen sie trinken, wenn die Tümpel zugeschüttet wurden, und wo sollen sie Futter für sich und ihre Küken finden, wenn Wildpflanzen und deren Samen ausgemerzt und Insekten zur Seltenheit wurden? Zahlreiche Vogelarten sowie Igel und selbst Feldhasen finden zunehmend in städtischen Gebieten Zuflucht, denn sogar Parks, Grünanlagen und Gärten bieten heute mehr Lebensraum als intensiv genutzte Äcker und Grünland in einer eintönigen Agrarlandschaft. So kam auch die im US-Journal ‚Proceedings of the National Academy of Sciences‘ (PNAS) von Ivette Perfecto u. a. veröffentlichte Studie zu dem Schluss „Farmland practices are driving bird population decline across Europe“. Ja, die Traktorkolonnen rollen und die Bauernversteher streiten für die weitere Subventionierung von Agrardiesel, während Pestizide und Dünger das Vogelsterben weiter maßgeblich voranpuschen.

Ein Wiesenpieper zwischen Halmen und aufgeblühten Gräsern. Der Vogel ist bräunlich gestreift.
In der Roten Liste für Deutschland ist der Wiesenpieper als stark gefährdet verzeichnet, noch bedrohlicher wird die Lage in Bayern eingeschätzt, dort gilt der Wiesenpieper bereits als vom Aussterben bedroht. Im Grunde ist dies nicht verwunderlich, denn wo gibt es noch vielfältige Wiesen, die nicht zu einheitlichem Grünland mutiert sind, das fünf- oder gar siebenmal jährlich gemäht wird? Die industrialisierte Landwirtschaft mit Feldern voller Monokulturen bis zum Horizont oder der Umbruch von Wiesen zu Ackerland entriss dem Wiesenpieper seinen Lebensraum. Ergänzende Informationen finden Sie in meinem Artikel ‚Wiesenpieper ohne Lebensraum. Wenn Wiesen, Weiden, Moore und Dünen verschwinden‘. (Bild: Ulsamer)

Grünlackierte EU-Subventionsmaschine zerstört Natur

Natürlich vernachlässigen die internationalen Autoren der Studie ‚Farmland practices are driving bird population decline across Europe‘ zur Nutzung der Agrarflächen weder die Urbanisierung noch den Klimawandel. Sie kommen jedoch nach der Auswertung von Datensätzen zu 170 Vogelarten, die an         20 000 Standorten in 28 europäischen Staaten über 37 Jahre gewonnen wurden, zu dem Schluss, dass die Intensivierung der Landwirtschaft die Hauptursache für den Vogelschwund ist. Gerade der Einsatz von Pestiziden und Dünger bringt die Vögel in Bedrängnis, was besonders Arten betrifft, die Wirbellose an ihre Küken verfüttern oder selbst fressen. Insekten werden das Opfer von sogenannten ‚Schädlingsbekämpfungsmitteln‘, und damit fehlen sie als Nahrung für die Vögel. Herbizide – wie Glyphosat – rauben Vögeln ebenfalls die Nahrung, denn sie zerstören Wildpflanzen, deren Samen etlichen Vogelarten über den Winter helfen würden. Penibel ‚aufgeräumte‘ Parkanlagen und Gärten bringen für Insekten und Vögel nichts, andererseits hat dort die Natur mancherorts auch eine Chance erhalten: Eine Vogeltränke hier oder ein Futterhäuschen dort und eine Hecke oder insektenfreundliche Pflanzen können die großflächige Zerstörung der Natur im landwirtschaftlichen Sektor, aber auch durch ausufernde Städte, Gewerbegebiete oder Verkehrsflächen nicht aufwiegen, doch jeder Tropfen Wasser und jeder Meisenknödel zählt! Die Vögel brauchen unsere ganzjährige Hilfe bei Futter und Wasser, da die industrialisierte Landwirtschaft ihren Lebensraum zerstört hat. Dass es auch anders geht, belegen ökologisch arbeitende Landwirte! Die EU-Agrarpolitik fördert allerdings die Zerstörung der Natur durch eine unsinnige Subventionspolitik. Für den urbanen Bereich lassen Aussagen von Olaf Scholz wenig Gutes erwarten, denn er hat sich längst von der Reduzierung des Flächenverbrauchs verabschiedet: „Für ganz Deutschland kann man sagen: Wir brauchen wahrscheinlich 20 neue Stadtteile in den meist gefragten Städten und Regionen – so wie in den 70er Jahren“, betonte der Bundeskanzler in einem Gespräch mit der ‚Heilbronner Stimme‘. Eine innovative Regionalpolitik sieht anders aus. Ansätze für eine moderne Regionalpolitik, die unbebaute Flächen und die Natur schützt, finden Sie in meinem Beitrag ‚Mehr Einfallsreichtum bei der Flächennutzung. Vorgenutzte Areale innovativ mit Leben füllen‘.

Ein Großer Brachvogel auf einer feuchten Wiese. Gut erkennbar sein langer, sichelförmiger Schnabel. Sein Federkleid ist braun gesprenkelt.
Der Große Brachvogel ist einer der Verlierer der EU-Agrarpolitik: Der Umbruch von Wiesen, genauso wie die häufige Mahd von Grünland oder die Zerstörung von Mooren hat dem Großen Brachvogel in weiten Regionen Europas seine Habitate geraubt. Mehr zur traurigen Entwicklung der Bestände in ‚Fliegt bald der letzte Große Brachvogel übers Land? Die Zerstörung seines Lebensraums geht weiter‘ (Bild: Ulsamer)

Wenn auf Äckern und Wiesen Kreuze auftauchen, mal in Grün, mal mit Gummistiefeln, dann erinnert mich das an das traurige Schicksal, das Wildtiere auf Agrarflächen heute erleiden. Natürlich bin ich mir bewusst, dass die Landwirte dies ganz anders meinen, doch ihr Jammern über die Politik ist besonders laut zu hören, weil immer weniger Vögel über dem Grünland singen und kaum noch Insekten über Monokulturen aus Mais oder gepflügten braunen Boden summen. Ich unterstelle hier keinesfalls den Bauern bösen Willen, sondern die Politik hat in Deutschland und der EU eine grünlackierte Subventionsmaschine geschaffen, die Fördergelder über das Agrarland ausgießt und letztendlich auch das Sterbeglöckchen für Vögel, Insekten oder Wildpflanzen läutet, genauso wie für zahllose bäuerliche Familienbetriebe. Im Grunde dürften sich Natur- und Umweltschützer auf der einen Seite und Bauern auf der anderen Seite nicht streiten, sondern sie müssten gemeinsam für eine Agrarpolitik eintreten, die den Freiraum für die Natur wieder erweitert und gleichzeitig ökologisch und nachhaltig wirtschaftenden Landwirten ein Auskommen sichert. Betrachtet man unvoreingenommen die Statistik, wird deutlich, dass der Schwund von Insekten und Vögeln parallel zum Niedergang vieler Bauernhöfe verläuft. Die Biomasse der Insekten hat sich – wie der Entomologische Verein Krefeld in einer Langzeitstudie feststellte – von 1989 bis 2016 um 75 % reduziert. Dementsprechend ist der Tisch für Vögel immer ärmlicher gedeckt. Aber auch auf den Höfen sieht es nicht gut aus, und dies nicht trotz der Agrarsubventionen, sondern wegen der falschen Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union. Gab es 1975 noch deutlich über 900 000 landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland, so waren es im Jahre 2022 gerade mal 256 000. Der Deutsche Bauernverband will nicht verstehen, dass die EU-Agrarförderung in ihrer bisherigen Form der Natur und den Bauern schadet, die Joachim Rukwied vorgibt, zu vertreten. Mehr dazu in meinem Blog-Beitrag: ‚EU-Agrarförderung bleibt grünlackierte Geldverteilmaschine. Familiengeführte Betriebe und die Artenvielfalt sterben‘.

Ein Star in niedrigem Gras. Der Star ist noch jünger, denn das braune Gefieder weicht gerade schwarzen Federn, die bläulich glänzen.
Vielen Vogelarten geht es in unserer ausgeräumten oder zubetonierten Landschaft schlecht, und dazu zählen auch die Stare. In Deutschland hat die Population der Stare seit 1980 um 55 % abgenommen. Die Insekten als Nahrung für die Aufzucht der Jungen werden immer weniger, denn Rinder stehen im Massenstall, und ihre Kuhfladen sind von den Weiden verschwunden: sie hatten Insekten angelockt, die die Stare dann verspeisten oder verfütterten. Die Gülleflut aus der Massentierhaltung verschärft das Problem, denn sie zerstört die Artenvielfalt, und schon ist Schmalhans Küchenmeister bei Familie Star. Selbst Regenwürmer werden in der ausgeräumten Agrarlandschaft seltener. Brombeerhecken sind nicht selten Flurbereinigungen zum Opfer gefallen. Mehr zum Thema in: ‘Der ‚Star – vielseitiger Sänger und Formationsflieger. Ein früherer ‚Allerweltsvogel‘ ist bedroht‘. Auf den Roten Listen wird der Star als gefährdet geführt. (Bild: Ulsamer)

Selbst Allerweltsvögel verschwinden

Den dramatischen Schwund an Vögeln in der EU und im Vereinigten Königreich belegen zahlreiche Studien, wie z. B. die Untersuchung von Fiona Burns u.a. ‚Abundance decline in the avifauna of the European Union reveals cross-continental similarities in biodiversity change‘, der in ‚Ecology and Evolution‘ veröffentlicht wurde. Innerhalb von vier Jahrzehnten ging die Vogelpopulation um 600 Millionen Individuen zurück. Gerade auch frühere ‚Allerweltsvögel‘ wie der Star oder der Sperling sind betroffen. Die Erkenntnisse von Fiona Burns und ihren Mitautoren spiegelt sich gleichfalls in der ‚Roten Liste‘ wider: Dort finden sich nach der 2021 erschienenen Ausgabe 43 % aller in Deutschland brütenden Vogelarten. Dabei gilt es nach meiner Meinung zu berücksichtigen, dass die ‚Roten Listen‘ meist relativ spät auf den Niedergang von Tier- und Pflanzenarten reagieren, ansonsten wäre das Gesamtbild noch schwärzer – oder roter! Besonders stark sind die Rückgänge der Vögel auf landwirtschaftlichen Flächen, denn dort fehlen zunehmend nicht nur die Nistmöglichkeiten, sondern auch die Nahrung. Auf das katastrophale Insektensterben folgt nahezu zwangsläufig das Siechtum der Vögel, denn sie benötigen vor allem für die Aufzucht ihrer Küken Insekten, Larven und Spinnen. Axel Hochkirch und seine Mitautorinnen und -autoren verdeutlichen in ihrem Beitrag ‚A multi-taxon analysis of European Red Lists reveals major threats to biodiversity‘, der im Internet-Fachmagazin PLOS One veröffentlicht wurde, die erschreckende Lage. Fast ein Fünftel der in Deutschland und Europa erfassten Tier- und Pflanzenarten ist vom Aussterben bedroht! Die Analyse von Hochkirch u. a. betont, dass die heutige Form der landwirtschaftlichen Nutzung die wichtigste Bedrohung für die Biodiversität, für die Pflanzen und Tiere in Europa darstellt. Mehr zu dieser Studie finden Sie in meinem Artikel ‚Tieren und Pflanzen beim Aussterben zusehen? Rote Listen: Die Biodiversität schmilzt dahin‘. Wir dürfen nicht länger zusehen, wie die Artenvielfalt schwindet, Tier- und Pflanzenarten aussterben! Die Politik sollte nicht auf die Traktor-Lobbyisten horchen, die weiter auf eine industrielle Landnutzung setzen und ohne Rücksicht die Landschaft mit Glyphosat einnebeln und mit der Gülleflut unser Grundwasser mit Nitrat gefährden.

Ein Star sitzt mit offenem Schnabel in einer Hecke, um Brombeeren zu fressen.
Hecken bieten Unterschlupf und Nahrung, sei es in der Blütezeit für Insekten und später als Beeren für Vögel. Hecken schützen gleichzeitig Felder vor dem Abtrag des Bodens durch Wind oder Starkregen und sie binden CO². Einige ergänzende Hinweise finden Sie in meinem Blog-Beitrag ‚Mehr Hecken gegen den Klimawandel. Die Artenvielfalt braucht Hecken, Gebüsch und Bauminseln‘. (Bild: Ulsamer)

Vögel sind hungrig, durstig und wohnungslos! In einer ausgeräumten Agrarlandschaft finden unsere gefiederten Freunde immer weniger Nahrung, Wasser oder einen Nistplatz. Wo Insekten für die Aufzucht der Küken und Sämereien im Winter fehlen, können Vögel kaum noch überleben. Selbst Regenwürmer oder Spinnen machen sich auf landwirtschaftlichen Flächen rar. Hecken und Bauminseln oder Trockensteinmauern sind im Zuge von Flurbereinigungen häufig der Planierraupe zum Opfer gefallen und Ställe oder Scheunen verschlossen, so fehlt es an Nistmöglichkeiten. Ganz besonders hart hat es die Vögel getroffen, die früher auf Wiesen oder Weiden brüteten, denn aus denen ist nicht selten eifrig gemähtes Dauergrünland geworden. Der Gegentrend, der in Richtung ökologischer Landbau führt, ist zwar erkennbar, doch wird dieser zu wenig unterstützt. Mir geht es dabei in der Summe nicht um mehr Fördermittel, sondern um eine an Ökologie und Nachhaltigkeit orientierte Landwirtschaft. Subventionen, die nach der Fläche und ohne erkennbare Vorteile für die Natur ausgeschüttet werden, sind zu streichen! Die auf solche Weise freigesetzten Finanzmittel können dann für eine ökologische Wende in der Landwirtschaft eingesetzt werden. Wer weitestgehend auf chemische Helferlein verzichtet, die Gülleflut eindämmt, überjährige Blühstreifen und Brachflächen schafft, Monokulturen reduziert und die Fruchtfolge einhält, der muss gefördert werden. Hecken müssen wieder angepflanzt und erhalten werden, denn sie bieten nicht nur Vögeln und anderen Wildtieren Unterschlupf, sondern sie verhindern auch den Abtrag des kostbaren Bodens durch Regen und Wind. An dieser Stelle möchte ich gerne auf meinen Artikel ‚Der Boden macht sich vom Acker. Erosion und Versiegelung zerstören die natürlichen Böden‘ hinweisen. Dauergrünland mit fünf bis sieben Mähvorgängen muss neuerlich zu blüten- und artenreichen Wiesen umgewandelt werden. Was Rinder, Schweine und Hühner betrifft, sind diese aus Massenställen zu befreien und auf die Weiden zu schicken. So mancher Kuhfladen wird zu einem Paradies für Insekten, die erneut – im Sinne eines Kreislaufs – das Nahrungsangebot für Vögel sichern!

Zwei Spatzen sitzen an einem kleinen Futtersilo mit Erdnussstückchen.
Wenn es in Stadt und Land an natürlichen Futterquellen mangelt, dann muss der Mensch helfen. Die Spatzen haben sich in den letzten vier Jahrzehnten in vielen Regionen rargemacht. Feldsperlinge haben es nicht leicht, denn Sämereien von Wildpflanzen und Insekten werden weniger und Nistplätze sind verschwunden. In rundum gedämmten Häusern fehlen im urbanen Bereich Nischen für die Nester der Haussperlinge, die als Kulturfolger nahe bei den Menschen leben. Und so finden sich Haus- und Feldsperling immer seltener in unseren Städten und Dörfern oder in der Feldflur, stattdessen auf der Vorwarnliste der Roten Liste bedrohter Tierarten. Mehr zum traurigen Schicksal der Spatzen finden Sie in meinem Beitrag ‚Unseren Spatzen fehlen Nistplätze, Sämereien und Insekten. Der Sperling ist längst kein Allerweltsvogel mehr‘. (Bild: Ulsamer)

Trotz der Konzentration in diesem Beitrag auf die Landwirtschaft, die mit über 50 % der größte Flächennutzer in Deutschland ist, möchte ich die Wälder und den Forst (30 %) nicht vergessen und selbstverständlich Siedlungen und Verkehrswege. Die Wasserflächen umfassen zwar nur 2,3 %, trotzdem muss deren Schutz ebenfalls intensiviert werden. In allen Sektoren müssen wir pfleglicher mit der Landschaft und der verbliebenen Natur umgehen, denn allein dies kann dauerhaft die Vogelpopulationen erhalten bzw. neuerlich vergrößern. Die Politik – in der EU, in Bund, Ländern und Kommunen – muss bei allen Planungen der Natur einen höheren Stellenwert zugestehen – nicht ausschließlich in Sonntagsreden! Gesetze und Verordnungen gibt es mehr als reichlich, gleichwohl fehlt es an der Umsetzung! Wir alle können und müssen unseren Beitrag leisten, damit das Gezwitscher der Vögel nicht verstummt. Ohne grundsätzliche Änderungen im Agrarbereich können wir uns als Konsumenten oder als Gartenbesitzer mit Vogelhäuschen noch so sehr bemühen, der breite Erfolg wird ausbleiben. Daher muss die Politik in den Kommunen, in den Ländern, beim Bund und in der EU das Ruder endlich herumreißen und Kurs nehmen auf eine Zukunft, in der Vögel und Insekten oder andere Wildtiere wieder mehr Lebensraum finden. Wer diesen Kurswechsel verhindert oder verschläft, der gefährdet nicht nur die Vögel, sondern auch die nachwachsenden Generationen der Bürger, denn wer die Natur vernichtet, der raubt letztendlich den Menschen in gleichem Maße ihre Existenz!

 

Ein Fitis mit gräulich-bräunlicher Oberseite und einem hellen Brustbereich auf einem Ast.
Der Fitis wird in der aktuellen Roten Liste als ungefährdet betrachtet und er sei „häufig“. Wann haben Sie den letzten Fitis gesehen? Wir wandern viel, doch einen Fitis bekommen wir nur sehr selten zu Gesicht. Der Vogelschwund in unserem Land und in Europa schlägt sich unzureichend in den Roten Listen nieder, die nicht selten auf altem Datenmaterial beruhen. (Bild: Ulsamer)

 

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SLinks ein brauner Acker, rechts ein asphaltierter Wirtschaftsweg und dazwischen ein kaum 50 Zentimeter breiter Streifen mit etwas Gras.obald Ackerränder so aussehen, ist der Lebensraum für Vögel und Insekten bereits zerstört. Aber die an die Fläche gebundenen Agrarsubventionen gibt es dennoch. Mehr dazu in: ‚Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU: Neuorientierung zwingend‘. Ökologie und Nachhaltigkeit drohen wieder zu kurz zu kommen‘. (Bild: Ulsamer)

Bauernversteher als Totengräber der Natur und der Höfe

Ein hölzernes Kreuz steht auf einer Grünfläche, dahinter ein brauner Acker. An der grünen Querlatte hängen Gummistiefel. Am Fuß des Kreuzes ist eine rote Warnweste befestigt.

Gemeinsam mit den Landwirten ein neues Agrarsystem schaffen

Bis zu den jetzigen Bauerndemos war ich mir gar nicht bewusst, dass man mit einem Traktor, Trecker oder Schlepper in Stadt und Land Vorfahrt hat und ganz selbstverständlich in Kolonne über Autobahnen tuckern oder deren Auffahrten blockieren darf. Während die Klimakleber gleich der Volkszorn, zumindest die Wut vieler Autofahrer traf, blieb es bei den Blockaden durch zornige Bauern bei leisem Gegrummel, es überwog das Verständnis. Und in der Politik meldeten sich die Bauernversteher zu Wort, auch die, die in den letzten Jahrzehnten wenig dazu beigetragen hatten, das Agrarwesen in Deutschland und in der EU zukunftsorientiert auszurichten. Der bayerische CSU-Ministerpräsident Markus Söder und sein Stellvertreter von den Freien Wählern, Hubert Aiwanger, überboten sich dabei, den erzürnten Bauern und ihren Helfershelfern die Füße zu küssen. Die Grünen wurden zum Prügelknaben der Traktorfahrer, doch Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir versuchte es mit einem Kuschelkurs, der seiner Partei allerdings nichts bringt. Dabei hatte Özdemir, kaum im Amt, die Ausweisung weiterer Artenschutzflächen zurückgestellt und die vorgegebene Fruchtfolge aufgehoben, damit auf deutschen Feldern mehr Weizen angebaut werden konnte. Der Minister berief sich dabei auf die veränderte Versorgungslage wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. So findet sich immer eine wohlfeile Ausrede, wenn einem Teil der Landwirte der Bauch gepinselt werden soll, obwohl daheim die Sauen im Kastenstand dahinvegetieren, Milchkühe weiterhin angekettet werden und Glyphosat und Gülle die Felder überschwemmen. Dank bekommen die Bauernversteher in Berlin und Brüssel für ihre nachgiebige Haltung dagegen keinen, sondern die protestierenden Trecker-Revoluzzer fühlen sich nur ermuntert, zur nächsten Blockade zu eilen – gerne mit dem grünen Kennzeichen und Agrardiesel – jeweils subventioniert von uns Steuerzahlern!

Ein Großer Brachvogel auf einer feuchten Wiese. Gut erkennbar sein langer, sichelförmiger Schnabel. Sein Federkleid ist braun gesprenkelt.
Ein Verlierer der industriellen Landwirtschaft ist der Große Brachvogel. Der Umbruch von Wiesen, aber auch die häufige Mahd von Grünland oder die Zerstörung von Mooren hat dem Großen Brachvogel in weiten Regionen Europas seine Habitate geraubt. Mit dem Aussterben des Großen Brachvogels habe ich mich in einem eigenen Blog-Beitrag beschäftigt: ‚Fliegt bald der letzte Große Brachvogel übers Land? Die Zerstörung seines Lebensraums geht weiter‘. (Bild: Ulsamer)

Deutscher Bauernverband als Bremsklotz

Weit haben wir es gebracht, wenn die Bauernkrieger – in dem ansonsten nicht gerade durch revolutionäre Umtriebe bekannten Biberach – den politischen Aschermittwoch der baden-württembergischen Grünen verhindern können, und dies trotz der aufgebotenen Polizisten. Der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann und sein Parteifreund und potenzieller ‚Nachfolger‘ Cem Özdemir bliesen zum Rückzug, um schlimmeres zu vermeiden. Die grüne Parteivorsitzende Ricarda Lang konnte in Schorndorf – dem Geburtsort von Gottlieb Daimler – bei Stuttgart nach einer Veranstaltung am gleichen Tag nur unter Polizeischutz ihr Fluchtfahrzeug erreichen. Fast vergessen ist es schon, dass der Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, Robert Habeck, erst nach dem zweiten Einlaufen der Fähre im nordfriesischen Schlüttsiel und einem erhöhten Polizeiaufgebot an Land gehen konnte. Nun mache ich in meinem Blog keinen Hehl daraus, dass ich die Politik von Bündnis 90/ Die Grünen heftig kritisiere, da sie weder kommunikativ (Heizungsgesetz) noch inhaltlich (Natur, Wolf, Landwirtschaft) eine gute Leistung abliefern. Und ob man sich zum Beginn der Fastenzeit mit Starkbier die politische Realität verschönern muss, wage ich zu bezweifeln – was natürlich für alle Parteien gilt. Wenn es jedoch unser Staat zulässt, dass sich die Diktatur der Straße durchsetzt, sei es mit oder ohne Traktor, dann ist das Wasser auf die Mühlen extremer Parteien. Wer bei den Autobahnblockaden noch freundlich lächelte oder wegsah, der muss sich nicht wundern, wenn die nächste Eskalationsstufe gezündet wird. Nicht hören mag ich auch das entschuldigende Gerede, es seien nicht die Bauern, die mit ihren Traktoren jetzt die politische Landschaft umpflügen wollen, sondern rechte Extremisten, die die Szene unterwandert hätten. Von der Demonstration in Stuttgart kann ich nur sagen: da saßen Landwirte auf den Traktoren! Völlig klar ist es aber auch, dass zahllose Bauern auf ihren Höfen ihrer Arbeit nachgehen, sich um ihre Tiere und Felder vorbildlich kümmern, während Traktor-Prolos versuchen, das Heft in die Hand zu bekommen. Die Ampelregierung ist für mich eine Laienspielgruppe, doch wer ‚Die Ampel muss weg‘ skandiert, der zielt zunehmend bei den Bauernprotesten auf unser demokratisches System an sich. Bauernpräsident Rukwied fordert in Berlin die komplette Rücknahme aller Kürzungen und drohte ansonsten: „Dann werden wir ab 8. Januar überall präsent sein in einer Art und Weise, wie es das Land noch nicht erlebt hat.“ Nach den Blockaden und der Bedrängung von Politikern wissen wir jetzt, was der Präsident des Deutschen Bauernverbands meinte!

Gelbes Ortsschild mit der Aufschrift 'Seebach. Ortenaukreis'. Darunter ein kleines weißes Schild 'Radarkontrolle'. Am Ortschild hängen verschiedenfarbige Gummistiefel.
Stiefel an Ortsschildern als Zeichen des Bauernprotests: Sie sollen wohl symbolisieren, dass es keine regionalen Lebensmittel gäbe, wenn die Landwirte ihre Gummistiefel nicht mehr anziehen. Wir kaufen, wann immer möglich, regionale Lebensmittel, doch auch die Bauern müssen mehr auf Kunden in der Region setzen, denn häufig findet sich Gemüse im Regal nur aus anderen europäischen Regionen, denn auf deutschen Höfen wird zu sehr auf Futtermittel- und Fleischproduktion bzw. Milcherzeugung gesetzt. (Bild: Ulsamer)

Völlig daneben ist der Versuch zahlloser Bauernprotestler, sich als nicht beachtete Berufsgruppe darzustellen, auf die Politik und Gesellschaft keine Rücksicht nehmen würden. Dabei gibt es keinen ‚Stand‘ in diesem Land, der in gleicher Weise von der Politik hofiert wird. Oder wer lebt noch zu 40 oder mehr Prozent von Subventionen, die von allen Steuerzahlern letztendlich aufgebracht werden? Notwendige Veränderungen im Agrarbereich wurden stets auf die lange Bank geschoben, wenn der Deutsche Bauernverband mal laut aufstampfte. Übergangsfristen gehen im Agrarsektor gerne mal nach Jahrzehnten, man denke nur an die Muttersauen, die in Kastenstände gequetscht werden, wo sie sich nicht bewegen können. Der Einsatz von Glyphosat wurde von der EU-Kommission um 10 Jahre verlängert, nachdem die Bauernorganisationen in der EU ihr Klagelied angestimmt hatten. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die als CDU-Verteidigungsministerin noch nicht einmal für ausreichend warme Unterwäsche für die Truppe sorgen konnte, und ihre Kollegen haben die völlig richtige Mindestforderung zurückgenommen, magere vier Prozent der Fläche aus der Produktion zu nehmen, um so ein kleines Plätzchen für die Natur zu ermöglichen. „Das ist Strukturpolitik mit der Brechstange“, monierte Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbands in der ‚Augsburger Allgemeinen‘, wenn die Anbindehaltung von Rindern zukünftig verboten werden soll. Selbstredend würde es auch hier Übergangsfristen geben, doch der Deutsche Bauernverband unter seinem Präsidenten Joachim Rukwied, geriert sich stets als der Club der Verhinderer. Diese Politik trägt aber tatsächlich mit dazu bei, dass die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe jedes Jahr abnimmt. Und daran ändern weder grüne Kreuze noch Traktorblockaden etwas.

Ein rooter Traktor mit einem Plakat: 'Keiner soll es vergessen, dieBauern sorgen für das Essen!'
Wer als Bauernversteher Beifall klatscht, wenn Traktorkolonnen die Innenstädte lahmlegen oder Autobahnen blockieren, der unterminiert unser Staatswesen. Es kann nicht sein, dass Landwirte auf dem Traktor anders behandelt werden als Klimakleber, die auf der Straße sitzen. Hierzu finden Sie ergänzende Ausführungen in ‚Bauernprotest: Regiert in Deutschland bald die Straße? Klimakleber kaufen sich jetzt Traktoren‘. Natürlich hat der Bauer mit seinem Plakat recht, sie erzeugen unser Essen, doch häufig wird am Markt vorbei produziert. Futtermittel, Fleisch und Milch stehen in weiten Regionen Deutschlands im Mittelpunkt, regionales Gemüse dagegen fehlt und wird durch Importe ersetzt. Es ist längst überfällig, die Art der Nahrungserzeugung zu überdenken! (Bild: Ulsamer)

Natur wird von Traktoren überrollt

Seit Jahrzehnten kommt die Natur dank der deutschen und europäischen Agrarpolitik unter die Traktorräder. Insektenschwund und Vogelsterben kommen nicht von ungefähr, und alle namhaften Studien belegen, dass das Siechtum der Natur maßgeblich mit der industriellen Landwirtschaft zusammenhängt. Diese Erkenntnis ist weder neu noch eine Erfindung von bauernfeindlichen Kreisen, ganz im Gegenteil. Als die Traktoren 2019 nach Berlin rollten, um Angela Merkel ihre ‚Aufwartung‘ zu machen, und die grünen Kreuze wie Pilze aus den Äckern sprießten, berief die CDU-Bundeskanzlerin 2020 die ‚Zukunftskommission Landwirtschaft‘ ein, die unter Mitwirkung unterschiedlicher Interessengruppen – von den Naturschützern bis zu den Bauern – durchaus interessante Ansatzpunkte für eine zukunftsorientierte Landwirtschaft erarbeitete. Cem Özdemir tauschte sich nach dem Regierungswechsel mit den Mitgliedern im Dezember 2021 aus und bat sie um Weiterarbeit, doch dann verliert sich zumindest in der Öffentlichkeit die Spur. Ergänzende Anmerkungen dazu in meinem Blog-Beitrag: ‚Agrarbereich muss naturnäher arbeiten. Ökologie und Nachhaltigkeit als Basis für die Landwirtschaft‘. „Das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung wurde 2019 eingerichtet. Im August 2023 hat es beschlossen, seine Arbeit zu beenden“, heißt es etwas lapidar über die sogenannte Borchert-Kommission auf der Seite des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Schon 2020 hatte die Kommission erste Vorschläge an die CDU-Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner übergeben, doch der Startschuss zu einer umfassenden Transformation hin zu einer artgerechten Tierhaltung unterblieb. Bei Ministerin Klöckner hat es mich nicht verwundert, dass sie solche Impulse ignorierte, denn sie stand eher für Beharrung als für einen Aufbruch in Sachen Ökologie und Tierwohl. Dazu mehr in meinem Beitrag ‚Wenn Julia Klöckner über Bullerbü lästert. Wir brauchen eine neue Agrarpolitik in Deutschland und der EU‘. Aber die Mitglieder der Borchert-Kommission fühlten sich auch beim grünen Bundesminister Özdemir und der Ampelregierung nicht besser aufgenommen, denn sie erklärten: „Die politischen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung der Empfehlungen des Kompetenznetzwerks wurden somit weder in der vorherigen Legislaturperiode noch in den ersten zwei Jahren der laufenden Legislaturperiode geschaffen. Auch der Entwurf des Bundeshaushalts 2024 lässt den notwendigen Durchbruch nicht erkennen. Das Kompetenznetzwerk beendet deshalb seine Arbeit.“ Wenn ich dies lese, dann verstehe ich den Frust zahlreicher Bauern, denn von Kommissionen haben sie nur etwas, wenn deren Erkenntnisse in politisches Handeln münden. Der Natur geht es immer schlechter, aber auch die familiengeführten landwirtschaftlichen Betriebe werden immer weniger.

Links ein brauner Acker, rechts ein asphaltierter Wirtschaftsweg und dazwischen ein kaum 50 Zentimeter breiter Streifen mit etwas Gras.
Wo sollen bei solch minimalen Ackerrändern noch Vögel ein Plätzchen zum Brüten oder Schmetterlinge und Wildbienen eine blühende Pflanze mit Nektar und Pollen finden? Mehr zum Insektenschwund finden Sie in meinem Beitrag ‚Insekten lechzen nach Nektar und Pollen. Wild- und Honigbienen auf Nahrungssuche‘. (Bild: Ulsamer)

Ökologie und Nachhaltigkeit müssen die Grundsätze für eine Neuorientierung der Agrarpolitik in Deutschland und der EU sein! Die Zukunftskommission Landwirtschaft und die Borchert-Kommission haben wichtige Rahmendaten für eine Neuorientierung der Agrarpolitik erarbeitet, doch niemand macht sich an die Umsetzung. Eines ist klar, die selbsternannten Bauernversteher helfen den Landwirten nicht wirklich und sie tragen mit ihrer Politik zum weiteren Niedergang der Natur bei. Ich möchte nicht ‚Tieren und Pflanzen beim Aussterben zusehen‘, so der Titel einer meiner Blog-Beiträge, daher muss gehandelt werden! Wenn jetzt wieder Kreuze auf Äckern und Wiesen sprießen, dann sind sie für mich ein erschreckendes Signal, denn die heutige Agrarpolitik mit ihrer grünlackierten Subventionsmaschine zerstört bäuerliche Existenzen und vernichtet Flora und Fauna. Wir brauchen einen sorgsamen Umgang mit unserer Landschaft, mit Äckern und Wiesen, mit der Natur. Sogenannte ‚Nutztiere‘ gehören nicht in Massenställe oder in Kastenstände, und wer Rinder ankettet, der vergeht sich an unseren Mitgeschöpfen. Rinder, Schweine und Hühner gehören auf die Weide und nicht in enge Stallungen. Das ist eine Aufgabe für die deutsche, aber gerade auch für die europäische Politik, denn es macht keinen Sinn, wenn Hühnerhalter die Tiere in Polen in Käfige stecken, weil es in Deutschland verboten ist. Und anschließend landen diese Käfigeier in Produkten, denen wir nicht ansehen, dass sie aus Qualhaltung stammen! Hier verstehe ich die Verärgerung deutscher Landwirte, die zurecht beklagen, dass sie teilweise schärfe Vorgaben einhalten müssen, ohne dass ihnen das am Markt finanzielle Vorteile bringen würde.

Der Schwalbenschwanz hat die Flügel ausgebreitet. Die Flügelspannweite beträgt zwischen 50 und 75 Millimetern. Er ist gelb und schwarz gemustert. Er sitzt auf einer grünen Pflanze.
Verkümmerte und plattgewalzte Feldraine, reichlich Glyphosat auf den Feldern, da bleibt kein Freiraum mehr für die Wilde Möhre, eine Futterpflanze für die Raupen des Schwalbenschwanzes, oder für die Kleine Bibernelle und die Pastinake. Die erwachsenen Falter fliegen gerne die Kartäuser-Nelke oder den Gewöhnlichen Natternkopf an, um Nektar zu trinken, doch diese Pflanzen sind ebenfalls in weiten Regionen verschwunden. Blütenreiche und magere oder Trockenwiesen sind selten geworden, so ist es kein Wunder, dass der Schwalbenschwanz sich rar gemacht hat. (Bild: Ulsamer)

Damit sind wir bei der zentralen Frage, wie lässt sich der Subventionsdschungel im Agrarbereich lichten? Es müsste endlich Schluss damit sein, dass Subventionen – z. B. nach der Fläche – verteilt werden, die ohne Vorteile für Gesellschaft und Natur sind. EU-Fördermittel dürfte es nur noch dann geben, wenn besondere Leistungen erbracht werden, so z. B. für Brachen oder mehrjährige Blühstreifen, für Hecken und Tümpel, für eine auf Brutvögel abgestimmte Mahd, für Weidetiere, für die Eindämmung der Gülleflut und die Minimierung des Pestizideinsatzes usw. Die oben genannten Kommissionen zum Landbau bzw. der Tierhaltung haben unter Mitwirkung von landwirtschaftlichen Organisationen Ansatzpunkte zusammengetragen, die eine Neuausrichtung des Agrarsektors an Nachhaltigkeit und Ökologie ermöglichen. Es ist überfällig, dass solche Konzepte umgesetzt werden, denn die landwirtschaftliche Tätigkeit muss den Bauern ein eigenständiges Einkommen sichern und gleichzeitig zur Ernährung ohne ökologische Schäden beitragen. Und – dies ist für mich unerlässlich – der Agrarbereich muss den Schutz der Natur stärker berücksichtigen. Die Bauernversteher, die ein Weiter so befürworten, schaden den Bauern, denn mit einem grünen Kennzeichen und subventioniertem Agrardiesel oder Flächensubventionen lässt sich die Zukunft nicht sichern. Je eifriger die Subventionsmaschine arbeitet, desto weniger Bauernhöfe existieren in Deutschland. Gab es 1975 noch deutlich über 900 000 landwirtschaftliche Betriebe, so waren es im Jahre 2022 gerade mal 256 000. Die Großen fressen die Kleinen, und der Deutsche Bauernverband schaut zu. Wer als kleiner oder mittlerer Betrieb überleben will, der muss auf Qualität statt Masse setzen, und dabei muss er von der Politik unterstützt werden.

Die eifrigen Bauernversteher sind die Totengräber der Natur und letztendlich auch der Höfe, der landwirtschaftlichen Familienbetriebe!

 

Braune Hochlandrinder mit langen Hörnern. Ein Kalb ist bei seiner Mutter.
Lasst den Rindern ihre Hörner und schickt sie wieder auf die Weide. Zu viele Kühe, Schweine und Hühner fristen ein trauriges Dasein in Massenställen. Mehr dazu in: ‚Klimaschutz: Kühe zwischen Milch und Methan. Weidetiere tragen zur Humusbildung bei‘. (Bild: Ulsamer)

 

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Ein hölzernes Kreuz steht auf einer Grünfläche, dahinter ein brauner Acker. An der grünen Querlatte hängen Gummistiefel. Am Fuß des Kreuzes ist eine rote Warnweste befestigt.Früher standen Kreuze am Feldrand und die Menschen sprachen im Vorbeigehen ein Gebet. In unseren Tagen stehen sie mitten auf dem Acker oder der Wiese und sollen den Niedergang der Landwirtschaft symbolisieren. Mit subventioniertem Agrardiesel und kostenlosen Kennzeichen für Traktoren lässt sich das Höfesterben nicht verhindern, sondern nur mit einer veränderten Agrarpolitik, die auf Klasse statt Masse, auf regionale und biologische Produkte, auf die Förderung ökologischer Maßnahmen statt auf Flächensubventionen setzt. Wer allein massenhaft Fleisch oder Milch erzeugt und sich dann über den Preisverfall erzürnt, der darf die Schuld nicht nur bei den Discountern und den Konsumenten abladen, sondern muss sich als Landwirt an die eigene Nase fassen. Vertieft habe ich diese Thematik in meinem Blog-Beitrag ‚Wir brauchen eine Agrarrevolution. Die EU-Agrarpolitik zerstört Natur und bäuerliche Familienbetriebe‘. (Bild: Ulsamer)

Bauernprotest: Regiert in Deutschland bald die Straße?

An der Rückseite eines grünen Traktors mit zwei Personen an Bord hängt ein Kunststoffskelett mit je einem grünen, gelben und roten Punkt. Text in roter Farbe: "ist unser Tod".

Klimakleber kaufen sich jetzt Traktoren

Nicht nur Klimakleber dürften sich verwundert die Augen reiben: Da begleitet die Polizei kilometerlange Traktorkolonnen durch unsere Städte, Gerichte geben den Weg für Blockaden von Autobahnauffahrten frei und CDU/CSU-Politiker überbieten sich in Beifallsbekundungen für die Bauernproteste. Eigentlich ist es da für Klimakleber – und nicht nur diese – an der Zeit, sich einen Traktor zu kaufen. Kein Ärger mehr mit Polizei und Justiz, und statt aggressiver Autofahrer, die sich einen Blockierer vorknöpfen, allseits großes Verständnis oder zumindest Respekt vor den großen Rädern. Nun bin ich kein Sympathisant von Aktivisten, die sich auf Straßen oder Rollbahnen festkleben, doch immerhin streiten diese für mehr Engagement gegen den Klimawandel, die protestierenden Landwirte und ihr schwer greifbarer Anhang dagegen wollen überkommene Subventionen für die eigene Tasche sichern. Man schreibt leichter über Veranstaltungen, die man selbst gesehen hat, also machte ich mich auf nach Stuttgart, um mich unters bäuerliche Protestvolk zu mischen. Schnell wurde klar, den in meiner Geburtsstadt versammelten Bauern, Winzern und ‚Fuhrleuten‘ geht es im Grunde nicht nur um den Erhalt der Fördermittel beim Agrardiesel, sondern um den Sturz der Ampelregierung und so manchem um eine andere Republik. Das schnelle Einknicken der Bundesregierung von SPD, Grünen und FDP, die flugs die Hälfte der geplanten Einsparungen wieder zurückgenommen hat, konnte die Gemüter nicht besänftigen. Eher im Gegenteil! Und der Präsident des Deutschen Bauernverbands, Joachim Rukwied, fordert weiter die Rücknahme aller Kürzungen und drohte ansonsten: „Dann werden wir ab 8. Januar überall präsent sein in einer Art und Weise, wie es das Land noch nicht erlebt hat.“ Wie bitte? Klima- und Wirtschaftsminister Robert Habeck durfte als erster erleben, was das heißt: Er konnte im nordfriesischen Schlüttsiel die Fähre nicht verlassen, sondern musste mit dieser den Rückzug antreten bis ausreichende Polizeikräfte den wütenden Mob zügeln konnten. Jetzt durften die Autofahrer ihre zweifelhaften Erfahrungen mit Traktorkolonnen und Straßenblockaden machen. Da stellt sich für mich die Frage: Regiert in Deutschland bald die Straße?

Mehrere Traktoren mit Plakaten und weitere Fahrzeuge auf beiden Fahrbahnen.
Für den Fachkräftemangel in der Politik, der auf diesem Transparent zurecht angeprangert wird, spricht die Vorgehensweise beim Heizungsgesetz und jetzt bei der Streichung der Subventionen für Agrardiesel. Die richtigen Ziele gerieten durch das kommunikative Desaster der Ampelregierung gänzlich aus dem Blick. Allerdings lässt der laute Applaus von CDU und CSU für die maßlosen Bauernproteste auch an deren Kompetenz zweifeln. Der Griff zu regionalen Produkten ist uns wichtig, denn so können wir die Bauern in unserem Umfeld unterstützen. „Gemeinsam statt gegeneinander“, wer möchte da widersprechen, doch die überzogenen Protestaktionen führen Menschen gewiss nicht zusammen. (Bild: Ulsamer)

Straßenblockaden kommen in Mode

Bereits in meinem Blog-Beitrag ‚Ampelregierung von Traktoren überrollt. Scholz & Co in Agrardiesellache ausgerutscht‘ habe ich darauf hingewiesen, dass Einsparungen von rd. einer Milliarde Euro vorab mit den Landwirten hätten diskutiert werden müssen, doch die Einbeziehung der Betroffenen ist sicherlich keine Stärke der Ampelregierung unter Bundeskanzler Olaf Scholz. Die amtierende Bundesregierung hat aus dem Desaster beim Heizungsgesetz leider nichts gelernt! Eine schwache kommunikative Performance der Ampelregierung ändert aber nichts daran, dass ich sowohl die Streichung der Subventionen für den Agrardiesel befürworte als auch die Erhebung der Kfz-Steuer auf Traktoren oder Mähdrescher für richtig halte. Letzteres hat die Bundesregierung allerdings schon wieder zurückgenommen, als Bauernpräsident Rukwied zum Sturm auf Berlin blies. Der wenig glücklich agierende grüne Landwirtschaftsminister Cem Özdemir durfte sich, neben Rukwied stehend, dessen Wutrede anhören – wie ein gescholtener Schuljunge. Bei der Bauerndemo in Stuttgart tauchte der Begriff ‚Agrardiesel‘ zumindest auf den Transparenten, die ich gesehen habe, nicht auf. Stattdessen ging es frontal gegen die Ampelregierung. Dafür habe ich Verständnis, das mag ich nicht verhehlen. Sorgen macht mir jedoch, wie kurz bei einem Teil der Landwirte der Weg von einer Subventionskürzung zur Infragestellung dieser politischen Ordnung ist. Hinter den Attacken auf die marode Ampelregierung lugt das Gespenst einer neuen Ordnung hervor, in der die Bauern endlich über ihre Fördermittel selbst entscheiden können. Ich habe gewiss nichts gegen unsere deutsche Flagge, wenn sie aber besonders eifrig bei Klientelveranstaltungen geschwenkt wird, dann wittere ich den Versuch der Überhöhung der eigenen Position.

Ein grüner Traktoor mit einem weißen Plakat: "„Ihr legt unsere Felder still – Wir Eure Straßen!“
„Ihr legt unsere Felder still – Wir Eure Straßen!“, meinen nicht wenige Bauern und bekommen politische und juristische Unterstützung. Wer bei uns Straßen stundenlang blockiert, der ist nach meiner Meinung nicht durch das grundgesetzlich verbürgte Demonstrationsrecht gedeckt. Ich weiß, dass dies inzwischen manche Gerichte anders sehen, aber auch Juristen können sich irren, was wir in unserer Geschichte leider haben erleben müssen. (Bild: Ulsamer)

„Ihr legt unsere Felder still – Wir Eure Straßen!“, so lautete der Text eines Plakats bei der Schlusskundgebung. Wer Felder nur beackert, weil es Subventionen aus der Gießkanne gibt, der sollte längst überlegen, ob er nicht in einem anderen Beruf glücklicher wäre. Aus meinen Erfahrungen mit Landwirten bei einem technologischen Projekt weiß ich, dass es genügend andere Bauern gibt, die Flächen übernehmen würden. Weder von Klimaklebern noch Traktor-Rabauken möchte ich unsere Straßen lahmgelegt sehen! Natürlich ist das Demonstrationsrecht ein hohes Gut, doch ob dazu Blockaden gehören, das wage ich zu bezweifeln. Sollte sich der Grundsatz durchsetzen, dass jede Gruppe das Recht hat, in die Infrastruktur einzugreifen, dann können wir darauf warten, dass uns in der Zukunft aufgebrachte Mitarbeiter Strom oder Wasser abdrehen. Ganz nahe dran an dieser nicht wünschenswerten Zukunftsvision ist die Gewerkschaft der Lokführer (GDL), die mit ihren überzogenen Streikaktionen die Zug-Passagiere als Geiseln nimmt. Und ganz nebenbei versucht sich die GDL auch noch als Zeitarbeitsfirma und vermittelt Lokführer, die sie vorher gerne der Deutschen Bahn abwerben möchte. Nun aber zurück auf den Traktorsitz. Völlig zurecht wiesen die Protestierenden darauf hin, dass ohne Landwirte unsere Teller leerbleiben und ohne die Winzer so manche festliche Tafel weniger erbaulich sein dürfte. Es geht somit nicht darum, künstliche Konflikte zwischen den Landwirten und uns Verbrauchern zu schüren, ganz im Gegenteil. Aber es ist an der Zeit, die Subventionsflut einzudämmen. Weder die Subventions- noch die Gülleflut oder die Massentierhaltung helfen unserer Gesellschaft oder der Natur. Eines ist sicher, der Kampf um die Subventionen für Agrardiesel mag ein letzter Tropfen sein, der das Fass überlaufen ließ, doch der Frust mancher Landwirte sitzt tiefer. Sollten alle wütenden Grüppchen in dieser Gesellschaft auf Straßenblockaden setzen, dann erschüttert das die Grundfesten unseres demokratischen Staatswesens. Sollen bei der angedachten Kürzung von Bürgergeld bei dauerhafter Ablehnung von Arbeitsangeboten die Betroffenen gleich vor der Arbeitsagentur auf der Kreuzung Platz nehmen? Wie steht es mit Bürgern, die die Neuberechnung der Grundsteuer auf die Palme treibt? Und dürfen umweltbewusste Bürgerinnen und Bürger einen Trecker stoppen, der über eine öffentliche Straße tuckert und Gülle oder Pestizide an Bord hat? Wenn alles erlaubt ist, auch Straßenblockaden, dann werden sich zahlreiche Nachahmer finden!

Mehrere Traktoren. Am ersten Fahrzeug ein Plakat: "Nicht vergessen wir sorgen fürs Essen."
Da hat dieser Traktorfahrer recht, die Bauern sorgen für unser Essen, doch das berechtigt nach meiner Ansicht nicht dazu, ganze Städte und Autobahnen zu blockieren. Vielleicht sollten die Protestierenden nicht vergessen, dass 40 bis 50 Prozent ihres Einkommens über die Agrarsubventionen aufs Konto kommen und somit aus Steuergeldern stammen. Und als Konsumenten sind wir für den Rest verantwortlich. Wer also wütend die anderen Bürgerinnen und Bürger von deren Aktivitäten abhält, der tritt seinen Kunden ans Bein. Herzlichen Dank auch! Wir brauchen zweifellos eine Neuorientierung der EU-Agrarpolitik, die dafür Sorge trägt, dass Landwirte langfristig ohne Subventionen auskommen und ihren Lebensunterhalt aus dem Verkauf ihrer Produkte bestreiten können. (Bild: Ulsamer)

Berufsstand von Subventionsempfängern

Bei deutschen Landwirten entfallen 40 bis 50 Prozent ihrer Einnahmen auf Agrarsubventionen, mehrheitlich ohne ökologische Vorteile. Die EU-Agrarförderung ist weiterhin eine grünlackierte Subventionsmaschine, darauf bin ich bereits in diesem Blog eingegangen. Nachhaltigkeit und Ökologie kommen weiter zu kurz, wenn die reinen Flächensubventionen nicht endlich verschwinden. Mein Vorwurf richtet sich nicht gegen Landwirte, die gerne Subventionen vereinnahmen, für die sie keine ökologischen Arbeiten durchgeführt haben. Die Schuld für die Fehlallokation von Steuermitteln tragen die politischen Entscheider in Brüssel, Straßburg und Berlin und nicht die Zahlungsempfänger. Mit einem Blühstreifen hier und da wird sich keine naturnähere Landwirtschaft erreichen lassen, dessen sind sich im Übrigen zahlreiche Biobauern und konventionell arbeitende Landwirte bewusst. Bei der nun in Schritten vorgesehenen Einstellung der Bezuschussung von Agrardiesel hätte nach meiner Ansicht durchaus überlegt werden können, ob Betriebe, die wenig oder keine Pestizide einsetzen und dafür mehr mechanische ‚Unkrautbekämpfung‘ betreiben, nicht bessergestellt werden müssen als Kollegen, die mit immer größeren Traktoren die Böden verdichten, Äcker und Wiesen mit einer Gülleflut überschwemmen oder weiterhin Glyphosat einsetzen. Aber mit Differenzierung hat die Ampelregierung wenig am Hut. Dabei ist sie jedoch in bester Gesellschaft mit der EU-Kommission unter Ursula von der Leyen, die zuletzt – ganz ‚passend‘ zum Green Deal – die Zulassung von Glyphosat um zehn Jahre verlängerte. Weitere Informationen finden Sie in meinem Blog-Beitrag ‚EU: Green Deal im Glyphosatnebel verschollen. EU-Kommission hat kein Herz für Insekten und Wildkräuter‘.

Grüner Traktor mit Plakat: "Grün Gelb Rot Unser Tod?"
Den Demonstranten in Stuttgart schien es im Grunde nicht um die weitere Subventionierung des Agrardiesels zu gehen, sondern um den Sturz der Ampelregierung aus SPD, Grünen und FDP. Die deutsche und europäische Agrarpolitik zerstört seit Jahren nicht nur die Natur, vermehrt das Leid der in Massenställen gehaltenen Tiere, trägt zum Insekten- und Vogelschwund bei, sondern sie fördert gleichfalls die Vernichtung bäuerlicher Existenzen. Gab es 1975 noch deutlich über 900 000 landwirtschaftliche Betriebe, so waren es im Jahre 2022 gerade mal 256 000. Die Großen fressen die Kleinen, und der Deutsche Bauernverband schaut zu. Wer als kleiner oder mittlerer Betrieb überleben will, der muss auf Qualität statt Masse setzen, und dabei muss er von der Politik unterstützt werden. (Bild: Ulsamer)

Die in Stuttgart versammelten Landwirte fühlten sich von EU und Bundesregierung an den Rand gedrängt, doch mal ganz ehrlich, welcher Berufsstand wird denn seit Jahrzehnten umfänglicher mit Steuergeldern gepampert? Jüngere mögen sich vielleicht nicht mehr erinnern, doch wann immer ein ‚Milchsee‘ oder ein ‚Butterberg‘ auftauchte, da gab es Förderprogramme. Stallumbauten, damit Rinder oder Schweine etwas mehr Platz erhalten – schon ist der Steuerzahler gefordert. Und wenn Sauen trotzdem noch in Kastenständen dahinvegetieren, dann halte ich das für einen katastrophalen Zustand – bei der Landwirtschaft allerdings gibt’s jahrzehntelange Übergangsregelungen. Den Fahnenschwenkern des neuen Bauernaufstands scheint gar nicht bewusst zu sein, dass ihnen die Politik seit Jahr und Tag über Gebühr entgegenkommt, so z. B. beim zu hohen Pestizideinsatz. Ganz nebenbei: die letzten Jahre waren im Durchschnitt wirtschaftlich erfolgreich für die landwirtschaftlichen Betriebe. „Laut dem aktuellen Situationsbericht des Deutschen Bauernverbandes haben sich die Ergebnisse in der Landwirtschaft im abgelaufenen Wirtschaftsjahr 2022/23 weiter deutlich verbessert. Im Durchschnitt lag das Unternehmensergebnis der Haupterwerbsbetriebe bei 115.400 Euro je Betrieb. Nach vielen schwachen Jahren hat sich die wirtschaftliche Situation der Betriebe in den letzten beiden Jahren erheblich verbessert“, so eine Pressemitteilung des Deutschen Bauernverbands. Vor diesem Hintergrund entlarven sich die düsteren Prophezeiungen der Bauernlobbyisten von selbst. Konsequenter als bisher müssen die Agrarsubventionen abgebaut oder zumindest an ökologischen Grundsätzen orientiert werden. Gleichzeitig muss mehr dafür getan werden, dass Landwirte ohne Agrarförderung von ihrer Arbeit leben können.

Kolonne grüner Traktoren und anderer Fahrzeuge auf der B 10 in Stuttgart.
Ist dies nicht eine verrückte Welt: wenn Traktoren rollen, bekommt die Ampelregierung Magendrücken und stampft flugs den Plan ein, für Traktoren und andere landwirtschaftliche Großgeräte zukünftig Kfz-Steuer zu erheben, und die Oppositionsparteien CDU und CSU klatschen als Bauernversteher bei Straßenblockaden eifrig Beifall, obwohl sie in den vergangenen vier Legislaturperioden unter Angela Merkel nichts dafür getan haben, um die Agrarpolitik auf eine zukunftsorientierte Basis zu stellen. Die CDU-Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner zeigte sich lieber mal als Nestlé-Model, hetzte gegen Wölfe oder lästerte über die Bullerbü-Landwirtschaft. Zwar habe ich kein Verständnis für den bäuerlichen Blockademarathon, aber ich verstehe den Unmut vieler Landwirte, denn Politiker reden gerne über die Landwirtschaft, doch sie sind nicht willens, aus den Ergebnissen der Zukunftskommission Landwirtschaft oder der Borchert-Kommission zur Tierhaltung die richtigen Schlüsse zu ziehen. (Bild: Ulsamer)

Traktoren statt Argumente

Keinerlei Verständnis habe ich für Blockaden und kilometerlange Traktorkolonnen, die mutwillig darauf abzielen, den Straßenverkehr zusammenbrechen zu lassen. Ich bin mir bewusst, dass – zumindest noch – eine Mehrheit der Deutschen Verständnis für diese Art bäuerlichen Protests hat. Aber heutzutage stehen ja auch einsame Möchte-Gern-Passagiere auf Bahnhöfen herum und erklären in salbungsvollen Worten, dass sie größtes Verständnis für maßlose Streiks hätten. Wie es um eine politische Kultur bestellt ist, in der mit zweierlei Maß gemessen wird, denn Klimakleber beispielsweise werden verfolgt, Traktorblockaden freundlich begrüßt, das wird die Zukunft zeigen. Apropos Zukunft: Bei aller Kritik an der Vorgehensweise der vom Deutschen Bauernverband ins Feld geschickten Treckerfahrer, selbstredend gibt es offene Fragen, die in der Agrarpolitik seit Jahren, ja sogar Jahrzehnten einer sachgerechten Antwort harren. Als die Traktoren nach Berlin rollten, um Angela Merkel ihre ‚Aufwartung‘ zu machen, und die grünen Kreuze wie Pilze aus den Äckern sprießten, berief die CDU-Bundeskanzlerin 2020 die ‚Zukunftskommission Landwirtschaft‘ ein, die unter Mitwirkung unterschiedlicher Interessengruppen – von den Naturschützern bis zu den Bauern – durchaus interessante Ansatzpunkte für eine zukunftsorientierte Landwirtschaft erarbeitete. Cem Özdemir tauschte sich mit den Mitgliedern im Dezember 2021 aus und bat sie um Weiterarbeit, doch dann verliert sich zumindest in der Öffentlichkeit die Spur. Ergänzende Anmerkungen dazu in meinem Blog-Beitrag: ‚Agrarbereich muss naturnäher arbeiten. Ökologie und Nachhaltigkeit als Basis für die Landwirtschaft‘. „Das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung wurde 2019 eingerichtet. Im August 2023 hat es beschlossen, seine Arbeit zu beenden“, heißt es etwas lapidar über die sogenannte Borchert-Kommission auf der Seite des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Schon 2020 hatte die Kommission erste Vorschläge an die CDU-Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner übergeben, doch der Startschuss zu einer umfassenden Transformation hin zu einer artgerechten Tierhaltung unterblieb. Bei Ministerin Klöckner hat es mich nicht verwundert, dass sie solche Impulse nicht aufgegriffen hat, denn sie stand eher für Beharrung als für einen Aufbruch in Sachen Ökologie und Tierwohl. Dazu mehr in meinem Beitrag ‚Wenn Julia Klöckner über Bullerbü lästert. Wir brauchen eine neue Agrarpolitik in Deutschland und der EU‘. Aber die Mitglieder der Borchert-Kommission fühlten sich auch beim grünen Bundesminister Özdemir und der Ampelregierung nicht besser aufgenommen, denn sie erklärten: „Die politischen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung der Empfehlungen des Kompetenznetzwerks wurden somit weder in der vorherigen Legislaturperiode noch in den ersten zwei Jahren der laufenden Legislaturperiode geschaffen. Auch der Entwurf des Bundeshaushalts 2024 lässt den notwendigen Durchbruch nicht erkennen. Das Kompetenznetzwerk beendet deshalb seine Arbeit.“ Wenn ich dies lese, dann verstehe ich den Frust zahlreicher Bauern, denn von Kommissionen haben sie nur etwas, wenn deren Erkenntnisse in politisches Handeln münden.

Ein großer Reifen auf gelber Felge an einem Traktor.
Je größer der Reifen, desto mehr Einfluss in der Politik? Weder Traktorkolonnen, die Innenstädte oder Autobahnen blockieren, noch Klimakleber der ‚Letzten Generation‘ dürfen zu bestimmenden Faktoren auf unseren Verkehrswegen werden. Demokratische Politik wird nicht durch Blockaden entschieden, ansonsten landen wir irgendwann bei einer Diktatur der Straße. Das Demonstrationsrecht ist ein hohes Gut, das nicht durch kleine Gruppen und deren Aktivitäten in Frage gestellt werden darf. (Bild: Ulsamer)

Den Bundesregierungen unter Angela Merkel und Olaf Scholz scheint der Zugang zu den Bauern verlorengegangen zu sein. Das lässt sich im Wahlverhalten der Landwirte ablesen, die zwar noch eher zur Union neigen, doch der Zuspruch bröckelt. So ist es kein Wunder, dass CDU/CSU jetzt um die Gunst der Traktorfahrer buhlen, selbst wenn diese Straßen blockieren! Mit einer solchen Anbiederei wollen CDU und CSU vergessen machen, dass bereits unter ihrer Ägide die Trecker nach Berlin rollten und die bäuerlichen Betriebe von Subventionen abhängig blieben. Eine ökologische Neuorientierung der Landwirtschaft scheiterte bisher an der Politik! Daran können auch die Lobpreisungen des CSU-Politikers und Vorsitzenden der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber, nichts ändern, der gegenüber der ‚Augsburger Allgemeinen‘ betonte: „Ich erlebe die Bauern als Bürger, die für ihre Interessen eintreten, werben und demonstrieren“. Bisher hatte die CSU wenig für Straßenblockaden übrig! Ein Sinneswandel, der die Klimakleber im Freistaat begeistern wird! Und Weber fuhr fort: „Das ist ein starkes Zeichen von bürgerschaftlichem Engagement. Da muss ich sagen: Respekt.“ Respekt für Traktorfahrer, die Autobahnzufahrten blockieren und ganze Innenstädte lahmlegen? Das ist ein gänzlich neuer Ton bei einem CSU-Politiker! Wer solche Sätze von sich gibt, um für die Europawahl Stimmen zu gewinnen, der landet langfristig im politischen Abseits. Wer in einem demokratischen Gemeinwesen Blockaden für „bürgerschaftliches Engagement“ hält, auch wenn Kinder nicht in die Schule und ihre Eltern nicht zur Arbeit kommen, der lässt einen Geist aus der Flasche, der nicht mehr dorthin zurückkehren wird! Ob CSU-Weber bei seiner absurden Meinung bleibt, wenn sich Klimakleber auf den Treckersitz schwingen? Für mich ist es schwer erträglich, dass in unserem Land Minderheiten ihre Interessen auf der Straße oder der Schiene durchsetzen – oder an welchem Schaltpult auch immer. Wie erpressbar die Politik geworden ist, das hat das schnelle Zurückweichen der Bundesregierung bewiesen, die die Hälfte der Einsparung – Steuer auf Traktoren – gleich wieder zurücknahm. Wer viele Traktoren rollen lassen kann, der hat recht? Dies darf nicht der Leitgedanke sein, denn Nachahmer dürften sich berufen fühlen, ähnlich umfassend und einschüchternd vorzugehen. In Deutschland darf nicht die Straße regieren!

 

Mehrere schwere Lkw parken widerrechtlich links und rechts in einer kleinen innerstädtischen Straße. Plakat an der Frontseite: "Stoppt den Wahnsinn." Es zeigt eine durchgestrichene Ampel.
Manche Spediteure und Handwerker haben sich dem Bauernprotest angeschlossen. Nicht nur bei Traktorkolonnen, die den Verkehr lahmlegen, schauen Polizisten freundlich zu, denn die Blockierer sind ja keine Klimakleber. Wo man ansonsten schnell abgeschleppt würde, parken während der Demonstration in der Stuttgarter Innenstadt Lkw und Traktoren im Halteverbot – und nichts geschieht. Und wie war das mit den Grenzwerten für Fahrzeuge in der Umweltzone? Wo Traktoren rollen, da scheinen alle Vorgaben aufgehoben zu sein. Vielleicht sollte ich mir auch einen Traktor kaufen? Und dann kann ich – wegen unserer kleinen Streuobstwiese – gleich noch mit subventioniertem Diesel zur Demo eilen! (Bild: Ulsamer)